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Das Fräulein mit dem karierten Koffer (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
320 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-491262-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das Fräulein mit dem karierten Koffer -  Claudia Kaufmann
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1964: Sabine wird in der Firma von ihrem Chef und daheim von ihrer Mutter und dem Stiefvater Heinz gegängelt. Mit 19 Jahren ist sie noch längst nicht volljährig. Heinz und ihre Mutter sorgen sich ständig um ihren guten Ruf. Wie soll Sabine sonst einen ordentlichen Mann finden? Als Sabine sich in Michael verliebt, scheint ihr Traum von der Freiheit zum Greifen nah. Durch den Sohn einer reichen Industriellenfamilie öffnen sich die Türen zu einer Welt voller Verheißungen. Doch dann wird Sabine ungewollt schwanger - und von Michael verlassen. Ihre Eltern setzen sie vor die Tür. Für Sabine beginnt ein einsamer Kampf um ein selbstbestimmtes Leben mit ihrer Tochter.

Claudia Kaufmann wurde in Salzburg geboren und ist in München aufgewachsen. Sie ist Autorin zahlreicher Drehbücher, die für die ARD und das ZDF verfilmt wurden. Ursprünglich kam sie über das Schreiben von Romanen zum Film und kehrt mit diesem Buch zu ihren Anfängen zurück. Die Autorin lebt mit ihrer Familie in der Nähe von München.

Claudia Kaufmann wurde in Salzburg geboren und ist in München aufgewachsen. Sie ist Autorin zahlreicher Drehbücher, die für die ARD und das ZDF verfilmt wurden. Ursprünglich kam sie über das Schreiben von Romanen zum Film und kehrt mit diesem Buch zu ihren Anfängen zurück. Die Autorin lebt mit ihrer Familie in der Nähe von München.

Es war Schmuddelwetter, und auf den Straßen lag immer noch Schnee. Sabine wollte trotzdem einen Spaziergang mit Andrea machen, frische Luft war gesund und schützte vor Erkältungen. Zumindest hatte das ihre Mutter immer behauptet. Außerdem war Sabine froh, der Enge ihrer vier Wände kurzzeitig entfliehen zu können. So schön es war, eine eigene Wohnung zu haben, etwas mehr Platz wäre noch schöner gewesen.

Auf dem Weg zum Luitpoldpark kam sie an einem kleinen Zeitungsladen vorbei, und ihr fiel Renas Erwähnung der Bunten Illustrierten wieder ein. Wieso hatte sie Sabine danach gefragt? Obwohl sie eigentlich kein Geld für solche Kinkerlitzchen übrig hatte, wurde Sabine plötzlich neugierig und kaufte ein Heft. Das Wetter lud nicht gerade zu einem Spaziergang ein, und als es jetzt auch noch zu regnen anfing, machte sie sich wieder auf den Heimweg.

Zu Hause musste sie erst Andrea versorgen und hatte die Illustrierte, die sie in den Kinderwagen gestopft hatte, völlig vergessen. Erst viel später fiel sie ihr wieder ein, und sie lief hinunter in den Hausflur, wo der Kinderwagen stand.

Sie musste an ihre Mutter denken, für die der Lesezirkel ein Fenster in eine Welt war, die ihr für immer verschlossen blieb. Umso gieriger verschlang sie die Geschichten über Prominente. Als ob dadurch ein wenig von deren Glanz auf sie abfärben könnte.

Seit sich Sabine vorgenommen hatte, etwas für ihre Bildung zu tun, hielt sie sich an Bücher. Aber momentan war auch das illusorisch. Andrea beanspruchte sie die meiste Zeit, und irgendwann musste sie auch Geld verdienen. Oft saß sie noch um elf Uhr nachts, wenn das Kind endlich eingeschlafen war, an der Schreibmaschine.

Sie blätterte in dem Heft, nur um festzustellen, wie wenig sie diese Klatschgeschichten noch interessierten. Bis sie auf ein ganzseitiges Foto von Michael stieß. Von Michael und einem auffallend hübschen Mädchen. Von einem »Traumpaar« war in dem Artikel die Rede, das schon bei seinem ersten gemeinsamen Auftritt beim Bal paré in München Aufsehen erregt hatte.

Man munkelte, dass der attraktive Industriellensohn und Leslie Devonport, die Nichte irgendeines Earls, sich sogar bereits verlobt hätten. Von Michaels Studien in Oxford war noch die Rede und dass er Leslie, die im gesellschaftlichen Leben von London fest verankert sei, im Weihnachtsurlaub seinen Eltern vorgestellt habe.

Michael hatte auf dem Foto fürsorglich den Arm um das Mädchen gelegt und lächelte sie verliebt an. Sabine wurde schlecht. Sie rannte auf die Toilette und musste sich übergeben, obwohl sie kaum etwas gegessen hatte. Ihre Tränen mischten sich mit der Galle, die sie erbrach.

Es war dumm und naiv von ihr, aber in einem hinteren Winkel ihres Herzens hatte sie gehofft, Michael würde ebenfalls unter der Trennung von ihr leiden. Sie hatte sich eingeredet, sein hartherziger Vater hätte ihn gezwungen, Sabine zu verlassen, und dass er sich in seiner Studentenbude nach Sabine verzehren würde. Nach Sabine und seinem Kind.

Sie hasste sich geradezu für diese Gedanken, die nur offenbarten, wie unglaublich blöd sie war. Immer noch nichts gelernt, beschimpfte sie sich selbst, wie oft musste sie sich noch demütigen lassen, um endlich in der Realität anzukommen. Gerade hatte sie sich ihrer Mutter noch überlegen gefühlt, doch so dumm wie Sabine war Brigitte nie gewesen.

Während Sabine noch für das Ende ihrer Beziehung eine Erklärung wie aus einem Groschenroman suchte, hatte Michael sich längst in eine andere verliebt. In eine aus seinen Kreisen, die zu ihm passte. Die all das hatte, was Sabine abging, während Sabine nur noch tiefer gesunken war. Rasende Eifersucht erfüllte sie, und der Schmerz über diesen endgültigen Verrat drohte sie zu überwältigen.

Dann dachte sie an Andrea und wie schwer sie es als uneheliches Kind haben würde. Sie durfte sich nicht so gehen lassen. Sie musste stark sein. Für ihr Kind.

Sie wischte sich die Tränen ab und riss das Blatt mit Michaels Foto in Fetzen. Sie dachte an all die Demütigungen, die sie ertragen musste, seit er ohne ein Wort verschwunden war, und wurde immer wütender. Selbst wenn er sie nicht heiraten wollte, hätte er sie in irgendeiner Art und Weise unterstützen können. Für ihn oder seine Familie wäre es ein Klacks gewesen, Sabine wenigstens finanziell unter die Arme zu greifen. Stattdessen musste sie jeden Pfennig umdrehen und war jetzt auch noch einem Vormund ausgeliefert.

Sie tastete nach dem Herz an der Kette, die sie nie abgenommen hatte. Ein Herz! Welche Ironie, ihr so etwas zu schenken. Dabei hatte er ihres doch in Stücke gerissen. Sie wollte nichts mehr von ihm tragen, nichts mehr haben, was sie an ihn erinnerte. Sie zerrte so heftig an der Kette, dass der Verschluss zersprang, und feuerte das Schmuckstück in eine Ecke.

Es klingelte. Sabine machte nicht auf. Sie konnte jetzt niemanden sehen. Es klingelte wieder, und Sabine ignorierte es erneut. Kurz darauf läutete das Telefon. Es war ihr Vormund, der sich darüber wunderte, dass sie nicht aufmachte. Sabine murmelte etwas von ganz schrecklichen Kopfschmerzen, aber das war für ihn erst recht ein Grund, sich um sie zu kümmern.

Zehn Minuten später stand er in ihrer Wohnung und übergab ihr ein Paket mit Kuchen. Hatte er doch das letzte Mal versprochen. Er sah sie prüfend an. »Was macht Ihnen denn solchen Kummer?«

Sabine verfluchte ihre rot geweinten Augen, die sie verraten hatten. »Nur die Kopfschmerzen«, versuchte sie abzuwiegeln. Sie setzte Kaffee auf und stellte Tassen und Teller auf den Tisch.

»Sie schwindeln«, lächelte er. »Soll ich raten? Liebeskummer? Ihr jungen Dinger fallt ja gerne auf den Falschen rein.«

»Bestimmt nicht«, sagte Sabine abweisend.

»Ich bin ein guter Beichtvater, wenn Sie Ihr Herz ausschütten wollen.«

»Sehr freundlich von Ihnen«, sagte Sabine höflich, während sie die Kuchenstücke auf einen Teller schichtete und Kaffee eingoss.

Sie setzten sich. »Sicher hat Ihnen der Kindsvater die Ehe versprochen, oder?«

»Ich will nicht über ihn reden.«

»Ich meinte nur. Sie machen gar keinen so leichtfertigen Eindruck. Oder täusche ich mich?«

Sabine gab keine Antwort. Sie hasste seine blöden, anzüglichen Bemerkungen, und jetzt lieferte ihm auch noch Andrea, in dem sie anfing zu schreien, das Stichwort, über Erziehung zu reden. Sabine wollte zu ihr ins Zimmer. Spieß hielt sie am Arm fest.

»Aber sie hat Hunger, jetzt ist ihre Stillzeit«, sagte Sabine.

»Trotzdem. Sie muss lernen, dass ihre Bedürfnisse nicht sofort erfüllt werden.« Er schob sich ein Stück Kuchen in den Mund.

»Sie ist ein Baby«, wandte Sabine ein.

»Das kann man nicht früh genug lernen. Haben Sie sich im Übrigen an meine Ratschläge gehalten?«

»Sicher.«

»Gut. Sonst tanzt sie Ihnen nämlich auf der Nase herum. Und das wollen wir doch nicht.«

Er lächelte wieder, und es störte ihn nicht, dass sich Andrea die Seele aus dem Leib schrie. Als er endlich ein Einsehen hatte und Sabine zu ihrer Tochter ließ, war Andrea von der Anstrengung des Brüllens krebsrot angelaufen und ganz verschwitzt. Sabine drückte sie entschuldigend an sich.

»Ich muss jetzt stillen«, sagte sie in der Hoffnung, Spieß würde sich verabschieden.

Aber den Gefallen tat er ihr nicht. Er wollte warten. Wenigstens folgte er ihr nicht in den anderen Raum, denn vor ihm ihre Brust zu entblößen hätte sie mehr Überwindung gekostet, als sie aufzubringen bereit war. Schon ihn nebenan zu wissen stresste Sabine dermaßen, dass Andrea nicht genug Milch abbekam und sich beschwerte.

Nach dem Füttern trug Sabine sie herum, bis sie das erwartete Bäuerchen von sich gab, und nach dem Wickeln wurde Andrea auf Geheiß von Spieß wieder in ihr Bettchen verbannt. Ihren Protest sollte Sabine ignorieren.

Er setzte sich so dicht neben sie, dass sie unwillkürlich etwas weiter wegrutschte. Sie war so angespannt, dass sie ihre Hände nervös knetete, und fühlte sich wie das Kaninchen vor der Schlange.

»Haben Sie Angst vor mir?«, fragte er, als könne er ihre Gedanken lesen. Es schien ihn zu amüsieren.

»Sollte ich?«, fragte Sabine.

»Ganz im Gegenteil«, sagte Spieß und rutschte wieder etwas näher, »ich hoffe, wir werden richtig gute Freunde.«

Sabine lächelte verlegen. Sie wünschte, er würde sie nicht so ansehen, langsam wusste sie nicht mehr, wo sie hinschauen sollte. Aber Spieß schien ihre Verlegenheit zu genießen. Er rückte noch etwas näher.

Sabine sprang auf. »Noch Kaffee? Oder kann ich Ihnen etwas anderes anbieten?«

»Danke, ich bin wunschlos glücklich«, sagte er. »Warum setzen Sie sich nicht wieder? Erzählen Sie mir doch ein bisschen was über sich. Ich muss doch wissen, mit wem ich es zu tun habe.«

»Was wollen Sie wissen?«, fragte Sabine, die nicht die Absicht hatte, ihm auch nur das Geringste über sich zu erzählen. »Mein Vater war Soldat und kam mit einem steifen Bein aus der Gefangenschaft. Meine Mutter hat uns als Verkäuferin durchgebracht.«

»Ja, das waren schwere Zeiten für alle. Was macht Ihr Vater jetzt?«

»Er ist tot«, sagte Sabine und dachte, dass sie keine Ahnung hatte, was ihr leiblicher Vater machte. Ob er lebte oder tot war, ob er wieder in Amerika war oder was auch immer. Kurz träumte sie, er wäre irgendwo im sonnigen Kalifornien und würde sie zu sich holen wollen. Dabei wusste er doch nicht einmal, dass sie existierte.

»Der Vater hat Ihnen sicher gefehlt«, sagte ihr Vormund mit dem Unterton, dass sie sicher deshalb auf die schiefe Bahn geraten war.

Sabine konnte ihn immer weniger ausstehen. Endlich hatte auch Andrea nebenan aufgehört zu...

Erscheint lt. Verlag 1.2.2021
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 60er Jahre • Annette Hess • Aufbruch • Emanzipation • Freiheit • Internationaler Frauentag • Ku'damm 59 • Liebe • München • Nachkriegsdeutschland • Pille • Schwangerschaft • Selbstbestimmtes Leben • Selbstbestimmung • Uneheliches Kind • Vormund • Zeitgeschichte
ISBN-10 3-10-491262-9 / 3104912629
ISBN-13 978-3-10-491262-2 / 9783104912622
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