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Die Chroniken der Meerjungfrau - Der Fluch der Wellen (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2021
368 Seiten
Penhaligon Verlag
978-3-641-25636-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Chroniken der Meerjungfrau - Der Fluch der Wellen - Christina Henry
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Christina Henrys düstere Neuinterpretation des Meerjungfrauen-Mythos: die berühmte Legende verwoben mit gruseliger Realität.
Einst zog ein einsamer Fischer sein Netz an Land und fand darin eine Frau. Eine Frau mit schwarzem Haar und Augen, in denen sich der Sturm des Meeres widerspiegelte. Anstelle von Beinen hatte sie einen Fischschwanz, und obwohl sie die Worte des Fischers nicht verstand, rührte sie seine Einsamkeit, und sie blieb bei ihm. Ihre Liebe dauerte an, bis sein Tod ihn von der unsterblichen Meerjungfrau trennte.

Doch Gerüchte über dieses rätselhafte Wesen sind längst laut geworden - und haben die Aufmerksamkeit eines Mannes erregt, der mit seinem Zirkus durch das Land zieht und den Menschen ihre schlimmsten Albträume hinter Gittern vorführt. Sein Name ist P.T. Barnum, und er sucht eine Meerjungfrau ...

Alle Bücher von Christina Henry:
Die Chroniken von Alice - Finsternis im Wunderland
Die Chroniken von Alice - Die Schwarze Königin
Die Chroniken von Alice - Dunkelheit im Spiegelland
Die Chroniken von Peter Pan - Albtraum im Nimmerland
Die Chroniken der Meerjungfrau - Der Fluch der Wellen
Die Chroniken von Rotkäppchen - Allein im tiefen, tiefen Wald

Die Bände (außer Alice) sind unabhängig voneinander lesbar.

Die Amerikanerin Christina Henry ist als Fantasy-Autorin bekannt für ihre finsteren Neuerzählungen von literarischen Klassikern wie »Alice im Wunderland«, »Peter Pan« oder »Die kleine Meerjungfrau«. Im deutschsprachigen Raum wurden diese unter dem Titel »Die Dunklen Chroniken« bekannt und gehören zu den erfolgreichsten Fantasy-Büchern der letzten Jahre. Die SPIEGEL-Bestsellerautorin liebt Langstreckenläufe, Bücher sowie Samurai- und Zombiefilme. Sie lebt mit ihrem Mann und ihrem Sohn in Chicago.

Kapitel 1


Es war einmal ein Fischer, ein einsamer Mann, der an einer kalten, rauen Küste lebte und keine Frau davon überzeugen konnte, ihre Heimat zu verlassen, um mit ihm an diesem unwirtlichen Ort zu leben. Er liebte das Meer mehr als jeden Menschen, und so gelang es ihm nicht, eine Frau zu finden, denn Frauen sehen klarer ins Herz eines Mannes, als Männer sich das vielleicht wünschen.

So sehr er die eiskalte Gischt im Gesicht liebte und den Anblick der sich am Horizont auftürmenden Wolken, so sehr wünschte er sich doch eine Frau, um sie zu lieben.

Eines Abends, als er nach einem langen Arbeitstag sein Netz einholte, fand der Fischer eine Frau darin – oder zumindest ein Wesen, das einer Frau ähnelte, mit schwarzem Haar und Augen so grau wie die stürmische See und einem glänzenden Fischschwanz.

Es tat ihm leid, dass er sie gefangen hatte, und das sagte er ihr auch, während der Sturm in ihrem Blick direkt in sein Herz blies.

Als sie seine Stimme vernahm, hörte sie auf, sich wie wild in seinem Netz herumzuwerfen, auch wenn sie seine Worte nicht verstehen konnte. Der Fischer gab sie frei, und sie tauchte zurück ins Wasser – ein wildes Wesen, das in seinen wilden Lebensraum zurückkehrte –, und er sah ihr nach, wie sie davonschwamm.

Doch sie hatte mit ihren Augen in ihn hineingeblickt, wie es nur Frauen vermögen, und seine Einsamkeit schlich sich in ihr Herz, und er tat ihr leid. So nahm diese Einsamkeit sie mehr gefangen, als es das Netz je hätte tun können. Während sie von dem Boot wegschwamm, so schnell sie nur konnte, zog sie seine Einsamkeit hinter sich her wie eine Reepschnur. Aber sie wollte nicht, dass seine Gefühle sie banden und sie zu ihm zurückzogen, also ließ sie ihren Schwanz silbrig im Wasser blitzen und richtete den Blick entschlossen nach vorn.

Doch auch ohne zurückzublicken, fühlte sie, wie er ihr nachsah, und sie merkte sich die Form seines Boots und den Schwung der nahegelegenen felsigen Küste und die Fältchen um seine Augen, Augen, so dunkel wie das tiefe Meer unter dem Mond.

Ihr Name bedeutete »Die durch die Meeresoberfläche bricht«, denn sie hatte es sehr eilig gehabt, zur Welt zu kommen, und war viel früher geboren worden als ihre sechs älteren Geschwister. Den größten Teil ihrer Kindheit hatten ihre Mutter, ihr Vater und ihre Geschwister damit verbracht, nach ihr zu suchen, denn sie war nie dort zu finden gewesen, wo sie hätte sein sollen. Immer wieder warnte man sie vor den Gefahren der Oberfläche und den Menschen, die dort ihre Netze auswarfen, vor ihrer Grausamkeit gegenüber den Bewohnern des Meeres.

Sie hätten ihr nie davon erzählen dürfen, denn nun wollte sie mehr wissen, und ihr Wissensdurst führte sie immer weiter in die Ferne.

Ihre Heimat lag tief unter dem Meer, weit weg von den Landmassen, die auf jeder Seite gegen den Ozean drückten, weil ihr Volk die Menschen fürchtete, mit ihren Haken und Netzen und Booten, die auf der Oberfläche der Wellen trieben. Die Geschichtenerzähler sprachen von silbernen Walen, die, von grausamem Metall durchspießt, an Bord der Schiffe gehievt wurden, wo das Blut aus ihnen rann, ins Wasser zurückspritzte und alles anlockte, was im Ozean auf der Suche nach sterbenden Kreaturen war.

Manchmal gab es einen Sturm, der ein Schiff in Stücke riss, und dann fielen die Menschen ins Wasser und sanken, sanken, sanken bis auf den Grund – jedenfalls die Glücklichen. Die Unglücklichen wurden von den umherstreifenden Jägern gefressen, die mit den silbergrauen Körpern und den schwarzen Augen und den weißen, weißen Zähnen.

Wenn die Schiffe versunken waren, schwamm die neugierige Meerjungfrau zu den Wracks und erforschte sie, nahm hier und da etwas von den Dingen an sich, die die Menschen benutzten, und bestaunte sie. Und wenn einer ihrer Brüder oder ihre Eltern sie dabei erwischten, dann schalten sie sie für ihre Torheit und zogen sie am Handgelenk zurück nach Hause, während sie die ganze Zeit sehnsüchtig zurückblickte.

Eines Tages, als sie dicht unter der Oberfläche schwamm – viel zu dicht unter der Oberfläche, hätte ihre Familie gesagt –, entdeckte sie ein großes, großes Schiff, wie sie noch nie eines gesehen hatte. Und am Bug des Schiffs erblickte sie etwas ganz Außergewöhnliches.

Es sah aus wie sie – wie eine Meerjungfrau, aber erstarrt und an das Schiff gefesselt.

Lange schwamm sie neben dem Schiff her und versuchte herauszufinden, wie die Seeleute diese Meerjungfrau an ihr Gefährt gefesselt hatten. Das war gar nicht so einfach, denn sie durfte sich von den Menschen nicht sehen lassen. Immer wieder schoss sie kurz über die Wasseroberfläche hinaus, um einen Blick auf die andere Meerjungfrau zu erhaschen, und tauchte sogleich wieder unter Wasser, bevor jemand sie entdecken konnte.

Es wehte ein hübscher Wind, und die Segel waren voll, und das Schiff flog durch die Wellen, sodass die Meerjungfrau schon bald müde wurde. Doch sie wollte unbedingt sehen, sie wollte unbedingt wissen, und so folgte sie dem Schiff auch dann noch, als sie nicht mehr mithalten konnte. Sie wurde immer müder und immer langsamer, und plötzlich war das Schiff zu weit voraus, um es noch einzuholen, und verschwand hinter dem Horizont.

Plötzlich war die Meerjungfrau ganz allein, weit weg von zu Hause, und wusste nicht, wie sie zurückfinden sollte.

Es hätte sie traurig machen müssen oder ängstlich oder ihr eines der anderen qualvollen Gefühle bereiten sollen. Doch auch wenn es ihr leidtat, dass sie ihre Familie vielleicht nie mehr wiedersehen würde, so war sie doch nicht so aufgewühlt, wie sie es hätte sein sollen.

Das Gefühl der Freiheit war stärker. Von nun an würde sie schwimmen können, wohin sie wollte, und tun und lassen dürfen, was immer ihr gefiel. Ja, es würde Folgen haben (so dumm war sie nicht, dass sie damit nicht rechnete), aber es würden ihre Entscheidungen und ihre Folgen sein und nicht die, die irgendjemand anders für sie bestimmt hatte.

Freiheit war wesentlich berauschender, als es Sicherheit je sein könnte.

Sie wollte mehr sehen und mehr erfahren, als sie am Grund des Ozeans je erfahren konnte. Also schwamm sie dem Schiff nach, weil das Schiff irgendwann zum Land fahren würde und die Meerjungfrau noch nie in ihrem Leben Land gesehen hatte.

Und so überquerte sie den Ozean, bis sie dorthin gelangte, wo das Land anfing.

Die Meerjungfrau verbrachte sehr viel Zeit damit, die Menschen an der Küste zu beobachten und die, die mit Booten aufs Meer hinauskamen. Immer, immer achtete sie sorgfältig darauf, ihren Haken und Leinen und Käfigen und Netzen auszuweichen, weil sie ihre Freiheit liebte und niemals mehr dem Willen eines anderen unterworfen sein wollte.

Bis zu dem Tag, an dem sie damit beschäftigt war, einen Fisch zu befreien, der sich an einem Haken festgebissen hatte. Der Fisch zappelte und wand sich und kämpfte wild, war so in Todesangst, dass er sich von ihr nicht helfen lassen konnte. Sie sah das Netz nicht, das von oben kam, und dann war sie darin gefangen.

Da geriet auch sie in Todesangst, genau wie der Fisch, dem sie versucht hatte zu helfen. Sie schlug mit dem Schwanz um sich, wand sich und zappelte, doch all ihr Toben sorgte nur dafür, dass sich das Netz immer enger um sie herumschlang, bis sie schließlich aus dem Wasser gehievt wurde, wütend und triefend.

Seine Augen waren dunkel und voller Überraschung, als er sah, was er da in seinem Netz hatte. Überraschung und Erstaunen und dann ein wenig Traurigkeit, die sie beinahe übersehen hätte. Als er das Messer hob, war sie sicher, dass er sie töten würde, doch er sprach nur ein paar leise Worte, die sie nicht verstand, und schnitt alles weg, was sie fesselte.

Sie schwamm davon und dachte staunend über den Mann nach, der sie freigelassen hatte.

An jenem Abend blickte der Fischer aufs Meer hinaus. Er stand vor seinem Haus, das auf den Klippen hoch über der kleinen Bucht stand, in der er sein Boot festgemacht hatte. Es war kalt, denn der Winter nahte, aber im Grunde war es sowieso nie sonderlich warm am Nordatlantik. Er vergrub die Hände tief in den Taschen seines Mantels, starrte auf das aufgewühlte Wasser hinaus und hielt unter dem Mond Ausschau nach ihr. Doch auch wenn er jedes Mal den Kopf drehte, wenn er nur das leiseste Platschen hörte, sah er nie, wonach sich sein Herz sehnte – den Umriss ihrer Schwanzflosse, die sich gegen das Mondlicht abhob.

Wahrscheinlich war er ein Narr gewesen, dass er sie hatte schwimmen lassen. Niemand würde ihm glauben, wenn er diese Geschichte erzählte, und er wollte sich unten im Dorf am Tresen nicht zum Narren machen. Er war alt genug, um den prahlerischen Drang der Jugend hinter sich zu haben, aber doch nicht so alt, dass er nicht doch gern das Erstaunen in ihren Augen glänzen gesehen hätte, wenn sie hörten, dass er eine Meerjungfrau gefangen hatte.

Doch sie zu behalten hätte er nicht übers Herz gebracht. Das wusste er ganz sicher. Er hätte dieses wilde, freie Wesen, das ihm aus dem Netz entgegengeblickt hatte, niemals gefangen nehmen und zwingen können, bei ihm zu bleiben, sie zu einer Gefangenen zu machen und aus ihrem Leid Gewinn zu schlagen.

Sie hatte anders ausgesehen, als er erwartet hatte. Ganz anders als die Meerjungfrauen, von denen er als kleiner Junge in den Geschichten gehört hatte. Die erzählten von weißhäutigen, barbusigen Frauen mit langem fließenden Haar, von Frauen, die in allem menschlich waren, bis auf den Fischschwanz.

Was er gefangen hatte, hatte sehr viel fremdartiger ausgesehen, eine Kreatur, die am ganzen Körper mit silbrigen Schuppen...

Erscheint lt. Verlag 18.10.2021
Reihe/Serie Die Dunklen Chroniken
Die Dunklen Chroniken
Übersetzer Sigrun Zühlke
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel The Mermaid
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Fantasy
Schlagworte Dark Fantasy • Die Chroniken von Alice • Die Chroniken von Peter Pan • Die schwarze Königin • Dunkelheit im Spiegelland • eBooks • Fantasy • Finsternis im Wunderland • Greatest Showman • Hans Christian Andersen • Horror • horrortok • Käfig • Kuriositäten • Märchenbuch • Märchen modern • Nixe • P. T. Barnum • slashersummer • Spiegel Bestseller Autorin • summerhorror • Wanderzirkus • Zirkus
ISBN-10 3-641-25636-4 / 3641256364
ISBN-13 978-3-641-25636-4 / 9783641256364
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