Parasit ToGo (eBook)
200 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-98517-8 (ISBN)
Claudia Klingenschmid, 1983 in Tirol geboren, studierte Psychologie, Theater und Literatur und war u.a. als Pantomime, KlinikClown und Strickguerrillera tätig. Nach Stationen in Rom, München, Durham/North Carolina und Venedig lebt sie gemeinsam mit ihrem Mann, dem Historiker Romedio Schmitz-Esser, und ihrer Tochter in Graz. Sie veröffentlichte Lyrik, Essays und ein Sachbuch über ihr Street-Art-Projekt 'Die Rausfrauen'. 2016 erhielt sie den 'RCB European Literature Prize' für ihre Kurzgeschichte 'Gemüse für die Ewigkeit'. Ihr erster Roman, 'Parasit ToGo. Die geheimen Wirtschaften eines Urtierchens', erscheint im Februar 2019.
Claudia Klingenschmid, 1983 in Tirol geboren, studierte Psychologie, Theater und Literatur und war u.a. als Pantomime, KlinikClown und Strickguerrillera tätig. Nach Stationen in Rom, München, Durham/North Carolina und Venedig lebt sie gemeinsam mit ihrem Mann, dem Historiker Romedio Schmitz-Esser, und ihrer Tochter in Graz. Sie veröffentlichte Lyrik, Essays und ein Sachbuch über ihr Street-Art-Projekt "Die Rausfrauen". 2016 erhielt sie den "RCB European Literature Prize" für ihre Kurzgeschichte "Gemüse für die Ewigkeit". Ihr erster Roman, "Parasit ToGo. Die geheimen Wirtschaften eines Urtierchens", erscheint im Februar 2019.
1 – ZÖGERN
Wien, Juli 2016
Die Alte lag seit drei Tagen da. Mimi leckte sich die Pfoten, erhob sich und drehte erneut ihre Runde um den leblosen Körper auf dem Wohnzimmerteppich. Perser. Der Teppich, nicht die Katze, wobei mir das jetzt auch schon egal gewesen wäre. Ich war nicht mehr wählerisch. Ich steckte in diesem toten Fleischklumpen, und wenn das blöde Vieh nicht bald was unternahm, war’s das mit mir. Der Katze war das egal. Sie sprang auf die Rückenlehne des Sofas, schaute aus dem Fenster und schmiegte sich an den Kaktustopf. Draußen schien die Sonne, die Zweige bogen sich unter der Blätterlast, zwei Vögel trippelten friedlich von links nach rechts, wechselten ab und zu die Plätze. Und hier im ersten von vier Stockwerken des Hauses Krainerstraße 22 verweste eine Frau langsam vor sich hin, mitten im Wohnzimmer. Später würden sich die Nachbarn unterhalten: Nein, dass das niemand bemerkt hatte, tragisch. Aber sie war halt auch sehr einsam. Ich glaub, es gab mal einen Sohn, aber den hab ich schon seit Jahren nicht mehr gesehen. Hatte sie nicht eine Tochter? Oder überhaupt keine Kinder? Eine Fehlgeburt, zwei Kinder im Mutterleib verloren, einen Mann, der sie schlug? Aber der war bestimmt auch schon zwölf Jahre tot.
So hatte ich das nicht geplant. Ein Selbstmord, ja, aber doch nicht hier im Wohnzimmer. In den Fluss hätte sie springen sollen, in die Donau gehen, wie das der Wiener eben so macht. Ihr aufgedunsener Leib wäre irgendwann weiter unten in den Auen an Land gespült worden und dort hätten Ratten und andere Nager sie angeknabbert, sodass ich übergehen konnte in einen neuen Wirt. Vermisst hätte sie so schnell keiner. Stattdessen lagen wir nun hier, mitten in der Wohnung mit einer Überdosis Medikamente intus, und sobald uns jemand fand, würden wir in einer Kiste verpackt begraben werden. Genau diese Situation wollte ich vermeiden. Jeden Tag, an dem sie noch die Augen aufgeschlagen und den trockenen Mund mit einem Schluck Wasser befeuchtet hatte, war ich froh, denn ewig, das wusste auch ich, würde ihr alter Körper nicht mehr mitmachen. Es musste gehandelt werden, und zwar schnell. Aber dass die Sache so aus dem Ruder geriet, damit hatte ich nicht gerechnet.
»Miezekatze, ich flehe dich an, beweg deinen plüschigen Arsch von dem Sofa runter und beiß uns fest in den Oberarm! Das Fleisch wird süß schmecken und saftig. Du kannst deine Zähne darin vergraben und dich ungestört austoben. Ist doch was ganz Anderes als dieses vorgeschnittene, geleeartige Zeug. Du kannst mal ein richtiges Raubtier sein, frei und ungeniert.«
Mimi rührte sich nicht vom Fleck, ihre Barthaare zuckten. Parasiten führen ein gutes Leben, ja, aber wir sind so was von abhängig. Das Katzenvieh schaute einem bunten Vogel zu. Er setzte sich auf den Ast vor dem Fenster und begann ein Lied. Es war zum Verzweifeln. Ich bin hart im Nehmen. Ich habe schon mal zwei Wochen in einem Haufen Scheiße in der Wüste Gobi verbracht, bei 40 Grad im Schatten – und überlebt. Aber ohne Wirt keine Musik, wie das Sprichwort so schön sagt. Und im Moment sah es tatsächlich relativ schlecht für mich aus. Die Katze marschierte wieder in die Küche. Sie kratzte an der Scheibe zum Balkon, ich hörte sie.
»Ist zu, du dummes Vieh, genau wie gestern und vorgestern.«
Das war doch nicht zu fassen, als ob da jetzt plötzlich, Abrakadabra, ein Loch in der Scheibe wäre. Katzen sind schon erstaunlich dämliche Tiere, auch wenn ich sie eigentlich mögen müsste, weil sie die einzigen Tiere sind, in denen ich mich vermehren kann, mein sogenannter Endwirt. Aber Mimi war ein ausgesprochen nervtötend langsames Exemplar.
»Komm, Mimilein, du bist jetzt meine einzige Chance. Wenn die Alte erst gefunden wird, bin ich erledigt. Dann werde ich lebendig begraben mit dem fetten Koloss, und ob es da unten dann noch irgendein Tier gibt, das mich aufnimmt und wieder nach oben bringt, ich weiß es nicht.«
Können Toxoplasmen in Regenwürmern überleben? Fressen Regenwürmer überhaupt Aas? Ich wusste es wirklich nicht. Muss ich mal googeln, dachte ich, wenn ich das nächste Mal in einem Menschen lande.
Bei der alten Hribernek hatte ich gute Erfolge erzielt. Ich durfte ja die Entwicklung der Computer von Anfang an miterleben und einiges an Betriebssystemen und Programmen durchmachen seitdem. Ich kannte mich also hervorragend aus mit Computern, weil ich von den Menschengehirnen aus ja immer alles beobachtet und mir gut eingeprägt hatte, aber der Hribernek die Technik nahezubringen, das war eine meiner Meisterleistungen. Vor Jahren hatte ihr Sohn das graubeige Ding angeschleppt, bevor er nach Australien ging. Und der Computer war Hriberneks bester Freund geworden.
»Ich brauch ihn nicht mehr, aber für dich wär er genau richtig. Die Tasten sind schön weit auseinander und ich werde dir immer Fotos übers Internet schicken, die du dir anschauen kannst«, hatte ihr Sohn gesagt.
Die Hribernek weinte nicht, als er ging, und auch nicht, als sie zwei Jahre später eine Hochzeitsanzeige und wieder ein Jahr später eine Geburtsanzeige in ihrem Briefkasten fand.
Vor dem Flackerbild des grauen Würfels klebte sie täglich mit der Hornbrille, um nach zirka zehn Minuten zu kapieren, dass sie ihr Passwort eingeben musste. Wozu sie ein Passwort brauchte, hatte ich nie verstanden. Seit ihr Sohn nicht mehr zu Besuch kam, hatte nie eine einzige Person die Wohnung betreten, abgesehen vom Gasthermenwärter, der ihr auch die Glühbirnen austauschte, wenn eine kaputt war. Sicher hätte ein Einbrecher oder Datendieb auch nicht die Geduld gehabt, diese Krücke hochzufahren. Egal, Passwort musste sein. Sie hatte es sich aufgeschrieben, ebenso wie die einzelnen Schritte der Bedienung.
Ich half ihr immer, so gut es ging, beim Entziffern der Buchstaben, Heinrich74. Am Anfang war fast nichts auszurichten, sie war alt und träge, und ich brauchte Wochen, um ihr in mühevoller Arbeit Tag für Tag die Buchstaben vorzusagen und sie sie auf der Tastatur entdecken zu lassen. Dann lobte ich sie über den Klee wie ein Kleinkind. Es war erbärmlich, aber es half. Ich kann im Gehirn der Menschen und Tiere einiges anstellen, aber zaubern konnte ich auch nicht, es war harte Arbeit.
Bestimmt hatte sie über die Jahre viel Geld gespart, da ich sie Gewinne in Millionenhöhe, Jobangebote, die mit »Hi Mimi7474, I have a proposal for you« begannen, und Wundermittel gegen Katzenkratzer auf Möbeln, ergrautes Haar und Erektionsprobleme ungelesen löschen ließ. Mit den Fotos der Enkel, die in regelmäßigen Abständen ein paarmal pro Jahr eintrafen, war es allerdings so eine Sache. Sie konnte sie einfach nicht öffnen, auch wenn ich mir noch so viel Mühe gab. Ich schaffte es nicht, ihre Maus an die richtige Stelle zu bekommen. Ihre Nervenbahnen waren zu behäbig, müde und verkalkt. Manchmal war sie wirklich zäh wie eine Zirler Knackwurst. Einmal schaffte ich es doch, sie den Fotoanhang öffnen zu lassen: drei Halbwüchsige in bunten Ganzkörperbadeklamotten, nasse Haare und Sand, Surfbretter. Ich habe keine Ahnung, wie ich das zustande gebracht hatte. Manche sind so leicht zu steuern, Ratten zum Beispiel, ein Segen. Aber die Hribernek war ein harter Knochen. Ich gab allerdings nie auf und sie wurde immer besser. Sogar googeln brachte ich ihr bei. Nur deswegen hatte sie es überhaupt geschafft, das Video abzuspielen, das in den Tagen vor ihrem Tod durch ihren Kopf geisterte und alles in Unruhe brachte.
»Und wenn Ihnen jemand die Angst nehmen würde? Wenn Sie jedes Risiko eingingen, mit einem kühnen Lächeln im Gesicht, ohne zweimal darüber nachzudenken? Wenn Sie über die Klippe springen könnten und sicher wären, dass der Wind sie trägt? Und Sie würden nicht einmal merken, dass ich da bin! Fünfzig Prozent von Ihnen« – und dabei würde ich die Stimme etwas erheben und in die Menge zeigen – »tragen meine Nachkommen bereits in sich. Sie haben schon alles, was man braucht, um erfolgreich, reich und sexy zu sein.«
So oder so ähnlich hätte ich meine Rede bei TED Talk begonnen, wenn ich eingeladen gewesen wäre. Stattdessen sprach da ein junger asiatischer Mann mit kurzen Haaren über den abstehenden Ohren. Er trug ein graues Hemd und hieß Brent Yong. »Zombie-Mäuse. Wie Parasiten die Welt beherrschen« lautete der Titel seiner Rede, in der er dreizehn Minuten lang mit Headset und Fernbedienung auf einer kleinen Bühne vor einer Leinwand sprach. Auf dem gigantischen »Screen« war nun der Körper des Parasiten Toxoplasma gondii zu sehen, das war ich. »Ein kleiner Einzeller, ein unbedeutendes Urtierchen, und doch nistet es sich in unserem Nervensystem ein und manipuliert uns zu seinen Gunsten. Wir sind ferngesteuerte Zombies in den Händen von Toxoplasma gondii. Keine Supermächte, keine außerirdischen Wesen, ein winziges Protozoon schaltet unseren freien Willen aus und steuert uns, wie es ihm gefällt. Es baut unser Gehirn um und macht uns risikobereiter und waghalsiger. Toxoplasma gondiis Ziel ist nämlich, von einer Raubkatze gefressen zu werden, denn nur in Katzen kann sich das Urtierchen vermehren.«
Es ist ein unangenehmes Gefühl, wenn andere über einen sprechen, als wäre man eine seltene Ritterrüstung in einem Museum.
»Affen klettern plötzlich von den Bäumen, Mäuse fühlen sich von Katzenurin magisch angezogen, Menschen haben ein sechsmal so hohes Risiko, einen tödlichen Autounfall zu verursachen.«
Er sagte es mit der Faszination des Wissenschaftlers in den Augen. Bestimmt würde er Karriere machen. Der rote Balken zeigte an, dass das Video gleich zu Ende war, das Publikum applaudierte, und bevor in elf Sekunden der nächste Beitrag über natürliche Schädlingsbekämpfung starten sollte, drückte die Hribernek den Pausenknopf. Zitternd tupfte sie mit dem Taschentuch auf der schweißnassen Stirn herum, nahm...
Erscheint lt. Verlag | 1.2.2019 |
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Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Comic / Humor / Manga |
Schlagworte | fremdgesteuert • Humor • humorvoll • Insekten • Lebensraum • lustige Romane • Neuerscheinung 2019 • Parasiten • Roman aus der Sicht • Schräge Geschichte • Skurriler Humor • Toxoplasmose Gondii • Verwandlung |
ISBN-10 | 3-492-98517-3 / 3492985173 |
ISBN-13 | 978-3-492-98517-8 / 9783492985178 |
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