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Hollow Kingdom (eBook)

Das Jahr der Krähe
eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
368 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-491147-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Hollow Kingdom -  Kira Jane Buxton
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»Pets« meets »The Walking Dead« - ein tierisch gutes Romandebüt von Kira Jane Buxton. Als Big Jim ein Auge aus dem Kopf springt und er aufhört, mit seinem Bloodhound Dennis spazieren zu gehen, ahnt die domestizierte Krähe S.T., dass irgendetwas nicht stimmt. Aber es kommt noch schlimmer: Ganz Seattle verwandelt sich binnen Kurzem in ein Trümmerfeld, Nachbarn wechseln in den Berserkermodus und bringen sich gegenseitig um, und sogar das Fernsehprogramm fällt aus. S.T. und Dennis beschließen, nach dem Ursprung der Katastrophe zu suchen, und begeben sich auf eine Odyssee durch die zerstörte Stadt ... Für alle Leser*innen von Richard Adams, Matt Ruff, Emily St. John Mandel,Terry Pratchett und Helen MacDonald.

Kira Jane Buxton ist Journalistin und Autorin. Ihre Geschichten und Artikel sind in der New York Times, im New Yorker und in Sweeney's erschienen. Zusammen mit drei Katzen, zwei Krähen und einem Mann lebt sie in Seattle in den USA.

Kira Jane Buxton ist Journalistin und Autorin. Ihre Geschichten und Artikel sind in der New York Times, im New Yorker und in Sweeney's erschienen. Zusammen mit drei Katzen, zwei Krähen und einem Mann lebt sie in Seattle in den USA.  Henning Ahrens lebt als Schriftsteller und Übersetzer in Frankfurt am Main. Er veröffentlichte diverse Lyrikbände sowie die Romane »Lauf Jäger lauf«, »Langsamer Walzer«, »Tiertage« und »Glantz und Gloria«. Für S. Fischer übersetzte er Romane von Richard Powers, Kevin Powers, Khaled Hosseini. Zuletzt erschien sein Roman »Mitgift«. 

5 S.T.


Das Haus im Craftsman-Stil in Ravenna, Seattle, Washington, USA

Ich schoss durchs Küchenfenster und ließ die Plastiktüte im letzten Moment doch noch fallen. Die Schachteln mit Big Jims Lebenselixieren prallten von der Fensterbank ab und purzelten ins Gras. Ich sauste durch Küche und Wohnzimmer und raste atemlos die Betontreppe hinunter in den Keller. Big Jim stand immer noch schwankend an derselben Stelle und zog seinen Fingerstummel über die Wand. Er würde ihn erneuern müssen, sobald es ihm besserging. Die Erleichterung löste einen Schauder aus: Dennis war nicht zu sehen. Ich machte mich auf die Suche nach ihm.

Er lag in der Wäschekammer auf einem Berg dreckiger Boxershorts von Big Jim, den Kopf auf seine Teddybär-Pfoten mit den schwarzen Ballen gebettet. Die üppigen, kupferroten Stirnfalten hingen so tief, dass sie seine Augen verbargen, seine Hängebacken ergossen sich auf den Fußboden. Sein grässlicher Kehllappen, der an die Testikel eines Wasserbüffels erinnert, glich einem hingefallenen Pfannkuchen. Dennis lüpfte eine Augenbraue und mit ihr einen Berg Haut und enthüllte zutiefst melancholische rotbraune Augen. Dann seufzte er tief und wurde wieder zum Teppichimitat. So lag er tagelang da. Und dann hörte er auf zu fressen. Das war eine weitere einschneidende Veränderung in unserem Leben, das ohnehin schon kopf stand. Ich kannte Dennis schon, als er noch über seine Schlappohren stolperte, ein zerknautschter Knödel, der die Hoffnung hegte, seine Eier behalten zu können. Er war schon damals eine gehirnlose Monade, aber so hatte ich ihn noch nie erlebt. Wahrscheinlich hätte ihn nicht mal die Heimsuchung durch den UPS-Boten belebt – bei allen Kläffern verhasst und Dennis’ Erzfeind. Auch Dennis litt. Er war in den Hinterhalt eines unsichtbaren Attentäters getappt, der ihn infiltriert hatte und nun sein Herz zerfraß. Seine Hoffnung trank und die Gefühle abstumpfte. Depression.

Wohin willst du, wenn du depressiv bist? Nirgendwohin.

Wen willst du sehen? Niemanden.

Depressionen sorgen für Leid aller Art. Traurigkeit, Interesselosigkeit, Ängste. Cymbalta kann helfen.

Big Jim hatte diesen Werbespot mal in Endlosschleife gehört, dabei Cola mit Malibu gesoffen und dann, voll wie eine Haubitze, die Frau seines besten Kumpels angerufen. Danach hatte er sich in die Hose geschissen und auf dem Rasen das Bewusstsein verloren. Ich weiß noch, dass wir am nächsten Tag zweimal zum Walgreens gurkten, um Pepto-Bismol zu kaufen.

Nach dem Vorfall mit dem Augapfel hatte Dennis seine Angewohnheit, das Haus neu zu dekorieren, eine Weile wiederaufgenommen, und wider Erwarten vermisste ich seine Zerstörungswut. Einmal riss er das Linoleum aus der Küche, bei einer anderen Gelegenheit fraß er eine Jumbo-Packung Pflaumen in der Speisekammer. Die Verheerung, die er danach anrichtete, glich der Ölpest, die er nach dem Konsum einer Fünf-Liter-Dose Öl auf dem Küchentisch hinterlassen hatte.

Nun steckte Dennis – wie Big Jim – in einer Krise. Er vermisste Big Jim so sehr, dass er daran zugrunde ging. Ich machte mich sofort an die Arbeit, schob Big Jim die Tabletten so dicht hin, wie es ging, ohne dass er mir die Schenkel ausriss. Ich versuchte es mit Sturzflügen, bei denen ich ihm einzelne Tabletten in den Mund warf, nur schluckte er sie leider nie, sondern sabberte die kostbaren Medikamente mitsamt blutigem Geifer bloß wieder aus. Ich versorgte ihn mit Kautabletten gegen Herzwürmer, mit Kaffee und mit Snickers, bot ihm alte Nummern von Big Butts und das Foto an, dass ihn mit sonnenverbrannten Knien beim Angeln zeigte – keine Reaktion. Ich ließ weißes Duchesse-Puder auf seine deformierten Gelenke und die haschfarbige Haut rieseln. Alles umsonst.

Allmählich wurde auch ich von Kummer erfasst. Und ihr müsst wissen, dass ich ein eingefleischter Optimist bin; manche behaupten, ich sei »unverwüstlich«, und dem habe ich nichts hinzuzufügen. Big Jim meint zwar, ich sei ein Besserwisser und »elender Opportunist«, aber er unterschätzt mich. Ich bin belesen, habe mir zig Stunden Bildungsfernsehen und, dank Big Jim, auch Reality-TV reingezogen und neige dazu, das Glas als halb voll anzusehen. Im Allgemeinen glaube ich, dass die Zukunft besser wird, aber dies? Das war hart. Der Kummer kroch wie ein Termiten-Heer unter meine Haut und zernagte meine Entschlossenheit. Mein Herz fühlte sich an wie die Frucht auf dem Küchentresen, die verschrumpelte und pelzig wurde, vermoderte und verfaulte, Futter für die Fliegen. Meine Beine waren bleischwer, das Fliegen wurde zur Qual. Mein Kummer war allerdings heilbar und würde vergehen, aber Dennis war todkrank, das war so sicher wie die Mauser. Er krepierte an seinem Kummer.

Ich stürzte mich also in zwei neue Projekte. In das Projekt Wohlbefinden und in das Projekt Glück. Ich wandte an, was mir Big Jim beigebracht hatte, als ich noch ein Nestling gewesen war, kurz nachdem er mich zu sich geholt hatte. Das Training mit Leckerli-Belohnungen war so erfolgreich, dass er sie reduzieren musste, weil ich einem Monster-Truck-Reifen zu ähneln begann. Dennis’ Hungerstreik war konsequent. Er verließ die Wäschekammer und Big Jims ranzige Unterwäsche auch dann nicht, wenn ich ihn mit Trockenfutter-Stückchen lockte. Ich musste also große Geschütze auffahren: Cheetos, diese köstlichen, radioaktiv leuchtenden Mais-Snacks. Ich zerhackte sie mit dem Schnabel und legte sie so hin, dass sie gerade außerhalb seiner Reichweite waren. Ich beobachtete, wie seine Schwammnase zuckte, wie sich die Stirnfalte über einem forschenden Auge hob. Dann schnüffelte er noch mal und warf das Lasso seiner rosa Zunge aus, um den Cheeto in sein Maul zu befördern. Danach machte ich es wie Big Jim in meiner Küken-Zeit und deponierte die Cheeto-Köder außerhalb von Dennis’ Sichtweite. Zuerst schnüffelte er mehrmals. Dann zuckte eine Pfote, und er wedelte – Heureka! – mit dem Schweif. Schließlich wuchtete er seine mächtige Hautmasse von Big Jims Arschbackenbekleidung, senkte die Schnauze auf den Fußboden und erschnüffelte meine Köder wie ein wahrer Champion.

Ich dachte an die Cymbalta-Werbung. Da ich weder Cymbalta hatte noch einen zweiten Vorstoß zum Walgreens riskieren wollte – die Medikamente, die ich dort geholt hatte, schienen ohnehin keine Wirkung zu zeigen –, sinnierte ich darüber, was die Leute und der Köter in der Werbung taten. Sie frohlockten. Und genau das brauchte der gute Dennis: Jauchzen und Frohlocken. Und Bewegung. Also sorgte ich für Spiel und Sport und riss an seinem Schweif, damit er mich über den Hof jagte. Ich versteckte Cheetos und Funyuns und Trockenfutter und Dörrfleisch und feiste Tiefkühlkost-Mahlzeiten überall in Haus und Hof und sah zu, wie Dennis alles bis auf den letzten Krümel mit seinem echt unheimlichen Zinken aufspürte. Wider Erwarten fand ich Gefallen daran. Ich versuchte, meinen Pfiff zu perfektionieren und Big Jims Ruf zu imitieren: »ZZZZZZZT! Dennis! Bei Fuß, Junge!«, und belohnte Dennis, wenn er gehorchte. Ich übte die Worte tief in der Kehle, um wie Big Jim zu klingen: »Dennis! Platz!«, und freute mir ein Loch in den Bauch, wenn er den Allerwertesten unter meinem Ast im Gras parkte und darauf wartete, dass ich ihm einen knallgelben Peep zuwarf. Und ob ihr es glaubt oder nicht, der alte Kläffer erholte sich. Er trottete munter dahin, dieser behäbige Batzen Bluthund, mit seinem Ruder von Schweif und mehr Falten als ein Katzenarsch, und ich glaube sogar, dass er lächelnd Lachsfutter-Atem in die Abendluft hechelte, wenn ich Big Jims kehligen Ruf nachahmte: »Braver Bursche!« Es schmeichelte mir, dass er offenbar glaubte, ich wäre wie Big Jim. Also auch ein MoFo.

Wenn ich nicht damit beschäftigt war, Dennis im Rahmen meines Glücksprojektes aufzupäppeln, hielt ich mich im Keller auf und warf Tabletten in den Schlund von Big Jim. Wie lange das so ging? Schwer zu sagen – das Konzept der Zeit habe ich nie ganz kapiert –, aber ich versuchte, Big Jims Megatitten-Kalender mit den superheißen deutschen Mädels zu folgen, kann also mit einiger Gewissheit sagen, dass ich einen Monat durchhielt (zwei dralle deutsche Titten). Ich weiß, was ihr denkt. Warum flatterte ich nicht los, um außerhalb unseres Viertels in Ravenna Hilfe und medizinischen Rat zu suchen? Diese Frage ist berechtigt und nervt nur mäßig. Ich traf halt eine Entscheidung. Ich beschloss, bei Big Jim zu bleiben und das Nest zu hüten, und der Grund dafür waren die Geräusche. Wenn wir auf dem Hof herumtollten, hörten Dennis und ich Geräusche – wie von Feuerwerk oder Schüssen, nur lauter. Eine Weile war am Himmel kein einziger Vogel zu sehen, als wäre der vierte Juli oder Krieg. Wir vernahmen ungewöhnlich grässliche Schreie. Am schlimmsten war das Kreischen. Eines Abends landete eine Schnake – ganz Bein und Flug wie im Suff – auf unserem Zaun. Nachdem sie verschnauft und das Zittern ihrer durchsichtigen Flügel in den Griff bekommen hatte, rief sie mir etwas zu.

»Bleibt im Haus!«, warnte sie mich mit einer Stimme, die klang, als würde man brüchige Zweige aneinanderreiben. Ich ignorierte sie wie alle Insekten und das permanente Geplapper von Aura. »Hör zu! Hör zu! Ghubari sagt, man muss drinnen bleiben!«

Meine Haut kieselte sich zu harten Knoten. Ghubari. Ghubari wusste, dass ich Aura kein Gehör schenkte. Trotzdem sandte er mir eine Warnung. Ich vertraute Ghubari. Das genügte mir. Dennis und ich ahnten, dass irgendetwas ganz Großes im Gange war, und ich hatte keine...

Erscheint lt. Verlag 27.5.2020
Übersetzer Henning Ahrens
Zusatzinfo MIt 2 s/w-Abbildungen
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Fantasy
Schlagworte Apokalypse • climate fiction • Fantasy Erwachsene • Fantasyroman • Fantasy Tiere • krähen • lustige Fantasy • Pets • Rabe • Seattle • Tierfantasy • Weltuntergang • Zombies
ISBN-10 3-10-491147-9 / 3104911479
ISBN-13 978-3-10-491147-2 / 9783104911472
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