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Der lange Nachmittag der Erde (eBook)

Meisterwerke der Science Fiction - Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2021
432 Seiten
Heyne Verlag
978-3-641-25043-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der lange Nachmittag der Erde - Brian W. Aldiss
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In ferner Zukunft hat die Erde aufgehört, sich zu drehen
Millionen Jahre in der Zukunft: Die Sonne ist auf das Hundertfache ihrer Größe angewachsen. Erde und Mond drehen sich nicht mehr und haben sich einander bis auf wenige Tausend Kilometer angenähert. Im immerwährenden Sonnenlicht der Tagseite hat sich ein gewaltiger Dschungel aus fleischfressenden Pflanzen entwickelt. Was auf der in ewige Dunkelheit getauchten Nachtseite ist, weiß niemand. Dies ist die Geschichte von Gren, der sich mit seiner Gefährtin aufmacht, dieses Rätsel zu lösen - und sich auf seiner Reise unzähligen Gefahren stellen muss ...

Brian Wilson Aldiss, OBE, wurde am 18. August 1925 in East Dereham, England, geboren. Nach seiner Ausbildung leistete er ab 1943 seinen Wehrdienst in Indien und Burma, und nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs blieb er bis 1947 auf Sumatra, ehe er nach England zurückkehrte, wo er zunächst als Buchhändler arbeitete. Dort begann er mit dem Schreiben von Kurzgeschichten, anfangs noch unter Pseudonym. Seinen Durchbruch hatte er mit »Fahrt ohne Ende«, einem Roman über ein Generationenraumschiff. Zu seinen bekanntesten Werken gehören »Der lange Nachmittag der Erde«, für das er 1962 mit dem Hugo Award ausgezeichnet wurde, und die »Helliconia«-Saga, mit der er den BSFA, den John W. Campbell Memorial Award und den Kurd Laßwitz Preis gewann. Brian Aldiss starb am 19. August 2017 im Alter von 92 Jahren in Oxford.

1

Alles gehorchte einem unabdingbaren Gesetz und wuchs, wucherte zügellos und verstörend in seinem Wachstumsdrang.

Wärme, Licht, Feuchtigkeit – diese Größen blieben konstant, und das schon seit … doch niemand wusste, seit wann. Niemanden interessierten mehr große Fragen, die mit »Seit wann …?« oder »Warum …?« anfangen. Für den Verstand war hier kein Raum mehr. Für Wachstum, für Pflanzen war Raum. Wie in einem Treibhaus.

Im grünen Licht gingen einige Kinder spielen. Wachsam gegenüber Feinden liefen sie einen Ast entlang und riefen einander nur leise. Auf der einen Seite schob sich gerade eine schnell wachsende Huschbeere nach oben, deren klebrige purpurrote Beerenmasse glitzerte. Sie wollte sich eindeutig aussäen und stellte für die Kinder keine Gefahr dar. Sie wuselten an ihr vorbei. Außerhalb des Gruppenstreifens war während ihrer letzten Schlafperiode etwas Nesselmoos emporgeschossen. Es regte sich, als die Kinder näher kamen.

»Tötet es«, sagte Toy schlicht. Sie führte die Kinder der Gruppe an. Sie war zehn, sie hatte zehn Fruchtzeiten des Feigenbaums durchlebt. Die anderen gehorchten ihr, sogar Gren. Sie zogen ihre Stöcke, die sie in Nachahmung der Erwachsenen trugen, und kratzten das Nesselmoos damit. Sie kratzten und sie schlugen es. Immer aufgeregter hieben sie auf die Pflanze ein und zerquetschten ihre giftigen Spitzen.

Clat stürzte in ihrer Aufregung nach vorn. Sie war erst fünf, das jüngste Kind der Gruppe. Ihre Hände landeten mitten in dem giftigen Brei. Sie schrie laut auf und rollte sich zur Seite weg. Die anderen Kinder schrien ebenfalls auf, doch sie wagten sich nicht in das Nesselmoos, um Clat zu retten.

Die Kleine beeilte sich wegzukommen und schrie erneut auf. Ihre Finger krallten nach der rauen Borke – dann fiel sie sich überschlagend vom Ast hinunter.

Die Kinder sahen, wie sie ein ganzes Stück weiter unten auf einem großen, ausladenden Blatt landete, sich daran festklammerte und zitternd auf dem wogenden Grün lag. Sie hatte Angst zu rufen und sah angstvoll zu ihnen nach oben.

»Hol Lily-Yo«, sagte Toy zu Gren. Gren rannte den Ast entlang zurück, um Lily-Yo zu holen. Mit einem zornigen Brummen stürzte sich eine Tigerfliege aus der Luft auf ihn. Er schlug sie mit der Hand beiseite, ohne innezuhalten. Er war neun, ein seltenes Mannkind, schon sehr mutig und flink und stolz. Geschwind lief er zur Hütte der Chefin.

Unter dem Ast hingen achtzehn große Schlupfnüsse. Sie waren ausgehöhlt und mit dem Bindemittel, das die Gruppe aus Essigholz destillierte, an der Astunterseite befestigt. Hier wohnten ihre achtzehn Mitglieder, eines in jeder Schlupfnuss, die Chefin, ihre fünf Frauen, ihr Mann und die elf überlebenden Kinder.

Als sie Grens Rufen hörte, kam Lily-Yo aus ihrem Schlupf, kletterte eine Liane hinauf und trat zu ihm auf den Ast.

»Clat ist runtergefallen!«, rief Gren.

Lily-Yo trommelte mit ihrem Stock kräftig auf den Ast, dann lief sie mit dem Kind los.

Ihr Signal rief die anderen sechs Erwachsenen heraus, die Frauen Flor, Daphe, Hy Ivin und Jury sowie den Mann Haris. Sie eilten aus ihren Schlupfnüssen und zogen die Waffen, bereit zum Angriff oder zur Flucht.

Im Rennen pfiff Lily-Yo einen schrillen Mehrklang.

Sofort erschien aus dem dichten Laub ein Schwirrschirm und flog zu ihrer Schulter. Der flauschige Schirm rotierte und navigierte mit seinen einzelnen Speichen. Er passte seinen Flug Lily-Yos Bewegung an.

Kinder und Erwachsene sammelten sich um die Chefin, während sie zu Clat hinuntersah, die immer noch ein ganzes Stück weiter unten auf ihrem Blatt lag.

»Still liegen bleiben, Clat! Nicht bewegen!«, rief Lily-Yo. »Ich komme zu dir.« Clat gehorchte dieser Stimme trotz ihrer Angst und ihrer Schmerzen und starrte hoffnungsvoll zu dem Quell der Hoffnung nach oben.

Lily-Yo stieg rittlings auf den hakenförmigen Fuß des Schwirrschirms und pfiff leise zu ihm. Sie beherrschte als Einzige der Gruppe das Lenken der Schirme. Das waren die halb intelligenten Früchte der Pfeifdistel. Die Spitzen ihrer gefiederten Speichen trugen Samen von seltsamer Form; sie sahen aus wie Ohren, denen jeder Wind, jede leichte Brise von Vorteilen für ihre Verbreitung flüsterte. Menschen konnten diese kruden Ohren nach langen Jahren der Übung für ihre eigenen Zwecke benutzen, wie es Lily-Yo gerade tat.

Der Schirm trug sie abwärts, damit sie das hilflose Kind retten konnte. Clat lag auf dem Rücken und schaute mit stiller Hoffnung zu, wie sie kamen. Sie sah immer noch nach oben, als sich ringsum grüne Zähne durch das Blatt schoben.

»Spring, Clat!«, rief Lily-Yo.

Dem Kind blieb noch Zeit, auf die Knie zu kommen. Raubpflanzen sind nicht so schnell wie Menschen. Dann schnappten die grünen Zähne um ihre Taille zu.

Unten hatte ein Klappschnapper durch die eine Blattschicht seine Beute erspürt und sich herangeschoben. Beim Klappschnapper handelte es sich um eine Art verhornte Truhe, die aus zwei Kiefern mit vielen langen Zähnen bestand. Er wurde von einem sehr muskulösen Stängel getragen, der dicker als ein Mensch war und an einen Hals erinnerte. Nun bog der Stängel sich und trug Clat zum eigentlichen Maul hinunter, da die übrige Pflanze weit unten auf dem nicht sichtbaren Waldboden in Dunkelheit und Moder lebte.

Pfeifend dirigierte Lily-Yo den Schwirrschirm zum heimatlichen Ast zurück. Für Clat konnte niemand mehr etwas tun. So war es eben.

Schon zerstreute sich die übrige Gruppe. Auf einem Haufen zu stehen forderte Ärger heraus, Ärger mit den unzähligen Feinden im Wald. Außerdem war Clats Tod nicht der erste, den sie miterlebten.

Lily-Yos Gruppe hatte einmal aus sieben Unterfrauen und zwei Männern bestanden. Zwei Frauen und ein Mann waren ans Grün gefallen. Die acht Frauen hatten insgesamt zweiundzwanzig Kinder zur Welt gebracht, von denen fünf Mannkinder gewesen waren. Kinder starben häufig. Nun, mit Clat, waren über die Hälfte der Kinder ans Grün gefallen. Das war eine bestürzend hohe Sterberate, und Lily-Yo gab sich als Chefin die Schuld dafür. Im Geäst lauerten viele Gefahren, doch sie waren bekannt, und man konnte sich dagegen schützen. Umso mehr Vorwürfe machte Lily-Yo sich, weil nur noch drei Mannkinder übrig waren, Gren, Poas und Veggy. Und sie hatte das unbestimmte Gefühl, dass Gren noch Ärger machen würde.

Lily-Yo ging im grünen Licht den Ast entlang zurück. Der Schwirrschirm trieb unbeachtet von ihr weg, gehorchte der stillen Anweisung der Waldluft und lauschte auf Nachricht von einer Stelle für den Anflug. Noch nie war die Welt so übervölkert gewesen. Es gab keine freien Stellen zum Keimen mehr. Manchmal trieben die Schwirrschirme für Jahrhunderte durch die Dschungel und warteten darauf, dass sie niedergehen konnten, ein Sinnbild pflanzlicher Einsamkeit.

Als Lily-Yo den Schlupf erreichte, ließ sie sich an der Ranke hinunter und hinein. Dies war Clats Schlupf gewesen. Die Chefin passte kaum hindurch, so klein war die Tür. Menschen machten ihre Zugänge so schmal wie möglich und vergrößerten sie nur, wenn sie wuchsen. Es half, ungebetenen Besuch draußen zu halten.

Clats Schlupf war sauber und ordentlich. In die weichen Fasern der Innenseite war ein Bett geschnitzt; hier hatte die Fünfjährige geschlafen, wenn ihr im unveränderlichen Waldgrün nach Schlafen zumute gewesen war. Auf der Pritsche lag Clats Seele. Lily-Yo hob sie auf und steckte sie in ihren Gürtel.

Sie kletterte hinaus auf die Ranke, nahm ihr Messer und hieb auf die Stelle ein, wo die Rinde des Baums entfernt und der Schlupf am lebendigen Holz befestigt worden war. Nach einigen Hieben gab das Bindemittel nach. Clats Behausung neigte sich, hing noch einen Moment lang da und stürzte hinab.

Als sie zwischen den riesigen derben Blättern verschwand, raschelte es im Blattwerk. Irgendetwas kämpfte um das Privileg, den großen Bissen zu verschlingen.

Lily-Yo kletterte zurück auf den Ast. Einen Moment lang stand sie da und verschnaufte. Das Atmen fiel ihr schwerer als früher. Sie war auf zu viele Jagden gegangen, hatte zu viele Kinder geboren, zu viele Kämpfe ausgefochten. Mit einem seltenen und flüchtigen Bewusstsein ihrer selbst sah sie auf ihre nackten grünen Brüste hinab. Sie waren nicht mehr so prall wie beim ersten Mal, als sie den Mann Haris zu sich genommen hatte; sie hingen tiefer. Ihre Form war weniger schön.

Instinktiv wusste sie, dass ihre Jugend vorbei war und dass es Zeit wurde hinaufzufahren.

Die Gruppe stand bei der Mulde und wartete auf sie. Sie lief zu ihnen, äußerlich so aktiv wie immer, doch ihr Herz fühlte sich tot an. Die Mulde war wie eine umgedrehte Achselhöhle und hatte sich dort gebildet, wo der Ast aus dem Stamm wuchs. In der Mulde sammelte sich Wasser.

Die Gruppe sah zu, wie eine Kolonne Termiezen den Stamm hinaufkletterte. Ab und zu signalisierte eine Termieze den Menschen einen Gruß. Die Menschen winkten zurück. Wenn sie überhaupt noch Verbündete besaßen, dann waren es die Termiezen. Nur fünf große Familien hielten im wuchernden grünen Leben noch durch; die Tigerfliegen, die Baumbienen sowie die Gärtnerameisen und die Termiezen als mächtige und unsichtbare staatenbildende Insekten. Die fünfte Familie war die der Menschen, klein, bescheiden und leicht zu töten, nicht so organisiert wie die Insekten und trotzdem nicht ausgestorben, die letzte Säugetierspezies in der alles erobernden Pflanzenwelt.

Lily-Yo trat zu der Gruppe. Sie sah die wandernde Kolonne der Termiezen entlang bis zu der Stelle, wo sie zwischen den grünen Schichten verschwand. Die Termiezen konnten auf jeder Etage des...

Erscheint lt. Verlag 8.2.2021
Übersetzer Frank Böhmert
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel The Long Afternoon of Earth
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Science Fiction
Schlagworte climate fiction • Die sterbende Erde • diezukunft.de • Dschungel • Dying Earth • eBooks • Ferne Zukunft • Meisterwerke der Science-Fiction • Mond • Ökologie
ISBN-10 3-641-25043-9 / 3641250439
ISBN-13 978-3-641-25043-0 / 9783641250430
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