Patricia Briggs, Jahrgang 1965, wuchs in Montana auf und interessiert sich seit ihrer Kindheit für Fantastisches. So studierte sie neben Geschichte auch Deutsch, denn ihre große Liebe gilt Burgen und Märchen. Mit ihrer Mystery-Saga um die Gestaltwandlerin Mercy Thompson stürmt sie regelmäßig die internationalen Bestsellerlisten. Nach mehreren Umzügen lebt die Autorin heute in Washington State.
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Alles in Ordnung, Mercy?«, fragte Tad, während er den Scheinwerfer des 2000er-VW-Jetta, an dem wir arbeiteten, vom Kabelbaum trennte.
Wir tauschten gerade einen Kühler aus. Dafür mussten wir die ganze Front abmontieren. Die Sache eilte in mehr als einer Beziehung. Die Besitzerin des Wagens war auf dem Weg von Portland nach Missoula, Montana, gewesen, als ihr der Kühler geplatzt war. Wir mussten dafür sorgen, dass sie so bald wie möglich wieder loskonnte, damit sie es pünktlich zu ihrem Vorstellungsgespräch morgen um acht schaffte.
Die Tatsache, dass ihre drei kleinen Kinder sich aktuell in unserem Büro aufhielten, machte das Ganze nur noch dringlicher. Die Kundin hatte mir erzählt, dass sie die Kinder mitgenommen hatte, weil Verwandte von ihr in Missoula wohnten und auf sie aufpassen konnten, während es in Portland bloß ihren alkoholsüchtigen Ex gab. Ich wünschte mir, sie hätte Angehörige hier vor Ort, die babysitten könnten. Ich mochte Kinder, aber wenn sie übermüdet und eingepfercht um meinen Schreibtisch herum waren, begeisterte mich das nicht unbedingt.
Um schneller voranzukommen, arbeitete Tad an der linken und ich an der rechten Seite.
Wie ich trug er einen ölverschmierten Blaumann. Der Sommer wollte sich noch nicht ganz verabschieden, deshalb waren die Overalls zusätzlich schweißgetränkt. Selbst seinem Haar sah man an, dass er in der Hitze schuftete. Es stand in seltsamen Winkeln ab, und hier und da zierte es das gleiche Öl, das auch auf unseren Overalls verschmiert war. Eine schwarze Schliere zog sich über seinen rechten Wangenknochen bis zu seinem Ohr wie eine schlecht aufgetragene Kriegsbemalung. Ich war mir ziemlich sicher, dass ich noch schlimmer aussah als er.
Seit mehr als zehn Jahren reparierte ich nun bereits Autos mit Tad, fast sein halbes Leben lang. Zwischendurch war er einmal weg gewesen, um an einer Eliteuni zu studieren, war jedoch ohne Abschluss und ohne den fröhlichen Optimismus zurückgekehrt, der ihn früher ausgezeichnet hatte. Geblieben war allerdings sein beinahe unheimliches Geschick, das er schon hatte, als ich das erste Mal die Werkstatt seines Vaters auf der Suche nach einem Ersatzteil für meinen VW Golf betreten und Tad, der damals noch zur Schule ging, dort vorgefunden hatte, wie er den Laden schmiss.
Es gab nur wenige Menschen auf dieser Welt, denen ich so vertraute wie Tad. Und trotzdem log ich.
»Alles gut«, sagte ich.
»Lügnerin«, knurrte Zee unter einem 68er-Käfer hervor.
Der kleine Wagen hüpfte ein wenig wie ein Hund, der auf sein Herrchen reagierte. Autos tun so was manchmal, wenn sich ein eisengeküsster Fae in der Nähe befindet. Zee murmelte ein paar beruhigende Worte auf Deutsch, die ich nicht richtig verstehen konnte.
Dann wandte er sich wieder an mich: »Du solltest niemals einen Fae anlügen, Mercy. Sag lieber: ›Ihr seid nicht meine Freunde. Aus diesem Grund will ich euch meine Geheimnisse nicht anvertrauen und verrate euch auch nicht, was mich bedrückt.‹«
Das Gegrummel seines Vaters brachte Tad zum Grinsen.
»Ihr seid nicht meine Freunde. Aus diesem Grund will ich euch meine Geheimnisse nicht anvertrauen und verrate euch auch nicht, was mich bedrückt«, wiederholte ich ungerührt.
»Und das, mein lieber Vater«, sagte Tad und legte mit übertriebener Geste den Scheinwerfer zur Seite und widmete sich einer der Schrauben, die die Front hielten, »ist eine weitere Lüge.«
»Ich liebe euch beide«, versicherte ich ihnen.
»Aber mich magst du lieber«, warf Tad ein.
»Meistens mag ich euch beide«, sagte ich zu ihm, bevor ich wieder ernst wurde. »Es gibt da etwas, aber es geht um das Privatleben einer anderen Person. Sobald sich daran etwas ändert, seid ihr die Ersten, mit denen ich darüber rede. Versprochen«
Ich würde niemals mit irgendjemandem über Probleme zwischen mir und meinem Gefährten sprechen – das wäre schlicht Verrat.
Tad beugte sich herüber, legte mir einen Arm um die Schulter und küsste mich auf den Scheitel, was eine rührende Geste gewesen wäre, hätte es draußen nicht über vierzig Grad gehabt. Obwohl es in der neuen Werkstatt kühler war als in der alten, waren wir alle in Schweiß und den diversen Flüssigkeiten gebadet, die Teil des Alltags eines Automechanikers waren.
»Igitt«, quiekte ich und stieß ihn von mir. »Du bist nass, und du stinkst. Keine Küsse. Keine Berührungen. Bäh.«
Er lachte und machte sich wieder an die Arbeit, und ich folgte seinem Beispiel. Es fühlte sich gut an zu lachen. In letzter Zeit hatte ich nicht viel Grund zum Lachen gehabt.
»Und da ist er wieder«, sagte Tad und zeigte mit seiner Ratsche auf mich, »dieser traurige Gesichtsausdruck. Wenn du deine Meinung ändern solltest und doch mit jemandem reden willst, bin ich für dich da. Und falls nötig, kann ich jemanden um die Ecke bringen und die Leiche irgendwo verstecken, wo sie niemals jemand finden wird.«
»Dass ihr Kinder gleich immer aus allem ein Drama machen müsst«, murmelte der alte Fae unter dem Käfer.
»Hey«, sagte ich, »mach nur weiter so, dann sage ich dir nicht Bescheid, wenn das nächste Mal eine Horde Zombies vernichtet werden muss.«
Er gab ein dumpfes Knurren von sich, das entweder mir oder dem Käfer galt. Bei Zee wusste man nie.
»Niemand sonst wäre zu dem in der Lage gewesen, was ich getan habe«, sagte er schließlich. Es klang arrogant, aber Fae konnten nicht lügen, also war Zee überzeugt, dass es die Wahrheit war. Ich war es auch. »Du solltest froh sein, dass du mich als Freund hast, den du um Hilfe bitten kannst, wenn das Drama in deinem Leben dir mal wieder über den Kopf wächst, Liebling. Und wenn es eine Leiche gibt, dann kann ich sie so verschwinden lassen, dass nichts mehr übrig ist, was jemand finden könnte.«
Zee war ein sehr guter Freund und nicht nur hilfreich, wenn man eine Leiche verschwinden lassen musste – was er bereits getan hatte. Anders als Tad war Zee kein offizieller Mitarbeiter in der Werkstatt, die er mir verkauft hatte, nachdem er mir beigebracht hatte, wie man Autos reparierte und ein Geschäft führte. Das hieß nicht, dass er nicht bezahlt wurde, sondern lediglich, dass er kam und ging, wie es ihm passte. Oder einsprang, wenn ich ihn brauchte. Auf Zee war stets Verlass.
»Hey«, sagte Tad, »hör auf zu quatschen, und mach dich an die Arbeit, Mercy! Ich bin dir zwei Bolzen voraus – und eins der Kinder hat gerade den Mülleimer im Büro umgeworfen.«
Ich hatte es auch gehört, obwohl zwischen uns und dem Büro noch eine Tür war. Zuvor hatte ich auch schon registriert, wie die offensichtlich müde und überarbeitete Mutter versuchte, ihren Ältesten davon abzuhalten, das Lager umzusortieren. Tad mochte halb Fae sein, doch meine andere Gestalt war eine Kojotin – mein Gehör war besser als seines.
Womöglich versank mein Büro gerade im Chaos, aber es fühlte sich trotzdem gut an, den alten Wagen wieder in Ordnung zu bringen. Ich hatte allerdings keine Ahnung, wie ich meine Ehe wieder in Ordnung bringen sollte. Ich wusste nicht einmal, was genau schiefgegangen war.
»Fertig?«, fragte Tad.
Ich fing den Querträger auf, als er den letzten Bolzen herauszog. Wenigstens wusste ich, wie man einen undichten Kühler wieder in Ordnung brachte.
Nach der Arbeit hatte ich gleich noch vor Ort geduscht und frische Kleidung und saubere Schuhe angezogen. Dennoch betrat ich das Haus über die hintere Veranda durch die Küchentür, weil ich nicht riskieren wollte, dass der neue Teppich etwas von dem Dreck aus der Werkstatt abbekam.
Auf dem alten weißen Teppich hatte ich einen Zombiewerwolf ausgeweidet und im Zuge dessen endlich etwas gefunden, das Adams Reinigungsexperten nicht herausbekamen. Wir hatten den Teppich entsorgt und durch einen neuen ersetzt.
Adam hatte ihn ausgesucht. Mir war alles recht, Hauptsache nicht weiß. Er hatte sich für einen warmen Sandton entschieden, der freundlich wirkte und praktisch war. Der Teppich gefiel mir.
Einige Monate zuvor hatten wir die Fliesen in der Küche austauschen müssen. Langsam, aber sicher verwandelte sich das Haus, das ursprünglich seine Ex-Frau Christy eingerichtet hatte, in Adams und mein Zuhause. Wenn ich gewusst hätte, wie gut sich der neue Teppich anfühlen würde, dann hätte ich schon viel früher einen Zombiewerwolf zum Ausweiden aufgestöbert.
An der Tür schob ich mir die Schuhe von den Füßen, warf einen Blick in die Küche und erstarrte. Es war, als würde ich in die letzte Szene eines Theaterstücks platzen. Ich hatte keine Ahnung, was der Grund für die Spannungen im Raum war, aber ich wusste sofort, dass ich etwas Großes unterbrochen hatte.
Darryl zog meine Aufmerksamkeit als Erster auf sich, was bei dominanteren Wölfen häufiger der Fall war. Er hatte die Augen auf den Boden gerichtet, den Mund zu einem schmalen Strich zusammengepresst. In der Rangordnung unseres Rudels stand er an zweiter Stelle, und in ihm floss das Blut von Kriegern zweier Kontinente. Er musste sich anstrengen, um sympathischer auszusehen, gab sich allerdings gerade keine besondere Mühe damit. Obwohl er wusste, dass ich das Haus betreten hatte, sah er mich nicht an. Seine angespannte Körperhaltung sagte mir, dass er bereit für den Kampf war.
Auriele, seine Gefährtin, strahlte grimmigen Triumph aus – obwohl sie am Tisch auf der anderen Seite des Raums saß. Aber nicht, weil sie Angst vor ihm hatte. Darryl mochte von chinesischen und afrikanischen Kriegsfürsten abstammen (seine Schwester hatte die Geschichte ihrer Familie nachrecherchiert, hatte er mir...
Erscheint lt. Verlag | 11.1.2021 |
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Reihe/Serie | Mercy-Thompson-Reihe | Mercy-Thompson-Reihe |
Übersetzer | Antonia Zauner |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | Smoke Bitten - Mercy Thompson Book 12 |
Themenwelt | Literatur ► Fantasy / Science Fiction ► Fantasy |
Schlagworte | eBooks • Fae • Fantasy • Gestaltwandler • Hexen • Magie • Mercy Thompson • New-York-Times-Bestsellerautorin • Rudel • Urban Fantasy • Vampire • Werwölfe |
ISBN-10 | 3-641-26542-8 / 3641265428 |
ISBN-13 | 978-3-641-26542-7 / 9783641265427 |
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