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Mein Fall (eBook)

eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
144 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-491210-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Mein Fall -  Josef Haslinger
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»Nie habe ich von Pater G. erzählt, aus Angst, man könne mir anmerken, dass ich sein Kind geblieben bin.« »Meine Eltern hatten mich der Gemeinschaft der Padres anvertraut, weil mich dort das Beste, das selbst sie mir nicht geben konnten, erwarten würde. Ich habe sie heimlich oft verflucht, weil sie mich nicht darauf vorbereitet hatten, was dieses Beste sei ...« Als Zehnjähriger wurde Josef Haslinger Schüler des Sängerknabenkonvikts Stift Zwettl. Er war religiös, sogar davon überzeugt, Priester werden zu wollen, er liebte die Kirche. Seine Liebe wurde von den Padres erwidert. Erst von einem, dann von anderen. Ende Februar 2019 tritt Haslinger vor die Ombudsstelle der Erzdiözese Wien für Opfer von Gewalt und sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche. Dreimal muss er seine Geschichte vor unterschiedlich besetzten Gremien erzählen. Bis der Protokollant ihn schließlich auffordert, die Geschichte doch bitte selbst aufzuschreiben.

Josef Haslinger, 1955 in Zwettl/Niederösterreich geboren, lebt in Wien und Leipzig. Seit 1996 lehrt Haslinger als Professor für literarische Ästhetik am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. 1995 erschien sein Roman ?Opernball?, 2000 ?Das Vaterspiel?, 2006 ?Zugvögel?, 2007 ?Phi Phi Island?. Sein letztes Buch ?Jáchymov? erschien im Herbst 2011. Haslinger erhielt zahlreiche Preise, zuletzt den Preis der Stadt Wien, den Ehrenpreis des österreichischen Buchhandels und den Rheingau Literaturpreis. 2010 war er Mainzer Stadtschreiber. Literaturpreise: Theodor Körner Preis (1980) Österreichisches Staatsstipendium für Literatur (1982) Förderungspreis der Stadt Wien (1984) Stipendium des Deutschen Literaturfonds (1985) Österreichisches Dramatikerstipendium (1988) Elias Canetti-Stipendium der Stadt Wien (1993-94) Stipendium des Deutschen Literaturfonds (1994) Förderungspreis des Landes Niederösterreich für Literatur (1994) Preis der Stadt Wien und Ehrenpreis des österreichischen Buchhandels (2000) Mainzer Stadtschreiber (2010) Rheingau Literatur Preis (2011)

Josef Haslinger, 1955 in Zwettl/Niederösterreich geboren, lebt in Wien und Leipzig. Seit 1996 lehrt Haslinger als Professor für literarische Ästhetik am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. 1995 erschien sein Roman ›Opernball‹, 2000 ›Das Vaterspiel‹, 2006 ›Zugvögel‹, 2007 ›Phi Phi Island‹. Sein letztes Buch ›Jáchymov‹ erschien im Herbst 2011. Haslinger erhielt zahlreiche Preise, zuletzt den Preis der Stadt Wien, den Ehrenpreis des österreichischen Buchhandels und den Rheingau Literaturpreis. 2010 war er Mainzer Stadtschreiber. Literaturpreise: Theodor Körner Preis (1980) Österreichisches Staatsstipendium für Literatur (1982) Förderungspreis der Stadt Wien (1984) Stipendium des Deutschen Literaturfonds (1985) Österreichisches Dramatikerstipendium (1988) Elias Canetti-Stipendium der Stadt Wien (1993-94) Stipendium des Deutschen Literaturfonds (1994) Förderungspreis des Landes Niederösterreich für Literatur (1994) Preis der Stadt Wien und Ehrenpreis des österreichischen Buchhandels (2000) Mainzer Stadtschreiber (2010) Rheingau Literatur Preis (2011)

Das Buch wird nicht zuletzt dadurch zu einem literarischen Glanzsstück, dass Haslinger diese Odyssee in dramaturgischer Meisterschaft verwebt mit den Vorgängen aus seiner Kindheit.

Kritisch sich selbst gegenüber, im Urteil über andere ausgewogen – in diesem Ton schreibt Haslinger.

Er klärt und erklärt sein Verhalten, die Umstände, den Zusammenhang. Die Unfähigkeit, sich zur Wehr zu setzen.

Haslinger ist vorsichtig und reflektiert, versucht zu verstehen, wie er sich als Kind verhalten hat, dann als Erwachsener.

›Mein Fall‹ ist die aufrichtige und selbstreflexive Auseinandersetzung Josef Haslingers [...] eine ebenso aufwühlende wie erhellende Lektüre.

›Mein Fall‹ ist ein Lehrstück in Sachen Täter- und-Opfer-Beziehung, das nicht nur unter Betroffenen viele Diskussionen anregen dürfte.

Das Buch ist schmal und in sachlichem Ton gehalten. Daraus bezieht es seine schmerzliche Wucht.

kein schönes, kein aufbauendes, nicht einmal ein tröstliches Buch. Man will es kein zweites Mal lesen. Aber einmal sollte man es unbedingt gelesen haben.

Es ist ein Buch, das Zwischentöne kennt, das in der Suchbewegung nach der Wahrheit bleibt.

ein bemerkenswertes Buch [...]. Gegen seine inneren Widerstände hat Haslinger eine eigene, schlüssige Form [...] gefunden.

Dieses Buch ist kein Roman, sondern ein Dokument. Und das reicht auch völlig. Denn was Josef Haslinger dokumentiert, ist ungeheuerlich.

Ein verstörendes, ein im Zorn geschriebenes, aber im Urteil trotzdem klares, ein unbedingt empfehlenswertes Buch.

1


Nachdem ich jahrelang entschlossen gewesen war, es nicht zu tun, wandte ich mich am 25. November 2018 an die Unabhängige Opferschutzanwaltschaft, eine Initiative gegen Missbrauch und Gewalt. Sie war nach dem Bekanntwerden einer Fülle von Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche Österreichs vom Wiener Kardinal Schönborn gegründet worden. Es gibt sie schon seit 2010. Ich hatte acht Jahre lang gezögert, vor dieser Institution über die Vorkommnisse in meiner Kindheit auszusagen. Aber nun war ich dazu bereit.

Wer sich auf der Website der Unabhängigen Opferschutzanwaltschaft umsieht, kann leicht in Verwirrung geraten, weil dort noch von einer zweiten Institution, nämlich von der Unabhängigen Opferschutzkommission die Rede ist. Allerdings scheinen beide Institutionen dem gleichen Ziel zu dienen.

Die Unabhängige Opferschutzanwaltschaft und die Unabhängige Opferschutzkommission, so steht da zu lesen, ergreifen und beschließen Maßnahmen und Initiativen – insbesondere auch finanzielle und therapeutische – im Interesse von Betroffenen, die im Kindes- oder Jugendalter Opfer von Missbrauch oder Gewalt durch VertreterInnen und Einrichtungen der katholischen Kirche in Österreich geworden sind. www.opfer-schutz.at

In welchem Verhältnis diese beiden Institutionen zueinander stehen, wird auf der Website folgendermaßen erklärt: Die Unabhängige Opferschutzanwaltschaft wird von Waltraud Klasnic geleitet, die sich bei ihren Aktivitäten auf die Entscheidungen und Empfehlungen der Unabhängigen Opferschutzkommission stützt, deren Vorsitzende sie ist.

 

Waltraud Klasnic, die ehemalige Landeshauptfrau der Steiermark, steht also einer Kommission vor, die für eine andere Institution, die sie ebenfalls leitet, Entscheidungen trifft und Empfehlungen abgibt. So verwirrend mir das einerseits vorkam, so klar war andererseits, wer hier die eigentliche Zuständigkeit für meinen Fall haben musste, nämlich die von den Medien meist als Klasnic-Kommission bezeichnete Unabhängige Opferschutzkommission, die ja nicht nur aus ihrer Vorsitzenden besteht, sondern, wie es auf der Website weiter heißt, aus angesehenen und fachlich kompetenten Persönlichkeiten vor allem aus den Bereichen Recht, Psychologie, Medizin, Pädagogik und Sozialarbeit.

 

Und dann werden diese Persönlichkeiten aufgezählt. Die Liste beginnt mit Dr. Brigitte Bierlein, der Präsidentin des Verfassungsgerichtshofes. Ihr Eintrag wurde sieben Monate später mit der zusätzlichen Bemerkung versehen, sie habe ihre Mitgliedschaft in der Kommission für die Zeit ihrer Tätigkeit als Bundeskanzlerin ruhend gestellt.

Außer Brigitte Bierlein waren noch sechs weitere Persönlichkeiten als Mitglieder der Unabhängigen Opferschutzkommission aufgelistet: Univ.-Prof. Dr. Reinhard Haller, ein Psychiater und Neurologe, Hon.-Prof. Dr. Udo Jesionek, der Präsident der größten Opferhilfsorganisation ›Weißer Ring‹, Mag. Ulla Konrad, die langjährige Präsidentin des Berufsverbandes Österreichischer Psychologinnen und Psychologen, Dr. Werner Leixnering, der einstige Leiter der Abteilung für Jugendpsychiatrie der Landes-Nervenklinik in Linz, Mag. Caroline List, die Präsidentin des Landesgerichts für Strafsachen Graz, sowie Dr. Kurt Scholz, der ehemalige Präsident des Wiener Stadtschulrats und danach der Restitutionsbeauftragte der Stadt Wien.

Als ich mich auf der Website der Unabhängigen Opferschutzkommission umsah, war ich womöglich etwas voreilig. Ich las, dass die Kommissionsmitglieder für Gespräche, rechtliche und psychologische Beratung, generelle Empfehlungen und Vorschläge sowie für die Dokumentation zuständig seien, und wähnte mich an der richtigen Stelle. Vor allem die Dokumentation war mir wichtig geworden. Ich wollte, dass mein Fall von einer offiziellen Institution dokumentiert wird.

Aber an welche Persönlichkeit sollte ich mich wenden? Auf der Website waren die Mail-Adressen aller Kommissionsmitglieder angeführt. Ich nahm einfach die erste Adresse, die von Frau Dr. Brigitte Bierlein, der Präsidentin des Verfassungsgerichtshofs. Ich wusste nichts über sie, aber ihr Amt vermittelte den Nimbus von Korrektheit und Überparteilichkeit. Hätte ich in Ruhe weiter recherchiert, hätte ich erfahren können, dass ich letztlich weder vor der Unabhängigen Opferschutzanwaltschaft noch vor der Unabhängigen Opferschutzkommission aussagen sollte, sondern vor der von der Erzdiözese Wien eingerichteten Ombudsstelle für Opfer von Gewalt und sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche. Aber das wusste ich nicht, denn ich hatte nicht die nötige Ruhe, alles durchzulesen, als ich nach Jahren der Weigerung, dies zu tun, am Abend des 25. November 2018 eine Mail an Brigitte Bierlein schrieb und dabei schon im ersten Satz zu erkennen gab, dass mir die Unterscheidung zwischen Opferschutzanwaltschaft und Opferschutzkommission noch nicht geläufig war. Ich schrieb:

Ich wende mich an Sie als Mitglied der Unabhängigen Opferschutzanwaltschaft. Nach langem Zögern habe ich mich nun entschlossen, über den sexuellen Missbrauch, der mir in jungen Jahren als Sängerknabe im Zisterzienserkloster Stift Zwettl widerfahren ist, auszusagen. Ich bitte Sie freundlichst um eine Terminvereinbarung für ein vertrauliches Gespräch.

Sie antwortete mir schon zwanzig Minuten danach:

Zunächst möchte ich mich für Ihr Vertrauen und Ihren Mut zu einer Aussage bedanken.

Grundsätzlich werden die Erstgespräche nicht von den Kommissionsmitgliedern geführt. In Ihrem Fall würde ich aber eine Ausnahme machen, wenn Sie das wünschen.

Bitte allerdings um Verständnis, dass ich wegen unserer Session im Verfassungsgerichtshof, die morgen beginnt und bis 14. Dezember dauert, leider erst einen Termin danach vereinbaren kann.

Mit Ihrem Einverständnis würde ich Herrn Professor Herwig Hösele, der die Sekretariatsarbeit in der Kommission verrichtet, ersuchen, Sie über unsere (diskrete) Vorgangsweise bzw. den nun schon langjährigen Ablauf (die Kommission arbeitet seit 8 Jahren) zu informieren.

Beste Grüße

Brigitte Bierlein

 

Ich war erfreut über die schnelle Antwort. Zwar wurde ich von Brigitte Bierlein darüber belehrt, dass die Erstgespräche nicht von den Kommissionsmitgliedern geführt würden, aber sie hatte mir gleichzeitig angeboten, für mich eine Ausnahme zu machen. Der von ihr genannte Prof. Herwig Hösele, der mich über die Vorgangsweise informieren sollte, hat nie Kontakt mit mir aufgenommen. Dafür bekam ich von Brigitte Bierlein eine gute halbe Stunde später erneut eine Mail:

Nach Durchsicht unserer Sessionstermine könnte ich Ihnen doch noch diesen Freitag 29.11. zwischen 13.45h und 14.45h oder Samstag 30.11. zwischen 13h und 15h anbieten.

Bevor ich schlafen ging, antwortete ich:

Ich bin überrascht, wie schnell Sie reagiert haben. Leider werde ich ausgerechnet am kommenden Wochenende nicht nach Wien kommen.

Am nächsten Morgen fand ich erneut eine Mail von Brigitte Bierlein vor:

Ginge Freitag 7.12. zwischen 11.30h und 14h? … Wenn ich nicht gleich antworte, gehen Mails in der Vielzahl »unter«, (auch) deshalb rasche Reaktion …

Sie gab mir auch noch ihre Handynummer, was ich nur als besonderen Vertrauensbeweis verstehen konnte. Den neuen Termin konnte ich ihr bestätigen. Jahrzehntelang hatte ich es abgelehnt, bei einer offiziellen Stelle zu dokumentieren, was mir als Kind im Zisterzienserkloster Stift Zwettl widerfahren ist. Ich hätte das Gefühl gehabt, mich zu wichtig zu nehmen und mit diesem Schritt auch noch anderen ihr Leben zu zerstören. Aber an diesem 25. November, einem Sonntag, der in den evangelischen Kirchengemeinden als »Totensonntag« begangen wird, hatte ich den ganzen Tag lang recherchiert, wer von den Tätern, die ich nunmehr zu benennen gedachte, noch lebte und wer schon gestorben war. Ich hatte herausgefunden, dass mittlerweile alle Erziehungsberechtigten, die in meiner Sängerknabenzeit sexuellen Kontakt zu mir gesucht hatten, tot waren. Das hatte es mir erleichtert, meinen in den Tagen davor gereiften Entschluss nun auch wirklich umzusetzen.

Ich schaute mich noch einmal auf der Website der Klasnic-Kommission um und sah meinen Irrtum, was die Zuständigkeit für die »Erstaussage« betrifft, bestätigt. Aber ich hatte Glück gehabt. Unversehens war ich in eine privilegierte Lage geraten. Ich war die Ausnahme. Ich würde mich nicht zur Ombudsstelle für Opfer von Gewalt und sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche der Erzdiözese Wien begeben müssen, meine Aussage würde im Haus der respektabelsten demokratischen Rechtsinstitution von deren Präsidentin zur Kenntnis genommen werden.

In der Nacht vor meiner Aussage, als die Erinnerungen an meine Sängerknabenzeit mich lange wach hielten, kam ich auf die Idee, dass ich Fotos mitbringen sollte. Und so stand ich früh auf, um ein altes Plastiksackerl zu suchen, in dem, wie ich mich zu erinnern meinte, neben Ausgaben der St. Pöltner...

Erscheint lt. Verlag 29.1.2020
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Anspruchsvolle Literatur • Katholische Kirche • Kirche • Missbrauch • Österreich • Priester • Stift Zwettl
ISBN-10 3-10-491210-6 / 3104912106
ISBN-13 978-3-10-491210-3 / 9783104912103
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