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Das zweite Schwert (eBook)

Eine Maigeschichte

(Autor)

eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
157 Seiten
Suhrkamp (Verlag)
978-3-518-76616-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das zweite Schwert -  Peter Handke
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Zurückgekehrt nach jahrelangem Unterwegssein in die Gegend südwestlich von Paris, drängt es den Helden drei Tage später bereits zu einem erneuten Aufbruch. Er will Rache nehmen an einer Journalistin, die seine Mutter in einem Zeitungsartikel denunziert hatte, dem Anschluß ihres Landes an Deutschland zugejubelt zu haben. Eine wahrheitswidrige Behauptung. »?Das also ist das Gesicht eines Rächers!? sagte ich zu mir selber, als ich mich an dem bewußten Morgen, bevor ich mich auf den Weg machte, im Spiegel ansah.«

»Ich hatte mir keinerlei Plan ausgedacht oder festgesetzt. Weder mit einem bestimmten Bewegungs- und Ortsplan war ich aufgebrochen noch mit einem sonstigen. Es hatte zu geschehen: So war es in mich eingeschrieben, und das hatte mich auf die Beine gebracht.« Und so mündet der Rachefeldzug in ein Fest, eine bewusste Entscheidung des Erzählers Peter Handke: In die geschriebene Geschichte erhält nur Zutritt, was in der Realgeschichte Bestand hat. Und umgekehrt: Sich vollziehende Geschichte erlangt nur Wirklichkeit, wenn sie des Erzählens wert ist.



<p>Peter Handke wird am 6. Dezember 1942 in Griffen (K&auml;rnten) geboren. Die Familie m&uuml;tterlicherseits geh&ouml;rt zur slowenischen Minderheit in &Ouml;sterreich; der Vater, ein Deutscher, war in Folge des Zweiten Weltkriegs nach K&auml;rnten gekommen. Zwischen 1954 und 1959 besucht Handke das Gymnasium in Tanzenberg (K&auml;rnten) und das dazugeh&ouml;rige Internat. Nach dem Abitur im Jahr 1961 studiert er in Graz Jura. Im M&auml;rz 1966, Peter Handke hat sein Studium vor der letzten und abschlie&szlig;enden Pr&uuml;fung abgebrochen, erscheint sein erster Roman <em>Die Hornissen</em>. Im selben Jahr 1966 erfolgt die Inszenierung seines inzwischen legend&auml;ren Theaterst&uuml;cks <em>Publikumsbeschimpfung </em>in Frankfurt am Main in der Regie von Claus Peymann.</p> <p>Seitdem hat er mehr als drei&szlig;ig Erz&auml;hlungen und Prosawerke verfasst, erinnert sei an: <em>Die Angst des Tormanns beim Elfmeter </em>(1970), <em>Wunschloses Ungl&uuml;ck</em> (1972), <em>Der kurze Brief zum langen Abschied </em>(1972), <em>Die linksh&auml;ndige Frau </em>(1976), <em>Das Gewicht der Welt</em> (1977), <em>Langsame Heimkehr </em>(1979), <em>Die Lehre der Sainte-Victoire </em>(1980), <em>Der Chinese des Schmerzes </em>(1983),<em> Die Wiederholung </em>(1986), <em>Versuch &uuml;ber die M&uuml;digkeit</em> (1989), <em>Versuch &uuml;ber die Jukebox</em> (1990), <em>Versuch &uuml;ber den gegl&uuml;ckten Tag</em> (1991), <em>Mein Jahr in der Niemandsbucht </em>(1994), <em>Der Bildverlust </em>(2002), <em>Die Morawische Nacht</em> (2008), <em>Der Gro&szlig;e Fall</em> (2011), <em>Versuch &uuml;ber den Stillen Ort</em> (2012), <em>Versuch &uuml;ber den Pilznarren</em> (2013). </p> <p>Auf die <em>Publikumsbeschimpfung </em>1966 folgt 1968, ebenfalls in Frankfurt am Main uraufgef&uuml;hrt, <em>Kaspar. V</em>on hier spannt sich der Bogen weiter &uuml;ber <em>Der Ritt &uuml;ber den Bodensee </em>1971), <em>Die Unvern&uuml;nftigen sterben aus </em>(1974), <em>&Uuml;ber die D&ouml;rfer</em> (1981), <em>Das</em> <em>Spiel vom Fragen oder Die Reise zum sonoren Land </em>(1990), <em>Die Stunde da wir nichts voneinander wu&szlig;ten</em> (1992), &uuml;ber den <em>Untertagblues </em>(2004) und <em>Bis da&szlig; der Tag euch scheidet </em>(2009) &uuml;ber das dramatische Epos <em>Immer noch Sturm</em> (2011) bis zum Sommerdialog <em>Die sch&ouml;nen Tage von</em> <em>Aranjuez </em>(2012) zu <em>Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstra&szlig;e</em> (...

»Das also ist das Gesicht eines Rächers!« sagte ich zu mir, als ich mich an dem bewußten Morgen, bevor ich mich auf den Weg machte, im Spiegel ansah. Jener Satz kam vollkommen lautlos aus mir, und zugleich artikulierte ich ihn; bewegte, indem ich ihn still aussprach, überdeutlich die Lippen, wie um ihn mir von meinem Spiegelbild abzulesen und auswendig zu lernen, ein für alle Male.

Eine solche Art Selbstgespräch, womit ich mich doch sonst, so oder so, und das nicht erst seit den letzten Jahren, oft tagelang allein unterhielt, erfuhr ich in diesem Augenblick als etwas für meine Person Einmaliges, und dazu über mich hinaus Unerhörtes, in jedem Sinn.

So sprach und erschien ein menschliches Wesen, welches dabei war, nach vielen Jahren des Zögerns, des Aufschiebens, in den Zwischenzeiten auch des Vergessens, aus dem Haus zu gehen und die längst fällige Rache zu exekutieren, zwar – vielleicht – auf eigene Faust, doch jenseits dessen im Interesse der Welt und im Namen eines Weltgesetzes, oder auch bloß – warum »bloß«? – zum Aufschrecken und in der Folge Aufwecken einer Öffentlichkeit. Welcher? Derjenigen welcher.

Seltsam dabei: mir wurde, während ich so mich, den »Rächer«, in Gestalt der Ruhe in Person und der Instanz über sämtlichen sonstigen Instanzen im Spiegel betrachtete und wohl eine Stunde lang förmlich einstudierte, insbesondere das Augenpaar, von dem kaum einmal ein Wimpernzucken kam, zugleich zunehmend das Herz schwer und tat mir dann, weg vom Spiegel, weg von Haus und Gartentor, sogar weh.

Mein übliches Reden mit mir selbst war, jeweils gar wortreich, entweder ein nicht allein lautloses, sondern völlig ausdrucksloses und von niemandem – so bildete ich es mir wenigstens ein – bemerktes. Oder ich schrie es, allein im Haus und zugleich – wieder in der Einbildung – allein auf weiter Flur, aus mir heraus, in der Freude, in der Wut, in der Regel wortlos, bloße Schreie, ein jähes Aufschreien. Als Rächer nun aber öffnete, rundete, schürzte, spannte, verzerrte ich den Mund, riß ihn auf, stumm bleibend, in einem deutlichen, wie schon seit jeher, und eben nicht von mir persönlich vorgesehenen Ritual, welches mit der Zeit vor dem Spiegel übergegangen war in eine regelrechte Rhythmik. Und aus solchem Rhythmus waren zuletzt Töne geworden. Aus mir, dem Rächer, war ein Singen gekommen, ein Singsang, ohne Worte, ein bedrohlicher. Und der hatte das Herzweh hervorgerufen. »Schluß mit dem Singen!« schrie ich mein Spiegelbild an. Und es hatte auf der Stelle gehorcht und sein Gesumme abgebrochen, das Herz freilich so doppelt beschwerend. Denn jetzt gab es kein Zurück mehr. »Endlich!« (Wieder geschrien.)

Auf zum Rachefeldzug, zu führen von mir als Einzelperson. Erstmals seit einem Jahrzehnt nahm ich, der ich mich all die Zeit höchstens geduscht hatte, ein Morgenbad, stieg alsdann, ein Bein und ein Arm schön nach dem andern, in den grauschwarzen, im voraus auf dem Bett mitsamt dem von eigener Hand frischgebügelten weißen Hemd säuberlich ausgebreiteten Dior-Anzug; dem Hemd an der rechten Hüftseite eingestickt ein dickschwarzer Schmetterling, den ich einen Fingerbreit oberhalb des Gürtels in das Blickfeld rückte. Die Reisetasche, welche für sich allein mehr wog als das, was drin war, geschultert und aus dem Haus, ohne dieses abzusperren, nach meiner Gewohnheit selbst bei längeren Abwesenheiten.

Dabei war ich doch erst vor drei Tagen nach mehreren Wochen Stromerns durch das nördliche Landesinnere in meinen Stammwohnsitz-Vorort südwestlich von Paris zurückgekehrt. Und zum ersten Mal hatte es mich heimgezogen, mich, der seit dem gar vorzeitigen Ende, wenn nicht jähen Abbruch seiner Kindheit sich vor jeder Art Heimkehr, von jener zu der Geburtsstätte zu schweigen, gescheut, ja den es vor gleichwelchem Heimkommen gegraust hatte – ein Einschnüren im Körper bis in die untersten und letzten Darmausläufer – besonders dort.

Und diese zwei, drei Tage nach meiner, spät, aber doch, erstmals im Leben nicht »glücklichen« (bleib weg von mir, Glück!), vielmehr harmonischen Heimkehr hatten mein Bewußtsein, an Ort und Stelle zu sein, und das ein für alle Male, bekräftigt. Nichts mehr würde meine Ortsansässigkeit wie auch -verbundenheit in Frage stellen. Es war eine Freude am Ort, eine stetige, und solche Ortsfreude nahm die Tage (und Nächte) lang noch zu, und war auch, anders als in den fast drei Jahrzehnten zuvor, nicht mehr beschränkt auf Haus und Garten, hing in keiner Weise ab von den beiden, galt allein und rein dem Ort. »Dem Ort inwiefern? Dem Ort im allgemeinen? Dem Ort im speziellen?« – »Dem Ort.«

Zu meiner ungeahnten Ortsfreude, wenn nicht darüber hinaus Ortsgläubigkeit (oder, wenn ihr wollt, meinem späten Lokalpatriotismus, wie der sonst eher gewissen Kindern zu eigen sein kann) trug auch bei, daß in der Gegend gerade eine der im Lauf der Jahre, nicht bloß in Frankreich, zahlreich gewordenen Ferien deklariert waren, nicht die langen des Sommers, sondern die um Ostern herum, gar nicht so kurz auch sie, verlängert jetzt im fraglichen Jahr meiner Rachegeschichte noch um die Zeitbrücke hin zum Ersten Mai.

So sorgten die Abwesenheiten, solche wie solche, für einen weiten und von Tag zu Tag weiteren, und in Momenten, die für den ganzen Tag standen, gar grenzenlosen Ort. Taglang nicht mehr das jähe Hundedoppel-Gebrüll hinter der Hecke, bei dem mir die Hand, ob sie nun gerade Worte oder Zahlen (auf einem Scheck, einer Steuererklärung) schrieb, wegschnellte und einen Strich, und einen wie dicken!, machte quer über das ganze Papier, Scheckpapier oder sonstwelches. Wenn doch noch ein Hund bellte, dann einer in weiter Ferne, wie am Abend einst auf dem Land, was jetzt auch zu Bewußtheit und Raumgefühl von Heimkehr, oder wenigstens bald bevorstehender, beitrug.

In dieser Zeit waren weniger Leute unterwegs; viel weniger. Es kam vor, daß ich auf den Straßen und dem sonst oft überbevölkerten Bahnhofsplatz vom Morgen bis zum Abend nur zwei, drei Menschen begegnete, und diese waren meist Unbekannte. Aber auch der eine oder andere mir vom Sehen Vertraute ging, stand, saß (vor allem saß er) als Fremder? Als jemand Anderer. Und ob Bekannte oder Unbekannte: regelmäßig grüßten wir einander, und das war einmal ein Grüßen. Oft wurde ich auch nach dem Weg gefragt und wußte immer, wo was war. Oder fast immer. Aber gerade, indem mir einer der Ortswinkel nicht gewärtig war, brachte es mich, und den Andern, auf die Sprünge.

Alle die drei Tage nach meiner Heimkehr keinmal das Rattern der Hubschrauber, welche sonst die Staatsbesuche vom Militärflugplatz auf dem Plateau der Ile-de-France hinab zum Elysée-Palast im Tal der Seine oder zurück transportierten. Keinmal von der Landestelle dort, vom Frühlingswind zu »uns«, so dachte ich unwillkürlich jetzt von mir und meinen Mitansässigen – herübergeweht die Bruchstücke der Trauermusik, mit welcher in der Normalzeit die Särge der in Afrika, Afghanistan oder sonstwo ums Leben gekommenen Soldaten, ausgeladen aus den Staatsflugzeugen auf das Ehrenpodest namens »Tarmac«, im französischen Vaterlande begrüßt zu werden pflegten. Der Himmel, allein in mittlerer Höhe durchkreuzt, durchkurvt, durchflattert, durchflittert (die ersten Schwalben) und durchschossen (ein so anderes Schießen, und überdies nicht das Spätkommen im Jahr der Falken und sonstigen Greifkrallen) von beinah allen möglichen Vögeln, und dazu, wieder eine Abwesenheit, kein sonst Sommer für Sommer allein im leeren Himmel zuhöchst im Zenit kurvenziehender Adler, angesichts dessen ich einmal, an einem lautlosen Hochsommermittag, in der Vorstellung, unten auf dem Erdboden ebenso allein zu sein, über die Gegend hier hinaus, sage und schreibe die Vision hatte, eine eher apokalyptische, und so oder so eine des Grauens: Ich sei, im Visier des Riesenadlers, im letzten noch übrigen Himmelsloch hier auf Erden der letzte Mensch.

Und – um nach solcher Sphärenschau wieder die hiesigen Teerstraßen und Steinpflaster unter den Sohlen zu gewinnen: dazu noch alle die Tage kein vormorgendlicher Mülltonnenkrach, oder kein übliches pausenloses Gerumms-und-Getöse, sondern, wenn Krach, ein sporadischer, jetzt hinter sieben Seitenstraßen, jetzt drei Steinwürfe weg nach dem zweiten Rondell, und jetzt, ein, zwei Halbschlafträume danach, die Tonne vor der Tür des nächsten Nachbarn, ...

Erscheint lt. Verlag 17.2.2020
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Anschluss Österreichs • Aufbruch • Bestseller • Bestseller bücher • Bestsellerliste • buch bestseller • Heldenplatz • Journalismus • Kärntner Landesorden in Gold 2018 • Literaturnobelpreis • Literaturnobelpreis 2019 • Nestroy-Preis 2018 • Nobelpreis • Nobelpreis für Literatur 2019 • Österreich • Paris • Plan • Rache • Rachefeldzug • Rächer • Reise • Reisende • Spiegel-Bestseller-Liste • ST 5141 • ST5141 • suhrkamp taschenbuch 5141 • Welterkundung
ISBN-10 3-518-76616-3 / 3518766163
ISBN-13 978-3-518-76616-3 / 9783518766163
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