Wer bin ich, wenn ich nichts mehr bin? (eBook)
Das Haus umbauen. Dem Hund Dogdancing beibringen. Öfters mal Nein sagen. Das und vieles mehr hatte sich Patricia Riekel vorgenommen. Die langjährige Chefredakteurin des People-Magazins BUNTE liebte ihren Beruf leidenschaftlich. Voller Skepsis blickte sie dem Ruhestand und dem gefürchteten Stillstand entgegen. Wie hält man es aus, nicht mehr gebraucht zu werden? Wer würde sie sein, ohne Job und ohne Funktion?
Klug, charmant und mit viel Selbstironie erzählt die Journalistin von Höhen und Tiefen nach ihrem Karriereende und ihrem Umgang mit dem Älterwerden. Wie sie die verrücktesten Zukunftspläne entwickelt, sich über Vergesslichkeit ärgert, lernt, ihren Nachfolger zu lieben. Und wie sie die neue Unabhängigkeit in vollen Zügen genießt. Weil die Rente nicht das Ende, sondern erst der Anfang ist - von der mit Abstand spannendsten und glücklichsten Lebensphase überhaupt.
Patricia Riekel (1949) ist genauso alt wie die Bundesrepublik Deutschland, deren Gesellschaft sie 20 Jahre lang als BUNTE-Chefredakteurin beschrieb und analysierte. Sie arbeitete viele Jahre lang als Redakteurin und freie Journalistin für Zeitungen und Zeitschriften. Patricia Riekel schrieb Bücher und gründete mehrere Radiostationen. Als BUNTE-Chefin positionierte sie die Illustrierte zum erfolgreichsten People-Magazin Europas. Ihr Lebens- und Arbeitsmotto: Nichts ist so spannend für Menschen wie andere Menschen.
Kapitel 2
Wer bin ich, wenn ich nichts mehr bin?
Kriminalrat Uwe Lemp ist normalerweise ein entschlossener Mann. Jetzt aber lässt ihn ein Gedanke nicht mehr los. »Haben Sie manchmal Angst davor, im Alter allein zu sein?«, erkundigt er sich bei der Kollegin, Hauptkommissarin Doreen Brasch. Und während er nachdenklich auf seinem Schreibtisch Papiere hin und her schiebt, gesteht er: »Ich habe wahnsinnige Angst davor. Was passiert mit mir, wenn ich irgendwann einmal keine Funktionen mehr habe?«
Das ist keine Szene, die ich mir für mein Buch über das Leben im Ruhestand ausgedacht habe. Nein, sie spielt im ARD-Polizeiruf »Mörderische Dorfgemeinschaft« und soll wohl zeigen, dass Typen, die sonst vor nichts Angst haben, beim Gedanken an die Rente zu Weicheiern werden können. Der erfahrene Kriminalrat neigt normalerweise nach 30 Dienstjahren, acht davon im Mordkommissariat, nicht zu Sentimentalitäten. Ein harter Hund, aber in dieser Sache auch nur ein Mensch wie du und ich.
Drehbuchautorin Katrin Bühlig ist Spezialistin für emotionale TV-Thriller. Ihre Figuren drehen gern noch eine Extra-Runde, wenn es um das Ausloten verschütteter Gefühle geht. Für die exzentrische ZDF-Kommissarin Bella Block, gespielt von Hannelore Hoger, hat sie auch etliche Folgen geschrieben. Die steht in der letzten Folge von allen verlassen auf einem Steg und schaut melancholisch in die Ferne. Und zu ihr hätte auch prima der Satz gepasst, den die Autorin ihrem Kriminalrat Lemp, gespielt von Felix Vörtler, in den Mund legt: »Am Ende wollen wir doch alle nur geliebt werden!«
Mit dieser Erkenntnis kommt der Kommissar zwar nicht dem Täter auf die Spur, wir jedoch haben ein Motiv, warum manche Menschen alles, aber auch wirklich alles tun, um den Ruhestand hinauszuzögern. Menschen, für die ihr Job mehr als Broterwerb war. Sie haben Angst, mit der Arbeit auch ihren Lebenssinn zu verlieren. Denn das, was einen ausgemacht hat, ist weg. Für immer.
Katrin Bühlig erzählte mir von einem früher sehr einflussreichen TV-Boss, der nach seiner Pensionierung noch immer alle Events der Branche besucht. Er leide unter dem Verlust seiner Wichtigkeit, und es sei traurig zu beobachten, wie er sich verzweifelt dagegenstemme, dass er vergessen wird. Es scheint so, als falle Männern der Übergang in den Ruhestand noch schwerer als Frauen.
Von Ernest Hemingway stammt das Zitat: »Der schlimmste Tod für einen Menschen ist der Verlust dessen, was den Mittelpunkt seines Lebens bildet und ihn zu dem macht, was er wirklich ist. Ruhestand ist das abstoßendste Wort der Sprache, ob man sich freiwillig dazu entschließt, oder ob er einem aufgezwungen wird. In den Ruhestand zu treten und seine Beschäftigungen aufzugeben – die uns zu dem machen, was wir sind –, ist gleichbedeutend mit dem Abstieg ins Grab.«
Das sind nun wirklich keine aufbauenden Gedanken. Und mit 61 Jahren hat sich Hemingway – vielleicht als Konsequenz daraus – das Leben genommen. Depressionen sollen ihn geplagt haben, vor allem aber die Angst, nicht mehr schreiben zu können. Nicht mehr der zu sein, den die Welt so bewundert und verehrt hat.
Geht es auch weniger dramatisch? Nun, wohl nicht bei ausgewiesenen Workaholics, die die Welt nur mit dem Tunnelblick sehen. Die sich selbst nur wahrnehmen können, wenn sie von anderen wahrgenommen werden.
Was es mit einem Menschen macht, wenn er sich nicht aus dem Magnetfeld früherer Erfolge lösen kann, zeigt ein Blick in die Biografie »Schuldig« von Thomas Middelhoff. Einst Topmanager, Chef bei Superkonzernen wie Bertelsmann und Arcandor, vom Typ her »Master of Universe«, also unbesiegbar. Seine Karriere startete raketenhaft und brachte ihm den Spitznamen »Big T« ein. Die Erfolge, so gesteht er in seiner Biografie, hätten bei ihm einen »euphorischen Ausnahmezustand« ausgelöst, verbunden mit dem Gefühl: »Darauf habe ich Anrecht!« Immer und überall den besten Tisch zu bekommen. Bei Veranstaltungen grundsätzlich in der ersten Reihe zu sitzen. Mit dem Hubschrauber ins Büro geflogen zu werden, wenn auf der Autobahn ein Stau drohte. Das gipfelte in einer Szene, die er so schildert: »Nach einer Diskussionsveranstaltung, die Angela Merkel auf dem World Economic Forum in Davos führte, verließ ich als Erster den Konferenzraum. Die Kanzlerin ging unmittelbar hinter mir. Wir waren auf dem Weg zum traditionellen Empfang des Verlegers Hubert Burda und seines Focus-Teams. Kurz bevor wir ankamen, zupfte die Kanzlerin von hinten an meinem Jackett und fragte: Halten Sie es eigentlich für richtig, vor dem deutschen Kanzler zu gehen? Ich drehte mich um, lächelte die Kanzlerin freundlich an – und setzte ungerührt meinen Weg an der Spitze der Delegation fort.«
Wie man weiß, ging die Geschichte für Thomas Middelhoff nicht gut aus. Hochmut kommt vor dem Fall. Wegen Untreue und Steuerhinterziehung wurde er zu drei Jahren Gefängnis verurteilt und noch im Gericht festgenommen.
Aber so, wie es zum Beispiel den ehemaligen TV-Boss immer wieder zu den Stätten früherer Erfolge zieht, braucht auch ein gefallener Supermanager weiterhin die Anerkennung der Öffentlichkeit.
Geradezu unglaublich, wie sich Thomas Middelhoff ganz kleinmacht, um ganz groß rauszukommen. Nie hat sich ein Ex-Manager demütiger zu Eitelkeit und Größenwahn bekannt als er. Gesündigt habe er, vor Gott und der Welt. Er bereut seine Maßlosigkeit, gesteht Gier, Narzissmus und eine Ex-Geliebte. In der Rolle des geläuterten Mannes zieht er durch Talkshows, hält Vorträge und sagt vor allem eines: »Die grundsätzliche Disposition, ein gutes Bild abgeben zu wollen, werde ich nicht ablegen können, sie ist auch ein Stück Antrieb.« Vereinfacht ausgedrückt: Auch hier ist ein Mann, der nach seiner Karriere, egal wie sie endete, geliebt werden will.
Aufhören, wenn es am schönsten ist? Wer will das schon. Franz Müntefering fühlte sich wahrscheinlich mit 70 Jahren auf dem Höhepunkt seines Lebens: SPD-Vorsitzender, bewundert, verehrt, frisch mit einer 40 Jahre jüngeren Frau verheiratet. Und dann musste er mehr oder weniger freiwillig den Posten an Sigmar Gabriel abgeben. Nach 56 Jahren in der Politik war Schluss.
Viele Machtmenschen erleben das Ende ihrer Berufstätigkeit wie eine persönliche Niederlage. Eben noch auf dem Spielfeld – und plötzlich nur noch Zuschauer auf der Tribüne. Die Statussymbole, alles was Macht und Einfluss signalisierte, sind nach der Abwahl von einem Tag auf den anderen futsch. Der Platz in der Regierungsbank, die Leibwächter, das große Büro, der volle Terminkalender. »Ene, mene muh, raus bist du« heißt der Auszählreim aus Kindertagen. Ab aufs Altenteil. Wie wird man mit so einer plötzlichen Lebensumstellung fertig?
Er habe erst wieder Autofahren lernen müssen, gestand Franz Müntefering belustigt in einem ZEIT-Interview. Er habe ja 18 Jahre lang einen Chauffeur gehabt. Als er das erste Mal wieder einen Wagen startete, habe er verblüfft den Schaltknüppel betrachtet und zu seiner Frau Michelle gesagt: »Sechs Gänge? Zu meiner Zeit kam man noch mit vier aus.«
Es ist erstaunlich, wie sich ein Mensch im Alter unter neuen Lebensbedingungen noch verändern kann. Meine Großmutter, die mit 78 Jahren wegen Eigenbedarf aus ihrer Wiener Wohnung gekündigt wurde, in der sie 59 Jahre gelebt hatte, freute sich aufrichtig über den Umzug. »Ich wollte mich schon immer neu einrichten«, meinte sie, »in der alten Wohnung hätte ich mich dazu nicht aufraffen können.«
Bei Franz Müntefering, der als einsamer Leitwolf galt, hätte es niemanden gewundert, wenn er sich mürrisch und wortkarg zurückgezogen hätte. Seine Zeit und auch sein politischer Stil als »Zuchtmeister der Partei« waren vorbei. Von Hobbys und nahen Freunden war nichts bekannt. Als »Alleiner« hat er sich beschrieben, einer, der lieber in sich als in andere schaut. Kann sich ein Mensch wie dieser noch groß verändern? Natürlich – wenn er bereit ist, eingefahrene Denkmuster zu hinterfragen.
Franz Müntefering vollzog eine erstaunliche Metamorphose. Mit der Position des SPD-Vorsitzenden streifte er auch sein bisheriges Leben ab wie eine alte Haut. Er zog mit seiner Frau ins Berliner Szene-Viertel Kreuzberg, er genießt es, mehr Zeit zu haben, ausgiebig lesen und ins Kino gehen zu können. Und da ist der Freundeskreis seiner Frau, alle zwei Generationen jünger als er. Das sind andere Gespräche, andere Probleme, die er früher nicht kannte. Denn das Leben eines Spitzenpolitikers findet häufig in einer Isolationsblase statt, abgeschottet von der Realität. Franz Müntefering ist jetzt angekommen im richtigen Leben. In einem Alter, in dem viele wehmütig zurückschauen, blickt er voller Spannung auf das, was noch kommen mag: »Ich will zeigen, dass man mit dem Bedeutungsverlust umgehen kann, dass man es auch hinbekommt, sich ganz normal wieder einzureihen.«
Günther Oettinger, ehemaliger EU-Kommissar, der sich mit 65 Jahren aus Brüssel verabschiedete, weiß, dass der Bedeutungsverlust gerade in der Politik eine der schwierigsten Herausforderungen ist: »Ich habe so viele Kollegen erlebt, die den Ausgang nicht gefunden haben. Aufstieg in der Politik ist nicht einfach, noch schwieriger ist aber der Ausstieg. Deswegen lieber drei Jahre zu früh als einen Tag zu spät.«
Der Verzicht auf Macht und Prominenz fällt übrigens nicht nur Männern schwer. Heide Simonis, zwölf Jahre Ministerpräsidentin von Schleswig-Holstein, wollte nie am Ende ihrer Karriere »vom Stuhl gekratzt und herausgetragen werden«. Als sie bei Neuwahlen nach vier Wahlgängen eine bittere Niederlage erlitt und unsanft aus dem Amt gejagt wurde, fiel es ihr mit 61 Jahren trotzdem schwer, sich ins...
Erscheint lt. Verlag | 27.9.2021 |
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Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Biografien / Erfahrungsberichte |
Schlagworte | Ältere Frauen • Altersteilzeit • Arbeits- und Beschäftigungspolitik • Biografie • Biographien • Bunte • eBooks • Frauenzeitschrift • Freude Geschenkbücher • Gala • Glück und Lebensfreude • Pension • Psychologie • Rente • Rentner • Ruhestand & Rente Geschenkbücher • Soziologie |
ISBN-10 | 3-641-25498-1 / 3641254981 |
ISBN-13 | 978-3-641-25498-8 / 9783641254988 |
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Größe: 7,3 MB
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