"In den Ferien fahren wir in die Bredouille" (eBook)
256 Seiten
Goldmann Verlag
978-3-641-24984-7 (ISBN)
»Nices Buch! Aber muss echt meine Pubertät darin ausgebreitet werden? Uncool, Lämpel, uncool.« Carl, 10b
»Den Graffiti-Vandalismus so zu verherrlichen finde ich sehr bedenklich. Das könnte dem Ruf unserer Schule schaden.« Beate Pfaif-Böhring, Stellvertretende Schulleiterin
»10 von 10 Punkten!« Tobias Eilers, Sportlehrer
»Ein Buch über unsere Schule? Mir egal, lese eh nur Kicker. Aber das Ding passt super unter das Wackelpult in Raum 024.« Günther Dombrowski, Hausmeister
Maximilian Lämpel ist Lehrer an einem Berliner Gymnasium. Auf der beliebten Facebook-Seite »Geheime Notizen eines Lehrers« erzählt er aus dem Schulalltag und gibt genauso spannende wie unterhaltsame Einblicke in den Kosmos Schule sowie die Gesprächsthemen von Kindern, Eltern und Lehrern.
AUFRUHR
WER DAS LIESST IST DOOF. Äh, wie bitte? Ja, steht da so, ein mit roter Farbe gesprühtes Riesen-Graffiti an der ehemals unschuldig weißen Wand im Foyer des Harry-Graf-Kessler-Gymnasiums in Berlin. Meiner Schule. Es ist Montagmorgen, die erste Stunde beginnt in fünfzehn Minuten, und jetzt stehe ich hier mit Lieblingskollege Eilers, und wir wundern uns. Er fragt mich, ob es nicht ganz lustig wäre, wenn er das jetzt lehrermäßig korrigieren würde.
Wir lassen das mal, haben es schließlich eilig und keine Sprühdose dabei, nicht mal einen Rotstift. Ein paar Treppenstufen später stehen wir im Lehrerzimmer, und hier ist gerade richtig was los, die Luft brennt. An zwei Tischen an der Fensterseite, wo vor allem die älteren Kollegen sitzen, herrscht aufgeregte Hühnerhaufenstimmung: überall tiefe Stirnfalten, zornige Blicke und beißender Empörungsfuror. Auch an den anderen Tischen im Zimmer dominieren traurige Ratlosigkeit und fassungsloses Raunen: GRAFFITI! UN!ER!HÖRT!
Es gibt aber auch vereinzelte Kollegen, die ganz entspannt bleiben. Und die anwesenden Referendare scheinen sowieso irritiert und ein bisschen gleichgültig – ist doch alles nicht so schlimm, oder?
Während ich mich frage, wer das wie gemacht haben könnte, höre ich, wie sich zwei Kollegen am Fenstertisch in Rage reden und sich dabei aufplustern wie zwei Gockel, die zeigen wollen, dass sie hier die Chefs auf dem Misthaufen sind. Sind sie zwar nicht, aber sie fordern trotzdem Konsequenzen: Vandalismus könne nicht geduldet werden, und ist das nicht sogar ein Straftatbestand? Die Empörungsmaschinerie nimmt weiter Fahrt auf. Wenn jetzt eine Mistgabel in der Ecke stünde, würde vermutlich einer der beiden danach greifen.
Und wo es um Empörung geht, darf Frau Pfaif-Böhring nicht fehlen, die jetzt stampfend und schnaufend hereinstürmt. Frau Pfaif-Böhring ist nicht nur Empörungsexpertin, sondern in Personalunion auch unsere stellvertretende Schulleiterin, und im Schnaufen und Stampfen ist sie richtig gut. Außerdem ist sie in allem richtig gut, was irgendwie mit ihrer Leitungsfunktion zu tun hat. Sie schmeißt den Laden und wirkt dabei so burschikos und emsig wie Frau Kramp-Karrenbauer, an der sie sich auch in Kleidungs-, Frisur- und Brillenfragen (und auch hinsichtlich des Doppelnamens) zu orientieren scheint. Keine Ahnung, ob das Absicht oder Zufall ist. Jedenfalls ist sie nun in ihrem Element, das hier ist schließlich ihre Paradedisziplin. »Auch noch falsch geschrieben!«, echauffiert sie sich, offenbar ernsthaft erbost, und sie versichere hiermit dem Kollegium, dieser Vorfall werde Konsequenzen nach sich ziehen. Man werde den Täter finden. Sie sagt echt »Täter«, und zum Glück sind Eilers und ich nicht die Einzigen, die schmunzeln müssen. Gerade als Eilers mich augenzwinkernd fragt, warum sie nicht von einer möglichen Täterin spreche, man müsse da schon korrekt sein, schimpft sie weiter. Soeben habe sie außerdem unseren Hausmeister Dombrowski beauftragt, diese Schmiererei schleunigst zu übermalen, bevor etwas nach außen dringe und der Ruf unserer Schule womöglich Schaden nehme.
Weil hier jeder weiß, dass Dombrowski zweifelhafte Vorstellungen von Arbeitsmoral und vor allem -tempo hat und sich eher für Kaffeepausen und Alkohol interessiert (böse Zungen sagen: in Kombination), wird hier so schnell nichts übermalt, mir bleibt also noch Zeit, später ein Foto zu machen.
Nach der achten Stunde stehen Eilers und ich dann wieder davor, dieses Mal mit aufnahmebereitem Smartphone. Alle Achtung, das ist mindestens zwei Meter breit, da hat sich jemand richtig ins Zeug gelegt. Graffitis aller Art und Größe gehören zur Schulumgebung, die halbe Straße ist beschrieben, bemalt und beschmiert, das Schulgebäude auch, aber bisher eben nur von außen. Als ich den Auslöser drücke, sehe ich, dass da ein Scherzkeks mit Bleistift Anführungszeichen ergänzt und, ganz klein nur, »Pfaif-Böhring« drunter geschrieben hat, so als handle es sich um ein Zitat. Ich mache Eilers darauf aufmerksam, wir grinsen erst und lachen dann, bis sich jemand hinter uns räuspert. Da steht zornesrot – Frau Pfaif-Böhring. Na prima, ausgerechnet meine Endgegnerin. Vermutlich bekomme ich jetzt für morgen Vertretung aufgedrückt, schließlich ist die Verteilung von Arbeitsstrafen in Form von Vertretungsstunden die Waffe ihres Amtes.
Am nächsten Tag spontan Vertretung in der 5a. Liegt bestimmt am hohen Krankenstand gerade, nicht am gestrigen Vorfall.
Leider muss ich zugeben, dass ich nicht gern in den fünften Klassen unterrichte. Die kleinen Chaoten sind mir viel zu zappelig und anarchisch, und das, was die da lernen, ist oft so banal, dass ich nicht viel Interesse dafür aufbringen kann. Und dann noch ständig erklären, wie man Schuhe bindet? Hausaufgabenhefte prüfen und verlorene Turnbeutel suchen? Mich nervt das Wort »Turnbeutel« ja schon, es klingt so altbacken und weckt in mir nostalgische, aber abgestandene Gefühle. Ist ein bisschen so wie beim Hören von alten Hits von Oasis oder den Spice Girls – schöne, fast warme Erinnerungen, aber wenn man jetzt täglich damit zu tun hätte: Nein, danke.
Heute regnet es, ich komme mit Schirm in den Klassenraum und stelle ihn in die Ecke. Dort bleibt er aber nur kurz, weil Murat ihn sich wie so ein kleiner Grundschulgangster schnappt und rumschleudert. Seine Mitschüler werden nass, das findet er richtig lustig, die anderen eher nicht so. Schon vor der ersten Stunde also tumultartige Szenen.
Nach dieser Doppelstunde in der 5a bin ich jedenfalls platt.
Als ich später in der großen Pause noch mal zurück ins Klassenzimmer der 5a gehe, weil ich wie immer den Schirm vergessen habe, höre ich eine verzweifelte Piepsstimme rufen: »Hilfe! Hiiilfeeee!« Ich schaue in den Raum, und da steht ein sich windender Knirps. Er ist allein und hat sich in seiner Jacke verheddert. Es ist Murat, der Schirmschleuderer, wie ich nur erahnen kann. Er hat sich wohl die Jacke über den Kopf gestülpt, aber irgendwas ist schiefgelaufen. Er werkelt offenbar schon eine Weile da rum, und jetzt hat er die Nerven verloren. Ich helfe ihm raus, der Reißverschluss ist kaputt, und während er ganz erschöpft, mit einer Mischung aus Erleichterung und Entrüstung seine Jacke betrachtet, die neben ihm liegt, denke ich: Manchmal sind sie schon wirklich sehr goldig, die kleinen Racker.
Meine Schule wird meist Kessler-Gymnasium oder einfach nur das Kessler genannt. Im Alltag sagt ja auch niemand Bundesrepublik Deutschland, Kohlendioxid oder Bayerische Motoren Werke, man sagt Deutschland, CO₂, BMW und eben: das Kessler. Die Schülerschaft sagt: das Harry. Unser Namensgeber Harry Graf Kessler war zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts ein prominenter Kunstsammler, Diplomat, Schriftsteller und insgesamt ein ungeheuer umtriebiger Netzwerker und super Typ, der alles und jeden kannte. Die Schüler sagen, er sei außerdem der erste Influencer gewesen.
Die Schule ist ein ziemliches Otto Normalgymnasium, mit großer Tradition und kleinem Glockentürmchen. In Anlehnung an Kesslers Lebenswerk haben wir einen musischen Schwerpunkt. Kultur spielt hier in jeder Form eine große Rolle, und unser Schulleiter Dr. Wohlert lässt kaum eine Gelegenheit verstreichen, unseren Namensgeber als Vorbild zu empfehlen. So wie Harry Graf Kessler solle man durchs Leben schreiten, es in vollen Zügen genießen, immer wissensdurstig und lebenshungrig sein, der Welt stets mit offenen Augen und vor allem mit offenem Herzen begegnen. Typische Schulleiter-Sätze eben. Klingen ein bisschen nach Dalai Lama oder Kalendersprüchen, sind aber trotzdem super Lebensprinzipien.
In der Vergangenheit hatte das Kessler gute und mittelmäßige Zeiten, schlecht lief es eigentlich nie. Eine wahnsinnig bekannte Schauspielerin hat hier vor langer Zeit Abitur gemacht, ein ehemaliger Vorstandsvorsitzender eines DAX-Konzerns und ein durchschnittlich bekannter Fußballspieler ebenso, darauf ist man hier sehr stolz. Heute ist hier niemand bekannt, aber kann ja noch werden, wer weiß, was aus den jungen Menschen hier noch so wird. Wir haben tolle Schüler, Graffiti-Vandalismus hin oder her. Die Schule steht jedenfalls sehr gut da, es bewerben sich jedes Jahr wesentlich mehr Schüler, als wir aufnehmen können. Wir profitieren vom Ruf und der Lage in diesem Stadtteil, der in den letzten dreißig Jahren einen enormen Aufschwung erfahren hat. Mittlerweile werden die Kinder des Bildungsbürgertums hier nur so reingespült. Weil verständlicherweise die meisten jungen Menschen Abitur machen wollen, haben wir aber, zum Glück, junge Menschen aus fast allen gesellschaftlichen Schichten und Milieus bei uns. Dieser Umstand macht Schule ja grundsätzlich zu so einem spannenden Ort. Die Institution Schule funktioniert einfach zuverlässig als Spiegel der Gesellschaft, denn hier werden ihre Themen verhandelt, hier prallt alles aufeinander, was prallen kann. Praktisch alles, was von gesellschaftlicher Relevanz ist, das Land spaltet, polarisiert, versöhnt oder einfach in aller Munde ist, findet auch hier statt, wird besprochen, bestritten und bespöttelt. Jedes Phänomen, jeder Hype, jeder Skandal. Allein diese Woche war von Gendersternchen und Grillen die Rede, von Ego-Shootern und DSDS, von Rammstein und Capital Bra, von Joko und Klaas und Jogi Löw, von Trump und Erdogan, von Berghain und Oktoberfest, und wie immer von cool und uncool. Und von Corona natürlich. Alles steht irgendwie...
Erscheint lt. Verlag | 21.6.2021 |
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Zusatzinfo | 2-farbig |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Comic / Humor / Manga ► Humor / Satire |
Schlagworte | eBooks • Frau Freitag • Fuck ju Göhte • kleine geschenke für frauen • Lehrer • Lehrerzimmer • Schulalltag • Schüler • Schulgeschichten • Schuljahr • Unterricht • Zeugnis |
ISBN-10 | 3-641-24984-8 / 3641249848 |
ISBN-13 | 978-3-641-24984-7 / 9783641249847 |
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