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Was bisher geschah (und was niemals geschehen darf) (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
336 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-403642-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Was bisher geschah (und was niemals geschehen darf) -  Orkun Ertener
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»Wie's aussieht, werde ich jeden Morgen neugeboren, um am Abend wieder zu sterben.« Der neue Roman von Grimme-Preisträger Orkun Ertener Finn und Paul sind seit Kindertagen unzertrennlich. Jetzt, kurz vor dem Abitur, ist nichts mehr wie früher. Was die Zukunft für sie bereithält, ist ungewiss und macht Angst, und dann ist da noch Khalil, der plötzlich zwischen ihnen steht. Khalil, der Unberechenbare, den Paul vergöttert, obwohl Finn ihm nicht über den Weg traut. Nachdem Paul einen schweren Unfall hat, muss er damit klarkommen, dass sein Gedächtnis nicht über einen Tag hinausreicht. In der Reha erhält Paul einen Brief von Khalil, der Entsetzliches befürchten lässt. Paul überzeugt Finn, dass sie Khalil aufhalten müssen. So beginnt ein Roadtrip, der sie von Köln über Berlin, London bis nach Hamburg zum G20-Gipfel führt. Und der alles für immer verändert. »Jung zu sein ist wie ein Thriller. Orkun Erteners neuer Roman setzt Maßstäbe für das Genre.« Max Annas

Orkun Ertener, geboren 1966, arbeitet als Autor vorwiegend fürs Fernsehen und wurde für seine Arbeit vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Adolf-Grimme-Preis für die von ihm entwickelte Serie »KDD-Kriminaldauerdienst«. Sein erster Roman »Lebt« stand auf Platz 1 der KrimiBestenliste und fand bei Kritik und Lesepublikum gleichermaßen Beachtung. Orkun Ertener lebt mit seiner Familie in Köln.

Orkun Ertener, geboren 1966, arbeitet als Autor vorwiegend fürs Fernsehen und wurde für seine Arbeit vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Adolf-Grimme-Preis für die von ihm entwickelte Serie »KDD-Kriminaldauerdienst«. Sein erster Roman »Lebt« stand auf Platz 1 der KrimiBestenliste und fand bei Kritik und Lesepublikum gleichermaßen Beachtung. Orkun Ertener lebt mit seiner Familie in Köln.

Der Roman, stellenweise spannend wie ein Krimi, dann wieder psychologisch
überzeugend als Entwicklungsroman.

Dieser Roman lässt einen nicht los und zwingt gleichzeitig zum Nachdenken – nicht nur über die Probleme der Jugend.

eine mitreißende, quicklebendige und sehr empathische Coming of Age-Story

Ein Entwicklungsroman im Turbo-Tempo, der psychologisch überzeugt. Und obendrein sehr spannend ist.

Das ist brillant: Eine so kluge wie berührende Coming of Age-Geschichte, die mitten ins Herz der Gegenwart trifft.

I Guantánamo


Wie immer brach der Krieg vor Ostern aus.

Finn hatte nicht die Absicht, daran teilzunehmen, und verstand auch nicht, was andere dazu trieb, aber die Kriegserklärung, die schon Mitte Februar ins Netz gestellt worden war, ein aufwendig produzierter Clip mit dröhnendem Metal-Soundtrack, hatte ihn beeindruckt. Vermummte, die schwarze Hoodies mit dem Aufdruck CCC trugen und für Finn leicht zu identifizieren waren, zogen mit brennenden Fackeln durch die Nacht, ließen sich in einem kunstvoll ausgeleuchteten Gewölberaum das Logo ihrer Horde auf die Oberarme tätowieren, kämpften mit einem widerspenstigen Schwein und der deutschen Rechtschreibung, bis sie am Ende alle, über und über mit Farbe bekleckert, in einem Pool landeten, in dem kein Wasser war. Der Ideenreichtum und die hohe filmische Qualität des Videos, Ergebnis nächtelanger Teamarbeit, an der Paul und Khalil großen Anteil gehabt hatten, blieben den erwachsenen Nörglern ebenso verborgen wie die Leichtigkeit, die jedes Bild durchzog. Im vergangenen Jahr hatte der Sachschaden vor allem aus Reinigungskosten bestanden, die Dr. Hanke, der Schulleiter, auf einer Vollversammlung hitzig in die Zehntausende hochgerechnet hatte, und schon damals interessierten sich neben der Lokalpresse vereinzelt auch überregionale Zeitungen und Fernsehmagazine für die Abiturkriege, die zu einer Tradition in der Stadt geworden waren und von Jahr zu Jahr anstößiger tobten.

Diesmal wollten Hanke und die anderen Schulleiter der Stadt das Schlimmste verhindern, und schlimmer als eine Ausweitung des Medieninteresses konnte in der sensiblen Phase vor den Prüfungen kaum etwas sein. Nachdem das größte Lokalblatt der Stadt einen spitzen Artikel über das Kriegsvideo veröffentlicht und in seiner Onlineausgabe eine Flut von Kommentaren grimmiger Leser ausgelöst hatte, die sich um ihre Steuergelder und die Qualität heutiger Schul- und Charakterbildung sorgten, waren ernste Mahnungen und Drohungen an allen Gymnasien an der Tagesordnung. Finns Schule ging strikter vor als die anderen, schließlich war das Goethe-Gymnasium Heimat des Classic Combat Commandos, das den Film auf mehreren Videoportalen veröffentlicht hatte. Jeder konnte sich daran erinnern, dass die Kommandomitglieder der früheren Abiturjahrgänge den Krieg besonders offensiv und lustvoll geführt hatten, und das neue Video ließ keinen Zweifel daran, dass der neue Jahrgang die Tradition aufrechterhalten wollte. Daher wunderte sich Finn nicht, als die Schulleitung das CCC umgehend zur terroristischen Vereinigung erklärte und Versammlungen der Gruppe auf dem Schulgelände ebenso verbot wie das Tragen von Kleidungsstücken mit dem Emblem des Kommandos, das Verteilen von Flugblättern, das Anbringen von Stickern und alles andere, was der Vorbereitung des Kriegs dienen konnte. Mit empfindlichen Strafen, die bis zum Ausschluss von den Abiturprüfungen reichten, wurde nicht nur der harte Kern der Aktivisten bedroht, sondern auch das Heer der Sympathisanten: Wer das Video im Netz mit seinem Gefällt mir unterstützte, kam auf die schwarze Liste und verlor das Recht auf Prüfungsberatung durch die Stufenleiter. Anscheinend waren Lehrer abgestellt worden, die die Internetseiten täglich kontrollierten. Finn brauchte keine Beratung mehr und hatte keine Lust, sich vor Paul zu rechtfertigen, also klickte er auf den nach oben gereckten Daumen und hatte seine Ruhe.

Offene Proteste gegen die scharfen Maßnahmen der Schulleitung gab es nur von einzelnen Eltern, Veteranen längst vergessener Kämpfe, die bei ihren Kindern lange auf ein Anzeichen von Rebellion gewartet hatten und nun dankbar die Gunst der Stunde nutzten, um Dr. Hanke in Mails und Anrufen autoritäres Handeln vorzuhalten. Dem CCC hingegen gefiel die harte Linie. Die Verbote verstärkten den Nervenkitzel und bargen zudem die Chance, die Aufmerksamkeit, die vermieden werden sollte, erheblich zu erhöhen. Geübt im Umgang mit den Feinheiten des Internets, ließen die Offiziere der Schularmee die Repressionen ihrer Schulleitung durchsickern, ohne ein erregtes Wort zu verlieren, und lösten damit Presseanfragen aus dem ganzen Land aus, die Hanke und allen anderen Schulleitern ihre Arbeitstage vergällten. Die Journalisten machten sich bereit für die bevorstehenden Schlachten, die Kombattanten waren es längst.

Mit Beginn der letzten regulären Schulwoche ihres Lebens, dem Montag vor den Osterferien, lieferten sich die Abiturienten der Stadt die ersten Gefechte. Eingesetzt wurden die traditionellen Waffen: Farb- und Mehlbomben, Trillerpfeifen und Tröten, Wasserpistolen, Sprühdosen, grelle Kriegsbemalungen, skurrile Kostüme und Drohgebärden, ohrenbetäubende Schlachtgesänge, Megaphone. In den vergangenen Jahren waren feindliche Schulen während der Unterrichtszeit überfallen worden, was nicht selten zu Kollateralschäden an Unterstufenschülern und Lehrkräften geführt hatte, dieses Mal einigten sich die Kriegsparteien auf nächtliche Schlachten auf neutralem Terrain. Journalisten waren fast immer dabei, und die Polizei rückte auch jedes Mal an, um die Versammlung aufzulösen, alarmiert von aufgebrachten Anwohnern oder gelangweilten Presseleuten, die endlich brauchbare Bilder haben wollten. Die Ausbeute war gering. Auch in diesem Jahr gab es nur kleinere Rangeleien, vor allem im Kampf um die zu erobernden und zu verteidigenden Truppenfahnen. Schlimmere Folgen als durchnässte und verschmutzte Kleidung hatten die Kämpfe nicht, wenn man von weitverbreiteter Heiserkeit und den morgendlichen Auswirkungen des hohen Alkoholkonsums absah. Berauscht erzählte Paul jeden Morgen von den Heldentaten seiner Nacht, zum Glück immer so übermüdet, dass er von Finn nicht mehr als ein anerkennendes Lächeln erwartete.

Die entscheidende Schlacht sollte Donnerstagnacht stattfinden. Das CCC, das über den bevorstehenden gemeinsamen Angriff mehrerer feindlicher Schulen offiziell unterrichtet worden war, hatte seine Truppen in der Grünanlage zusammengezogen, die zwischen der kleinen Schulgasse und der vierspurigen Hauptstraße lag. Dort galt das Hausrecht der Schulleitung nicht. Am geschlossenen Schultor hing ein Banner mit dem transparenten Schriftzug des Classic Combat Commandos über einer sehr gelungenen Kopie von Warhols Goethe, die im vorletzten Jahr von einem Kommandomitglied aus dem damaligen Kunstleistungskurs angefertigt worden war. Sechs Schüler, Paul und Khalil unter ihnen, standen als Fahnenwachen auf dem Bürgersteig, der vom Schulleiter kurzerhand als Schulgelände definiert worden war, doch darauf konnte heute Nacht niemand Rücksicht nehmen. Auf dem Grünstreifen gegenüber, mit seinen paar Bäumen und drei Sitzbänken kaum Park zu nennen, war der Jahrgang fast vollständig versammelt, um die hundert wild kostümierte Abiturienten, dazu ein halbes Dutzend Printjournalisten und zwei Kamerateams. Die Schüler präparierten die letzten Mehl- und Farbbeutel, ließen sich interviewen, schwatzten, grölten, sangen, knutschten und tranken. Selbst zu nüchtern, um vom Getöse um sie herum nicht befremdet zu sein, warteten die Journalisten ungeduldig auf den Ertrag ihrer Nachtschicht, ungleich fiebriger sahen die Schüler dem Höhepunkt ihrer Festwoche entgegen, viele von ihnen in der Hoffnung auf ein paar Erinnerungsbriketts, an denen sie sich in der bevorstehenden Zeit der Ungewissheit wärmen wollten.

Finn, dem Paul an diesem letzten Abend ohnehin keine Wahl gelassen hätte, war hier, weil Darja hier war, und Darja war hier, weil es alle waren. Aber ein Schaf war sie nicht. Wenn alle Hände oben waren, sah man regelmäßig und war dennoch jedes Mal überrascht, dass ihre Hand unten blieb. Darja zögerte nie, sich einem Lehrer oder einer ganzen Gruppe mit ihrem Standpunkt allein entgegenzustellen, noch weniger, Finn einen bequemen, denkfaulen Idioten zu nennen, wenn er sich wie ein bequemer, denkfauler Idiot benahm, dennoch lag ihr viel an Zusammenhalt und an der Höflichkeit der guten Laune. Darja fügte sich gern ein, so dezent und geduldig wie möglich, doch es blieb immer ein Restabstand. Fast immer sah sie das Gesamtbild, das die meisten anderen, Finn eingeschlossen, nicht mehr sehen konnten. Hätte Finn je Fragen gestellt, hätte er Darja gefragt, ob ihre innere Freiheit, die ihn fast genauso anzog wie ihre Augen, das Vibrato ihrer Stimme und jeder Millimeter ihres unglaublichen Körpers, mit ihrer Herkunft zu tun haben könnte. Darjas Eltern waren nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion in Finns Heimatstadt gelandet, wo sie als jüngstes von vier Kindern geboren wurde. Obwohl Darja über den Lebensweg ihrer Eltern so sprach wie über eine Banalität, die auf die eine oder andere Weise jedem vertraut war, schien es in ihr Dinge zu geben, die nicht zur Deckung kamen. In dieser Lücke vermutete Finn die Quelle ihrer Kraft, doch er stellte keine Fragen, für Tänze auf dem Eis war es zu früh und zu spät. Sie waren noch nicht lange zusammen, falls sich das überhaupt so nennen ließ, mehr als brennende Küsse und kurze, köstliche Momente unter ihrem T-Shirt hatte es bisher nicht gegeben. Angesichts der kurzen Zeit, die bis zum Abitur blieb, und Darjas Ernsthaftigkeit war nicht zu erwarten, dass mehr passieren konnte. Eine Wehmutsattacke, die er nicht kommen gesehen hatte, bekam Finn erst in Griff, als er den Arm um Darjas Hüfte legte und sie an sich zog.

»Was für ein Wahnsinn«, sagte er.

»Was? Berit Landmanns Möpse?« So unschuldig vulgär konnte nur Darja reden, Finn hatte unglaubliches Glück.

»Die Pressetypen. Was wollen die mit den ganzen Interviews?«

Darja starrte weiter auf Berits Brüste, die...

Erscheint lt. Verlag 24.2.2021
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Berlin • Blackbird • Coming of Age • Entwicklungsroman • Erwachsenwerden • Freundschaft • G 20 Gipfel • Hamburg • Jugend • Köln • Liebe • London • Roadtrip • Selbstfindung • tschick
ISBN-10 3-10-403642-X / 310403642X
ISBN-13 978-3-10-403642-7 / 9783104036427
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