Mord vor der Premiere (eBook)
271 Seiten
Aufbau digital (Verlag)
978-3-8412-1771-4 (ISBN)
'Dolly, könntest Du kurz einmal einen Selbstmord begehen?'
Im Winter 1940 verschlägt es den Theaterregisseur Robert Warner für die Premiere seines neuesten Stücks nach Oxford. Gemeinsam mit einem bunt zusammengewürfelten Haufen rund um die provokante Schauspielerin Yseut Haskell, reist er für die Proben an. In der Truppe ist sie mehr als unbeliebt und sorgt für Unruhe in der ebenso verschworenen wie zerstrittenen Gemeinschaft. Kurz darauf wird sie erschossen in einem hermetisch verschlossenen Raum aufgefunden. Der Großteil der Schauspieler hatte ein Interesse die Exzentrikerin loszuwerden und nur wenige haben ein Alibi. Die Polizei ist ratlos und will den Fall schon mit Selbstmord abtun. Doch Gervase Fen, seines Zeichens Oxford Professor und Literaturkritiker mit einem Hang zum Lösen kniffliger Fälle, nimmt sich der Sache an ...
'Mord vor der Premiere' erschien erstmals 1944 und war Edmund Crispins Debüt sowie der erste Roman rund um den exzentrischen Oxford Professor Gervase Fen.
Edmund Crispin, geboren 1921, war das Pseudonym des englischen Krimiautors und Komponisten Robert Bruce Montgomery. 1944 erschien der erste Band seiner Reihe um den Ermittler Gervase Fen, Professor für englische Literatur in Oxford. Crispins Kriminalromane zeichnen sich durch ihren humoristischen Stil, der bis ins Absurde reicht, und gleichzeitig einen hohen literarischen Anspruch aus. Er verstarb 1978. Alle neun Romane der Krimireihe um Gervase Fen sind bei Aufbau Digital verfügbar.
Kapitel I
 Prolog in der Eisenbahn
Hast thou done them? speak;
Will every savor breed a pang of death?
Hast du sie präpariert? Sprich;
Birgt jeder Hauch die Todesqual?
CHRISTOPHER MARLOWE (1564–1593)
Für den unaufmerksamen Reisenden bedeutet die Didcot Station die baldige Ankunft in Oxford, für den erfahreneren mindestens eine weitere halbe Stunde Frustration. In diese beiden Kategorien kann man die Reisenden für gewöhnlich einteilen. Die der ersten schleudern unter Entschuldigungen ihr Gepäck vom Netz auf die Sitze, wo es bis zum Ende der Reise liegenbleibt, als sperriges Hindernis mit einer Vielzahl unerwartet scharfer Ecken; die der zweiten starren weiter düster aus dem Fenster auf die öden Wälder und Felder, in deren Mitte der Bahnhof von einer geistlosen Lokalgottheit ohne ersichtlichen Grund deponiert wurde, und auf die Reihen von Lastwagen aus allen Teilen des Landes, die sich hier zusammengefunden haben wie die Insel der verlorenen Schiffe des zeitgenössischen Mythos inmitten der Sargassosee. Eine beständige Geräuschkulisse aus dunklem Gemurmel und Schreien sowie heftigem Reißen von Holz und Metall, das fern an eine frühe Walpurgisnacht auf einem nahen Friedhof erinnert, lässt die Reisenden, die über etwas mehr Vorstellungskraft verfügen, vermuten, dass die Lok auseinandergenommen und wieder zusammengesetzt wird. Der Aufenthalt in Didcot beläuft sich in der Regel auf knapp zwanzig Minuten.
Dann folgen etwa drei Fehlstarts unter ungeheurem Krachen und Stampfen der Maschine, was die Fahrgäste in einen Zustand tiefster Ergebenheit rüttelt. Mit unendlichem Widerstreben setzt sich der Zug schließlich in Bewegung und trägt seine unglückliche Fracht auf außerordentlich entspannte Weise durch die flache Landschaft. Es folgen noch eine ziemlich überraschende Anzahl von Zwischenstationen und kurzen Halten vor Oxford. Der Zug lässt keine aus. Oft verweilt er ohne jeden ersichtlichen Grund, da niemand ein- oder aussteigt. Hat der Schaffner jemanden verspätet die Bahnhofsstraße herabeilen sehen oder einen Fahrgast aus dem Ort schlafend in seiner Ecke entdeckt und es war ihm unangenehm, ihn zu wecken? Steht eine Kuh auf dem Gleis oder das Signal ist gegen uns? Eine Überprüfung beweist, da ist keine Kuh, oder ein Signal, weder das eine noch das andere.
Kurz vor Oxford wird die Angelegenheit etwas heiterer, sagen wir in Sichtweite des Kanals oder des Tom Tower. Eine Atmosphäre des Zielbewusstseins wird spürbar. Jetzt noch sitzenzubleiben, hut- und mantellos, den Koffer im Gepäckträger und das Ticket in der Innentasche zu lassen, erfordert höchste Willenskraft. Hoffnungsvollere Insassen bahnen sich schon ihren Weg auf die Gänge. Aber unweigerlich hält der Zug direkt vor dem Bahnhof, die monolithische Erscheinung des Gaswerks auf der einen und die eines Friedhofs auf der anderen Seite. Dort verweilt die Lok mit dämonischer Starrköpfigkeit, stößt gelegentlich mit nekrophilem Genuss ächzende Laute und schrille Pfiffe aus. Unbändige, nervöse Frustration setzt ein; da ist Oxford, dort, nur wenige Meter entfernt, ist der Bahnhof, und hier ist der Zug. Aber den Passagieren ist es nicht erlaubt, am Gleis entlangzugehen, falls überhaupt jemand auf die Idee käme. Sie durchleben die Qualen des Tantalus in der Unterwelt. Dieses Zwischenspiel, dieses memento mori, mit dem die Eisenbahngesellschaft die vielversprechenden Burschen und Mädchen in ihrer Obhut daran erinnert, dass sie unausweichlich zu Staub werden, dauert für gewöhnlich zehn Minuten. Danach setzt der Zug missmutig seine Fahrt fort und fährt in den Bahnhof ein, den Max Beerbohm so zutreffend »das letzte Relikt des Mittelalters« genannt hat.
Falls jedoch irgendeiner der Reisenden glaubt, dies sei das Ende, dann irrt er. Einmal dort angekommen, inzwischen beginnen sich sogar die größten Skeptiker zu regen, bemerkt jeder sofort, dass sich der Zug an gar keinem Bahnsteig, sondern auf einem Zwischengleis befindet. Auf beiden Seiten warten Freunde und Verwandte, eilen, nachdem ihnen die Wiedervereinigung in letzter Minute noch verwehrt wird, Freudenschreie ausstoßend hin und her oder verharren mit verdrossenen, ängstlichen Gesichtern und versuchen einen flüchtigen Blick von jenen zu erhaschen, die sie abholen wollen. Es ist, als würde Charons Boot manövrierunfähig mitten auf dem Styx dümpeln, weder fähig, die Reise zu den Toten fortzuführen, noch dazu, zu den Lebenden zurückzukehren. Unterdessen lassen Erschütterungen von seismografischer Stärke die Passagiere samt Gepäck auf den Gängen und im Ausstiegsbereich hilflos schreiend durcheinanderpurzeln. In wenigen Augenblicken werden jene, die auf den Bahnsteigen warten, überrascht den Zug mit einer Rauchwolke und üblem Gestank in Richtung Manchester verschwinden sehen. Bald darauf wird er rückwärts wiederkehren und wie durch ein Wunder ist die Reise vorbei.
Verunsichert strömen die Passagiere durch die Fahrkartenschalter, verstreuen sich wieder auf der Suche nach Taxis, die im Krieg ihre Fahrgäste ohne Rücksicht auf Stellung, Alter oder Vorrang aufnehmen, jedoch mit einer strikt eingehaltenen Logik, die nur sie kennen. Der Strom wird dünner und verliert sich in einem Labyrinth aus alten Gemäuern, Mahnmalen, Kirchen, Universitätsgebäuden, Büchereien, Hotels, Kneipen, Schneidereien und Buchläden, aus denen Oxford besteht. Die Klügeren schauen, wo sie sofort etwas zu trinken bekommen, die Hartnäckigeren schlagen sich zu ihrem endgültigen Ziel durch. Der Wettkampf um Fahrgelegenheiten lässt nur ein paar Einsame zurück, die hier umsteigen müssen und sich unglücklich zwischen den Milchkannen auf dem Bahnsteig die Zeit vertreiben.
Auf die eingangs beschriebene schwere Prüfung reagierten die elf Personen, die zu unterschiedlichen Zeiten und aus unterschiedlichen Gründen in der Woche vom vierten bis elften Oktober 1940 von der Londoner Paddington Station aus nach Oxford reisten, auf unterschiedliche und charakteristische Weise.
Gervase Fen, Professor für englische Sprache und Literatur, von Natur aus kein geduldiger Mensch, war unübersehbar nervös. Die Verzögerungen trieben ihn in den Wahnsinn. Er hüstelte und stöhnte und gähnte, scharrte mit den Füßen und warf seinen großen, schlaksigen Körper in der Ecke, in der er saß, hin und her. Sein freundliches, glattrasiertes und stets leicht gerötetes Gesicht wurde röter als gewöhnlich; seine dunklen, sorgfältig mit Wasser niedergehaltenen Haare befreiten sich missmutig vereinzelt aus der Zähmung. Unter den gegebenen Umständen war sein normaler Überschuss an Energie schlicht lästig. Für gewöhnlich ließ ihn diese Eigenschaft alle möglichen Verpflichtungen eingehen, um anschließend düster zu klagen, er sei mit Arbeit überlastet, was allem Anschein nach niemanden kümmere. Da zudem seine einzige Ablenkung darin bestand, noch einmal aufmerksam eines seiner eigenen Bücher über die unbedeutenderen Satiriker des 18. Jahrhunderts zu lesen, um sich zu erinnern, wie seine Meinung zu diesem Thema damals war, wurde er im späteren Verlauf der Reise zutiefst unglücklich. Er kehrte von einer jener zahllosen Bildungskonferenzen nach Oxford zurück, die am laufenden Band stattfinden und auf denen über die Zukunft der einen oder anderen Institution entschieden werden soll – Entscheidungen, falls welche getroffen werden, die zwei Tage später wieder vergessen sind. Während sich der Zug im Schneckentempo vorwärtsbewegte, dachte er mit schwermütiger Resignation an die William-Dunbar-Vorlesungen, die er vorbereitete, rauchte eine beträchtliche Anzahl Zigaretten und fragte sich, ob es ihm vergönnt sein würde, einen neuen Mordfall zu untersuchen, vorausgesetzt es gäbe einen. Später erinnerte er sich ohne Genugtuung an diesen Wunsch, weil er ihm in jener äußerst ironischen Weise, die den Göttern Vergnügen zu bereiten scheint, gewährt werden sollte.
Er reiste erster Klasse, da er sich immer gewünscht hatte, es sich leisten zu können. Aber im Moment machte ihm selbst das keine Freude. Gelegentlich plagten ihn Gewissensbisse über diese zur Zurschaustellung relativ bescheidenen Wohlstands. Es war ihm jedoch mithilfe einer ex tempore entwickelten Beweisführung zur Belehrung jemands, der ihm unklugerweise Snobismus vorgeworfen hatte, gelungen, sich durch ein etwas wackliges ökonomisches Argument zu rechtfertigen. »Mein lieber Freund«, hatte Gervase Fen geantwortet, »die Eisenbahn hat gewisse konstante Betriebskosten; wenn wir, die wir es uns leisten können, nicht erster Klasse reisen würden, müssten alle Preise in der dritten Klasse steigen, und das würde doch wohl niemandem nützen. Ändern Sie zunächst einmal Ihr ökonomisches System«, fügte er an den Unglücklichen gewandt mit einer weit ausladenden Geste hinzu, »dann stellt sich das Problem erst gar nicht.« Später unterbreitete er dieses Argument mit einigem Triumph dem Professor für Ökonomie, der ihm stotternd in Bruchstücken seine Bedenken kundtat.
Jetzt, da der Zug wieder einmal anhielt, zündete er sich eine Zigarette an, warf sein Buch beiseite, seufzte tief und murmelte vor sich hin. »Ein Verbrechen! Ein richtig herrlich kompliziertes Verbrechen!« Er begann, sich Fantasieverbrechen auszudenken und löste sie mit unglaublicher Geschwindigkeit.
Sheila McGaw, die junge Regisseurin des Oxforder Theaters, reiste in der dritten Klasse. Sie tat dies, weil sie der Meinung war, die Kunst müsse sich zunächst dem Volk zuwenden, bevor sie wieder an Vitalität gewinnen könne. Sie zeigte gerade einem Bauern, der neben ihr saß, ein Buch über Gordon Craigs Bühnenbilder. Sie war eine große junge Frau in Hosen, hatte klar gezeichnete Gesichtszüge, eine...
| Erscheint lt. Verlag | 31.10.2019 | 
|---|---|
| Reihe/Serie | Professor Gervase Fen ermittelt | 
| Professor Gervase Fen ermittelt | |
| Übersetzer | Joanna Bold | 
| Sprache | deutsch | 
| Original-Titel | The Case of the Gilded Fly | 
| Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller | 
| Literatur ► Romane / Erzählungen | |
| Schlagworte | 2. Weltkrieg • 40er Jahre • Agatha Christie • Carola Dunn • College Krimi • Cosy Crime • Cosy Krimi • Edmund Crispin • England • england krimi • Gervase Fen • Krimiklassiker • Michael Innes • Oxford • Professor • Schauspieler | 
| ISBN-10 | 3-8412-1771-0 / 3841217710 | 
| ISBN-13 | 978-3-8412-1771-4 / 9783841217714 | 
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