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Omas Inselweihnacht (eBook)

Ein Föhr-Roman
eBook Download: EPUB
2019 | 1. Auflage
160 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-00390-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Omas Inselweihnacht -  Janne Mommsen
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Ein tief verschneiter Dezember auf Föhr. Oma Imke träumt von einem harmonischen Weihnachten in der Familie. Sie stellt den Julboom auf und pflegt andere friesische Rituale. Doch dann sagt einer nach dem anderen ab. Bei ihren Versuchen, den Heiligabend doch noch zu retten, landet sie am winterlichen Deich, in der Inseldisco und in einer alten Mühle. Irgendwann wird ihr alles zu viel, und sie flieht zu ihrem heimlichen Liebhaber nach Amrum. Wegen einer Sturmflut kann sie nicht zurück. Wird es ein Weihnachtswunder für die Familie Riewerts geben?

Janne Mommsen hat in seinem früheren Leben als Krankenpfleger, Werftarbeiter und Traumschiffpianist gearbeitet. Inzwischen schreibt er überwiegend Romane und Theaterstücke. Mommsen hat in Nordfriesland gewohnt und kehrt immer wieder dorthin zurück, um sich der Urkraft der Gezeiten auszusetzen.

Janne Mommsen hat in seinem früheren Leben als Krankenpfleger, Werftarbeiter und Traumschiffpianist gearbeitet. Inzwischen schreibt er überwiegend Romane und Theaterstücke. Mommsen hat in Nordfriesland gewohnt und kehrt immer wieder dorthin zurück, um sich der Urkraft der Gezeiten auszusetzen.

1


Wie jedes Jahr begann die Vorweihnachtszeit für Imke damit, dass sie einen Tag vor dem ersten Advent die Holzstange mit dem Metallhaken hervorholte und damit die Luke an der Flurdecke herunterzog. Die Treppe zum Dachboden kam ihr zur Hälfte entgegen, den Rest klappte sie mit der Hand auf. Vorsichtig stieg sie die wackeligen Holzstufen hoch und schaltete die beiden nackten Glühbirnen an, die vom Dachgebälk hingen. Unter dem Reet war es eiskalt und roch nach Staub. Wie immer staunte sie über die Unordnung, alles stand voll – womit eigentlich? Jedes Mal nahm sie sich vor, endlich auszumisten. Und ließ es dann doch bleiben.

Vorsichtig stieg sie über Lampenschirme, Fahrradteile und Kartons mit alten Briefen hinweg. In einem Ganzkörperspiegel, der an einen Garderobenständer gelehnt war, sah sie sich selbst: dünn, in schwarzer Jeans und weißem T-Shirt ohne Aufdruck. Ihre Falten waren im fahlen Licht zum Glück nur unklar zu erkennen, die grauen Haare ebenfalls.

Letztes Jahr hatte sie die Weihnachtssachen in die äußerste Ecke des Dachbodens verfrachtet, direkt neben das Kinderspielzeug. Auf einer ausrangierten Blumenbank saßen ihre beiden Lieblingspuppen Keike und Johanna und blickten sie aufmerksam an. Sie trugen die schwarze Friesentracht der Insel Föhr, mit weißer Schürze, Haube und Schmuck über der Brust. Imkes Großmutter hatte sie eigenhändig genäht. Als kleines Mädchen hatte Imke jeden Tag mit den Puppen gespielt, sie waren wie Geschwister für sie. Das war jetzt über sechzig Jahre her, obwohl es ihr vorkam wie gestern.

Sie seufzte und legte die Puppen vorsichtig in den Umzugskarton, auf den sie dick mit Filzstift «Jul» geschrieben hatte, das friesische Wort für Weihnachten. Darin befanden sich Lichterketten, Christbaumkugeln, Tüten mit Lametta, Girlanden, kleine Elche, Kobolde und Feen, das meiste davon jahrzehntealt.

Als sie den Karton anhob, stöhnte sie laut auf: War er von selbst schwerer geworden oder sie schwächer? Letztes Jahr war es doch auch ohne Probleme gegangen. Außerdem war sie erst Anfang siebzig. Aber trag mal einen riesengroßen, bleischweren Karton eine viel zu schmale Holztreppe hinunter – das ist reine Artistik!

Beim Abstieg wäre sie beinahe gestürzt und konnte sich gerade noch auffangen. Unten stellte sie den Karton ab und musste sich erst mal auf einen Stuhl setzen, um Luft zu holen. Nächstes Jahr soll das Arne machen, dachte sie. Ihr Sohn hatte es mit Anfang fünfzig zwar auch schon mit dem Rücken, aber den Karton würde er ja wohl noch schaffen.

Ein heftiger Regenschauer prasselte gegen die Haustür. Der Westwind schob seit Tagen dunkle Wolkenberge vom Meer über das Dorf Nieblum, in dem ihr kleines Häuschen stand. Imke lächelte, genau das richtige Wetter, um mit dem Dekorieren zu beginnen! Sie schob die Kiste ins Wohnzimmer und steuerte auf den Hi-Fi-Turm zu: CD-Spieler, Radio und Plattenspieler in einem. Auch wenn ihr Enkel Sönke sich gerne lustig über ihre museumsreifen Geräte machte – alles funktionierte immer noch perfekt, sogar auf Stereo. Wenn sie allein war, drehte sie oft die Anlage auf und tanzte dazu.

Sie legte die CD mit Weihnachtsmusik ein, die ihre Enkelin Maria ihr am Computer aufgenommen hatte. Sie enthielt sämtliche Klassiker, von «Last Christmas» bis «O, du fröhliche». Dazu stellte Imke die Discokugel an der Zimmerdecke an, die ihr der Besitzer der Föhrer Inseldisco «Erdbeerparadies» vor Jahren überlassen hatte. Das beste Mittel gegen Winter-Schwermut, wie sie wieder einmal feststellte.

Beschwingt machte sie sich ans Auspacken des Kartons. Eigentlich war der Raum das ganze Jahr bunt geschmückt, denn Imke liebte Kitsch jeder Art und war beim Dekorieren nach dem Tod ihres Mannes noch hemmungsloser geworden. Das «gute Geschirr» in der beleuchteten Glasvitrine hatte sie gegen eine Sammlung Schneekugeln mit den tollsten Motiven ausgetauscht, darunter Paris und Mallorca, Bambi, diverse Leuchttürme, Daisy Duck, Marilyn Monroe, die Fähre zum Festland, Fred Astaire und Ginger Rogers. Sobald man die Kugeln schüttelte, lag die Welt im Schneetreiben, es war ein Traum! An den Wänden hingen gerahmte Fotos von ihren Kindern, von Bekannten, Freunden und Stars wie Gitte, Cindy und Bert in ihren besten Tagen sowie Mick Jagger, den sie zeit ihres Lebens richtig sexy gefunden hatte.

Als Erstes nahm sie den Julboom aus der Kiste, der gleich obenauf lag. Er kam auf die Fensterbank. Nach alter Tradition bestand der friesische Weihnachtsbaum aus einem kniehohen Holzstab mit drei Querstreben, an die ein Schwein, eine Kuh, ein Schaf, ein Hahn, ein Segelschiff und eine Mühle aus Salzteig gehängt wurden. Ganz unten, an den Stamm, wurden die Figuren von Adam und Eva mit Schlange unter einen kleinen Apfelbaum gestellt. Der klassische Weihnachtsbaum war erst viel später nach Föhr gekommen und hatte sich nur langsam durchgesetzt, weil es nicht viele Tannen auf der Insel gab, die man für das Fest fällen konnte. Ihren Julboom hatte Imkes Urgroßvater mal für ihre Großmutter angefertigt. Sie schmückte ihn mit einer Girlande aus Efeu, stellte vier Kerzen auf die Querstreben, von denen sie die erste gleich morgen, am ersten Advent, anzünden würde.

Die beiden Puppen setzte Imke auf die Couchlehne. Dann kamen Tannenzweige ins Schlafzimmer, in die Küche und ins Bad. Alles, was ging, wurde mit Lametta verziert, auch die Lampenschirme im Flur – sie liebte die Glitzerstreifen über alles.

Imke zog die Vorhänge zu, stellte weiße Kirchenkerzen in eine Ecke des Wohnzimmers und zündete sie mit einem langen Streichholz an. Die Discokugel drehte sich zur Musik. Zufrieden atmete sie auf: Da war es, jenes wohlige Adventsgefühl.

Gut, man hätte einwenden können, dass es insgesamt vielleicht etwas viel Lametta war. Aber sie fand, dass «viel» gerade ausreichte: Weihnachten war für sie ein fröhliches Fest, und nichts brachte das besser zum Ausdruck als Glitzer.

Als sie mit dem Dekorieren fertig war, begab Imke sich in die Küche. Sie band sich die Schürze um und machte sich ans Werk: Jetzt wurde gebacken! Ihre Spezialität waren Vanillekekse mit geriebenen Walnüssen. Aus dem CD-Spieler tönte gerade eines ihrer Lieblingslieder von Knut Kiesewetter.

Wenn de Wind dreiht, vun Nord weiht

Un Reg’n geg’n de Finster neiht,

De Schieb’n dahl rennt,

denn föhl ik mi wohl.

Wenn dat Füer in Kamin brennt

Un jeder di bi’n Vörnam nennt,

Weil he di kennt, denn is uns Hus vull.

Während sie den Teig vorbereitete, dachte sie an das bevorstehende Weihnachtsfest. Wie jedes Jahr würde die gesamte Familie an Heiligabend in ihrem Wohnzimmer zusammenkommen – bis auf Cord, ihren Ältesten, der mit seiner Frau Narasinee und der kleinen Jade in Frankfurt blieb. Der Raum würde dampfen, so muckelig warm würde es mit all den Menschen werden. Es gab bloß ein Problem: Eigentlich verstanden sich die Mitglieder der Familie Riewerts gut, nur an einem Tag im Jahr gerieten sie garantiert aneinander, und das war ausgerechnet an Heiligabend. Imke hatte keine Ahnung, warum.

Letztes Jahr zum Beispiel hatten sich alle am frühen Abend bei ihr zu Hause versammelt: ihr Sohn Arne mit seiner Tochter Maria, ihre Tochter Geeske mit Mann Kurt und Sohn Sönke, der genauso alt war wie seine Cousine Maria, und ihre Tochter Regina mit Mann Holger und Sohn John. Imke stand gerade in der Küche und kümmerte sich um das Essen, wobei sie auf sämtliche Sonderwünsche einging. Nur für die Unkomplizierten gab es Kartoffelsalat mit Würstchen. Irgendwann gesellte sich Arne zu ihr, um die Mayonnaise mit exotischen indischen Gewürzen zu verfeinern. Bis dahin war alles wunderbar gewesen.

«Weißt du aus dem Kopf, wie viele Porzellantiere du inzwischen besitzt?», erkundigte Arne sich bei seiner Schwester Regina, als er wieder im Wohnzimmer war. Und das, obwohl er ihre Porzellanschafe hasste!

«Keine Ahnung», antwortete Regina.

«Langsam müsstest du damit ins Guinnessbuch der Rekorde kommen.»

«Meinst du?»

«Klar! Und tauschst du dich auch mit anderen Sammlern über das Thema aus?»

«Nee, das sind ja meine Konkurrenten.»

Es wirkte freundlich, wie er sich nach der Lieblingsbeschäftigung seiner Schwester erkundigte.

Auch Regina bemühte sich sichtlich: «Haben sich deine Surfschüler im Lauf der letzten Jahre eigentlich verändert?»

Arne war Surflehrer auf der Insel.

«Ja, inzwischen trauen sich immer mehr Übergewichtige aufs Brett.»

Womit er, ohne es zu merken, eine Anspielung auf Reginas rundliche Körperform gemacht hatte. Die wechselte schnell das Thema und begann nun, ohne Punkt und Komma von ihren Porzellanfiguren zu schwärmen.

Arne hielt eisern durch, fünf Minuten, zehn, zwölf, dreizehn … Dann wurde es ihm zu viel, und er fing wieder vom Surfen an, ohne dass er auf sie eingegangen wäre.

«Ich könnte auch dir Surfen beibringen, du müsstest nur etwas mehr Kondition haben.»

Oje, Arne, wer hörte so etwas gerne?

Jedenfalls war Regina jetzt bedient und wollte nur noch eins: Rache. Da aber bei Gefühlen eins und eins nicht zwei macht, bekam die Wut erst mal ihre ältere Schwester Geeske ab, die gerade von dem neuen Kleinwagen erzählte, den ihr Mann Kurt und sie sich kürzlich angeschafft hatten.

«Du tust immer so arm, aber in Wirklichkeit seid ihr ja wohl kackreich!», meinte Regina.

Geeske explodierte. «Musst du gerade sagen! Setzt dich hier auf der Insel ins gemachte Nest! Wenn dein Mann nicht das Haus mit in die Ehe gebracht hätte, würdest...

Erscheint lt. Verlag 17.9.2019
Reihe/Serie Die Oma-Imke-Reihe
Die Oma-Imke-Reihe
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Advent • Anne Barns • Arne • Dora Heldt • Föhr • Gabriella Engelmann • Heiligabend • humorvolle Bücher • Imke • Julboom • Landfrauensingen • Maria • Nordsee • Nordsee Roman • Oma • Oma Imke • Regina • Sönke • Sturmflut • Sylt • Weihnachten • Weihnachtsroman
ISBN-10 3-644-00390-4 / 3644003904
ISBN-13 978-3-644-00390-3 / 9783644003903
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