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Geschichte der deutschen Wiedervereinigung (eBook)

(Autor)

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2020 | 3. Auflage
128 Seiten
C.H.Beck (Verlag)
978-3-406-75295-7 (ISBN)
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Knapp und präzise führt Andreas Rödder in diesem Band in die Geschichte der deutschen Wiedervereinigung ein. Er schildert den Gang der Ereignisse vom Vorabend der friedlichen Revolution bis zur Einheit durch Beitritt, fragt nach den Herausforderungen, Leistungen und Versäumnissen der Wiedervereinigung und benennt die wichtigsten Akteure. Die ausgewogene Darstellung besticht durch die souveräne Kenntnis der Quellen und die Klarheit ihrer Urteile.

Andreas Rödder ist Professor für Neueste Geschichte am Historischen Institut der Universität Mainz.

I. Vorabend der Revolution


Die deutsche Revolution von 1989/90 verlief in zwei Phasen. Nachdem die friedliche Revolution in der DDR die Herrschaft der SED zu Fall gebracht hatte, radikalisierte sie sich nicht, wie es in Frankreich nach 1789 oder in Russland 1917 der Fall gewesen war. Stattdessen ging sie in die geregelten Bahnen der deutschen Wiedervereinigung über, indem die DDR der Bundesrepublik beitrat und die westdeutsche Ordnung auf die neuen Länder übertragen wurde. Dabei änderten sich im Übergang zwischen diesen beiden Phasen – darin wiederum anderen Revolutionen ähnlich – die treibenden Kräfte und Akteure.

Möglich wurde die deutsche Revolution, weil sich die weltpolitische Situation Ende der achtziger Jahre grundlegend änderte. Auch dies stand in einer historischen Tradition, war doch die deutsche Frage seit ihren Anfängen in den Napoleonischen Kriegen von den internationalen Rahmenbedingungen abhängig gewesen. Erst die politische Kräfteverschiebung in Europa um die Mitte des 19. Jahrhunderts im Gefolge des Krimkriegs hatte die Handlungsspielräume für die Reichsgründung von 1871 eröffnet. Und so wie die deutsche Teilung nach dem Zweiten Weltkrieg aus der Uneinigkeit der Siegermächte resultierte, die sich im Übergang zum Kalten Krieg nicht auf eine gemeinsame Lösung der deutschen Frage einigen konnten, so brachte erst der Zusammenbruch des Ostblocks wieder Bewegung in die deutsche Frage.

1. Das Ende des sowjetischen Imperiums


Das Ende des Ost-West-Konflikts ging auf Veränderungen in Moskau zurück, deren Auswirkungen freilich keineswegs geplant waren. Denn als Michail Gorbatschow am 11. März 1985 zum mächtigsten Mann der östlichen Welt bestimmt wurde, wollte er den Kommunismus retten. Tatsächlich setzte seine Politik aber einen Prozess in Gang, der binnen weniger Jahre den endgültigen Zusammenbruch der sowjetischen Herrschaft auslöste. Der neue Generalsekretär der Kommunistischen Partei war jünger als seine alten und kranken Vorgänger, gebildeter und weltläufiger als die typischen Vertreter der alten Riege, und er sah die schwere ökonomische Krise, in der sich die Sowjetunion befand. Daher verordnete er dem Land Reformen. Ihr Ziel war keineswegs, den Kommunismus abzuschaffen, sondern ihn zu retten und zu verbessern. Gorbatschow war weder ein ideologieentleerter Zyniker noch ein marktwirtschaftlicher Demokrat, sondern ein reformkommunistischer Idealist, dabei ebenso pragmatisch wie sprunghaft und in sich widersprüchlich.

«Perestroika» (Umgestaltung) war der zentrale Begriff der Reformpolitik, die freilich immer wieder unerwartete Folgewirkungen und Weiterungen zeitigte – wie im Falle der Kampagne gegen den Alkoholismus als Hauptverursacher des allgegenwärtigen Schlendrians am Arbeitsplatz. Nachdem die Herstellung und der Verkauf von Alkoholika eingeschränkt worden waren, nahm stattdessen die private Schwarzbrennerei sprunghaft zu, während die Zuckervorräte knapp wurden und das Defizit im Staatshaushalt wegen der ausbleibenden Steuereinnahmen anstieg.

Um Eigenverantwortung und individuelle Leistung zu stärken, wurde eine Flut von Gesetzen zur marktwirtschaftlichen Reform der sozialistischen Wirtschaftsordnung erlassen, die sich allerdings nicht zu einem zusammenhängenden Konzept verbanden. Vielmehr unterhöhlten die Reformmaßnahmen die Grundlagen der zentralen Planwirtschaft und des politischen Systems. Teilweise brach blankes Chaos aus: Versorgungsengpässe und Schwarzmarkt, galoppierende Inflation und Streiks deuteten darauf hin, dass die Reformen eine von Gorbatschow und den Reformern nicht erwartete Eigendynamik gewannen.

Dies blieb nicht auf den wirtschaftlichen Bereich beschränkt, denn anders als in China gingen die ökonomischen Reformen mit einer gesellschaftlich-politischen Öffnung einher. «Glasnost» – die Herstellung von Transparenz, Offenheit und Öffentlichkeit – lief auf Demokratisierungsmaßnahmen hinaus, die das Herrschaftsmonopol der Kommunistischen Partei aufweichten, und erfasste auch das staatlich verordnete Geschichtsbild. Als die Geschichtsdebatte auch auf Lenin und die Anfänge der Sowjetunion übersprang, war die Axt an die Wurzeln der sowjetischen Staatsideologie gelegt. Die Reformen gerieten außer Kontrolle.

Die Reformpolitik brauchte dringend Entlastung. Und überlastet war die Sowjetunion vor allem nach außen. Sie hatte sich im Ost-West-Konflikt mit ihrem militärisch-industriellen Komplex, mit der Herrschaft über ihre Satellitenstaaten in Ostmittel- und Südosteuropa sowie mit dem Krieg in Afghanistan gigantische Kosten aufgeladen, die immer noch weiter zu wachsen drohten.

1988 ordnete Gorbatschow den Rückzug der sowjetischen Truppen aus Afghanistan an. Zugleich setzte er auf Entspannung mit dem Westen; eine abrüstungspolitische Offensive hatte bereits im Dezember 1987 zu einem Abkommen mit den USA über den vollständigen beiderseitigen Abbau der atomaren Mittelstreckenraketen geführt – über deren Stationierung Ost und West keine zehn Jahre zuvor in einen «zweiten Kalten Krieg» (Fred Halliday) geraten waren. Schließlich verkündete Gorbatschow anstelle des unüberbrückbaren Gegensatzes der Ideologien die Vision vom «Haus Europa», in dem verschiedene Systeme unter einem gemeinsamen Dach Platz finden sollten. Vor den Vereinten Nationen in New York sprach er Ende 1988 von einer «Entideologisierung der zwischenstaatlichen Beziehungen», von der «Verbindlichkeit des Prinzips der freien Wahl» und vom Verzicht auf die «Anmaßungen auf unangefochtene Wahrheit» sowie auf Gewalt und Gewaltandrohung.

Dies war nicht weniger als ein epochaler Wandel des Sowjetkommunismus, der seit 1917 den weltrevolutionären Anspruch auf universelle Verbreitung und Gültigkeit erhoben hatte. Von schlechterdings grundstürzender Bedeutung war er vor allem für die ostmittel- und südosteuropäischen Staaten des Warschauer Pakts, denn gerade sie waren auf den sowjetischen Kommunismus im Innern und auf die sowjetische Vormacht nach außen verpflichtet worden. Und für den Fall des Abweichens hatte die Breschnew-Doktrin militärische Intervention angedroht, wie sie in der DDR 1953, in Ungarn 1956 und in der Tschechoslowakei 1968 auch vollzogen worden war.

Nun verkündete Gorbatschow Wahlfreiheit und Gewaltverzicht, und Anfang Juli 1989 beschlossen die Regierungschefs der Warschauer-Pakt-Staaten ganz formell, dass «jedes Volk selbst das Schicksal seines Landes bestimmt und das Recht hat, selbst das gesellschaftspolitische und ökonomische System, die staatliche Ordnung, die es für sich als geeignet betrachtet, zu wählen». Was dies konkret bedeutete, war für die Zeitgenossen freilich weniger klar, als es aus der Rückschau erscheint. Von «Selbstbestimmung» war auch schon früher die Rede gewesen, aber wie sie sich mit dem leninschen Geist vertragen sollte, von dem Gorbatschow ebenfalls sprach, war ebenso wenig klar wie die Antwort auf die Frage, ob sie nur für die kommunistischen Parteien oder für die gesamte Bevölkerung gelten solle. Angesichts der beinahe zwei Generationen währenden Erfahrungen mit der sowjetischen Herrschaft blieb bis weit in den Herbst des Jahres 1989 hinein ein großer Rest an Unsicherheit, wie der Kreml wirklich reagieren würde, wenn die Machtfrage gestellt wurde.

Die Antwort lautete schließlich: praktisch gar nicht, jedenfalls nicht außerhalb der sowjetischen Grenzen. Nachdem seine Reformpolitik den welthistorischen Umbruch erst möglich gemacht hatte, reagierte Gorbatschow in dem Moment, da ihm die Kontrolle über den Prozess entglitt und dieser auf das Gegenteil des Gewollten zusteuerte, mit einer zweiten Entscheidung von historischer Tragweite: dem «spektakulären Nicht-Gebrauch von Gewalt» (Vladislav Zubok). Nun spricht manches dagegen, dass eine militärische Intervention 1989 überhaupt eine realistische Option dargestellt hätte: Sie wäre höchst riskant gewesen, und was hätte Moskau gewinnen wollen? Dennoch war eine Entladung von Gewalt, zumal nach den historischen Erfahrungen und angesichts der gewaltsamen Niederschlagung der chinesischen Opposition im Juni 1989, keineswegs ausgeschlossen – im Gegenteil, der weitgehend friedliche Zusammenbruch des sowjetischen Imperiums war das eigentliche Mirakel von 1989/90.

Gorbatschow war vollauf mit den ständig wachsenden Problemen innerhalb der Sowjetunion beschäftigt, und zugleich mangelte es ihm an einer realistischen Situationsanalyse ebenso wie an einer klaren Perspektive. Sein Berater Anatoli Tschernjajew notierte im Frühjahr 1989: «Er hat keine Vorstellung, wohin wir gehen. Seine Erklärungen über sozialistische Werte, die Ideale des Oktober, die er abzuhaken beginnt, klingen für die Experten wie Ironie. Hinter ihnen –...

Erscheint lt. Verlag 17.2.2020
Reihe/Serie Beck'sche Reihe
Beck'sche Reihe
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Sachbuch/Ratgeber Beruf / Finanzen / Recht / Wirtschaft Geld / Bank / Börse
Reisen Reiseführer Europa
Geschichte Allgemeine Geschichte Zeitgeschichte
Geisteswissenschaften Geschichte Regional- / Ländergeschichte
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung Staat / Verwaltung
Schlagworte 1989 • 1990 • Beitritt • BRD • DDR • Deutsche Geschichte • Deutsche Revolution • Deutschland • Friedliche Revolution • Geschichte • Grundgesetz • Politik • SED • Transformation • Wiedervereinigung
ISBN-10 3-406-75295-0 / 3406752950
ISBN-13 978-3-406-75295-7 / 9783406752957
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