Nicht aus der Schweiz? Besuchen Sie lehmanns.de

Der Goldene Pavillon (eBook)

eBook Download: EPUB
2019 | 1. Auflage
336 Seiten
Kein & Aber (Verlag)
978-3-0369-9425-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der Goldene Pavillon -  Yukio Mishima
Systemvoraussetzungen
13,99 inkl. MwSt
(CHF 13,65)
Der eBook-Verkauf erfolgt durch die Lehmanns Media GmbH (Berlin) zum Preis in Euro inkl. MwSt.
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
DER GOLDENE PAVILLON UMFING MICH IN SEINER ABSOLUTHEIT. BESASS ICH IHN, ODER WURDE ICH VON IHM BESESSEN? Der junge Mizoguchi stottert und wird von seinen Altersgenossen gemieden. Er fühlt sich allein, bis er Novize in einem berühmten Tempel in Kyoto wird. Gebannt von der allumfassenden Schönheit des Tempels, entwickelt er eine gefährliche Obsession und steuert unweigerlich auf eine Katastrophe zu.

Yukio Mishima wurde 1925 in Tokio geboren und ist Autor zahlreicher Romane, Dramen, Kurzgeschichten, Essays und Gedichte. Nobelpreisträger Yasunari Kawabata war sein Mentor. Sein Werk überschreitet bis heute inhaltliche und stilistische Grenzen und macht ihn zu einem der wichtigsten japanischen Autoren des 20. Jahrhunderts. Als politisch umstrittene Persönlichkeit wählte Mishima 1970, nach einem gescheiterten Aufruf zur Wiedereinsetzung des japanischen Kaisers, den rituellen Freitod.

Yukio Mishima wurde 1925 in Tokio geboren und ist Autor zahlreicher Romane, Dramen, Kurzgeschichten, Essays und Gedichte. Nobelpreisträger Yasunari Kawabata war sein Mentor. Sein Werk überschreitet bis heute inhaltliche und stilistische Grenzen und macht ihn zu einem der wichtigsten japanischen Autoren des 20. Jahrhunderts. Als politisch umstrittene Persönlichkeit wählte Mishima 1970, nach einem gescheiterten Aufruf zur Wiedereinsetzung des japanischen Kaisers, den rituellen Freitod.

Ursula Gräfe übersetzt aus dem Japanischen, Englischen und Amerikanischen Autoren wie Haruki Murakami, Sayaka Murata, Mohandas Karamchand Gandhi, und Jane Austen.

1


Schon als ich ein kleiner Junge war, hatte mein Vater mir immer wieder vom Goldenen Pavillon erzählt.

Geboren bin ich auf einer einsamen Landzunge, die nordöstlich der Stadt Maizuru ins Japanische Meer ragte. Allerdings stammte mein Vater nicht von dort, sondern aus Shiraku, einem Vorort im Osten von Maizuru. Auf Drängen seiner Familie trat er in den geistlichen Stand, worauf er eine Stelle als Hauptpriester in einem entlegenen Tempel auf dem Kap Nariu erhielt. Dort heiratete er und bekam einen Sohn, nämlich mich.

Im näheren Umkreis des Tempels befand sich keine geeignete Mittelschule. Also schickte man mich von zu Hause fort und übergab mich im Heimatort meines Vaters der Obhut eines Onkels. Dort besuchte ich Tag für Tag die Mittelschule Maizuru Ost.

Das Dorf meines Vaters lag in einer hellen sonnigen Gegend. Doch im November und Dezember gingen, auch wenn der Himmel noch so klar und wolkenlos schien, bis zu fünf Regenschauer am Tag hernieder. Mitunter frage ich mich, ob mein unstetes Gemüt sich nicht vielleicht dort herausgebildet hat.

Wenn ich an schönen Abenden im Mai aus der Schule kam, betrachtete ich aus meinem Studierzimmer im ersten Stock die gegenüberliegenden Hügel. Der Widerschein der sinkenden Sonne auf dem frischen Grün der Hänge erweckte in mir den Eindruck eines goldenen Wandschirms in den Feldern.

Dieser Anblick rief mir stets den Goldenen Pavillon vor Augen.

Obwohl ich mir hin und wieder Fotos und Schulbuchabbildungen des echten Goldenen Pavillons – des Kinkaku – ansah, überwog in mir das Bild, das ich mir aus den Erzählungen meines Vaters gemacht hatte. Auch wenn er, glaube ich, nie vom goldenen Glanz des Pavillons gesprochen hatte, so gab es ihm zufolge jedoch nichts Schöneres auf Erden, und allein beim Anblick der Schriftzeichen –  – und beim Klang des Wortes Kinkaku malte ich mir etwas ganz Unerhörtes aus.

Die in der Ferne im Sonnenschein leuchtenden Felder erschienen mir wie ein Abglanz des Goldenen Pavillons, den ich in Wirklichkeit noch nie gesehen hatte. Im Osten des Dorfes markierte der Yoshizaka-Pass die Grenze zwischen den Präfekturen Fukui und Kyoto. Und obwohl die Stadt Kyoto ja eigentlich in entgegengesetzter Richtung lag, sah ich, wenn über dem Pass die Sonne aufging, dort den Goldenen Pavillon in den Morgenhimmel ragen.

So erschien mir der Kinkaku überall. Doch da er ja nicht wirklich zu sehen war, bestand für mich außerdem eine gewisse Ähnlichkeit zwischen ihm und dem Meer. Denn obgleich die Bucht von Maizuru kaum fünf Kilometer westlich von Shiraku lag, verdeckten die Berge die Sicht auf die See, von der dennoch stets eine Ahnung in der Luft lag. Bisweilen trug der Wind ihren Geruch zu uns herüber, und bei Sturm suchten Scharen von Möwen in den Feldern Schutz.

Ich war ein schwächliches Kind und den anderen Jungen nicht nur im Wettlauf oder am Reck unterlegen, auch stotterte ich, seit ich denken konnte, wodurch meine Hemmungen beständig wuchsen. Außerdem wussten alle, dass ich aus einem Tempelhaushalt stammte, und die besonders Boshaften verhöhnten mich, indem sie einen rezitierenden Mönch nachäfften, der Sutren hervorstotterte. Außerdem gab es in unserem Lesebuch eine Geschichte über einen stotternden Polizeispitzel aus der Edo-Zeit, und auch hier bot es sich an, mir diese Stellen immer wieder mutwillig laut vorzulesen.

Unnötig zu erwähnen, dass mein Stottern eine Barriere zwischen mir und meiner Außenwelt darstellte. Es war der erste Laut, den ich nie richtig herausbrachte. Dieser erste Laut war wie das Schloss an der Tür zwischen meinem Inneren und dem Außen, und nie ließ es sich reibungslos öffnen. Die meisten Menschen geboten frei über ihre Rede, wodurch die Tür zwischen Innen- und Außenwelt stets angelehnt blieb und ein ständiger Luftzug hindurchstrich, aber bei mir war das partout nicht möglich. Das Schloss an meiner Tür war verrostet.

Das Gestotter, mit dem ich verzweifelt versuchte, mich vom zähen Leim meiner inneren Welt zu lösen, um den ersten Laut hervorzubringen, glich dem Flattern eines gefangenen Singvogels. Und hatte ich ihn endlich hervorgestoßen, diesen Laut, war es zu spät. Oftmals stellte ich mir vor, wie die äußere Wirklichkeit, die Hände in den Schoß gelegt, wartete, während ich mich abzappelte. Doch eine Wirklichkeit, die allzu lange warten musste, war nicht mehr frisch. Kaum war ich mühsam in ihr angekommen, war sie bereits verblichen oder hatte sich verschoben, war nur noch ein Abklatsch, der jeder Unmittelbarkeit entbehrte und einen ranzigen Geruch ausdünstete, gerade so, wie es zu mir passte.

Man kann sich leicht vorstellen, dass ein Junge wie ich einem zwiespältigen Machtwillen frönte. Ich liebte Darstellungen von historischen Tyrannen. Wäre ich ein stotternder, stummer Tyrann, würden meine Untertanen furchtsam jede Regung in meinem Gesicht verfolgen und von morgens bis abends in Angst und Schrecken vor mir leben. Ich hätte es nicht nötig, meine Grausamkeit in flüssigen geschliffenen Worten zu verteidigen. Jede Brutalität war gerechtfertigt, ohne dass ich etwas sagen musste. So ergötzte ich mich an Fantasien von der Hinrichtung meiner Lehrer und Mitschüler, die mich tagtäglich verhöhnten. Zugleich jedoch träumte ich davon, ein genialer, von friedvollen Visionen erfüllter Künstler zu sein, der über tiefe innere Einsichten verfügte. Mochte meine äußere Erscheinung noch so armselig sein, meine innere Welt war reicher als die aller anderen. War es ein Wunder, dass ein mit diesem unauslöschlichen Makel behafteter Junge sich insgeheim für auserwählt hielt? Irgendwo auf der Welt wartete eine unbekannte Mission auf mich, das spürte ich.

Folgende Episode ist mir im Gedächtnis geblieben.

Die neuen hellen Gebäude der Mittelschule Maizuru Ost lagen auf einem weitläufigen Gelände inmitten schöner Hügel. An einem Tag im Mai stattete ein ehemaliger Schüler, inzwischen Student an der Ingenieurschule der Kriegsmarine, uns in seinem Urlaub einen Besuch ab.

Er war sonnengebräunt, und unter seiner tief ins Gesicht gezogenen Mütze ragte eine markante Nase hervor. Überhaupt entsprach er von Kopf bis Fuß dem Bild eines jungen Helden. Er baute sich vor den Jüngeren auf, um ihnen von seinem harten, strengen Vorschriften unterworfenen Leben zu berichten. Allerdings schilderte er dieses vermeintlich karge Dasein in einem Ton, als sei es der reine Luxus und er lebe in Saus und Braus. Jede seiner Gesten war großspurig, aber er verstand es auch, eine gewisse jugendliche Bescheidenheit zu seinen Gunsten in die Waagschale zu werfen. In der mit Litzen verzierten Uniform und mit seiner herausgestreckten Brust wirkte er schneidig wie eine Galionsfigur im Sturm auf hoher See.

Er saß auf einer der Stufen der kurzen Kalktufftreppe, die zum Sportplatz hinunterführte, umringt von ein paar ihm begeistert lauschenden Schülern. Über ihnen schwankten die üppigen weißen Blüten einer Magnolie, und auf den Beeten an der Böschung blühten Tulpen, Wicken, Anemonen und Mohnblumen.

Ich, dem Erzähler und Zuhörer reglos wie Statuen erschienen, saß etwa zwei Meter entfernt allein auf einer Bank am Sportplatz. Dies war meine Art der Achtung. Der Achtung vor den Blumen, der stolzgeschwellten uniformierten Brust und dem hellen Gelächter.

Inzwischen schenkte der junge Held mir größere Aufmerksamkeit als seinen Bewunderern. Offenbar war ich der Einzige, der sich seiner Herrlichkeit nicht beugte, und dieser Gedanke verletzte seinen Stolz. Er fragte die anderen nach meinem Namen.

»He, du, Mizoguchi, komm rüber«, rief er gleich darauf, obwohl er mich ja gar nicht kannte. Schweigend starrte ich ihn an. Die Art, in der er mir zulachte, hatte etwas von der Gefallsucht eines Mächtigen.

»He, gib Antwort! Bist wohl stumm, du Wicht?«

»Er st… st…stottert«, antwortete einer der Bewunderer an meiner Stelle, und alle brachen in Hohngelächter aus, das immer etwas Grelles hat. Das grausame Lachen meiner Schulkameraden, so typisch für ihr Alter, blendete mich wie in gleißender Sonne flirrendes Laub.

»Soso, du stotterst also. Dann geh doch auf die Marineschule. Dort prügeln sie dir die Stotterei in einem Tag aus dem Leib.«

Ich weiß nicht, wie, aber ich antwortete prompt und zudem verständlich. Ungehindert und ohne Willensanstrengung flossen die Worte aus meinem Mund.

»Nein, das mache ich nicht. Ich werde Mönch.«

Alle verstummten. Der junge Held bückte sich, pflückte einen Grashalm und steckte sich ihn in den Mund.

»Aha. Dann gebe ich dir in ein paar Jahren bestimmt was zu tun.«

Der Pazifikkrieg hatte damals bereits begonnen.

In diesem Moment erwachte so etwas wie eine Selbsterkenntnis in mir. Mir wurde bewusst, dass ich mit ausgebreiteten Armen in einer dunklen Welt stand und wartete. Wartete, dass irgendwann die Blumen, die Uniform und meine boshaften Schulkameraden in meinen offenen Armen landen würden. Dass ich mit meiner Erkenntnis die Welt zu packen und aus den Angeln zu reißen vermochte. Doch sie machte mich nicht stolz, diese Erkenntnis, dazu war sie zu gewichtig.

Etwas, das mich stolz machen würde, musste leichter, heller, sichtbarer und strahlender sein. Es sollte allen deutlich ins Auge fallen. So etwas wie das Schwert an der Seite des Helden wäre genau das Richtige.

Dieses von sämtlichen Mittelschülern begehrte Schwert war wirklich eine Zierde. Es hieß, die Kadetten auf der Marineschule würden ihre Schwerter heimlich zum Bleistiftspitzen benutzen. Was konnte schneidiger sein, als ein so erhabenes Symbol für eine derart alltägliche Verrichtung zu verwenden!

Unversehens hatte der junge Held sich seiner...

Erscheint lt. Verlag 18.12.2019
Übersetzer Ursula Gräfe
Sprache deutsch
Original-Titel Kinkakuji
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Ästhetik • Brand • Brandstifter • Buddhismus • Japan • Kinkaku-ji • Literatur • Mönch • Obsession • Radikalisierung • Sehnsucht • Tempel • Traditionen
ISBN-10 3-0369-9425-4 / 3036994254
ISBN-13 978-3-0369-9425-3 / 9783036994253
Informationen gemäß Produktsicherheitsverordnung (GPSR)
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 2,7 MB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Roman

von T.C. Boyle

eBook Download (2023)
Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
CHF 20,50