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Die Letzten ihrer Art (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2019
btb Verlag
978-3-641-22509-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Letzten ihrer Art - Maja Lunde
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Drei Familien, drei Jahrhunderte und der alles entscheidende Kampf gegen das Aussterben der Arten.
Vom St. Petersburg der Zarenzeit über das Deutschland des Zweiten Weltkriegs bis in ein Norwegen der nahen Zukunft erzählt Maja Lunde von drei Familien, dem Schicksal einer seltenen Pferderasse und vom Kampf gegen das Aussterben der Arten. Ein bewegender Roman über Freiheit und Verantwortung, die große Gemeinschaft der Lebewesen und die alles entscheidende Frage: Reicht ein Menschenleben, um die Welt für alle zu verändern?

Maja Lunde wurde 1975 in Oslo geboren, wo sie auch heute noch mit ihrer Familie lebt. Sie ist eine bekannte Drehbuch- sowie Kinder- und Jugendbuchautorin. »Die Geschichte der Bienen« war ihr erster Roman für Erwachsene, der zunächst national und schließlich auch international für Furore sorgte. Das Buch stand monatelang auf Platz 1 der Spiegel-Bestsellerliste. Es folgten »Die Geschichte des Wassers«, »Die Letzten ihrer Art« und »Der Traum von einem Baum«, mit dem sie 2023 ihr literarisches »Klimaquartett« abschloss. Außerdem veröffentlich sie mit der bekannten Illustratorin Lisa Aisato erfolgreiche All-Age-Bücher wie »Die Schneeschwester« und »Die Sonnenwächterin«.

EVA


Heiane, Akershus, Norwegen 2064


Wie im Rausch trieb es den Hengst zur Stute. Der Instinkt bestimmte ihn durch und durch, machte ihn unberechenbar, wild. Als Mensch würde ich ein solches körperliches Verlangen nie nachvollziehen können. Oder doch, es gab eine Zeit in meinem Leben, da hatte ich mich unter die Oberfläche ziehen lassen, die Vernunft ignoriert. Aber immer nur kurz, für wenige Sekunden. Das ist lange her, seither konnte ich mir diesen Luxus nie wieder leisten. Das einzige Verlangen, das meine Handlungen jetzt noch beherrscht, ist der Hunger. Der Hunger führt manchmal zu irrationalem Verhalten, erinnert an Wahnsinn, treibt einen Menschen zu Unvorstellbarem.

Mit Argumenten wurde man den Gelüsten der Tiere jedenfalls nicht Herr, und mir blieb nichts anderes übrig, als meine Stute Nike zu beschützen.

Rimfakse ließ nicht von ihr ab, obwohl die Zäune eigentlich ausreichen müssten, um ihn von Nike und ihrem Fohlen Puma fernzuhalten. Ich konnte noch so sehr schreien und gestikulieren, Nikes Brunst lockte ihn auf die Hafenweide. Im vergangenen Herbst hatte Nike ihren Gefährten verloren, den Hengst Hummel. Er war alt und ausgemergelt gewesen, ich hatte ihn aufgeben müssen. Und jetzt war Nike allein. Ich wusste, dass sie keine Ruhe finden würde, ehe sie trächtig war. Diesen Willen konnte ich ihr aber nicht lassen, denn sie war ein Takhi, eines der letzten Wildpferde auf dieser Welt, und Rimfakse nur ein ganz gewöhnliches Hauspferd, das von Richard ausgesetzt worden war, ehe er vor einem Jahr den Nachbarhof verlassen hatte. Nike durfte sich nicht mit einem wie ihm paaren, denn bei solchen Kreuzungen überwogen die Eigenschaften des Hauspferdes, ihre Erblinie würde nach nur zwei Generationen aussterben, und dann wären alle Mühen, sie herzubringen, all die Arbeit, die investiert worden war, damit ihre Art weiterhin auf dieser Erde lebte, vergebens gewesen. Vergebens und wertlos, sie würde ihren Wert verlieren, wenn ich ihm seinen Willen ließe.

»Verschwinde, Rimfakse!«

Der Hengst rieb sich am Zaun, streckte den Kopf nach Nike, versuchte, sie zu erreichen, und die Stute ermunterte ihn, hob ihren Schweif und drehte ihm das Hinterteil zu.

Ich lief näher heran, fuchtelte mit den Armen.

»Hau jetzt ab! Ksch!«

Rimfakse wieherte mich an, drehte sich hin und her und trat auf der Stelle, ehe er mir beleidigt den Rücken zukehrte und davontrabte.

»Vergiss es einfach!«, schrie ich ihm hinterher. »Such dir eine Stute von deinem eigenen Schlag!«

Bald musste ich sie zum Glück nicht mehr auf diese Weise bewachen. Es war schon September, und vor Nike lagen sechs Monate ohne Brunst, sechs Monate Ruhe für sie und mich. Im Winter hatte ich die Kontrolle über das Verhalten der Tiere und über meine eigene Situation. Solange die Speisekammer ausreichend gefüllt war, solange die Winterstürme nicht zu heftig wüteten und solange der Strom nicht ausfiel, war das Leben im Winter übersichtlicher.

Ich ging bis an den Zaun heran, lehnte mich über eine Latte und streckte den Wildpferden die Hände entgegen.

»Guten Morgen, Nike. Hallo, Puma.«

Sie wandten mir die Köpfe zu, sie kannten meine Stimme. Puma war als Erster bei mir. Seine dünnen Beine staksten eifrig über den Boden, er war immer noch neu auf der Welt, bewegte sich ein wenig unsicher und tastend voran. Er schob sein Maul unter dem Zaun hindurch und schnaubte leise.

»Ob ich wohl was für euch habe?«, fragte ich lächelnd. »Glaubst du, ich habe was für euch?«

Ich steckte die Hand in die Tasche.

»Aber nur heute.«

Inzwischen war auch Nike gekommen. Ihre Nüstern weiteten sich, als sie die Karotten entdeckte.

»Bitte schön, mein Kleiner.« Ich gab Puma die erste Karotte. Sie war klein, denn er war noch zu jung und konnte neben der Muttermilch nicht viel andere Nahrung verdauen.

Nike stampfte mit dem Huf.

»Jaja, du bekommst auch was.«

Ich streckte ihr die größte Karotte hin, die blitzschnell und krachend in ihrem Maul verschwand.

»Aber nicht Isa verraten«, sagte ich.

Nike schnaubte und schlug mit dem Schweif.

»Isa ist streng? Ja, meine Tochter ist streng.«

Anschließend blieb ich einen kurzen Moment stehen und betrachte sie einfach nur, ohne dass sie groß Notiz von mir nahmen, dann drehte ich mich um und eilte zurück zum Hof. Heute war Freitag, Einkaufstag. Ich musste zusehen, dass ich zum Hafen kam, denn ab und zu tauchten dort am Kai immer noch Jäger oder Fischer auf. Letzte Woche hatten die Hühner viele Eier gelegt, vielleicht würde jemand Interesse daran haben.

Ich eilte am geschlossenen Kiosk vorbei, wo die Scheiben eingeschlagen und die Werbeplakate verblichen waren, stapfte den Hang hinauf und um die Gehege herum, in denen früher Katzen aller Arten untergebracht gewesen waren, vorbei an dem kleinen Sumpfgebiet, das mein Großvater einst für die bedrohten Amphibien angelegt hatte, und an dem eingezäunten Waldstück, in dem sich noch vor kurzem die Wölfe versteckt hatten, die scheuste unserer Tierarten.

Die Tiere hatten es immer gut bei uns gehabt, über alle drei Generationen hinweg, in denen meine Familie den Park betrieben hatte, und sie hatten es uns gezeigt, indem sie sich vermehrten. Die Besucher waren gekommen, um sich zu amüsieren und um etwas zu lernen, aber den Höhepunkt bildeten die Tierjungen. Dann jauchzten und lachten sie, streckten die Finger aus und riefen guck mal, guck mal, wie süß! Einmal bekam die Schneeleopardin Drillinge, ein historisches Ereignis. Wir hatten nie so viele Besucher empfangen wie in diesem Sommer. Für uns war neues Leben ein sehr ernstes Thema. Ich erinnere mich, dass uns die anderen Kinder in der Schule seltsam fanden und wir uns schämten, wenn sie uns besuchten. Denn Themen wie Paarung und Trächtigkeit wurden bei uns täglich am Esstisch besprochen. Und wenn diese kleinen neuen Wesen auf die Welt kamen, umhegten wir sie wie unsere eigenen Kinder … Sie waren unsere eigenen Kinder. Nein, nicht unsere, sie sind ihre eigenen Kinder, sagte mein Vater immer, unsere Aufgabe besteht lediglich darin, dafür zu sorgen, dass sie ein möglichst gutes Leben haben und deshalb neues Leben zeugen wollen.

Jetzt waren die Schneeleoparden weg, genau wie die meisten anderen Tiere. Nur einige wenige waren mir geblieben. Eine Herde Waldrentiere existierte noch in dem großen alten Gebiet, in dem früher auch die Wölfe gelebt hatten. Die Rentiere zählten zwar nicht zu den bedrohten Arten, aber sie kamen dort unten größtenteils allein zurecht, deshalb hatte ich sie noch nicht freilassen müssen. Auch zwei zerrupfte Wanderfalkenweibchen hielt ich nach wie vor in einer Voliere. Sie waren anspruchslos in der Pflege, aber ich fürchtete, sie würden noch am selben Tag sterben, ab dem ich sie nicht mehr versorgen konnte. Eine einzelne schottische Wildkatze wohnte allein im Westen des Parks, doch ich brachte es nicht über mich, sie laufen zu lassen, denn dann würde sie sich nur mit einer Hauskatze paaren und aussterben. Und natürlich Nike und Puma, mein wertvollster Besitz. Ich beschützte sie mit aller Kraft.

Meine Schwester Anne hatte sich damals dafür eingesetzt, dass wir Wildpferde bekamen, schon als Kind hatte sie von nichts anderem gesprochen. Ich erinnerte mich daran, wie sie immer wieder dieselben Filme auf YouTube gesehen hatte, ganz in ihrer eigenen Welt versunken, mit dem iPad auf dem Schoß und ihren Kopfhörern auf den Ohren, während die Pferde über den Bildschirm galoppierten. Sie hatte so viel Zeit darin investiert, einen Hengst und eine Stute aus einem Naturschutzgebiet in Frankreich zu kaufen und einem internationalen Zuchtprogramm beizutreten. Nike und Hummel gehörten zu den letzten Pferden, die noch unter Tierparks verkauft worden waren. Pferde wie Rimfakse würden immer überleben, aber von den Wildpferden gab es inzwischen viel zu wenige. Ich hoffte jedoch, wenn all das überstanden wäre, wenn sich das Leben wieder stabilisierte und es erneut möglich war, mit den Kooperationspartnern dort draußen in Verbindung zu treten, würde es auch möglich sein, einen neuen Hengst für Nike anzuschaffen. Denn in der Mongolei gab es vielleicht nach wie vor Wildpferde. Es hatte schließlich so viele gegeben. Einige von ihnen mussten doch noch existieren.

Nike und Puma waren nach Sportschuhen benannt. Anne hatte sie so getauft, wie all unsere Tiere. Sie hießen wie ausgestorbene Markenprodukte, Kleidung, Elektronik, Uhren und Autos. Isa fand das lustig, sie konnte immer noch über die Namen lachen. Mich selbst erinnerten sie viel zu oft an Anne. Ich vermisste sie. Nicht nur ihren Humor, sondern auch ihren Tatendrang. Und ihre Nähe, vielleicht hingen die beiden Eigenschaften zusammen. Sie war vielseitig, und sie schaffte eine Menge.

Doch Anne war weg, samt ihrer kräftigen Stimme und ihrem Körper, der immer in Bewegung gewesen war. Sie hatte Heiane verlassen, hatte uns verlassen und ihre Pferde. Sie hatte gesagt, es wäre nur für ein paar Monate, aber sie war nie zurückgekehrt. Als ich das letzte Mal mit ihr sprach, war sie bereits bis Nordland gekommen. Das war fast ein Jahr her. Seither funktionierte das Telefon nicht mehr. Die Verbindung war abgebrochen, und wir waren wirklich allein. Ich fing an, jeden Abend die Tür abzuschließen. Hier sind wir sicher, versicherte ich und montierte von innen einen Riegel.

»Wann kommst du wieder?«, fragte Isa.

Ich stand neben dem Auto, um zum Kai zu fahren.

»Du weißt, dass ich das nicht sagen kann. Vielleicht ist heute niemand da, der etwas anzubieten hat. Letztes Mal musste ich mehrere Stunden...

Erscheint lt. Verlag 21.10.2019
Reihe/Serie Klimaquartett
Klimaquartett
Klima Quartett
Übersetzer Ursel Allenstein
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel Przewalskis hest
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Artensterben • Buchmesse Frankfurt 2019 • Die Geschichte der Bienen • Die Geschichte des Wassers • Dystopie • eBooks • geschenke für mama • Klimakrise • Klimaquartett • mama geschenk • Mongolei • Muttertag • Muttertag Geschenk • Nachhaltigkeit Roman • Norwegen • Pferde • Przewalskipferd • Roman • Romane • Romane Bestseller • Romane Bestseller 2019 • schneeschwester • spiegel bestseller • Spitzbergen • Tierpark • Weihnachtsgeschenk • Wildpferd
ISBN-10 3-641-22509-4 / 3641225094
ISBN-13 978-3-641-22509-4 / 9783641225094
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