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Blackbird (eBook)

Spiegel-Bestseller
Roman
eBook Download: EPUB
2019 | 1. Auflage
288 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-31985-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Blackbird -  Matthias Brandt
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Ein bewegender Coming-of-Age-Roman über Freundschaft, Liebe und Verlust in den 1970er-Jahren. Als der 15-jährige Morten Schumacher, genannt Motte, einen Anruf bekommt, ist in seinem Leben nichts mehr, wie es einmal war. Sein bester Freund Bogi ist plötzlich schwer erkrankt. Doch das ist nur eine der herzzerreißenden Erschütterungen dieses Jahres, die Mottes Welt komplett auf den Kopf stellen. Kurz danach fährt Jacqueline Schmiedebach vom Einstein-Gymnasium auf einem Hollandrad an ihm vorbei und eine neue Herausforderung nimmt ihren Lauf. Zwischen der Möglichkeit des Todes und der Chance auf die erste Liebe spitzen sich die Ereignisse immer weiter zu und stellen Motte vor unbekannte, schmerzhafte Entscheidungen. Doch zum richtigen Zeitpunkt sind die richtigen Leute an seiner Seite, während er den Geschehnissen mutig ins Gesicht schaut - mit scharfem Blick und trockenem Witz. In »Blackbird« erzählt Bestsellerautor Matthias Brandt einfühlsam vom Erwachsenwerden in einer Zeit des Umbruchs. Ein zeitloser Roman über die Kraft von Freundschaft, Familie und Liebe, der lange nachhallt.

Matthias Brandt, geboren 1961 in Berlin, ist einer der bekanntesten deutschen Schauspieler. Für seine Leistungen ist er vielfach ausgezeichnet worden. Bei Kiepenheuer & Witsch erschien 2016 sein Erzählungsband »Raumpatrouille«.

Matthias Brandt, geboren 1961 in Berlin, ist einer der bekanntesten deutschen Schauspieler. Für seine Leistungen ist er vielfach ausgezeichnet worden. Bei Kiepenheuer & Witsch erschien 2016 sein Erzählungsband »Raumpatrouille«.

Inhaltsverzeichnis

Drei


– Ende September –

Dass sie Jacqueline Schmiedebach hieß, wusste ich nicht, bevor Jan es mir erzählt hatte. Wir hatten vor der Schule gestanden, und sie war auf ihrem Hollandrad an uns vorbeigefahren. Ganz kurz hatte sie zu uns hingeschaut und gelächelt. Oder vielleicht auch gelacht. Und dann so getan, als sei das wegen was anderem gewesen, gar nicht unseretwegen. Es hatte überall gekribbelt, und dann hatte das Kribbeln einen Namen bekommen.

Als sie um die Ecke gebogen war, hatte Jan, der neben mir gestanden und eine geraucht hatte, in dieselbe Richtung geschaut und »Jacqueline. Träumchen« gebrummt.

Und etwas später, ich guckte immer noch zu der Straßenecke, hinter der sie längst verschwunden war: »Jacqueline Schmiedebach. Is aufm Einstein. 10c. Wohnt drüben. Buchburg oder Kiesheim. Erste Sahne.«

Ich stand rum.

»Was is?«, hatte Jan mich gefragt.

»Wie, was is?«

»Fahr hinterher.«

»Spinnst du?«

»Fahr ihr hinterher, du Spacko.«

»Was soll das denn bring…, pff, ich kenn die doch gar nicht«, hatte ich gesagt, und Jan hatte geantwortet:

»Genau. Deswegen.«

Ich war auf mein Rad gesprungen, ihr bis zur Fähre gefolgt und hatte ihr nachgeschaut. Die ganze Zeit über hatten ihre strohblonden Haare im Wind geweht, sie hatten so geleuchtet, dass ich Jacqueline auch noch am gegenüberliegenden Ufer hatte wegfahren sehen, als alle anderen, die auf der Fähre gewesen waren, längst zu kleinen, nicht unterscheidbaren Stecknadelköpfen geworden waren. Mein erster Gedanke war nicht gewesen, wie schön sie war, sondern nur, wie gerade sie auf dem Rad gesessen hatte. Das war das Allererste, was mir an ihr auffiel. Wie kerzengerade sie auf ihrem Fahrrad saß, als sie an Jan und mir vorbeirauschte.

Im Deutschunterricht war neulich dieses Wort vorgekommen, Anmut. Frau Standfuss hatte versucht, das zu erklären, aber ich hatte mir darunter nicht wirklich was vorstellen können. Außerdem fand ich, dass es blöd klang. Fast wie Almut, und Almut Gerhardts war die dämlichste Kuh in unserer Klasse, wenn nicht überhaupt der ganzen Schule. Es war also schwer, mit einem Wort, das einen an diese Pissnelke erinnerte, was Schönes in Verbindung zu bringen. Aber jetzt, als Jacqueline vorbeifuhr, ahnte ich doch, was mit Anmut gemeint sein könnte. Oder besser, wie sich das, was damit gemeint sein könnte, anfühlte.

In den nächsten Tagen versuchte ich, ihr scheinbar zufällig zu begegnen. Zuerst wollte ich herausfinden, zu welchen Zeiten sie die Fähre nahm. Ich lungerte stundenlang am Anleger rum, sah sie aber nie. Sie wohnte auf der gegenüberliegenden Seite des Flusses, das wusste ich schon mal, und sie ging hier, auf unserer Seite, aufs Einstein, das Naturwissenschaftliche Gymnasium, das im selben Viertel lag wie meine Schule.

Ich würde mit ihr sprechen, sie treffen müssen, das war in dem Augenblick, wo ich sie gesehen hatte, ganz klar gewesen.

»Augenblick« – schon wieder so ein Wort, von dem ich das Gefühl hatte, es jetzt erst wirklich zu verstehen. Ich würde Geduld haben und wahrscheinlich oft am Anleger warten müssen, bis sich eine nächste Begegnung ergab. Aber zum ersten Mal in meinem Leben war Warten für mich nicht dasselbe wie Langeweile. Auf einmal war es schön zu warten, und ich wollte dieses Warten jetzt gegen nichts auf der Welt eintauschen. Einige Nachmittage lang stand ich am Fähranleger herum und beobachtete alle möglichen Leute. Jacqueline Schmiedebach war nicht dabei. Komische Vögel gab es hier. Sonst, wenn man nur ein paar Minuten lang auf die nächste Fähre wartete, bekam man die gar nicht mit. Der Typ mit der Aktentasche zum Beispiel hatte jetzt schon eine Weile zu mir rübergeguckt. Keine Ahnung, was der von mir wollte. Komische Frisur. Sah aus wie ein Mopedhelm, aber aus Haaren. Er erinnerte mich an einen von den alten Lehrern am Brahms, Herrn Seegler, bei dem ich immer das Gefühl hatte, dass der sogar schon Lehrer gewesen war, als es noch gar kein Brahms-Gymnasium gegeben hatte, sondern als das hier noch eine von Uren und Wisenten bewohnte Auenlandschaft gewesen war. Und dass er auch damals schon in der nullten Stunde an fünf Tagen in der Woche um Viertel nach sieben Uhr morgens Altgriechisch für Freiwillige unterrichtet hatte. Irgendwelchen Riesenechsen wahrscheinlich, was weiß ich. In seinem grauen Anzug am rechten Hosenbein immer noch die Fahrradklammer. So ungefähr hatte man sich das vorzustellen. Am Ende war dann, weil es wegen der Eiszeit auf der Wiese zu kalt wurde, das Brahms-Gymnasium um Herrn Seegler herumgebaut worden. Und anstatt der Warane, die hatten ja mittlerweile bei ihm Altgriechisch gelernt und waren wegen des besseren Klimas in den Süden gewackelt, waren ihm die Menschenschüler geschickt worden. So ungefähr stellte ich mir das vor. Egal, jedenfalls war er schon sehr lange da, der Herr Seegler.

Weiß der Geier, wohin das noch führen sollte, wenn ich nicht lernte, mich zu konzentrieren. Das sagte mir jeder.

Ich überlegte, woran mich die Haarmütze von dem Typen hier an der Fähre erinnerte, dann fiel es mir ein. Bogis jüngere Schwester Anette hatte diese Playmobilfiguren, bei denen konnte man die Frisur wie einen Helm abnehmen und wieder draufstecken. Nachdem er noch eine Weile rübergeglotzt hatte, nickte der Typ und kam auf mich zu. Ach du Scheiße. Ich guckte erst mal woandershin, egal wohin, aber das nützte nichts. Der Mann steuerte mich direkt an. Aktentasche, Haarhelm, Spießersandalen.

»Na, mein Freund«, sagte er. Ich antwortete nicht.

»Freier Nachmittag? Was gibts denn hier für Attraktionen? Mit den jungen Damen poussieren? Petra, Babsi, Susi?«

Wovon redete der?

Er wippte eine Weile auf seinen Sandalen hin und her und guckte aufs Wasser.

»Willst du dir 50 Mark verdienen?«, fragte er dann.

»Hä?«

»Da kommst du mit mir hinten in die Büsche, und ich hol dir einen runter.«

Er sprach einen komischen Dialekt, Hessisch oder so. Wie der Typ im Fernsehen, Heinz Schenk. Sagte nicht »runter«, sondern »runnä«. Und »fuffzisch Maak«. »Isch hol dir ajn runnä.«

Ich überlegte einen kurzen Moment, ob ich das jetzt wirklich gehört hatte oder vielleicht immer noch weiter fantasierte und das hier noch in die Abteilung Auerochsen, Warane und Eiszeit gehörte.

Der Haarhelmmann grinste mich an, und ich fand, es sei besser, mich erst mal aus dem Staub zu machen. Dann fuhr ich los, so schnell ich konnte die Uferstraße entlang. Ich schaute mich nicht um, aus Angst, dass der Typ mir womöglich nachrannte. Ich konnte ja nicht wissen, was jemandem noch einfiel, der einem solche Angebote machte. Als ich sicher war, weit genug weg zu sein, hielt ich an.

Sah ihn da stehen, wie er mir nachglotzte.

Ausgerechnet jetzt fuhr auf der anderen Seite die Fähre los, auf der möglicherweise Jacqueline Schmiedebach war. Ich musste also so schnell es ging wieder näher zum Anleger hin. Aber ich konnte doch, solange der Arsch in meine Richtung starrte, nicht einfach umdrehen und zurückfahren. Am Ende dachte der noch, das sei seinetwegen. Also stieg ich ab, hob mein Rad auf die Schulter und rannte damit die Uferböschung hoch, um dann unbeobachtet oben auf der Promenade zurückzufahren. Allerdings hatte ich unterschätzt, wie steil der Anstieg und wie schwer mein Rad war, sodass ich, als ich schon fast oben war, erst immer langsamer wurde und mich dann in Zeitlupe zweimal hinlegte. Wobei ich gar nicht weiß, ob hinlegen für das, was hier passierte, der richtige Ausdruck ist. Es haute mich wegen der Steigung vertikal auf die Fresse. Auch eine neue Erfahrung.

Ich bin die Gerade, und der Hügel ist der Vektor, dachte ich, während ich umkippte. Oder umgekehrt.

Meine Knie und Hände sahen danach aus wie Sau. Gott sei Dank hörte mich hier keiner rumkeuchen. Alles übrigens super Voraussetzungen dafür, gleich Jacqueline Schmiedebach anzusprechen und sie zu fragen, ob wir uns mal treffen könnten.

Als ich endlich oben angekommen war, sprang ich aufs Rad und raste Richtung Anleger. Die Fähre war schon fast da. Ich rannte die breite Steintreppe runter, mit dem über die Stufen hüpfenden Fahrrad an meiner Seite, dong dong dong. Und als ich unten war, sah ich, wie Jacqueline gerade die Rampe hochkam. Sie fuhr ganz nah an mir vorbei und schaute mir direkt ins Gesicht. Ich muss nach dem ganzen Heckmeck ziemlich blöd aus der Wäsche geguckt haben. Sie runzelte ganz kurz die Stirn, aber dann lachte sie und fuhr weiter. Ich war bestimmt knallrot geworden, aber am Ende musste man sagen, dass sie immerhin gelacht und sich nicht angewidert abgewendet hatte.

Als ich mich noch mal kurz umsah, stand der Typ mit dem Fifi auf dem Kopf immer noch da und grinste. Der wollte gar nicht mit der Fähre fahren, sondern stand hier rum und wartete auf Pappnasen wie mich, die er anquatschen konnte. Das hieß natürlich auch, dass ich ihn demnächst Nachmittag für Nachmittag hier am Fähranleger treffen würde, während ich auf Jacqueline Schmiedebach wartete. Und dass er womöglich dachte, ich käme seinetwegen.

Ich sprang aufs Fahrrad und fuhr ihr nach, egal, wie verboten ich inzwischen aussah, verschwitzt und eingesaut, mit knallroter Visage. War jetzt auch schon egal. Jacqueline fuhr die Allee runter in Richtung Innenstadt, sie hatte eine Sporttasche auf dem Gepäckträger, aus der ein Tennisschläger schaute. Als sie an einer Ampel hielt, blieb ich in sicherer Entfernung stehen. Aber beim nächsten Mal wars mir dann auch schon egal, und ich hielt direkt neben ihr, guckte aber in die andere Richtung.

Das war gar nicht so leicht. Als die Ampel grün...

Erscheint lt. Verlag 22.8.2019
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 70er Jahre • Coming-of-age • Coming-of-Age-Roman • Deutsch • Deutschunterricht • Familie • Familiengeschichte • Freundschaft • Jugend • Jugendbuch • Kiepenheuer & Witsch • Kiwi • Lektüre • Lesestoff • Liebe • Mathias Brandt • Raumpatrouille • Roman • Schule • Schullektüre • Spiegel-Bestseller-Autor • The Beatles • Tod
ISBN-10 3-462-31985-X / 346231985X
ISBN-13 978-3-462-31985-9 / 9783462319859
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