FRANKENSTEINS TODESKABINETT - SECHS ROMANE IN EINEM BAND (eBook)
DLI Seiten
BookRix (Verlag)
978-3-7487-2326-4 (ISBN)
2. DIE BLUTIGE SPUR DES WERWOLFS
Der schwarze Wagen preschte mit mörderischer Geschwindigkeit schlingernd und schleudernd durch die kalte Vollmondnacht. Wer so fuhr, konnte nicht alle fünf Sinne beisammen haben. Saß der Fahrer zum ersten Mal in einem Auto? War er schwer alkoholisiert? Hatte er irgendwelche verbotene Drogen genommen? Eine solche unverantwortliche Raserei konnte nicht lange gut gehen. Und da passierte es auch schon...
Das Fahrzeug streifte mehrere am Straßenrand abgestellte Wagen, überschlug sich krachend und rutschte Funken sprühend etwa hundert Meter weit über den Asphalt.
Ein markerschütterndes Brüllen, Heulen und Jaulen flog durch die Nacht. Und dann... Nichts mehr. Stille... Menschen kamen von allen Seiten gelaufen.
Sie zogen einen bewusstlosen Mann aus dem Wrack. Sein Gesicht war blutverschmiert. Behutsam trugen sie ihn zum Straßenrand. Zwei von ihnen versuchten erste Hilfe zu leisten.
Ein dritter holte sein Handy heraus und rief einen Krankenwagen. Zehn Minuten später war der Schwerverletzte bereits unterwegs zum nächsten Krankenhaus. Keuchend brachten ihn die Sanitäter in die Notaufnahme der Holy-Cross-Klinik.
Dr. Spall, der diensthabende Arzt, eilte ihnen entgegen. »Was ist passiert?«
»Autounfall«, berichtete der Rettungsarzt knapp. »Der Mann hat sehr viel Blut verloren.«
»Keine Sorge, wir füllen ihn schon wieder auf«, sagte Jonathan Spall.
Der Bewusstlose wurde hinter weißen Vorhängen von der fahrbaren Trage auf ein Untersuchungsbett gehoben. Die Rettungsmannschaft zog sich zurück. Dr. Spall bat Schwester Penelope, das Emergency-Team zusammenzutrommeln.
Inzwischen untersuchte er den Mann. »Allmächtiger, den hat es ziemlich schlimm erwischt«, murmelte er.
Ein Krankenpfleger erschien. Jonathan Spall schickte ihn mit einer Blutprobe zur Blutgruppen-Bestimmung ins Labor.
»Machen Sie schnell!«, sagte der diensthabende Arzt. »Jede Sekunde zählt! Sobald feststeht, welche Blutgruppe der Mann hat, kommen Sie mit sechs Blutbeuteln zurück, verstanden?«
»Ja, Dr. Spall.« Der Krankenpfleger eilte davon.
Jonathan Spall wandte sich an Schwester Penelope. »Waschen Sie ihm das Blut vom Gesicht. Ich bin gleich wieder da.« Er ließ sie mit dem Schwerverletzten hinter dem Vorhang kurz allein.
Als sie anfing, sein Gesicht zu säubern, öffnete er die Augen. Sein starrer Blick erschreckte die blonde Krankenschwester. Ein feindseliger Ausdruck kerbte sich in seine Züge.
»Wie heißen Sie?«, fragte Penelope Cook.
Der Mann antwortete nicht.
»Wie ist Ihr Name?«
Er sagte nichts.
»Können Sie nicht sprechen?«
Ein aggressives Knurren drang aus seiner Kehle.
»Sie haben vermutlich starke Schmerzen. Ich bin Schwester Penelope. Sie befinden sich im Holy-Cross-Krankenhaus. Sie hatten einen Autounfall.«
Der Mann wollte sich aufsetzen.
Sie ließ es nicht zu. »Ruhig. Ganz ruhig. Entspannen Sie sich. Wir helfen Ihnen. Es wird alles wieder gut.«
Mit einem jähen Ruck setzte der Mann sich dennoch auf. Penelope konnte es nicht verhindern...
Zur selben Zeit sah im Labor Dr. George Bancroft den Krankenpfleger ärgerlich an. »Sagen Sie mal, wollt ihr mich verarschen, oder was?«
»N-nein«, gab der Angeschnauzte verwirrt zurück. »Wieso?«
»Von wem stammt das Blut?«, fragte Dr. Bancroft.
»Von einem Mann, der soeben eingeliefert wurde. Er hatte einen Autounfall, ist schwer verletzt.«
George Bancroft schüttelte entschieden den Kopf. »Das kann nicht sein.«
»Was kann nicht sein? Dass der Mann schwer verletzt ist?«
»Dass das Blut von ihm stammt«, sagte Dr. Bancroft.
»Wieso nicht?«, wollte der Krankenpfleger gepresst wissen.
»Weil es Tierblut ist!«
*
»Um Himmels willen, bleiben Sie liegen«, beschwor Schwester Penelope den Mann. »Sie stehen unter Schock. Vermutlich spüren Sie deshalb keine Schmerzen. Aber Sie sind schwer verletzt. Wenn Sie aufstehen, könnten Sie tot umfallen.«
Der Mann hörte nicht auf sie. Er stand auf. Und er fiel nicht tot um. Er schien die Absicht zu haben, das Krankenhaus zu verlassen. Penelope Cook stellte sich ihm in den Weg.
Er fegte sie mit einer raschen Armbewegung mühelos zur Seite. Als wäre sie hohl. Sie stürzte, war fassungslos. Wie konnte ein Schwerverletzter so stark sein?
»Dr. Spall!«, schrie sie. »Dr. Spall!« Ihre Stimme überschlug sich.
Der Mann hatte den mit Vorhängen abgegrenzten Untersuchungsbereich verlassen. Schwester Penelope sprang auf. Dr. Spall erschien.
Er schaute auf das leere Untersuchungsbett. »Wo ist der Patient?«
»Weg.«
»Was heißt weg?«
»Er ist aufgestanden und fortgegangen«, antwortete Penelope Cook. »Sind Sie ihm nicht begegnet?«
»Nein.« Jonathan Spall sah sie vorwurfsvoll an. »Mein Gott, Schwester Penelope, wieso haben Sie das zugelassen?«
»Ich habe ihn zurückzuhalten versucht, aber er war zu stark für mich.«
»Zu stark? Das gibt's doch nicht. Der Mann hat fast kein Blut mehr in den Adern...«
»Er ist stark wie ein Bär«, sagte die Krankenschwester zornig. Sie hatte in ihrem ganzen Leben noch nie gelogen, war eine Wahrheitsfanatikerin. Es ärgerte sie, wenn ihr jemand nicht glaubte. »Glauben Sie's oder nicht, Dr. Spall!«, stieß sie beleidigt hervor und wandte sich ab.
Dr. Spall veranlasste, dass der abhanden gekommene Patient im ganzen Haus gesucht wurde. Aber man fand ihn nicht. Es war ihm gelungen, die Holy-Cross-Klinik unbemerkt - durch den Leichenkeller - zu verlassen.
Wieder in Freiheit »trank» er das Licht des Vollmonds. Er saugte den fahlen Schein förmlich in sich auf. Ein triumphierendes Funkeln war in seinen Augen.
Er hatte keine Schmerzen, und der Mondschein verlieh ihm übernatürliche Kräfte. Gleichzeitig veränderte er nach und nach sein Aussehen.
Während er sich von der Klinik absetzte, wurde er allmählich zum Tier. Haare sprossen aus seinen Armen. Sein ganzer Körper überzog sich mit einem dichten Fell.
Sein Mund wurde zur Schnauze, seine Fingernägel verwandelten sich in schwarze Krallen, seine Hände wurden zu Pfoten und er sprang in vollem Lauf über die hohe Backsteinmauer des Friedhofs, der sich - wie praktisch - direkt hinter dem Krankenhaus befand.
Die gespenstische Stille des Gottesackers nahm den gefährlichen Werwolf auf. Geduckt lief er an Gräbern, Grüften und Denkmälern vorbei.
Die schweren Verletzungen, die er beim Unfall erlitten hatte, heilten buchstäblich in Sekundenschnelle. Er wusste mit seiner neuen Kraft noch nicht richtig umzugehen. Sie war während der Autofahrt jäh aus ihm hervorgebrochen.
Die Metamorphose hatte ihn überrascht. Er hatte sie nicht verhindern können und war gezwungen gewesen, das Fahrzeug in Wolfsgestalt zu lenken, was natürlich begreiflicherweise nicht lange gut gehen konnte.
Doch nun fühlte er sich großartig, unvorstellbar stark - und schrecklich hungrig. Er zog die Lefzen hoch. Bleich schimmerten seine langen Reißzähne, die er so bald wie möglich in menschliches Fleisch schlagen wollte.
Er blieb kurz stehen, hob den Kopf und heulte den Mond an. Für Menschen mochte es sich schaurig anhören. Ihm jedoch gefiel es. Das war Musik in seinen spitzen Ohren.
Moses Muldoon, der Friedhofswärter, hörte das Wolfsgeheul. Er wohnte gleich neben dem Haupttor. Mit gerunzelter Stirn legte er die Zeitung beiseite, in der er gelesen hatte.
Langsam stand er auf. Seine alten Knochen schmerzten ihn, doch das hörte zumeist nach wenigen Schritten auf. Mit grimmiger Miene ging er zum Fenster und schaute hinaus. Ein vertrauter Anblick bot sich ihm. Der Friedhof war für ihn nicht - wie für die meisten Menschen - unheimlich.
»Vor den Toten brauchst du dich nicht zu fürchten«, pflegte er zu sagen. »Die sind tot. Die können dir nichts mehr tun. Vor den Lebenden musst du dich in Acht nehmen, denn von denen sind viele ziemlich gefährlich!«
Natürlich hielt er das, was er vernommen hatte, für kein Wolfs-, sondern für Hundegeheul, und Hunde hatten auf »seinem» Friedhof nichts zu suchen.
Ein aggressiver Rottweiler hatte sich mal hierher verirrt und angefangen, die Toten auszubuddeln. Tiefe, hässliche Löcher hatte er in die gepflegten Grabhügel gebuddelt, und als Muldoon ihn verjagen wollte, hatte er ihn angegriffen. Die Bissspuren waren noch immer gut zu sehen.
Seitdem besaß Moses Muldoon eine Schrotflinte. Die holte er jetzt. Weil er sich nicht noch mal von so einem verdammten Köter beißen lassen wollte.
Er lud die Waffe und trat entschlossen aus dem kleinen Friedhofswärterhaus. Sollte ihm der Hund zu nahe kommen, würde er ihm eine Ladung Blei in den Pelz brennen.
Es war keine klare Vollmondnacht. Immer wieder schoben sich dichte Wolkenbänke vor die große helle Scheibe dort oben am tintigen Himmel.
Moses Muldoon strengte seine alten Augen an. Wo trieb sich das verfluchte Biest herum? Er glaubte ganz kurz zwischen zwei hohen Grabsteinen einen schlanken Tierkörper zu sehen.
»Ist 'n besonders großes Exemplar«, murmelte er. »Aber du kannst noch so riesig sein, Kumpel, wenn ich meine doppelläufige Flinte auf dich abfeuere, bist du erledigt.«
Mit schussbereiter Waffe entfernte er sich von seinem Haus. Der Werwolf spielte mit ihm, ohne dass es ihm bewusst wurde. Er zeigte sich mal hier, mal da.
Immer nur einen Lidschlag lang. Dann verschwand er wieder. Raffiniert lockte er sein Opfer in die Tiefe des Friedhofs hinein. Und dann ließ er sich für eine...
Erscheint lt. Verlag | 9.12.2019 |
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Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Horror |
Literatur ► Romane / Erzählungen | |
Schlagworte | Abenteuer • action • Apex-Verlag • Bundle • Dämonen • eBook • E-Book • Geister • Grusel • Heftroman • Horror • Klassiker • klassisch • Monster • Mutationen • Omnisbus • preiswert • Pulp • Pulps • Roman • Romane • Romanpaket • Sammelband • Spannung • Thriller • Übernatürliches • Übersinnliches • Ungeheuer • Unterhaltung |
ISBN-10 | 3-7487-2326-1 / 3748723261 |
ISBN-13 | 978-3-7487-2326-4 / 9783748723264 |
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