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Wenn es eng wird -  Markus Bruckner

Wenn es eng wird (eBook)

eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
324 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7504-8832-8 (ISBN)
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Wenn es eng wird Jeder von uns kann diese Worte mit Bedeutung füllen. Denn wir alle mussten wohl schon mehr oder weniger dramatische Engstellen in unseren Biografien durchleben. Ein tragischer Unfall, eine Naturkatastrophe oder einfach eine existenziell falsche Entscheidung - wer einen Schicksalsschlag erleidet, muss die Erfahrung machen, dass danach nichts mehr so ist wie vorher. Im Mittelpunkt der acht Erzählungen, die Markus Bruckner in diesem Band vereint, stehen Menschen an den unterschiedlichsten persönlichen Wendepunkten. Es ist aufregend, wie sich die Betroffenen im Angesicht einschneidender Erlebnisse verändern und welche Wege sie einschlagen, um ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen. Die Frage, die sich immer wieder stellt, ist: Besitzen die Protagonisten ausreichend Mut und Fähigkeiten, um ihre Krisen zu überwinden?

Dr.med Markus Bruckner wurde im Juli 1952 in Frankfurt Höchst geboren und wuchs in Frankfurt auf. Nach seinem Abitur studierte er Humanmedizin an der Joh. Gutenberg-Universität in Mainz. Danach folgte seine Facharzt ausbildung zum Gynäkologen. Nach seiner Tätigkeit als Oberarzt an einer großen Frankfurter Klinik wechselte er in eigene Praxistätigkeit nach Friedrichsdorf im Taunus. Nach über dreißg Jahren Tätigkeit in eigener Praxis ging er 2015 in den Ruhestand. 2017 veröffentlicht er seinen ersten Roman mit dem Titel: "Im Nadelöhr ein Kamel". Die Sammlung seiner besten Erzählungen unter demTitel: "Wenn es eng wird" ist sein zweites Buch. Markus Bruckner ist verwitwet und Vater von drei inzwischen erwachsenen Töchtern.

ZAUBERHAFTES HOLZ


Benommen und unfähig, sich noch weiter zu wehren, wankte Eva mit steifen Knien ins Schlafzimmer. Sie schloss die Tür hinter sich, brachte diese raue Abschottung aus gekalktem Echtholz zwischen sich und die restliche Welt. Erschöpft lehnte sie sich mit dem Rücken gegen die Tür, die Innenflächen ihrer Hände flach gegen die kühle Oberfläche gepresst, an der sie nun, den Kopf nach hinten gelehnt, mit geschlossenen Augen, langsam nach unten glitt.

Sie liebte die Haptik von kühlem Holz mit der typisch rauen Oberflächenstruktur seit dem Moment vor knapp mehr als vierzig Jahren, als sie zum ersten Mal in den großen, beruhigenden Schlafzimmerschrank von Tante Ruth geflüchtet war.

Damals hatten sie die schneidenden Worte von Trennung schon zum zweiten Mal wie ein Fallbeil getroffen. Zuerst die Trennung der Mutter vom Vater. Und dann: die Abreise der Mutter im Sommer. Ja, es sollte nur eine Trennung auf Zeit sein, aber für Eva als siebenjähriges Mädchen war die Spanne von sechs Wochen ohne die geliebte Mutter damals gefühlt so endlos und unüberschaubar wie ein ganzes Jahr! Da halfen auch die knappen Appelle der Mutter an ihre Vernunft nicht weiter.

Warum aber durfte sie dann nicht wenigstens zu Papa? Diese Frage wurde damals schneidend scharf von Mama beantwortet. „Weil dein Vater ein für alle Mal weg ist!“

Seit seiner Schlägerei mit dem neuen Freund der Mutter war ihr Vater leider komplett aus dem Leben des kleinen Mädchens verschwunden. Für ihre Mutter war ihr Vater gestorben.

Aber doch nicht für sie, und vor allem nicht jetzt, wo sie sich so allein fühlte! Papa hätte sie sicher getröstet. Trösten war nicht gerade Mamas Stärke. Bei ihr dominierte die Vernunft, oder besser das, was sie dafür hielt: „Eva, das Leben ist hart und ungerecht. Da ist es besser, du gewöhnst dich gleich daran!“

Mit dem Versprechen, dass sie nur kurz bei ihrer Tante bleiben sollte, hatte ihre Mutter sie dorthin begleitet. Nur kurz! Und bei Ruth kam dann die ganze, ungeschminkte Wahrheit ans Licht.

„Ich werde für die Sommerferien mit deinem künftigen Stiefvater in dessen Heimat nach Sizilien fahren. Ich möchte noch einmal heiraten. Und der liebe Gott will nicht, dass ich dich dorthin mitnehme. Da kann ich nicht einfach mit einem Kind auftauchen. Hier, bei Ruth, hast du es wirklich gut. Du musst jetzt vernünftig sein!“

Damals war Eva zum ersten Mal vor der strengen und unnachgiebigen Schärfe der Worte in Tantchens Schrank geflüchtet, in dem diese sie erst entdeckte, als die Mutter schon lange weg war. Auf Geheiß der Tante, die Mitleid für dieses verängstigte Kind empfand, hatte sie sich danach jeden Tag vor dem Zubettgehen zehn Minuten in den warmen, dunklen Schrank mit seinen rauen Holzwänden gesetzt.

Die mitfühlende Tante hatte Eva dazu einen Zauberspruch an die Hand gegeben, der helfen sollte, den Trennungsschmerz zu überwinden. Jeden Tag wurde so auf wunderbare Weise die Not des Kindes mehr und mehr gelindert.

Immer und immer wieder musste sie sich den Reim der Tante halblaut in den Spalt zwischen Holz und Hand sprechen, während sie, langsam begreifend und dabei ruhiger werdend, beidhändig über die raue Oberfläche tasten sollte.

„All die Zeit im Holz – wie schön, alle Tränen dann vergehn, wenn wir uns bald wiedersehn.“

Die bei nur grob bearbeiteten Holzflächen spürbar offen liegenden Jahresringe, die sie bis heute, wenn möglich, bei jedem Holz stets mit Ehrfurcht betastete, hatten von diesem Zeitpunkt an für Eva den seltsamen Zauber entwickelt, sie in Verbindung mit dem Spruch ihrer Tante in Krisensituationen zu beruhigen.

Ihr zweiter Ehemann hatte bei ihrem Wunsch nach rauen, nur gekalkten Echtholztüren für ihre Wohnung mit ebendieser Begründung nur gelacht. Doch ihre immer wieder geäußerte Ablehnung gegenüber Furnier hatte ihn letztendlich dazu gebracht, dem Kauf dieser deutlich teureren Echtholzversionen zuzustimmen.

Inzwischen kniete Eva hinter der Schlafzimmertür, die heiße Stirn gegen die Fläche gepresst, die Hände beidseits neben ihrem Kopf, immer wieder langsam von oben nach unten über die Platte gleitend. Die schlanken, langen Finger hielt sie weit gespreizt, wie um die Kontaktfläche zu vergrößern, als könnte sie damit – Saugnäpfen gleich – den erhofften Zauber ihrer gebetsmühlenartig wiederholten Worte dem Holz schneller entlocken; die lähmende Trennungsangst besser auf Distanz halten, sie nicht weiter an sich herankommen lassen. Mit geschlossenen Augen weinte sie leise vor sich hin.

Sie wandte ihren Kopf zur rechten Hand und flüsterte ihr Mantra erneut in die Handfläche: „All die Zeit im Holz – wie schön, alle Tränen dann vergehn, wenn wir uns bald wiedersehn.“

Heute musste sie länger als gewöhnlich auf den Zauber des Holzes warten; hatte sie doch bisher Holz als geradezu verlässliches Bollwerk gegen die wiederkehrenden schmerzhaften Stoßwellen ihrer Angst- und Panikattacken erlebt.

Mit keinem ihrer zahlreichen Partner hatte Eva jemals über ihre Trennungsängste gesprochen. Niemals hatte auch nur einer der Männer, von denen Eva immer angenommen hatte, dass sie ihr nahe stünden, von ihrer Not erfahren.

Im Gegenteil! Eva betonte stets ihre intellektuelle Seite und wirkte daher auch in Krisen selbstbeherrscht. Ihre erlernte Vernunft überzeugte. Nicht, dass sie keine Gefühle gehabt hätte, aber diese zu zeigen, empfand sie als Schwäche.

Wenn sie für sich das Gefühl gewann, nicht mehr ausreichend geliebt und geachtet zu werden, dann war auch immer sie es, die sich von ihrem Gegenüber trennte. Das nannte sie dann eine vorbeugende Entscheidung der Vernunft. Ein Besser jetzt unter Schmerzen, als ein später sowieso mit Panikattacken!

Den Kontakt zu ihrem leiblichen Vater hatte ihre Mutter von Anfang an zu unterbinden gewusst.

Mit demonstrativer Abwendung hatte die Mutter auf flehentliche Bitten des Kindes wie „Bitte, bleib bei mir!“ oder „Verlass mich nicht!“ reagiert und ihm dieses Verhalten Schritt für Schritt abtrainiert. Eigene Wünsche oder Bedürfnisse zu äußern hatte Eva danach auch nie mehr neu erlernt.

Zwischen dem dreizehnten und dem sechzehnten Lebensjahr durfte Eva in den Sommerferien mit nach Sizilien. Dort musste sie ihre Mutter aber mit „Tante“ ansprechen und „auf Distanz gehen“. Sie wurde als Nichte und Patenkind in die neue Familie eingeführt. Sie zeigte sich talentiert in der Königsdisziplin der Schauspielerei, der Verleugnung ihrer eigenen Emotionen. Dafür wurde sie gelobt.

Niemand bemerkte damals, dass ihr Kompass des Vertrauens nicht nur im Süden Italiens, sondern auf Dauer und überall aus dem Ruder lief.

Als sie siebzehn Jahre alt wurde, erklärte ihre Mutter sie für erwachsen und blieb alsbald für immer auf der fernen Insel.

„All die Zeit im Holz – wie schön …“

Doch Eva selbst blieb in Deutschland, wurde erwachsen, setzte sich beruflich durch und beugte dem Schmerz durch häufig wechselnde Partner vor. Die Beziehungen beendete immer sie. Und das meist völlig überraschend für Partner und Umwelt. Sie war hart geworden. Die Dicke der vermeintlich schützenden Rinde um ihre Seele hatte sich mit den Jahren der einer Korkeiche angenähert.

Ihre erste Ehe mit dreißig war nach nur zwei Jahren schon wieder zu Ende. Zwei gehetzte Jahre, nach denen sie das Wort Kinderwunsch aus ihrem Sprachgebrauch getilgt hatte. Wegen der ihrer Meinung nach mangelnden Kooperation ihres Ehemannes zu diesem Thema hatte sie ihn während des Sommerurlaubs in Spanien überstürzt verlassen und war vorzeitig alleine nach Hause gereist.

Doch heute waren Evas Gedanken bei Ehemann Nummer zwei.

Sie kniete noch immer – unempfindlich für körperlichen Schmerz – an der Tür, jetzt schon fast eine halbe Stunde. Aber heute ließ die Wirkung ihres Mantras zu lange auf sich warten. Sollte es gar seine Wirkung verloren haben? Die Tränen liefen ihr unverändert über das eigentlich hübsche Gesicht, das der Schock der Erkenntnis und die aufkommende Panik momentan so hässlich verzerrten.

Ihr zweiter Ehemann hatte ihr soeben, nach einem erneuten heftigen Streit, mitgeteilt, dass er sich nach jetzt sieben Jahren noch heute von ihr trennen werde.

Natürlich hatte sie ihn mit ihrer Aktion verletzen wollen! Aber – eigentlich hatte sie noch an ihn geglaubt. Auch an ihre Beziehung, die sich doch noch hätte beweisen können ... Aber er konnte auch manchmal so gemein zu ihr sein.

Wieso hatte sie das Scheitern nicht kommen sehen? Wieso den Zeitpunkt, an dem sie die Reißleine hätte ziehen müssen, nicht bemerkt?

Vor drei Monaten hatte er sie massiv gedemütigt, vor Freunden lächerlich gemacht mit seiner Aussage: „Meine Frau ist so ängstlich, dass sie sogar meinen vergreisten, zahnlosen Hund braucht, um sich zu Hause nachts allein sicher zu fühlen.“ Das hämische Lachen der Meute hatte in ihr...

Erscheint lt. Verlag 2.3.2020
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Lyrik / Dramatik Lyrik / Gedichte
ISBN-10 3-7504-8832-0 / 3750488320
ISBN-13 978-3-7504-8832-8 / 9783750488328
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