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Der Wendigo (eBook)

(Autor)

Thomas M. Meine (Herausgeber)

eBook Download: EPUB
2018 | 5. Auflage
104 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7481-8848-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der Wendigo -  Thomas M. Meine
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Uebersetzung der Kurzgeschichte 'The Wendigo' von Algernon Blackwood, publiziert im Jahre 1910 in seinem Buch 'The Lost Valley and Other Strories'. Blackwood war ein englischer Autor, Esoteriker und Theosoph. Als Autor ist er für zahlreiche unheimliche Kurzgeschichten bekannt. Wendigo ist der Name eines daemonischen Wesens aus der indianischen Kultur und kommt seit Urzeiten in entsprechenden Erzaehlungen vor. Er ist ein "Menschenfresser" und boesartiger Geist, der die Menschen in den Wahnsinn treibt und selbst zu Kannibalen macht. Sein Aufenthaltsraum sind besonders die großen, dunklen Waelder. Ausdauernd und hartnaeckig verfolgt er Wanderer und Jaeger, wenn die Dunkelheit hereinbricht, um sie dann zu ueberfallen.

II

Am Morgen war das ganze Lager wach, noch bevor die Sonne herauskam. Während der Nacht hatte es leichten Schneefall gegeben und die Luft war schneidend. Punk hatte früh damit begonnen, seine Pflichten zu erledigen, da der Geruch von Kaffee und gebratenem Speck die Zelte erreichte. Alle waren guter Dinge.

"Der Wind hat sich gedreht!", rief Hank stürmisch heraus und beobachtete Simpson und seinen Führer, die bereits das kleine Kanu beluden. "Dort, über den See hinweg, ist es goldrichtig für euch Burschen. Und der Schnee wird für kräftige Spuren sorgen. Wenn da oben irgendwelche Elche herumlaufen, werden sie euch kaum riechen können, so wie der Wind im Moment weht."

"Viel Glück, Monsieur Défago, bonne chance!", fügte er noch hinzu, wobei er diesmal scherzhaft den französischen Ausdruck seiner Anrede wählte. Défago erwiderte die guten Wünsche, offensichtlich in bester Stimmung, und auch seine Schweigsamkeit war weg.

Noch vor acht Uhr hatte Punk das Lager für sich alleine. Cathcart und Hank waren bereits weit auf dem nach Westen führenden Pfad gegangen, während das Kanu, in dem sich Simpson und Défago befanden, mit Seidenzelt und Verpflegung für zwei Tage, nur noch ein dunkler Fleck war, der im Schoß des Sees ostwärts schaukelte.

Die winterliche Schärfe der Luft wurde nun durch eine Sonne gemildert, die über die bewaldeten Bergrücken hinwegkam und mit einer komfortablen Wärme auf die Welt des Sees und des Waldes unter ihr strahlte. Eistaucher flogen durch den glitzernden Nebel, den der Wind in die Höhe hob; andere Tauchervögel schüttelten ihre vor Nässe tropfenden Köpfe in der Sonne und verschwanden wieder geschickt aus dem Blickfeld.

Soweit das Auge reichte, erhob sich die endlose, dichte Buschlandschaft, einsam in ihrer Pracht und Herrlichkeit, unberührt vom Fuß eines Menschen und streckte ihren mächtigen und lückenlosen Teppich aus, bis zu den gefrorenen Ufern der Hudson Bay.

Simpson, der das alles zum ersten Mal sah, als er hart im Bug des schaukelnden Schiffes paddelte, war verzaubert von der herben Schönheit. Sein Herz sog den Geist der Freiheit und großen Weiten ein, während gleichzeitig seine Lungen den kühlen und mit Duft erfüllten Wind aufnahmen.

Hinter ihm, auf dem Sitz im Heck, mit heimatlichen Liedern auf den Lippen, saß Défago und lenkte das Boot aus Birkenrinde wie ein richtiges Lebewesen und beantwortete gut gelaunt alle Fragen seines Begleiters.

Beide waren fröhlich und leichten Herzens. Bei solchen Gelegenheiten verlieren Männer die oberflächlichen und weltlichen Unterschiede und werden zu menschlichen Wesen, die zusammen für ein gemeinsames Ziel arbeiten.

Simpson, der Auftraggeber und Défago, der Angestellte, innerhalb dieser urtümlichen Kräfte um sie herum waren sie einfach nur – zwei Männer, der 'Führende' und der 'Geführte'.

Selbstverständlich übernahm hier das überlegene Wissen die Kontrolle, und der jüngere Mann verfiel, ohne eine Sekunde des Nachdenkens, in eine quasi untergeordnete Rolle.

Er hätte niemals auch nur davon geträumt zu protestieren, als Défago den 'Mr.' fallen ließ und ihn mit "sag Simpson" oder "Simpson, Boss" ansprach, was unweigerlich der Fall war, bevor sie das entfernte Ufer erreichten, nach einem schweren Paddeln von zwölf Meilen gegen den Wind. Er lachte nur, und es gefiel ihm, und schließlich bemerkte er es gar nicht mehr.

Dieser 'Student der Göttlichkeit' war ein junger Mann mit vielfältigem Talent und Charakter, dennoch – bis jetzt – natürlich unerfahren in Sachen Reisen. Auf diesem Ausflug hatte er zum ersten Mal ein Land außer seinem eigenen gesehen, ausgenommen ein Stück von der Schweiz. Die gewaltigen Dimensionen verstörten ihn ein wenig. Er realisierte, dass es eine Sache war, von urtümlichen Wäldern zu hören, aber eine ganz andere, diese zu sehen.

Während man sich darin aufhält und die Begegnung mit dem wilden Leben sucht, war es, wiederum, der Anfang einer Erfahrung, die kein intelligenter Mann durchmachen konnte, ohne eine bestimmte Neuordnung der persönlichen Werte, die man bis dahin für dauerhaft und heilig gehalten hatte.

Simpson wurde der erste, schwache Hinweis auf solcherlei Gemütsregungen bewusst, als er das neue Gewehr Kaliber .303 in seinen Händen hielt und an dem Paar von makellosen, strahlenden Läufen entlang sah. Die Dreitagesreise zu ihrem Hauptlager, über See und Land, hatte diese Verwandlung noch eine Stufe weitergebracht. Und nun, da er bald sogar hinter den Rand der Wildnis eintauchen würde, wo sie ihr Lager im unberührten Herz unbewohnter Regionen aufschlagen wollten, so groß und weit wie ganz Europa, kam in ihm die wahre Natur der Situation hoch, mit einer Wirkung aus Begeisterung und Ehrfurcht, soweit sie seine Vorstellungskraft erfassen konnte. Da waren er und Défago, gegen eine Übermacht – zumindest aber gegen einen Titanen!

Die öde Pracht dieser abgelegenen und einsamen Wälder überwältigte ihn eher mit dem Gefühl der eigenen Bedeutungslosigkeit. Die strenge Art dieser verworrenen Waldgebiete, die man nur als unbarmherzig und schrecklich bezeichnen kann, erhob sich aus diesen fernen, blauen Wäldern, die am Horizont schwammen. Er verstand die stille Warnung und erkannte seine eigene, völlige Hilflosigkeit. Nur Défago, als ein Symbol einer entfernten, von Menschen beherrschten Zivilisation, stand zwischen ihm und einem unbarmherzigen Tod, durch Erschöpfung und Verhungern.

Es war deshalb aufregend für ihn, Défago dabei zu beobachten, wie er das Kanu am Ufer umdrehte und die Paddel sorgfältig darunterlegte, bevor er weiterging und die Fichtenstämme, auf beiden Seiten eines kaum sichtbaren Pfads, für eine ziemliche Strecke 'markierte'.

Dabei machte er eine unbekümmerte Bemerkung: "Hör zu, Simpson, wenn mir irgendetwas passiert, wirst du das Kanu durch diese Markierungen gut finden können. Dann begib dich geradewegs Richtung Westen, um wieder auf das Lager zu treffen, verstehst du?"

Es war die natürlichste Sache der Welt, dies zu sagen, und er sagte es ohne irgendeinen besonderen Tonfall in der Stimme. Es spiegelte in diesem Moment nur die Gefühle des jungen Mannes wider, mit einem Ausdruck, der sinnbildlich für die Situation war und für seine eigene Hilflosigkeit, als ein Bestandteil davon. Er war allein mit Défago in einer primitiven Welt – das war alles. Das Kanu, ein weiteres Symbol des menschlichen Aufstiegs, musste nun zurückgelassen werden. Diese kleinen, gelben Stellen, welche die Axt an den Bäumen hinterlassen hatte, waren die einzigen Zeichen in seinem Schlupfwinkel.

Mittlerweile hatten sie das Gepäck auf ihre Schultern aufgeteilt. Jeder Mann trug sein eigenes Gewehr, und sie folgten dem schmalen Pfad über Steine, umgestürzte Baumstämme und quer über halb gefrorene Sümpfe. Sie umgingen zahlreiche Seen, welche die Wälder schmückten und vom Nebel umgeben waren. Gegen fünf Uhr nachmittags waren sie plötzlich am Rande des Waldes und schauten über eine große Wasserfläche vor ihnen hinweg, übersäht mit pinienbewaldeten Inseln aller beschreibbaren Formen und Größen.

"Die Gewässer von Fifty Island", verkündete Défago erschöpft, "und die Sonne wird gleich ihren kahlen, alten Kopf darin eintauchen", fügte er hinzu, mit unbewusster Poesie. Sofort machten sie sich dran, das Lager für die Nacht aufzuschlagen.

Nach wenigen Minuten und unter den geschickten Händen, die keine Bewegung zu viel oder eine Bewegung zu wenig machten, stand das Seidenzelt, straff und gemütlich. Die Betten aus Zweigen der Balsamtanne waren ausgelegt und ein lebhaftes Feuer zum Kochen brannte, mit so wenig Rauch wie möglich.

Während der junge Schotte den Fisch säuberte, den sie mit ihren Schleppangeln hinter dem Kanu gefangen hatten, 'dachte' Défago daran, dass er, 'sobald als möglich', eine kleine Runde durch den Busch machen sollte, um nach Anzeichen für Elche zu suchen. "Ich könnte ein einem Baumstamm vorbeikommen, wo sie sich aufgehalten und die Hörner gerieben haben", sagte er, als er sich aufmachte, "oder die letzten Ahornblätter gefressen haben" – und schon war er weg.

Seine kleine Gestalt schmolz dahin, wie ein Schatten in der Dämmerung, während Simpson in einer Art von Bewunderung feststellte, wie leicht der Wald ihn in sich aufgesogen hatte. Noch ein paar Schritte, so schien es, und er war nicht mehr zu sehen.

Dennoch gab es hier wenig Dickicht; die Bäume standen ein gutes Stück voneinander entfernt, und in den Zwischenräumen wuchsen Weißbirken und Ahorn, speerähnlich und schlank, verglichen mit den gewaltigen Stämmen der Fichten und Tannen.

Wären da nicht einige umgefallene Monsterbäume gewesen und die grauen Felsbrocken, die hier und da ihre groben Schultern zeigten, hätte es auch ein Stück von einem Park daheim in seinem Herkunftsland sein können. Fast hätte man darin die Hand des Menschen...

Erscheint lt. Verlag 28.11.2018
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Horror
Literatur Lyrik / Dramatik Lyrik / Gedichte
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Canada • Fabelwesen • Horror • indianisch • Indianische Kultur • Kanada • Übernatürliches • Unheimlich • Wendigo
ISBN-10 3-7481-8848-X / 374818848X
ISBN-13 978-3-7481-8848-3 / 9783748188483
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