Nach Notat zu Bett (eBook)
256 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-00413-9 (ISBN)
Der Schriftsteller, Musiker und Schauspieler Heinz Strunk wurde 1962 in Bevensen geboren. Seit seinem ersten Roman Fleisch ist mein Gemüse hat er 14 weitere Bücher veröffentlicht. Der goldene Handschuh stand monatelang auf der Bestsellerliste; die Verfilmung durch Fatih Akin lief im Wettbewerb der Berlinale. 2016 wurde der Autor mit dem Wilhelm Raabe-Literaturpreis geehrt. Seine Romane Es ist immer so schön mit dir und Ein Sommer in Niendorf waren für den Deutschen Buchpreis nominiert.
Der Schriftsteller, Musiker und Schauspieler Heinz Strunk wurde 1962 in Bevensen geboren. Seit seinem ersten Roman Fleisch ist mein Gemüse hat er 14 weitere Bücher veröffentlicht. Der goldene Handschuh stand monatelang auf der Bestsellerliste; die Verfilmung durch Fatih Akin lief im Wettbewerb der Berlinale. 2016 wurde der Autor mit dem Wilhelm Raabe-Literaturpreis geehrt. Seine Romane Es ist immer so schön mit dir und Ein Sommer in Niendorf waren für den Deutschen Buchpreis nominiert.
Januar Der Biss des Zahnlosen
1.1. Bereits um 6.45 aufgewacht («wie eine Rakete im Bett»), Serotonin- und alle weiteren Spiegel vollkommen im Keller, schwere Morgen- und Neujahrs-Depression (obwohl ich gestern lediglich eine «party for one» gefeiert habe, die bereits gegen 1.30 mit einer Doppelfolge «Medical Detectives» endete). Nach einem Weiterschlafbier (gönne ich mir nur noch alle Jubeljahre) dann Gott sei Dank Durchschlaf bis 11.30. Zum Breakfast süß/herzhaft zwei dünne Scheiben gebutterter Toast/Konfitüre sowie eine Scheibe Graubrot mit polnischer Leberwurst & Tomatenachtel. Coffee & Cigarettengabe.
Milde, regnerische 9 Grad, der erhoffte Wintereinbruch lässt weiter auf sich warten. Die ewigen Lamenti darüber, dass der Winter «in diesem Jahr wohl ausfällt», gehen mir trotzdem auf die Nerven. Von mir aus könnten auch alle Skitourismus-Hotspots pleitegehen. Wintersport: lächerlich, dumm und überflüssig. Die Zukunft gehört den Darts.
Nachtrag zu Silvester: Könnte die unvermeidliche Meldung, dass Samoa das neue Jahr bereits so und so viele Stunden früher feiert, nicht mal durch eine andere ersetzt werden? Z.B. durch die Nachricht, dass Deutschland künftig in zwei Zeitzonen eingeteilt werde (DDR/BRD)? Ebenfalls sehr öde die Berichte/Bilanzen zum Thema Sylvesterunfälle: «Massenpanik, halb abgerissene Gesichter, fehlende Gliedmaßen, Druckwellen und Feuerbälle – Wer jetzt an Krieg denkt, der irrt.» Albern.
Mittags Kalbsschlegel in Sauce ravigote, dann Spaziergang um den Pudding, Kreislauf hochjazzen. Heute gönne ich mir noch eine Schonfrist, bevor ich morgen in aller Frühe die Arbeit aufnehme. Afternoon nap.
Anruf von Meyer-Schulau. Ob wir uns auf eine «kleine Neujahrspromenade» treffen wollen. Einverstanden, ja, gerne! Seit dem Tod seiner Frau vor bald drei Jahren ist unser Kontakt wieder enger geworden. Auf dem Rückweg kommen wir an unserem Stammcafé, dem «Café 2 Talk», vorbei, das leider geschlossen hat. Meyer-Schulau schlägt vor, zum Dinner ins glücklicherweise geöffnete Restaurant «Diverso» (Name ist Programm: Internationale Küche von/bis) zu gehen. Gebackene Kartoffeln mit Hering, Steak au four. Dazu Riesling. Obwohl wir uns bald zwanzig Jahre kennen, sind wir beim «Sie» geblieben, jetzt ist es eh zu spät. Trotzdem oder wohl gerade deshalb eine erprobte Verbindung. Guter Satz von MS: «Ich brauche keine Einfälle. Was mir einfallen muss, sind die richtigen Verknüpfungen.»
Wieder daheim, schreibe ich noch die Jahresleistungsbilanz, in der ich die Zahl meiner Auftritte (wo, wann, warum) notiere, wie viel ich geschrieben, veröffentlicht, eben «geschafft» habe, aber auch die Summe sportlicher Aktivitäten. Recht ansehnlich. Ich könnte stolz oder wenigstens zufrieden sein, stattdessen mal wieder Gefühl großer Vergeblichkeit. Dum spiro spero.
Abends TV, im Zweiten die Dramödie «Daddy hoch zehn», mit Helmut Zierl in seiner Paraderolle als sympathischer Volltrottel. Danach auf n-tv «Die lange Nacht der Schwertransporte». Schnaps (Ziegler Sauerkirsche exquisit) und Plundergebäck.
In den Psalmen gelesen. Wunsch: mein Christsein noch aktiver zu leben. Einschlafprobleme wg. heißer Füße (Burning-Feet-Syndrom), sommers wie winters eine große Plage.
2.1. Guter Durchschlaf, Punkt 9.00 klingelt der Wecker. Mor- gengymnastik (tiefe Rumpfbeugen, Seitstütz, Liegestütz). Gedoucht, Haarwäsche mit lauwarmem Bier. Biscuits, kalter Maulbeersaft.
Generalplan für dieses Jahr: Arbeit gleich an zwei Büchern, einem (hoffentlich) großen, preisverdächtigen (und dann auch preisgekrönten!) Roman und, parallel dazu, einem Erzählungsband, anknüpfend an das «Teemännchen». Der Erzählungsband soll/wird heißen «Der gelbe Elefant», Titel für den Roman steht noch aus.
Das Schreiben an gleich zwei unterschiedlichen «Projekten» hält, so stelle ich es mir vor, «obenrum» frisch und flexibel, Stichwort Multitasking, man läuft nicht ständig ins Leere, nutzt sich nicht zu sehr an einem Thema ab. Wenn einem zum einen Projekt nichts mehr einfällt, dann einfach zum nächsten, Methode Ping-Pong. Tägliches (selbstverständlich auch an den Wochenenden) Pensum dabei: netto vier Stunden. Gestoppt wird mit einem (analogen) Eierwecker.
Ein typischer Arbeitstag könnte demnach etwa so aussehen: Arbeitsbeginn Punkt 9.30. Erste Arbeitseinheit 90 Minuten (mehr schafft man, also ich, nicht am Stück), dann 45 Min. Pause. 60 Min. Arbeit, 45 Min. Pause. 45 Min. Arbeit, 30 Min. Pause. Letzte Einheit 45 Min. Feierabend. Wären netto 6 Stunden. Die Pausenzeiten «nicht in Stein gegossen», die Arbeitszeiten hingegen schon. En passant: «Nur dann zu schreiben, wenn man Lust dazu hat, ist das beste Mittel, sein Werk niemals zu schaffen» (Baudelaire). Und überhaupt: Muße, Eingebung, Geistesblitz, Geniestreich, oder wie sich Lieschen Müller das Schriftstellerdasein so vorstellt: «Amateurs wait for inspiration; the rest of us just go to work» (Philip Roth).
Jedenfalls: Erste Arbeitseinheit des Jahres von 9.45 bis 14.30, unterbrochen von nur kurzen Pausen, Ertrag gefühlt recht gut, aber das will nichts heißen, das meiste hält einer späteren Sichtung/Prüfung doch nicht stand: in der Regel ein einziges Gestottere, nichts Zusammenhängendes, höchstens mal ein Absatz gelungen. Der Rest Apfel Mülleimer.
Um 14.30 zu den Jungs von Willis Schwenk-Grill (mein Stamm-Imbiss, fußläufig erreichbar, ums Eck) auf eine «schnelle Wurst». Willi hält mit seinen zwei Mitarbeitern, Hauke und Marc, seit nunmehr vier Jahren (trotz oft widrigster Bedingungen) sommers wie winters die Stellung. Bewundernswert. Außerdem hat er – schon wieder, wo kommen die nur alle her? – einen neuen Spruch auf Lager: «In seinem Loch ist jeder Käfer Sultan.» Und gleich noch einen schießt er aus der Hüfte: «Manchmal ist es einfacher, ein Fenster zu öffnen, als eine Tür zu schließen.»
Spontaner (Impuls-)Kauf dünner belgischer Unterhosen. Abends Schälbraten mit Morchelgemüse und holländischer Sauce, Starkbier mit Zucker. Früh zu Bett, Lecture Stefan-Zweig-Tagebücher. «Irgendein Strang in meinen Willen ist gelockert. Wenn ich ihn nur wieder straffen könnte.»
3.1. Früh auf, Maisbrot mit sizilianischem Käse, Coffee & Cigarettengabe. Für die Jahreszeit zu warm. Regnerisch, windig, ausgesprochen ungemütlich. Ab 9.30 Arbeit am Roman heute quälend, unlustig und zerstreut. Mühsam ein paar schwache Sätze rausgewrungen. Apfel Mülleimer.
Mail von Wieland Kraemer, Agent meiner Konzertagentur «Powerline». Es geht um ein Engagement auf der Messe EUROTIER als sog. Impulsgeber. Ich nehme einmal an, dass ein Impulsgeber so etwas wie ein Influencer für ältere Menschen ist. Welche Impulse ich wohl zu geben imstande wäre? Mir fallen generell nur Sprüche ein. (Wenn dir die Tränen in den Augen stehen – nicht kullern lassen!/Der Trog bleibt, die Schweine wechseln./Mach eine Sache richtig statt viele falsch!) Egal, Gage lächerlich niedrig, Thema erledigt. Mich wundert auch, dass W. Kraemer (Spitzname Kleinkraemer) bereits «am Platz» ist. (Normalerweise wird die Arbeit bei Powerline erst Mitte Februar wiederaufgenommen, haha.)
Lunch (Gänsepfeffer, Mohnkuchen mit lauwarmem Schlagrahm) in «Manuels Taverne». Den Nachmittag vor dem Fernseher verdämmert, im ZDF «Bares für Rares». Moderator Horst Lichter bringt eine Vase zum Experten Colmar Schulte-Goltz, um diese von diesem schätzen zu lassen. H. Lichter (gespielt schnaufend): «Die Vase hab ich eigenhändig hochgetragen.» Colmar Schulte-Goltz nimmt die Vase, verzieht das Gesicht und sagt: «Huuh, ganz schwitzig.» Horst Lichter (beleidigt): «Das kann eigentlich nicht sein, ich hab relativ trockene Hände.» Phantastische Szene. Wer nicht weiß, was daran «geil» sein soll, dem ist auch nicht mehr zu helfen.
Zum Dinner saure Fleischklöße mit Pellkartoffeln. Gedanke: Je weiter ich im Leben fortschreite, desto mehr glaube ich, dass ich sterben werde, und desto mehr glaube ich zugleich, dass ich nicht sterben werde. Weiter in den Tagebüchern von André Gide. Nachtgebet.
4.1. Von Sodbrennen um 7.30 aufgewacht, Rumpfbeugen, Seitstütz. Mocca double und Spiegeleier, dann «einchecken am Schreibtisch» (abwechselnd Roman/Elefant). Erledige das Tagespensum (scheinbar) «spielend». Woran das wohl liegt, dass einem mal nichts, dann wieder etwas gelingt (zu gelingen scheint)? Gewisse Genugtuung stellt sich ein.
Ich trage daheim praktisch nur noch Gute Laune zum Anziehen: dicke, flauschige, sehr warme, gefüllte, gleichzeitig luftige, atmungsaktive Sachen, Übergrößen, Daunen, Gänsefedern, Stretch, alles Weite. Mode zum Wohlfühlen eben. Abends übergangslos in den kuscheligen «Schläfi» (Schlafanzug). Wobei es schon einen Übergang gibt, wenn man es so nennen will: nach der Abendtoilette bereits im Schlafanzug erst noch mal aufs Sofa, gegen zehn dann endgültiger Umzug ins Schafzimmer.
En passant: Bertolt Brecht hat immer weite graue Sachen und Filzpantoffeln getragen, wie ein zum Tode Verurteilter auf dem Weg zur Richtstätte. Stelle mir vor, dass Brecht seine Kleidung nie gewechselt hat, Tag und Nacht im selben Dress. Eigentlich ganz schön, würde ihm in dieser Hinsicht gerne nacheifern, geht natürlich nicht, weil es dann hieße, ich kopierte ein unerreichbares Vorbild. Dabei halte ich nicht viel von...
Erscheint lt. Verlag | 17.9.2019 |
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Verlagsort | Hamburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | Alltagsbeobachtung • Aphorismen • Fleisch ist mein Gemüse • Hamburg • Heinz Strunk • Humor • lustig • Parodie • Studio Braun • Tagebuch • Tagebuchroman |
ISBN-10 | 3-644-00413-7 / 3644004137 |
ISBN-13 | 978-3-644-00413-9 / 9783644004139 |
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