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Sommer der Wahrheit (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
512 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-2324-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Sommer der Wahrheit -  Nele Neuhaus
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Wenn ein Sommer dein ganzes Leben verändert Nebraska, Anfang der neunziger Jahre: Sheridan Grant lebt mit ihrer Adoptivfamilie auf einer Farm inmitten von Maisfeldern. Die Eintönigkeit des Farmlebens und das strenge Regime ihrer Adoptivmutter machen Sheridan das Leben schwer, doch zum Glück gibt es Tante Isabella und die Musik, die Sheridan über alles liebt. Der Farmarbeiter Danny, der Rodeoreiter Nick und der Künstler Christopher machen ihr den Hof, und sie stößt auf die Tagebücher der geheimnisvollen Carolyn, die vor vielen Jahren spurlos verschwand. Das Leben ist plötzlich aufregend, bis in einer Halloween-Nacht etwas Furchtbares passiert. Nun erweist sich, wem Sheridan wirklich vertrauen kann ...

Nele Neuhaus, geboren in Münster / Westfalen, lebt seit ihrer Kindheit im Taunus und schreibt bereits ebenso lange. Ihr 2010 erschienener Kriminalroman Schneewittchen muss sterben brachte ihr den großen Durchbruch, heute ist sie die erfolgreichste Krimiautorin Deutschlands. Außerdem schreibt die Pferdeliebhaberin Jugendbücher und Unterhaltungsliteratur. Ihre Bücher erscheinen in über 30 Ländern. Vom Polizeipräsidenten Westhessens wurde Nele Neuhaus zur Kriminalhauptkommissarin ehrenhalber ernannt.

Nele Neuhaus, geboren in Münster / Westfalen, lebt seit ihrer Kindheit im Taunus. Sie ist die erfolgreichste Krimiautorin Deutschlands, ihre Bücher erscheinen außerdem in über 30 Ländern. Neben den Taunuskrimis schreibt die passionierte Reiterin auch Pferde-Jugendbücher und Unterhaltungsliteratur, die sie zunächst unter ihrem Mädchennamen Nele Löwenberg veröffentlichte. Ihre Saga um die junge Sheridan Grant stürmte auf Anhieb die Bestsellerlisten.

Die Tage vergingen, und mein Empfinden für Zeit bekam völlig neue Dimensionen. In dem Moment, in dem ich durch die Tür von Riverview Cottage trat, schienen sich Stunden, Minuten und Sekunden aufzulösen und zu verfließen. Wenn ich das Haus wieder verließ, kam es mir so vor, als seien Monate vergangen. Mein normales Leben nahm ich nur noch wie durch einen Schleier wahr, und ich hatte das seltsame Gefühl, im Zeitraffer älter zu werden. Ich dachte nur noch an Sex, verlor den Appetit, das Interesse am Klavierspielen und am Lesen. Ständig erfüllte mich eine fiebrige Unruhe, die mich durch die Tage trieb. In klaren Augenblicken war mir bewusst, dass ich auf dem besten Wege war, zu einer willenlosen Hörigen zu werden. Ich hatte eine sexuelle Besessenheit entwickelt, die mir nicht guttat. Oft bereute ich, mich auf Christopher eingelassen zu haben, nahm mir wütend vor, nicht mehr zu ihm zu gehen, und tat es dann doch immer wieder.

Die Welt, in die er mich entführte, berauschte und beängstigte mich gleichermaßen in ihrer rein physischen Intensität. Alles, was ich bisher bei meinen harmlosen Liebesabenteuern vermisst zu haben glaubte, erlebte ich nun im Übermaß: zügellose Lust und ekstatische Leidenschaft, absolute Hingabe und quälende Selbstbeherrschung, triumphale Macht und demütigende Ohnmacht. Manchmal hasste ich Christopher regelrecht, weil ich so süchtig nach ihm war, nach dem, was er mit mir tat. Er war zu einer Droge für mich geworden, von der ich mich nicht fernhalten konnte und wollte. Ich fürchtete den Tag, an dem er Fairfield wieder verlassen und aus meinem Leben verschwinden würde, gleichzeitig sehnte ich ihn herbei, um wieder frei zu sein von dieser Obsession, die meine Tage, meine Nächte und mein ganzes Sein bestimmte.

Den ganzen Morgen hatte ich Tomaten gepflückt, dann hatte ich mit Martha in der Küche gestanden und das Essen für die Erntehelfer vorgekocht. Anschließend hatte ich mir rasch eine Stunde gestohlen und war zum Riverview Cottage hinübergeritten. Wie jedes Mal, wenn ich in den baumbestandenen Hohlweg einbog, der zu dem kleinen Haus führte, dachte ich an Brandon und schämte mich. Er schrieb mir Postkarten aus Europa und lange Briefe aus Cape Cod, und manchmal dachte ich, es wäre vernünftiger gewesen, seiner Einladung zu folgen, statt mich auf Christopher Finch einzulassen. Doch Minuten später waren alle Gedanken an Brandon vergessen. Ich sprang aus Waysiders Sattel, band ihn an und lief zum Haus. Christopher trat aus der Haustür und schloss sie hinter sich ab, eine Angewohnheit, die er wohl aus Dayton mitgebracht hatte.

»Hi!«, rief ich und wollte ihn umarmen, aber er wandte sich ab.

»Ich muss weg«, sagte er statt einer Begrüßung und fügte noch ein halbherziges »Tut mir leid« hinzu, als er meine Enttäuschung sah.

»Wo musst du denn hin?«, erkundigte ich mich.

»Nach Madison«, antwortete er knapp und ging zu seinem Auto. Seine Zurückweisung kränkte mich. »Sorry, ich hab’s eilig, Carolyn. Nicht böse sein.«

Ich hatte ihm sagen wollen, dass ich heute den ganzen Nachmittag Zeit hätte, aber ich kam nicht mehr dazu, denn er setzte sich in sein Auto, zwinkerte mir kurz zu und fuhr ohne einen Kuss oder ein Wort des Abschieds davon.

Ich blieb zurück, sprachlos darüber, wie kühl er mich abgefertigt hatte. Er verlangte von mir, ihm alles zu erzählen, aber er selbst sprach nie von sich. Wenn ich ehrlich war, kannte ich den Mann, mit dem ich seit drei Wochen beinahe täglich Sex hatte, kaum besser als an dem Tag, an dem ich ihn zum ersten Mal getroffen hatte; weder erfuhr ich etwas über seine Vergangenheit noch über seine Pläne, Gedanken, Abneigungen, Vorlieben und Träume, sofern sie nicht sexueller Natur waren. Er ließ mich an seinem alltäglichen Leben nicht teilhaben. Es frustrierte und enttäuschte mich, dass er mir keinen Zugang zu sich gestattete und ein Fremder für mich blieb, ein Mysterium, reduziert auf seinen Körper. Vielleicht war es ein kleiner Rest von Vernunft, der mich deshalb davon abhielt, mich in diesen Mann zu verlieben, mein Selbsterhaltungstrieb, der mir sagte, dass es schädlich und zerstörerisch war, was ich erlebte.

»Mistkerl«, murmelte ich wütend und kämpfte gegen die aufsteigenden Zornestränen. Ich band Waysider los und schwang mich in den Sattel. »Zur Hölle mit dir!«

Sobald Christopher außer Sichtweite war, verachtete ich ihn und versuchte, ihn realistisch zu sehen, indem ich in Gedanken all seine Schwächen und Unzulänglichkeiten auflistete. Erst neulich hatte ich zufällig ein Gespräch zwischen Martha und meiner Mutter mit angehört, in dem Martha beiläufig einen »schwammigen Blonden« erwähnt hatte, und ich hatte einen Moment gebraucht, um zu begreifen, dass sie damit Christopher gemeint hatte. Ich hatte mich insgeheim darüber amüsiert, mich aber gleichzeitig geärgert, weil ausgerechnet ein schwammiger Blonder eine solch unerklärliche Anziehungskraft auf mich ausübte. Zwar hatte Christopher mir jeglichen Zweifel an meiner physischen Liebesfähigkeit genommen, doch gleichzeitig hatte er den Keim einer neuen Befürchtung in mir gesät. Wie ein Feinschmecker, dessen Sinne vom Genuss erlesenster Delikatessen verwöhnt worden waren und der deshalb nie mehr mit gewöhnlichem Essen zufrieden sein konnte, so würde auch ich vielleicht nie wieder mit durchschnittlichem Sex zufrieden sein und für den Rest meines Lebens nach dem Extremen hungern. Würde ich jemals wieder in der Lage sein, mich unbefangen in jemanden zu verlieben? Musste ich nicht zwangsläufig enttäuscht sein, wenn sich der Mann, in den ich mich eines Tages verliebte, sich als anspruchsloser Konsument im Bett entpuppte? Entgegen seiner Behauptung, ich müsse ihm dankbar sein, denn er schenke mir unschätzbare Erfahrungen für mein ganzes Leben, ahnte ich, dass Christopher ein Stück meiner Seele irreparabel zerstört hatte.

Zu Hause saß die ganze Familie um den Mittagstisch herum, als ich ins Haus kam, zu meiner Überraschung sogar Malachy, Hiram und Dad, die ich zweihundert Meilen entfernt im Weizen gewähnt hatte. Ich hatte wegen meiner Verärgerung über Christopher glatt vergessen, dass sie ja gleich Richtung Iowa starten würden, um dort Malachys und Rebeccas Verlobung zu feiern.

»Wo kommst du denn jetzt her?«, blaffte Mutter mich an, als ich mich an meinen Platz setzte.

»Ich war ausreiten«, erwiderte ich nur.

»Hast du nichts Besseres zu tun, als ständig mit deinem Gaul durch die Gegend zu streunen?«

»Lass sie doch in Ruhe«, ergriff Dad meine Partei. »Sie hat schließlich Sommerferien und tut schon genug hier. Wenn sie hin und wieder einen Ausritt unternehmen will, ist das ihr gutes Recht.«

»Recht, Recht! Wenn ich das schon höre!«, brummte Mutter ärgerlich, und ich schämte mich ein bisschen, von Dad in Schutz genommen zu werden, schließlich waren meine Ausritte alles andere als harmlos. Mein Magen war wie zugeschnürt, und ich brachte kaum einen Bissen herunter. Während Dad mit Hiram besprach, was in den zwei Tagen während seiner Abwesenheit getan werden musste, hielten Malachy und Rebecca Händchen und schauten sich immer wieder verliebt in die Augen. Ich bezweifelte, dass die beiden jemals einen solch gigantischen Sex haben würden wie ich, und gleichzeitig beneidete ich sie so sehr um ihre ehrliche, reine Liebe, dass ich am liebsten geweint hätte.

Was zum Teufel tat ich da? Wieso konnte ich einfach nicht von dem Mann lassen, der mich verdarb und besudelte? Ich musste es beenden. Nein, mehr noch, ich musste den Spieß umdrehen. In Gedanken schmiedete ich Pläne, sah vor meinem inneren Auge, wie ich Christopher kühl abwies und ihn betteln ließ, doch leider waren diese Siege bloße Phantasiegespinste. Sobald er mir in Fleisch und Blut gegenüberstand, mutierte ich zum willenlosen Objekt seiner und meiner Begierden, ganz gleich was ich mir vorgenommen hatte.

»Schmeckt’s dir etwa schon wieder nicht?«, fragte Martha spitz, als sie meinen vollen Teller sah.

»Doch, doch«, beeilte ich mich zu sagen und schob mir eine Gabel voll Hühnerfrikassee in den Mund.

»Du isst viel zu wenig«, tadelte Martha mich. »Du bist ja nur noch ein Strich in der Landschaft.«

Ich hoffte, dass Dad das Thema jetzt nicht auch noch aufgreifen würde, doch glücklicherweise blieb dafür keine Zeit, denn sie mussten los.

Ich räumte die Küche auf, schnitt Unmengen von Gemüse für einen Eintopf und entwarf dabei eine Strategie, mit der ich Christopher Finch meinerseits eine Lektion erteilen würde. Mein Blick wanderte immer wieder zur Wanduhr in der Küche. Die Stunden vergingen zäh wie Kaugummi. Esra fuhr mit ein paar Kumpels weg, Hiram, der eigentlich die Stellung auf der Farm halten sollte, wandelte mal wieder auf Freiersfüßen und verschwand eine Viertelstunde später, und Martha war gleich nach dem Mittagessen mit den Landfrauen auf irgendeine Versammlung nach Lincoln gefahren. Da Tante Isabella für sechs Monate mit zwei Freundinnen zu der Weltreise aufgebrochen war, die sie eigentlich immer mit ihrem Mann hatte machen wollen, fiel sie als Alternative zu Christopher aus. Schließlich ertrug ich es nicht mehr, verließ das Haus und holte mein Pferd aus dem Paddock, um zum Riverview Cottage zu reiten.

Christopher saß mit einem Buch auf der Veranda in der Sonne und blickte irritiert auf, als er mich kommen sah. Offenbar war ich ihm heute nicht besonders willkommen. Ich lenkte das Pferd bis ans Geländer.

»Ich kann auch wieder verschwinden«, sagte ich statt eines Grußes.

»Hallo, Carolyn«, erwiderte er und lächelte zerstreut. »Unsinn. Natürlich kannst du hierbleiben. Ich muss das hier nur gerade noch...

Erscheint lt. Verlag 15.4.2020
Reihe/Serie Sheridan-Grant-Serie
Sheridan-Grant-Serie
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 1990er Jahre • 90er Jahre • Adoption • Amerika • Bestseller • Bücher für die Coronavirus Zeit • Bücher für die Coronazeit • Bücher für die Covid19 Zeit • das Lesen geht weiter • Familie • Familienleben • Familienroman • Farm • Farmer • Farmleben • für Social Distancing • gegen Langeweile • Geheimnisse • Große Liebe • Landleben • Lesen in der Coronakrise • Lesen in der Covid19-Krise • Lesen in Karantäne • Lesen in Quarantäne • Lesen während Shutdown • Liebe • lieber Buch als Coronavirus • Lieber Buch als Covid19 • lieber Bücher als Corona • Mit Buch in Karantäne • mit Buch in Quarantäne • Musik • Nebraska • Roman • Sommer • Weite Felder
ISBN-10 3-8437-2324-9 / 3843723249
ISBN-13 978-3-8437-2324-4 / 9783843723244
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