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Bis ans Ende der Welt und zu mir selbst (eBook)

Zu Fuß vom Nordpol Richtung Südpol
eBook Download: EPUB
2019 | 1. Auflage
272 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-99522-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Bis ans Ende der Welt und zu mir selbst -  Robby Clemens
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Der »deutsche Forrest Gump« (FOCUS online) auf seinem größten Abenteuer Ein Traum wird wahr: 23000 Kilometer, 611 Tage, 15 Länder. Der passionierte Läufer Robby Clemens bricht im April 2017 bei minus 45 Grad vom Nordpol Richtung Südpol auf. Seine Route führt ihn durch die Wildnis Kanadas über die Wüsten Mexikos und das peruanische Hochland bis nach Patagonien. Und am Tor zur Antarktis muss er sich entscheiden, ob er sein Ziel um jeden Preis erreichen will ... Denn nicht die Jagd nach Rekorden, sondern die Begegnungen mit den Menschen treiben ihn an. Er möchte ihnen zeigen, warum Laufen die beste Art der Fortbewegung ist - und davon berichten, wie es ihn gerettet hat, als er alkoholabhängig und völlig bankrott am Abgrund stand. Ein hoch emotionales Abenteuer, das zeigt, wie Laufen das Leben verändern kann.

Robby Clemens, geboren 1961, ist Extremsportler und Motivationscoach. Vor über zwanzig Jahren gelang ihm mithilfe des Laufens der Ausweg aus einer schweren Alkohol- und Nikotinsucht. Nach seinem ersten Marathon im Jahr 2000 folgten zahlreiche Benefizläufe für krebskranke und kriegsgeschädigte Kinder. 2007 umrundete er in 311 Tagen, über 13000 Kilometer die Welt. Er lebt mit seiner Familie bei Leipzig.

Robby Clemens, geboren 1961, ist Extremsportler und Motivationscoach. Vor über zwanzig Jahren gelang ihm mithilfe des Laufens der Ausweg aus einer schweren Alkohol- und Nikotinsucht. Nach seinem ersten Marathon im Jahr 2000 folgten zahlreiche Benefizläufe für krebskranke und kriegsgeschädigte Kinder. 2007 umrundete er in 311 Tagen, über 13000 Kilometer die Welt. Er lebt mit seiner Familie bei Leipzig.

2 Hohenmölsen I


Badewannen und Zigarettenstummel


Bis zu meinem dreißigsten Lebensjahr hatte ich noch nicht viel von der Welt gesehen. Als Jugendlicher war ich mit der Familie hin und wieder am Balaton gewesen, ansonsten war meine Landkarte weiß. Ich bin im Osten Sachsen-Anhalts aufgewachsen: Hohenmölsen, das Herz der DDR. Zumindest für mich damals.

Flankiert wurde die Stadt von den großen Tagebaugruben Profen und Pirkau, die umliegenden Ortschaften hatten Namen wie Groitzsch, Neukieritzsch oder Großkorbetha. Im Sommer roch die Luft nach Stroh, im Winter nach Kohle. Tiefste sachsen-anhaltinische Provinz.

Meine Mutter war in Karlsbad, Böhmen, geboren. Doch nach dem Krieg hatte man sie und ihre Familie vertrieben. Gemeinsam mit einigen anderen Deutschen wurden sie in einen Viehwagen gesperrt und fortgeschafft. Nächster Halt: Hohenmölsen. Familie Clemens, die Linie meines Vaters, war dagegen urhohenmölsisch. Generationen von Schmieden und Braunkohlekumpeln. Mutter und Vater trafen sich zum ersten Mal beim Tanzen: im Gasthof Lubert. Der Eintritt betrug damals ein paar Barren Brikett, um den Saal zu beheizen, doch die beiden entfachten ein ganz anderes Feuer. Elf Jahre später zeugten sie mich.

Ich besuchte die Hohenmölsener Krippe, den Hohenmölsener Kindergarten, die Unter- und Oberstufe der Polytechnischen Oberschule Hohenmölsen, ein Leben auf 75 Quadratkilometern. Nachdem ich meinen Schulabschluss erlangt hatte, machte ich eine Lehre zum Installateur; Gas, Wasser, Heizung. Die Ausbildung absolvierte ich bei der Produktionsgenossenschaft der Handwerker, mein oberster Chef war mein eigener Vater. Die Arbeit lag mir. Ich hatte Spaß am Lernen, vor allem aber liebte ich die Hausbesuche. Wenn man damals als Handwerker in einen Familienhaushalt kam, ließ die Arbeit für gewöhnlich erst mal auf sich warten. Zunächst wurde gefrühstückt. Und ich meine ein richtiges, zünftiges Mahl, keinen lauwarmen Kaffee, der einem hastig im Badezimmer auf den Rand des Waschbeckens gestellt wurde. Man kam ins Gespräch, tauschte sich über Gott und die Welt aus. Wenn ich beim Fleischer einen Abfluss zu wechseln hatte, bekam ich einen Rucksack voller Würste mit nach Hause. Eine der Kehrseiten der Arbeit war zwar, dass wir häufig am Wochenende ausrücken mussten, doch ich wusste, je mehr ich arbeitete, desto mehr Geld würde ich verdienen – und das war nicht unbedingt üblich in der DDR.

1986, sechs Jahre nach der abgeschlossenen Lehre, übernahm ich einen eigenen Betrieb. Bald hatte ich zwei Angestellte, dazu einen Lehrling, und kümmerte mich fast nur noch um die An- und Verkäufe. Das Geschäft bestand damals noch zum größten Teil aus Handeln und Feilschen, »Kompensationsgeschäfte« nannte man das. Frühmorgens fuhr ich mit einem großen Stück Schinken auf dem Beifahrersitz meines Ladas los, und abends kam ich mit einem Auto voller Badewannen, Armaturen, Heizkörper und Waschbecken zurück. Den Schinken bekam ich hin und wieder von meinem Schwager, der Fleischer war, und gleich auf meiner ersten Station, Reichenbach im Vogtland, konnte ich einen beträchtlichen Teil davon gegen einige Kisten Wernesgrüner Bier eintauschen. Wernesgrüner war flüssiges Gold damals, fast so schwer zu bekommen wie Radeberger. Mit dem erhandelten Bier fuhr ich nun nach Wallhausen, wo ich es gegen farbige Wasch- oder Klobecken tauschte. Anschließend fuhr ich nach Eisenberg, um mit der erhaltenen Ware verchromte Armaturen zu erhandeln. Schließlich ging es nach Boizenburg an der westdeutschen Grenze für ein paar Fliesen – und dann gelegentlich noch nach Thale in den Harz, um ein oder zwei Heizkessel zu besorgen.

Natürlich konnte man nicht jeden Handel einzig und allein per Tauschgeschäft abschließen, selbstverständlich wurde auch mit Geld nachgeholfen – aber das war nur die Ergänzung, die Basis war die Ware. Zur Wende hatte ich mir bereits einen Namen in meinem Geschäftszweig gemacht. Heute würde man mich wahrscheinlich als »Networker« bezeichnen, aber damals war ich einfach bekannt wie ein bunter Hund. Und irgendwie ist es genau das, was mich noch immer auf die Straße treibt: die Begegnungen mit den Menschen unterwegs.

 

Als kurz nach der Wende der große Aufbau Ost losging, war ich dick im Geschäft. Das Tor zum Westen stand offen, den Verlockungen des Kapitalismus versperrte nichts mehr den Weg. Alles sollte raus, alles sollte neu gemacht werden. Weg mit den alten Kohleöfen, her mit Zentralheizungen! Viele Altbauten im Osten konnten zwar noch mit Stuck und hohen Decken beeindrucken, doch die meisten verfügten eben auch noch über gemeinschaftliche Etagentoiletten, die außerhalb der Wohnung lagen und das Leben ungemein umständlich machten. Aber das war jetzt vorbei! Honecker war Geschichte, Schabowski hatte sich verplappert, das Volk lechzte nach Privatbädern. Und es waren nicht nur die Privathaushalte: Schulen, Büros, öffentliche Gebäude, alles sollte modernisiert werden. War in der DDR noch die gesamte Sanitäreinrichtung in dezentem Weiß gehalten, so war die Farbpalette nun beinahe unerschöpflich. Die Farben explodierten. Der Renner war damals »Bahama-Beige«, eine Farbe, deren Namen wir kaum aussprechen konnten, die ich aber sicher Hunderte, wenn nicht Tausende Male montierte. Es war eine goldene Zeit. Innerhalb von vier Jahren wurde ich zum Millionär. Und dann kam der Crash.

Ich will nicht groß drum herumreden: Ich allein trage die Schuld am Konkurs meiner Firma. Ich habe das Unternehmen geführt, ich habe die falschen Entscheidungen getroffen, den falschen Menschen vertraut. Es gab sicherlich Umstände, die es mir nicht leicht gemacht haben, das Unternehmen zu retten, aber was im Leben ist schon leicht? Der prominenteste Partner, dem ich fälschlicherweise vertraut habe, war Utz Jürgen Schneider.

Jürgen Schneider war Bauunternehmer, Immobilienmogul und Betrüger. Er rühmte sich damals als der große Erneuerer der Nation. Anfang der Neunzigerjahre vergab er unzählige Aufträge: Frankfurt, München, Leipzig, Berlin, überall restaurierte er baufällige, ehemals prunkvolle Gebäude und ließ sie in ihrem alten Glanz erstrahlen. Allein in Leipzig war er an über siebzig Großprojekten beteiligt. Die heutige Fassade der Stadt, die zu einem großen Teil das Aushängeschild der Region ist, geht überwiegend auf Schneider zurück. Leider war aber auch er selbst nicht viel mehr als eine einzige große Fassade.

Viele Projekte, die Schneider anging, warfen am Ende weniger Gewinn ab, als er einkalkuliert hatte. Das brachte ihn in die Bredouille, denn er war auf diese Gewinne – und auf seinen guten Ruf – angewiesen, um weiter zu investieren. Um dennoch das nötige Geld für seine Investitionen von den Banken zu bekommen, kalkulierte er insgeheim mit dem Verlust. Er überzog bewusst die Mietflächen seiner Objekte, um die zu erwartenden Einnahmen vor den Banken zu schönen und so die nötigen Kredite zu erlangen. Aus 9000 Quadratmetern wurden 22 000 Quadratmeter – und aus irgendeinem Grund stellte niemand diese Zahlen infrage. Er erfand Mieter, die es nicht gab, imaginierte ganze Stockwerke auf dem Papier. Kredite in Milliardenhöhe konnte er sich so erschleichen. Und die Banken ließen ihn, ob bewusst oder unbewusst, gewähren.

Schneider residierte in einem prunkvollen Schloss im Taunus. Dorthin ließ er seine Geschäftskunden kommen, um ihnen die Köpfe zu verdrehen. Das Schloss, so erklärte er später in verschiedenen Interviews, benötigte er für den schönen Schein. Wer über solch faszinierende Turmzimmer verfügte, der musste ein ehrbarer Mann sein, dem konnte man doch nichts abschlagen! So häufte er innerhalb kürzester Zeit einen Schuldenberg von rund sechs Milliarden D-Mark an.

1994 flog er auf. Ein Zeitungsartikel deckte die falschen Zahlen auf, sein Lügengebäude stand vor dem Einsturz. Als die Blase platzte, riss er Hunderte Unternehmer mit sich in den Ruin. Unter anderem mich.

Hilmar Kopper, der Chef der Deutschen Bank, die eine der Hauptgeldgeberinnen Schneiders gewesen war, versicherte damals noch großspurig, sein Unternehmen wolle alle von Schneider offengelassenen Handwerkerrechnungen begleichen. Das seien doch weit weniger als 50 Millionen Mark, für sein Kreditinstitut nicht mehr als »Peanuts«. Die Wirklichkeit sah allerdings anders aus. Von einem Tag auf den anderen hatte man die Baustellen, auf denen wir noch bis eben aktiv gewesen waren, in Tatorte verwandelt. Zäune schirmten die Gelände ab, Sicherheitsfirmen bewachten sie. Wir konnten nicht mal unsere Werkzeuge bergen, die wir auf den Baustellen gelagert hatten.

Ich erhielt einen Anruf von der Deutschen Bank und hatte mich in der Hauptgeschäftsstelle am Wilhelm-Leuschner-Platz in Leipzig einzufinden. Ein dunkler, altehrwürdiger Bau aus grob behauenem Stein, der einer Ritterburg gleicht. Rund zehn Schlips- und Anzugträger saßen im Innern um einen dunklen Tisch und starrten mich an.

»Herr Clemens, wie wir sehen, haben wir noch offene Rechnungen bei Ihnen. Wir möchten das gerne begleichen! Aber Sie verstehen sicherlich, dass wir Ihnen in der aktuellen prekären Lage nicht die gesamte Summe auszahlen können. Wir denken, das ist einleuchtend.«

»Was können Sie denn zahlen?« Ich gab mir Mühe, dass meine Stimme fest klang. Sie sollte selbstbewusst und fordernd wirken, doch ich fühlte mich klein. Der ganze Aufzug schüchterte mich ein.

»Nun, wir denken, Sie freuen sich zu hören, dass es uns möglich wäre, Ihnen etwa 300 000 Mark auszuzahlen. Das ist leider wirklich das Äußerste. Na ja, und Sie müssten natürlich Ihre Arbeit beenden.«

»Aber das ist ja nicht mal die Hälfte der besprochenen Summe!«, rief ich schockiert. »Das reicht kaum aus, um meine Leute zu bezahlen, geschweige denn das Material! Das...

Erscheint lt. Verlag 4.11.2019
Co-Autor Nils Straatmann
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Sachbuch/Ratgeber Sport
Reisen Reiseberichte Welt / Arktis / Antarktis
Geisteswissenschaften Psychologie Sucht / Drogen
Schlagworte Abenteuer • Abhängigkeit • Alkohol • Alkoholismus • Ausrüstung • Autobiografie • Bankrott • Engagement • Extremlauf • Extremläufer • Extremsport • Fitness • Forrest Gump • Ich lauf dann mal los • Joggen • Kleidung • Laufen Buch • Lebenshilfe • Lebenswandel • Marathon • Motivation • Produkte • Reisebericht • Sucht • Termine • Trailrunning • Training • Ultraläufer • Ultramarathon • Vorträge
ISBN-10 3-492-99522-5 / 3492995225
ISBN-13 978-3-492-99522-1 / 9783492995221
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