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Mit fünfzig erwartest du Meer (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2021
416 Seiten
Heyne Verlag
978-3-641-24556-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Mit fünfzig erwartest du Meer - Elli Voss
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Romy wird fünfzig, und ihr Mann Werner schenkt ihr eine romantische Reise nach Italien. Glaubt sie zumindest. Als sich herausstellt, dass es sich um eine Schnäppchen-Busfahrt handelt, auf der Töpfe und Koffer verkauft werden, ist Romys Freude bereits erheblich gedämpft. Zum Glück sitzt die quirlige Lilo mit im Bus. Als die beiden Frauen an einer Raststätte die strengen Zeitvorgaben des Busfahrers aus den Augen verlieren, fährt der Bus ohne sie weiter. Romy kann nicht glauben, dass ihr Werner sie einfach an der Autobahn stehen lässt. Und beschließt, auszubrechen, um echte Abenteuer zu erleben.

Elli Voss ist das offene Pseudonym von Isabella Straub, geboren 1968 in Wien. Sie studierte Germanistik und Philosophie und arbeitet als Journalistin und Werbetexterin in Klagenfurt am Wörthersee. Unter ihrem Klarnamen schreibt sie literarische Romane.

120 STUNDEN DAVOR


Ich bin die ungekrönte Kofferpack-Königin. Wenn ich etwas beherrsche, dann das. Nicht umsonst habe ich ganze Abende vor dem Bildschirm verbracht und einer japanischen Influencerin dabei zugesehen, wie sie zehn Kimonos in einem Kosmetikbeutel verstaut. Das ist so eine Art Houdini-Trick, nur unter umgekehrten Vorzeichen: Es geht nicht darum, Dinge zu befreien, sondern sie so klein wie möglich zu falten und anschließend in einem viel zu kleinen Behältnis zu verstauen.

Die Influencerin sieht keinen Tag älter aus als zwölf. Sie ist zerbrechlich und zart wie eine Kirschblüte, aber überaus gewieft – so mir nichts dir nichts kriegst du nicht hundert Millionen Follower. Jedenfalls besteht der Trick darin, die Kleidungsstücke fest einzurollen und diese Baumwoll-Maki anschließend gemäß eines hochkomplexen Ordnungssystems zu schichten, sodass am Ende kein Luftmolekül mehr im Koffer Platz hat.

»You see«, zwitschert sie in ihrem entzückenden Englisch und deutet auf ihre winzige Kosmetik-Tasche, in der sie soeben den neunten Kimono versenkt hat, »this is pelfect!«

Ich wähle den mittelgroßen lila Trolley. In Apulien ist Sommer, viele Baumwoll-Maki werde ich nicht rollen müssen. Herrlich! Mein Herz hüpft vor Freude, wenn ich daran denke, dass ich bald in Sandalen und luftigem Kleidchen am Meer stehen werde, Sonne im Herzen, ein Glas Primitivo in der Rechten, während Rocco Minelli mir was Romantisches ins Ohr säuselt. Gut, er wird fünfzigtausend Frauen und einigen vereinzelten Männern gleichzeitig etwas ins Ohr säuseln, aber das tut meiner Freude keinen Abbruch.

Ich wühle in den Kisten, in denen ich die Sommerkleidung verstaut habe, rolle Tops und sogenannte »Freizeit-Hosen« mit hohem Stretch-Anteil und Gummizug zu perfekten Maki und lege sie in den Koffer. This is pelfect!

Ob mir das Hängerchen mit den aufgestickten Blumen noch passt? Ziemlich kurz, das Teil. Darf man das mit beinahe fünfzig noch? Mini tragen? Ach was, ich bin eine emanzipierte Frau, die nichts auf Kleidervorschriften gibt. Einfach mal probieren. Also raus aus Jeans und Shirt, rein ins Hängerchen. Dabei summe ich mein Lieblingslied von Rocco Minelli vor mich hin: Nel tuo cuore non hai mai più di vent’anni. Im Herzen bist du nicht älter als zwanzig. Hach! Er hat recht, der gute alte Rocco, der kürzlich seinen Fünfundsiebzigsten gefeiert hat. Innerlich kriegt man keine Falten und keine Besenreiser. Das Innere bleibt intakt und braucht weder Creme noch Botox. Ewig jung. Das Drama tritt ein, wenn Inneres und Äußeres auseinanderdriften und der Spalt jedes Jahr ein bisschen größer wird. Wer denkt sich so was Grausames aus?

Ich öffne den Schrank und betrachte mich im Spiegel. Mir blickt eine zerknitterte Hippie-Braut entgegen, die es nie aus Woodstock rausgeschafft hat. Die schulterlangen Haare in einem charakterlosen Braun, ganz ohne Glanz und Gloria. Frisur kann man das nicht nennen. Die Augen winzig unter den Schlupflidern, der Rest vom Körper aufgedunsen, die Beine ragen wie zwei Baumstämme aus dem Hängerchen.

Nel tuo cuore non hai mai più di vent’anni.

Und wenn schon. Was habe ich erst unlängst der deprimierten ANNAROSA-Leserin geraten, die sich, gebeutelt von der Sinnkrise der mittleren Jahre, vertrauensvoll an mich wandte?

Liebe Franziska,

wir alle wollen lang leben, aber alt werden wollen wir nicht. Wie wir aus diesem Dilemma rauskommen? Wir sollten uns darin üben, das Leben jeden Tag mit frischen Augen zu sehen. Der »kindliche Blick« ist das Geheimnis zum Glück. Die Welt sehen, als ob wir alles zum ersten Mal erleben – dann kehrt auch der Glanz in den Augen zurück.

Tja. Wenn ich die »offizielle« Romy bin, die in der Kolumne ROMY RÄT Ratschläge austeilt, dann weiß ich sehr wohl, wie’s geht. Aber bei mir selbst versagen all meine Tipps – vor allem jene, die ich für besonders schlau halte. Ist wahrscheinlich das Gleiche wie mit den Hypnosetherapeuten, die sich nicht selbst hypnotisieren können. Oder mit den Wahrsagerinnen, die alles voraussehen, nur ihre eigene Zukunft nicht. Und nun? Ich versuche, mich mit »frischen Augen« zu sehen. Ändert nix. Vor mir steht eine Frau, der das Hängerchen definitiv nicht steht.

In diesem Augenblick öffnet sich die Tür und Werner betritt das gemeinsame Schlafgemach.

»Aha«, sagt er, als sein Blick auf mich fällt.

»Aha was?«

»Aha nichts.«

Es scheint ihm bewusst zu sein, dass er sich auf einem Minenfeld bewegt.

Er wirft einen Blick in meinen Koffer. »Warum knüllst du alles zusammen?« Werner ist ein Freund des klassisch gefalteten Textils.

»Wie bitte? Rollen ist das neue Falten – hat sich das noch nicht bis in den Dinopark durchgesprochen?«

Dinopark: Das ist unser Spitzname für Werners Arbeitsplatz. Ganz offiziell ist er Vizedirektor der ARCHÄO-OASE, einem Übungsgelände für kleine und große Menschen, die schon immer wissen wollten, wie es sich anfühlt, Archäologe zu sein. Jeder darf dort nach Indiana-Jones-Manier graben, hacken und pinseln. Dass es für den stolzen Eintrittspreis auch ein Erfolgserlebnis gibt, dafür sorgen sogenannte Archäo-Ranger, die das ganze Zeug in der Erde verstecken. Eindeutig nicht mein Lieblings-Spielplatz. Ich würde nicht einen Cent dafür zahlen, auf alt getrimmte Scherben aus der Erde zu pulen. Für dasselbe Ergebnis brauche ich nur unter dem Esstisch zu fegen.

Werner wirft einen metallisch glänzenden, eleganten Trolley aufs Bett.

»Ich bin in drei Minuten fertig«, protzt er. »Keine Ahnung, warum Frauen so lang fürs Packen brauchen.«

Ach, jetzt legt er diese Platte auf.

»Geschwindigkeit ist nicht immer eine Tugend«, gebe ich zurück und kann mir ein Grinsen kaum verkneifen.

»Wie war das?«

»Vergiss es.« Ich winke ab.

Wir haben eine Schrankwand im Schlafzimmer, und das ist wörtlich zu verstehen. Eine ganze Wand mit Schränken, wobei – der Klassiker – sich hinter sechs Türen meine Kleidung verbirgt und nur hinter zwei die von Werner. Archäologen sind genügsame Seelen. Werner besitzt einen aschgrauen Anzug für Feierlichkeiten, einen steingrauen und einen kalksteinbeigen für den Alltag. Dazu ein paar terracottafarbene Polo-Shirts, drei Freizeithosen und Shirts in der Farbe von Sedimentgestein. Werner neigt dazu, wie ein Chamäleon mit seiner Umgebung zu verschmelzen. Außerdem schmerzt ihn jede unnötige Ausgabe. Für Urlaube hat er ein paar farbenfrohe Textilien reserviert, die im obersten Fach seines Schranks auf bessere Zeiten warten: ein paar lustig bedruckte kurzärmelige Hemden (Palmen, Flamingo, Ananas) und karierte Shorts. Seit den Anfängen unserer Ehe vor zwanzig Jahren ist da nix mehr dazugekommen.

Dass Werner diese Klamotten immer noch passen, hängt mit seinem Essverhalten zusammen: kein Zucker nach vierzehn Uhr, kein Weißbrot, nicht einmal vor vierzehn Uhr – und Rohkost, wann immer es geht. Selbstbeherrschung ist sein zweiter Vorname. In dieser Hinsicht unterscheiden wir uns doch erheblich. Ich halte es eher mit Teresa von Ávila: Wenn Fasten, dann Fasten, wenn Rebhuhn, dann Rebhuhn. Zufälligerweise gibt’s bei mir eben öfter Rebhuhn, wie mein Spiegelbild vortrefflich beweist. Ich seufze, ziehe das Hängerchen über den Kopf, verstecke es in einer unbeleuchteten Ecke im Schrank und schlüpfe wieder in Jeans und Shirt. You see, this is not pelfect! Ich warte auf eine Netflix-Serie, in der mir eine Influencerin erklärt, wie man älter wird, ohne maximale Ausschläge auf der nach oben offenen Frust-Skala zu erleiden.

Werner zippt mit einer einzigen eleganten Bewegung seinen Trolley auf. Sssssit. Ein beherzter Griff in seinen Schrank, schon zieht er genau den richtigen Stapel heraus. Die Shirts und kurzen Hosen sind so akkurat gefaltet, dass sich an jeder beliebigen Stelle ein rechter Winkel messen ließe. Er will den Stapel schon mit Schwung in den Trolley befördern, als ich ihn aufhalte.

»Warte. Da liegt noch was drin.«

Wir greifen gleichzeitig nach dem Zettel, aber ich bin schneller.

»Gib mir das«, sagt Werner. Ist er plötzlich nervös oder bilde ich mir das ein?

Ich sehe lange genug auf das Papier, um zu kapieren, worum es sich handelt. Eine Hotelrechnung. Hotel Carina**** in Holzenbüttel. Doppelzimmer mit Frühstück.

»Holzenbüttel«, sage ich.

»Internationaler Archäologie-Kongress.«

»Doppelzimmer?«

»Es ging um Konservierungsmaßnahmen an Salzmumien.«

Das klingt ja schon einmal verdächtig. Diese Mumien werden durch das Salz konserviert, ist doch logisch. Was brauchen die noch zusätzliche Maßnahmen?

»Im Iran hat man mumifizierte Leichenteile in einem Salzbergwerk gefunden. Die Männer sind vor zweitausendvierhundert Jahren bei einem Grubenunglück umgekommen.« Er hofft wohl, mich mit dem Wort »Leichenteile« abzulenken, aber da hat er die Rechnung ohne die Wirtin gemacht!

»Werner. Hier steht Doppelzimmer. Du warst doch allein dort, wenn ich mich richtig erinnere. Ich war jedenfalls nicht mit.«

Ich sage das so cool dahin, aber in Wahrheit breche ich innerlich auseinander. Das darf nicht wahr sein. Jetzt ist es also soweit: Archäologe in Midlife-Crisis betrügt seine Frau mit Mitarbeiterin, die bestimmt noch keinerlei Konservierungsmaßnahmen benötigt. Tränen steigen mir in die Augen. Die Schrankwand verschwimmt.

»Sei nicht albern, Romana.«

Immer wenn’s ernst...

Erscheint lt. Verlag 13.4.2021
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Busreise • eBooks • Frauenromane • Fünfzig • Humor • Italien • Komödie • Liebesromane • lustig • lustige • Romane für Frauen
ISBN-10 3-641-24556-7 / 3641245567
ISBN-13 978-3-641-24556-6 / 9783641245566
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