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Hop On Hop Off (eBook)

Eine Stadt, viele Katastrophen
eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
396 Seiten
edition subkultur (Verlag)
978-3-943412-88-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Hop On Hop Off -  Joost Renders
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Hinze wacht eines Morgens auf und ist sich sicher, dass er an diesem Tag sterben wird. Damit sie nicht nach seinem Ableben gefunden werden, packt er seine Pornohefte in eine Plastiktüte und geht hinaus auf die Straße. Dort drückt er sie der erstbesten Person in die Hand. In den folgenden Tagen wandert diese Tüte zwischen diversen Besitzern hin und her, die sich besser nicht getroffen hätten, denn sie erleben Amokläufe, Familientreffen und Busunfälle und decken Lebenslügen auf. Vielleicht finden sie aber auch die große Liebe. Dabei prallen - wie immer in Berlin - die Extreme aufeinander: Aufstrebende Rechtsanwältinnen treffen auf ausgemergelte Berliner Junkie-Omas. Dicke Touristen aus der Provinz begegnen geflüchteten Neu-Berlinern. Aufmüpfige Feministinnen arbeiten im Dirndl-Kleid in bayerischen Biergärten und gescheiterte Schauspieler landen im Knast. Gnadenlos beschreibt Joost Renders in seinem Episodenroman das Chaos der Hauptstadt und karikiert ihre Insassen mit viel Insiderwissen und schwarzem Humor.

Joost Renders, 1962 in Eindhoven/NL gestartet und über Rheinland, Großbritannien und diversen andere Stationen 1997 in Berlin gelandet. Von 1978-88 die Jugend verschwendet, Sänger in verschiedenen Punk/New-Wave-Bands. Fanzine Macher bis hin zum Musikjournalisten, dann schließlich eine Ausbildung gemacht: 1988-91 Schauspielschule. Die 90er und Nuller an vielen Theatern gespielt, ab 1994 während Auftrittspausen Drehbücher geschrieben und schließlich als Regisseur u.a. zwei Spielfilme realisiert. 2011 einen Stuhl gekauft und seitdem schriftstellerische Tätigkeit, erster Roman erschien 2015.

Hau den Lukas


„Schlag mich doch!“, ruft der Depperte und steht da, als wollte er ihn in die Arme nehmen. Das hat noch gefehlt! Lukas kneift instinktiv seine Pobacken zusammen. Der Depperte wirkt zwar nicht unbedingt wie ein warmer Bruder, der sieht aus wie gar nichts, aber Lukas ist da sehr vorsichtig. Er hat schon genug schlimme Geschichten gehört.

„Töte mich!“, brüllt der Depperte plötzlich. „Los, töte mich doch!“

Nein, das ist keine Gaudi mehr, das wird Lukas jetzt zu bunt. Seine Ankunft in Berlin hat er sich anders vorgestellt. Dass diese Stadt völlig verrückt ist, hat er sich schon denken können, dafür ist sie ja berühmt und berüchtigt, aber dass sich, kaum dass er seinen Zug verlassen hat, einer auf dem Bahnsteig gleich von ihm töten lassen will, ist dann doch zu viel des Guten. Lukas ist jetzt doch etwas verwirrt, das muss er sogar vor sich selber zugeben. Sicher, er ist die ganze Nacht auf gewesen, gestern Abend mit dem letzten Zug aus seinem Heimatort nach München gefahren und dort dann am Bahnhof herumgestromert, bis der erste Zug nach Berlin fuhr. Als er dann endlich im ICE saß, war er zwar müde, er hatte auch schon einige Bier intus, manchmal fielen ihm kurz die Augen zu, aber schlafen ging nicht, dazu war er zu aufgeregt und es gab viele interessante Dinge zu sehen. Allerdings war er kurz vor Berlin dann doch eingeschlafen, aber als die Durchsage kam, dass der Bahnhof Berlin-Südkreuz in Kürze erreicht werden würde, wachte Lukas schweißgebadet wieder auf. Sicher, die Sitze im ICE waren sehr bequem, aber er war tatsächlich eingeschlafen, so kurz vor Berlin hätte ihm das nicht passieren dürfen. Egal, gleich sollte Berliner Hauptbahnhof kommen, sein Ziel! Lukas sah aus dem Fenster den Bahnhof Südkreuz, der nicht so spannend aussah, einige Leute stiegen aus, aber die meisten fuhren wohl bis Hauptbahnhof. Auf einem anderen Bahnsteig, wo sie auf einen Regionalzug warteten, sah Lukas einige junge Mädchen stehen, die er als sehr anregend empfand. Er musste an sein Madl denken, aber das wollte er nicht, er war in Berlin und da hatte sein Madl erst mal nichts verloren, die war daheim besser aufgehoben.

Der Zug fuhr schließlich weiter, sie verließen das Südkreuz, er sah große Häuser, die allerdings auch nicht viel größer waren als die in München, aber die waren schon ziemlich groß. Er ist noch nie in Berlin gewesen, noch nicht mal auf Klassenfahrt, da durfte er nicht mit. Das hat ihn damals sehr gewurmt, aber er ist trotzdem groß und stark geworden. Die Durchsage, dass Berlin-Hauptbahnhof in Kürze erreicht werden und der Zug hier enden würde, erschallte und elektrisierte ihn. Lukas starrte ultragespannt auf die Häuser, aber dadurch änderten sie sich auch nicht. Und dann ging es in einen Tunnel, auch das noch, da konnte er gar nichts mehr sehen. Jedenfalls keine Häuser. Schnell stand er auf und nahm seine Reisetasche. Er hatte nicht viel mitgenommen, wenn alles gut ging, dann würden sie ihm den Rest bringen, sein Vater würde mit dem Auto kommen, durch den Osten müsste er dann fahren und sein Vater verachtete alles jenseits von Hof, das heißt die Gegend um Hof herum und zwar in einem sehr großen Kreis verachtete der Vater auch, das nannte sich nämlich Franken und war auch nicht schön. Lukas war jetzt aber egal, was sein Vater mochte und was nicht, er hat sich seine Reisetasche unter eine verschwitzte Achselhöhle geklemmt und sich dann durch die Reisenden gedrängt, die auch gerade dabei waren, ihr Hab und Gut zu ordnen und sich zum Ausstieg bereitzumachen, denn alle mussten raus. Lukas trat einigen Leuten auf die Füße, selber Schuld, wenn sie ihm im Weg standen, manche schimpften sogar.

„Hören Sie auf zu drängeln!“, meckerte ein älterer Herr. „Sie kommen noch früh genug hier raus.“

„Du bist hier nicht mehr in Bayern!“, bemerkte ein Jüngerer spöttisch.

Ja, das wusste Lukas auch.

„Stinkendes Schwein!“, rief eine Frau.

„Hau wieder ab in deinen Schweinestall“, legte der Jüngere nach und Lukas hätte ihm am liebsten auf der Stelle ein paar ordentliche Watschen verpasst.

Lukas war immer gut bei Schlägereien, im Bierzelt oder so, er war einer der besten, das würden diese arroganten Berliner noch merken. Aber vielleicht waren das ja auch gar keine Berliner, vielleicht waren das Leute wie er, die nur nach Berlin fuhren, wahrscheinlich Leute aus dem Osten oder Franken, Bayern schienen nicht darunter zu sein, die hätte er erkannt. Jetzt wollte er die Berliner kennenlernen. Der Zug hielt. Tatsächlich. Berlin-Hauptbahnhof. Tief. Er war dann auch einer der Ersten, die es geschafft haben sich durchzukämpfen und aus dem Zug gestiegen sind.

„Jetzt töte mich!“, brüllt der Depperte. Lukas denkt kurz nach, ob er ihm schnell ein paar zünftige Watschen geben soll, dann wäre er still.

Er hört Leute lachen und dreht sich um, es sind einige seiner Mitreisenden, die jetzt erst aus dem Zug herauskommen und ihn da mit diesem Depperten stehen sehen. Das ist erniedrigend. Lukas sieht die Leute an ihm vorbeiziehen und da ist natürlich auch sie wieder, diese eiskalte Blondine aus dem Zug. Sie lächelt kurz, aber sehr arrogant, trotzdem zwinkert Lukas zurück und sie sieht ihn an, mit einem Blick, den Lukas nicht deuten kann, der ihn aber regelrecht wuschig werden lässt. Ohne ihm noch mal einen Blick oder gar noch mehr zu schenken, begibt sie sich zur nächsten Rolltreppe und Lukas muss hinterher. Den Depperten lässt er einfach stehen, soll den doch jemand anderes töten.

Lukas muss sich aber beeilen, er reckt den Hals, nimmt all seine Kraft zusammen und pflügt durch die Reisenden. Er will auf keinen Fall, dass diese Frau ihm entwischt. Was er mit ihr machen wird, wenn er sie denn eingeholt hat, weiß er allerdings auch nicht, aber das ist ihm egal.

Sie ist während der Fahrt zugestiegen, ordentlich älter als er, sicher ein ganzes Stück über dreißig, aber eine sehr interessante Frau und sie sah schon heiß aus in ihrem Business-Dress. Sie saß ihm quasi gegenüber, aber in der gegenüberliegenden Reihe. Sie hat keine Miene verzogen, aber Lukas spürte, dass sie ihn ausgiebig musterte. Er hat ihr ein- oder zweimal zugezwinkert, sie ist aber bei ihrem strengen Blick geblieben. Sehr wahrscheinlich ist das ihre Masche. Für Lukas war das aber kein Problem, er zwinkerte noch ein paarmal, versuchte diesmal allerdings, abgeklärter zu wirken. Sie reagierte wieder nicht. Schließlich hat sie sich abgewandt und sah woanders hin. Lukas wollte natürlich wissen, wo sie jetzt hinsah, aber das durfte sie auf keinen Fall mitbekommen und das war von seiner Position aus auch schwer herauszufinden.

Schließlich sah sie ihn wieder an, hart und direkt. Wahrscheinlich kam sie aus dem Osten, mutmaßte Lukas, er war sich da sogar sicher, sie war ja schließlich in Leipzig zugestiegen. So wie sie ihn ansah, konnte es gar nicht anders sein. Sein Vater, der die Ostler nicht sonderlich mochte, hat immer gesagt, dass diese hart und direkt seien und unangenehm dazu. Vielleicht hat sein Vater ja recht, aber Lukas fand diesen harten und direkten Blick äußerst antörnend. Er beschloss, ihr noch einmal zuzuzwinkern, aber bevor es dazu kam, beugte sie sich leicht zu ihm vor und ihre kalten Augen bohrten sich jetzt aus nächster Entfernung direkt und erbarmungslos in seine Seele. Lukas lief es kalt den Rücken herunter.

„Sie schwitzen, junger Mann!“

„Was?“ Lukas hatte mit Allem gerechnet, aber nicht mit so etwas.

„Sie schwitzen sehr stark“, wiederholte die Ostfrau. Freundlichkeit hörte sich anders an.

„Ja und?“, konterte er frech.

„Das riecht nicht gut.“

„Ja und?“

Die Ostfrau räusperte sich, holte ihr Smartphone hervor und stöberte darin herum. Lukas fand das einfach unverschämt. Vielleicht war aber alles auch nur ein Trick, um ihn anzubaggern. Sicher schwitzte er, aber es gab viele Frauen, die das anmachte, das wusste er.

„Ich habe einen langen Weg hinter mir.“ Die Ostfrau reagierte nicht.„Ich fahre quer durch das Land, da darf man schwitzen, gell?“ Die Ostfrau wandte sich noch mehr ab. „Verstehst mi?“

„Jetzt seien Sie doch ruhig!“, meckerte ein anderer Reisender, der hinter ihm saß. „Ich wäre auch froh, wenn Sie sich gewaschen hätten.“

„Na, i bin net ruhig!“, regte sich Lukas auf. „Sie tolerieren mi net!“

„Tolerieren?“, lachte ein weiterer Fahrgast, diesmal der, der neben der Ostfrau saß. „Wo hast du denn das gelernt?“

„Willst schlägern, oder was?“, kreifte Lukas daraufhin wütend zurück.

Die Ostfrau sah teilnahmslos auf ihre Armbanduhr, obwohl sie eine auf ihrem Smartphone hatte, seufzte kurz und leise, nahm ihre Tasche, stand auf und ging. Lukas war außer sich, die anderen Reisenden, vor allem der eine, der ihn gerade sehr gereizt hatte, ignorierten ihn und wandten sich anderen Dingen zu. Was der Kerl hinter ihm machte, wusste Lukas nicht, er verspürte auch keine Lust, sich umzudrehen und nachzuschauen. Er sah, dass seine frisch tätowierte Wade zitterte und blickte aus dem Fenster, um sich zu beruhigen. Er war stolz auf seine frisch tätowierte Wade, er hatte sich zur Feier seines Umzugs in die Hauptstadt ein neues Tattoo stechen lassen. „Berlin Bayer“, in großen altdeutschen Lettern stand es groß und fett direkt hinten auf seiner Wade. Für alle Ewigkeit. Dazu sah es besonders gut aus, wenn er Cargohosen trug und die trug er meistens, wenn das Wetter es zuließ. Und als hartgesottener Bayer war es kein Problem für ihn, von März bis November kurze Hosen zu tragen. Das würde ihm bei den verweichlichten Berlinern Respekt...

Erscheint lt. Verlag 21.2.2020
Mitarbeit Cover Design: Andreas Etzel
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Amoklauf • Berlin • Dominoeffekt • Episodenroman • Eskalation • Hauptstadt • Hop-on-Hop-off-Bus • Humor • Satire • Schwarzer Humor • Subkultur • Touristen • U-Bahn • Unfall • Untergrund • Verflechtung • Verkettung • Wahnsinn
ISBN-10 3-943412-88-1 / 3943412881
ISBN-13 978-3-943412-88-8 / 9783943412888
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