Herr der Galaxien 1 - Aufstieg (eBook)
250 Seiten
Uksak E-Books (Verlag)
978-3-7389-3366-6 (ISBN)
Gefangen im Nichts
Wilfried A. Hary
1
Der Sternenvogt hatte mir seine Infothek zugänglich gemacht - wenigstens einen Teil davon. Das hieß, er führte mich zunächst in verschiedene Grundprogramme ein, damit ich mich anschließend für den Rest selber bedienen konnte.
So nutzte ich die Dauer der Reise, mir Kenntnisse anzueignen, die für mich so aufregend und phantastisch waren, dass die Zeit im wahrsten Sinne des Wortes im Flug verging.
Der Sternenvogt kümmerte sich indessen wenig um mich. Zuweilen nur stand er da, die Arme vor der Brust verschränkt, regungslos, schweigend. Er beobachtete mich - manchmal aus schmal zusammengekniffenen Augen. Und dann verschwand er so plötzlich wie er aufgetaucht war. Kommentarlos und irgendwie - unheimlich. Mich störte es allerdings nicht. Ich hatte meine phantastische Beschäftigung und wurde niemals müde, die Programme durchzuarbeiten. Die einzigen Unterbrechungen waren kurze Mahlzeiten und der nötige Schlaf.
Bis mich der Vogt zwang, ein spezielles Trainingsprogramm durchzuführen, um meine körperliche Fitness nicht zu verlieren.
War es bald soweit?
Was für ein Einsatz? Gefährlich? Kämpferisch?
Ich lernte viel - und wusste dennoch so wenig...
Einmal legte er mir schwer die Hand auf die Schulter und sagte ernst: »Niemals die Summe des Wissens darf dein Ziel sein, John Willard, sondern immer nur sein Verständnis!«
Ich sah zu ihm auf, weil ich es nicht begriff.
Er schöpfte tief Atem und philosophierte laut: »Die Kapazität des menschlichen Gehirns reicht nicht aus, alles Wissen zu erfassen. Und weil die Kapazität des Gehirns begrenzt ist, bleibt auch das Verständnis begrenzt. Deshalb hat der Mensch Computer entwickelt und zur Perfektion reifen lassen. Der Computer ist ein Wissensspeicher gewesen und avancierte allmählich zum WISSENSSKLAVEN: Vergiss alle Schulen mit ihrem sturen Pauken. Sie hatten ihre Berechtigung, zugegeben. Weil sie die Aufnahmefähigkeit trainierten.
Aber sie vernachlässigen etwas anderes, was mindestens genauso wichtig ist: DIE FÄHIGKEIT ZU ÜBERLEGEN, also im Sinne des Wortes NACHZUDENKEN! Sie behindern damit die Kreativität und Flexibilität. Das birgt gewisse Gefahren in sich: Je größer das vermeintliche Wissen wird, desto weniger kann der Wissende damit anfangen. Das ist wie bei einem prächtigen Haus ohne Außentüren: Man ist darin gefangen wie in einem Labyrinth und findet nicht mehr hinaus... Denn merke dir eines, John Willard: Die wahrlich Großen in der Geschichte waren niemals diejenigen, die in der Lage waren, möglichst viel Wissen zu speichern, sondern es waren ausnahmslos diejenigen, die vorhandenes Wissen gut verarbeiten und vor allem auch ANWENDEN konnten.
Es ist wie bei einem Supercomputer: Er leistet immer nur soviel wie sein Anwender von ihm abverlangt! Was nutzt schon ungeheures Wissen, das tot bleibt, nicht aktiviert werden kann, weil dazu die Fähigkeit fehlt. Weil diese Fähigkeit im Verlaufe des Lernprozesses zu sehr vernachlässigt wurde und deshalb auf der Strecke blieb?
Kapierst du das, John Willard? Begreifst du, was ich damit sagen will?«
Er erwartete in Wahrheit gar keine Antwort, sondern fuhr gleich fort: »Ja, die Großen in der Geschichte... Am größten werden immer nur diejenigen, die es verstehen, das Wissen anderer sinnvoll zu verwenden - ohne selber tief greifendes Wissen zu besitzen...«
Er sagte es wie im Selbstgespräch, als wäre es gar nicht mehr an meine Adresse gerichtet.
Sein Blick, der wie in weite Ferne gerichtet erschien, klärte sich. Er schaute zu mir herab: »Na, was denkst du, John?«
»Ich - äh - ich dachte gerade, wie viel Wissen ein Mensch haben muss, der unsterblich ist!«
»Ein - unsterblicher - MENSCH?«
Ich ahnte, dass ich etwas Falsches gesagt hatte und stotterte: »Ja, ich - ich meine, dass... dass die Sternenvögte... äh...«
Er sprang zurück und schüttelte die Faust. Auf einmal war er völlig außer sich.
»Ein Mensch? Das hast du gesagt? Ich, ein Sternenvogt... ich sei ein - Mensch? Sag das niemals wieder, John Willard! Ich werde dich sonst...«
»Ein - Gott?«, warf ich rasch ein, in dem hilfslosen Versuch, meinen Fehler wieder wettzumachen, obwohl ich immer noch nicht wusste, wieso der Vogt so reagierte...
»Ich - ich habe dich gewarnt!« Zitternd schlug er die Hände vor das Gesicht. Als er sie nach Sekunden wieder herunterzog, wirkte dieses Gesicht mehr denn je wie eine Maske.
»Ja, ich habe dich gewarnt!«
Ich wusste mir keinen anderen Rat mehr: Instinktiv sprang ich auf und warf mich vor ihm auf den Boden. Das erschien mir das einzig richtige zu sein - in dieser für mich so unverständlichen Situation.
Ich beugte mein Kreuz, bis ich mit der Stirn den Boden berührte.
»Ich bitte um gerechte Strafe für mein Vergehen!«
Da hörte ich ihn heiser lachen: »Nein, Willard, ein Mensch bin ich tatsächlich nicht - beim heiligen Universum und seiner Ordnung! Natürlich bin ich auch kein Gott. Welches Wesen dürfte schon so anmaßend sein? Nur in einem hast du recht, Willard: Ich bin unsterblich! In der Tat!«
Ich wagte es, langsam den Kopf zu heben.
Der Sternenvogt stand breitbeinig über mir, die Hände auf dem Rücken verschränkt. Sein Blick war jetzt irgendwie mitleidig.
Er schaute hinüber zu den blinkenden Kontrollen und den Bildschirmen, die für mich unlesbare Abbilder des Sternenmeeres dort draußen zeigten.
Er wippte auf den Zehenspitzen - irgendwie lässig. Deshalb wagte ich, mich wieder vom Boden zu erheben und verkroch mich in meinem Sessel.
»Aber es wäre falsch anzunehmen, meine Unsterblichkeit hätte mein Schädel zum Bersten voll mit Wissen werden lassen...«
Sein Blick suchte mich. Jetzt wirkte er tieftraurig.
»Wisse, John Willard, auch meine Gehirnkapazität ist begrenzt. Aber ich habe gelernt, Wissen schnell aufzunehmen, schnell verwertbar zu machen - aber nach Verwendung wieder zu löschen.«
Er kam zu mir und legte mir wieder die Hand auf die Schulter, genauso wie vorher, als wäre überhaupt nichts geschehen inzwischen.
»Das will ich dir kurz erläutern, John: Wenn du einen Sachverhalt von hohem Schwierigkeitsgrad erlernst, muss alles andere zurücktreten. Du konzentrierst dich voll und ganz auf den Sachverhalt. Sonst kannst du ihn nicht aufnehmen. Und soll es nicht ein rein reproduzierfähiges Wissen sein, abrufbereit wie zur Prüfung in der Schule, sondern soll es ein echt VERWERTBARES Wissen werden, musst du es nicht nur einfach aufnehmen, sondern in allen wesentlichen Zügen VERSTEHEN! Du musst Querverbindungen knüpfen können, du musst diesem Wissen in deinem Gehirn die Chance geben, sich gewissermaßen zu verselbständigen, dass du vollkommen damit verwächst... Wie bei der Bedienung einer Maschine, die du am Ende so beherrschst, als sei sie ein verlängerter Teil deines Körpers. Und wenn dir dies gelingt, bist du jedem Musterschüler haushoch überlegen. Bringst du es gar zur Perfektion, gewinnst du die Fähigkeit, immer schneller neues Wissen verarbeitungsfähig aufzunehmen - und anzuwenden.
Doch kehren wir zur Schule zurück, wie du sie kennst, Willard: Du erreichst dort nur ein so genanntes reproduzierbares Wissen und wenn es sitzt, bekommst du eine Auszeichnung für gutes Lernen, also gute Noten - und am Ende sogar ein Diplom. Um dieses Wissen zu behalten, musst du es in deinem Gedächtnis immer wieder reproduzieren, auch ohne Abfragen. Du musst es in deinem Kopf immer wieder kreisen lassen.
Du musst ständig dort flicken, wo Lücken entstehen. Du musst dieses Wissen ständig auffrischen, wie man dies auch nennt. Sonst kannst du die diplomierte Reife schon gar nicht erlangen.
Und damit bist du so sehr beschäftigt, dass du das Denken verlernst - die wichtigste Fähigkeit, um Wissen nicht nur zu behalten, sondern auch nutzbringend anzuwenden - und aus den rein theoretischen Fakten endlich den praktischen Nutzen zu ziehen...
Das sind dann Genies besonderer Art. Wandelnde Computer. Alles ist stets abrufbereit. Sie sind Quizmaschinen und verblüffen mit ihren vermeintlichen Kenntnissen. Aber anwenden - das muss ein anderer, der sich solcher organischen Computer zu bedienen weiß. Ja, man braucht solche Menschen auch in der Praxis. Sie sind stets die Ausführenden - auf Spezialgebieten sogar elektronischen Computern überlegen.
Doch das Rad der Geschichte - das wird stets von anderen gedreht.«
Er schloss die Augen.
»Wenn ich das so sage, dann denke ich in der Vergangenheit, John Willard. Jahrhunderte, Jahrtausende... Damals... Ja, damals, da war ich noch kein Sternenvogt gewesen. Ich war einer der Macher, nie einer der Wissenden. Und ich habe das Höchste erreicht, was ein Mensch je erreichen könnte. Aber ich war... ich war... ich war - EIN MENSCH!«
Er brüllte es hinaus: »DAMALS - DA WAR ICH NOCH EIN MENSCH GEWESEN!«
Tränen erstickten seine Stimme und ich begann, sein vorangegangenes Verhalten zu verstehen.
»Damals ein Mensch - kein unsterblicher Sternenvogt...«
Fluchtartig verließ er den Raum.
Ich blieb zurück und fühlte mich leer und ausgelaugt.
Ich hatte von ihm soeben mal wieder mehr erfahren, als ich auf Anhieb verkraften konnte. Es würde eine Weile dauern -...
Erscheint lt. Verlag | 15.10.2019 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Fantasy / Science Fiction ► Science Fiction |
ISBN-10 | 3-7389-3366-2 / 3738933662 |
ISBN-13 | 978-3-7389-3366-6 / 9783738933666 |
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Größe: 1,1 MB
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