Der Oktobermann (eBook)
160 Seiten
dtv Deutscher Taschenbuch Verlag
978-3-423-43600-7 (ISBN)
Ben Aaronovitch wuchs in einer politisch engagierten, diskussionsfreudigen Familie in Nordlondon auf. Er hat Drehbücher für viele TV-Serien, darunter >Doctor Who<, geschrieben und als Buchhändler gearbeitet. Inzwischen widmet er sich ganz dem Schreiben. Er lebt nach wie vor in London. Seine Fantasy-Reihe um den Londoner Polizisten Peter Grant mit übersinnlichen Kräften eroberte die internationalen Bestsellerlisten im Sturm.
Ben Aaronovitch wuchs in einer politisch engagierten, diskussionsfreudigen Familie in Nordlondon auf. Er hat Drehbücher für viele TV-Serien, darunter ›Doctor Who‹, geschrieben und als Buchhändler gearbeitet. Inzwischen widmet er sich ganz dem Schreiben. Er lebt nach wie vor in London. Seine Fantasy-Reihe um den Londoner Polizisten Peter Grant mit übersinnlichen Kräften eroberte die internationalen Bestsellerlisten im Sturm.
1 Kartoffelfeuer
Immer Ende September, Anfang Oktober, wenn die Tage schon ziemlich kurz werden, überkommt meinen Vater ein sonderbarer Wahn. Zum allgemeinen Missfallen unserer Nachbarn errichtet er mitten in unserem Garten ein großes Lagerfeuer und lädt Freunde, Kollegen und – ja – auch die Nachbarn zu Bier und im Feuer gebackenen Kartoffeln ein. Auf Privatgelände in Mannheim-Gartenstadt ein Feuer zu machen, ist vielleicht nicht direkt illegal, aber auch nicht gerade rücksichtsvoll. Anzeige hat trotzdem noch kein Nachbar erstattet.
Was daran liegen mag, dass mein Vater der städtische Polizeipräsident ist, vielleicht aber auch an seinen legendären Grillsteaks und der Tatsache, dass er mit dem Bier nicht knauserig ist. Im Geiste ist mein Vater so was wie ein kraftstrotzender Naturbursche aus den Weiten Niedersachsens, mit erfreulichen Erinnerungen an die wohlgestalten Kartoffelköniginnen seiner Jugend. Tatsächlich kommt er aus Ludwigshafen und ist ein schmales Hemd von einem Mann, der die Versuche, sich einen zünftigen Schnurrbart stehen zu lassen, schon Mitte der Siebziger erfolglos einstellen musste.
»Onkel« Stefan, seit dreißig Jahren engster Mitarbeiter und Vertrauter meines Vaters, sagte mir einmal, dieser sei der bemerkenswerteste unscheinbare Mensch, der je auf der Erde wandelte. Meine Mutter sagt, sie hätte meinen Vater damals nur geheiratet, weil er so viel erwachsener war als alle anderen Männer, die sie kannte, und wenn er einmal im Jahr einen Biergarten hinterm Haus aufziehen wollte, könnte sie damit sehr gut leben.
Mir hat unser jährliches Kartoffelfeuer schon immer gefallen, besonders, seit ich erwachsen bin und auch was vom Bier abbekomme. Und seit ich erwachsen und selbst bei der Polizei bin, darf ich bei den Großen sitzen, wo die richtig guten Abenteuergeschichten erzählt werden. Nicht dass ich selbst welche auf Lager hätte – also, jedenfalls keine, die jemand außerhalb der Abteilung KDA hören dürfte. Die besten Geschichten erzählt Stefan, zum Beispiel die von dem Holländer und dem Gürteltier. Oder als er mal eine Nonne wegen Ruhestörung und groben Unfugs verhaften musste.
Oder als er die zwei halb verwesten Kinderleichen im Schrank fand – ein Mädchen und einen Jungen.
»Unser Job«, sagte er und sah mich über sein Bier hinweg an, »ist zu neunzig Prozent Papierkram, zu neun Prozent Ärger und zu einem Prozent der pure Horror.« Er hatte ein grob geschnittenes Gesicht mit kleinen grauen Augen, deren Blick erschreckend schnell von leutselig in bedrohlich funkelnd umschlagen konnte. Musste ziemlich praktisch bei Vernehmungen gewesen sein, damals, als er sich noch selbst die Hände schmutzig machte.
Ich muss einigermaßen beeindruckt gewirkt haben, denn mein Vater fing sofort mit den Belehrungen an. »Polizist ist ein nobler Beruf, Tobi«, sagte er, »aber trotz allem ist es nur ein Beruf, und nach Feierabend sollte man das alles beiseiteschieben und sich den wichtigen Dingen des Lebens zuwenden können.«
»Und die wären?«, fragte ich.
»Familie. Freunde. Haus, Herd und Hund.«
»Er hofft nur, dass du endlich mal was Dauerhaftes mit einem Mädel anfängst«, bemerkte Stefan. »Er hat Angst, dass dir der falsche Fall vor der richtigen Frau begegnet.«
Papa schnaubte, aber ich spürte, dass er Stefan dankbar für die direkten Worte war.
»Du hast Angst, dass mir was passiert?«
Papa schüttelte den Kopf.
»Der falsche Fall hat nichts unbedingt was mit Lebensgefahr zu tun. Dass jeder jeden Moment abkratzen kann, sieht man schon, wenn man ein paar Tage mit den Kollegen von der Verkehrspolizei verbringt«, sagte Stefan und bestätigte mal wieder eindrucksvoll seinen Ruf als Stimmungskanone auf jeder Party.
»Wie wahr«, murmelte mein Vater in sein Bier.
»Was ist der falsche Fall dann?«, fragte ich.
»Der, bei dem du den Abstand verlierst«, sagte Stefan. »In den du dich so reinkniest, dass er zur Obsession wird, und plötzlich heißt es tschüs Familie und hallo Flasche.«
Stefan hatte auf seinem Handy mindestens sechs Gigabyte an Fotos von seinen drei Enkelkindern, die er beim geringsten Vorwand unerbittlich herumzeigte – ihm schien der falsche Fall nie begegnet zu sein, oder aber er war heil darüber hinweggekommen.
»Meine Meinung dazu lautet: Job ist Job, und Schnaps ist Schnaps. Nur damit ihr’s wisst«, sagte ich, was ein deutliches Zeichen war, dass es nun wirklich reichte mit dem Bier.
In jener Nacht schlief ich in meinem alten Zimmer, das meine Mutter teilweise zum Arbeitszimmer umgestaltet hatte. An der Wand hingen die Dienstpläne der Lehrer an ihrer Schule und dazwischen von den Kindern gemalte Bilder. Eines davon war ein Jugendwerk von mir – es zeigte ein typisch wurstförmiges Pferd mit Stöckelbeinen, darauf eine ebenso unförmige Gestalt mit Cowboyhut. Als ich genauer hinsah, bemerkte ich, dass im Kopf des Pferdes entweder ein Pfeil steckte oder ihm ein Horn aus der Stirn wuchs.
Cowboys und Einhörner, dachte ich, während das Bier mich in den Schlaf lullte. Kein Wunder, dass Papa sich Sorgen um mich macht.
Am nächsten Morgen wachte ich früher auf als gedacht und raffte mich auf, eine Runde joggen zu gehen. Die Sonne war noch nicht ganz aufgegangen, aber die gewissenhaften Berufstätigen des langweiligsten Vororts von Mannheim waren bereits dabei, in ihre Mercedes und BMWs zu steigen, um schon an Ort und Stelle an ihrem Schreibtisch zu sein, wenn der Rest der Belegschaft anrückte. Manche hielten einen Thermosbecher mit ihrem zweiten Kaffee in der Hand, um ihn auf der Fahrt zu trinken. An mir zog ein Mercedes C-Klasse mit einem vergessenen Becher auf dem Dach vorbei – der Kaffeeduft mischte sich mit den Auspuffgasen. Fasziniert sah ich zu, wie der Becher sogar in einer scharfen Linkskurve auf dem Auto blieb. Vielleicht war er magnetisch?
Während ich weiterlief, überlegte ich, ob der Becher wohl bis zum Büro dort oben bleiben würde und der überraschte Fahrer ihn dann als erfrischenden Eiskaffee weitertrinken konnte.
Die Straße meiner Eltern führt zu einem Wildpark, durch den ich jogge, seit ich dreizehn bin. Die Runde ist nur drei Kilometer lang, genau das Richtige, um vor dem Frühstück ein bisschen in Schwung zu kommen.
Etwa nach der Hälfte klingelte mein Handy. Die Chefin. Dass sie so früh wach war, konnte nichts Gutes bedeuten.
»Morgen, Herr Winter. Wo sind Sie?«
»In Mannheim«, sagte ich. »Im Urlaub.«
»Jetzt nicht mehr«, sagte sie. »Könnte sein, dass in Trier eine Transgression vorliegt. Fahren Sie hin und überprüfen Sie das. Wir stellen ein paar Infos zusammen und schicken sie Ihnen.«
»Worum geht’s?«, fragte ich.
»Verdächtiger Todesfall. Mit ungewöhnlichen biologischen Charakteristika.«
»Oh wie schön.«
»Dachte ich mir doch, dass Sie sich freuen würden. Also, an die Arbeit!«
»Ja, Chef«, sagte ich. Aber erst lief ich meine Runde noch zu Ende und frühstückte mit meinen Eltern.
Nachdem ich mit sieben den Traum, Astronaut zu werden, begraben hatte, mit neun den vom Profifußball und schließlich mit vierzehn auch den von der Karriere als Rockmusiker, beschloss ich, in die Fußstapfen meines Vaters zu treten und zur Polizei zu gehen. Aber nicht zur baden-württembergischen Landespolizei – ich hatte nun wirklich keine Lust darauf, dass er mich sogar bei der Arbeit herumkommandieren konnte. (Zugegeben, zu Hause hat er mich nie herumkommandiert – das übernimmt Mama bei uns beiden.)
Also ging ich zum Bundeskriminalamt und landete dort bei der Abteilung KDA, weil mir nicht schnell genug eine Ausrede einfiel und weil die Chefin manchmal einen Sinn für Humor wie die Knusperhexe hat. »KDA« steht für »Komplexe und diffuse Angelegenheiten«, und da man sich nicht darauf verlassen kann, dass die Briten sich langfristig an getroffene Abmachungen halten, war ich plötzlich mitten in der Magieausbildung.
Mama nahm die Nachricht, dass ich mich früher als geplant verabschieden musste, beim Frühstück mit einem Achselzucken hin. Sie sagte, sie hoffe, ich könne noch mal vorbeikommen, wenn der Fall erledigt wäre. So eisern mein Vater behauptet, er sei immer pünktlich zu Hause gewesen, ich bin mir sicher, dass sie auch mit ihm einige solcher Situationen erlebt hat. Das gehört nun mal zu unserem Job.
Meine Arbeit mag prinzipiell esoterischer Natur sein, aber die meiste Zeit fahre ich eigentlich durch die Gegend. Vor Kurzem ist es mir gelungen, mit Hilfe einigen beeindruckenden Papierkrams einen polizeispezifisch ausgestatteten silbernen VW Golf VII GTI als Dienstwagen zu bekommen. Nicht gerade ein aufregendes Gefährt, aber bequem und zuverlässig – mein Vater war natürlich sehr angetan.
Nachdem ich mich von meinen Eltern verabschiedet hatte, die zu ihrer jeweiligen Arbeit mussten, schaute ich, ob ich genug Sachen zum Wechseln in meiner Reisetasche hatte, ob mein Spurensicherungskoffer vollständig bestückt und die Akkus im Geigerzähler aufgeladen waren. Dann legte ich das Schulterholster an, holte die Pistole aus dem Familienwaffenschrank, vergewisserte mich, dass mein Thermosbecher mit Kaffee nicht mehr auf dem Autodach stand, und fuhr los.
Trier ist nicht gerade eine Verbrecherhochburg. Es wurde bei Umfragen der Deutschen Zentrale für Tourismus fünfmal in Folge zur »hübschesten Stadt Deutschlands« gekürt, im Schnitt gibt es zwei Morde pro Jahr, und die größte Herausforderung für die öffentliche Sicherheit ist das jährliche Altstadtfest. Als ich in meinem Golf durchs Moseltal nach Süden rollte, gab mir...
Erscheint lt. Verlag | 20.9.2019 |
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Reihe/Serie | Die Flüsse-von-London-Reihe (Peter Grant) | Die Flüsse-von-London-Reihe (Peter Grant) |
Übersetzer | Christine Blum |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Fantasy / Science Fiction ► Science Fiction |
Schlagworte | Alex Verus • benedict jacka • BKA • Der Gefangene von London • Fantasykrimi • Fantasyliteratur • Flüsse von London • Flussgeister • Geister • Harry Dresden • Jim Butcher • Kevin Hearne • Krimi • Kriminalroman • kulturpass • Kurzroman • Magie • Mosel • Peter Grant • Süßwein • Tinte und Siegel • Tobi Winter • Trier • Übernatürliches • Übersinnlich • Urban Fantasy • Urban-Fantasy-Serie • Weinbau • Zeitgenössische Fantasy |
ISBN-10 | 3-423-43600-X / 342343600X |
ISBN-13 | 978-3-423-43600-7 / 9783423436007 |
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