Ihr Körper und andere Teilhaber (eBook)
300 Seiten
Tropen (Verlag)
978-3-608-11529-1 (ISBN)
Carmen Maria Machado, Autorin, Kritikerin und Essayistin. Ihre Arbeiten erschienen im »The New Yorker« und in zahlreichen weiteren Zeitschriften und Anthologien. Sie hat einen Master des Iowa Writer's Workshop und wurde mit verschiedenen Schreib- und Aufenthaltsstipendien ausgezeichnet. Machados Debüt »Ihr Körper und andere Teilhaber« wurde für den National Book Award und 28 weitere Preise nominiert. Ausgezeichnet wurde es mit zehn Preisen, darunter der Bard Fiction Prize. Gemeinsam mit ihrer Frau lebt Machado in Philadelphia.
Carmen Maria Machado, Autorin, Kritikerin und Essayistin. Ihre Arbeiten erschienen im »The New Yorker« und in zahlreichen weiteren Zeitschriften und Anthologien. Sie hat einen Master des Iowa Writer's Workshop und wurde mit verschiedenen Schreib- und Aufenthaltsstipendien ausgezeichnet. Machados Debüt »Ihr Körper und andere Teilhaber« wurde für den National Book Award und 28 weitere Preise nominiert. Ausgezeichnet wurde es mit zehn Preisen, darunter der Bard Fiction Prize. Gemeinsam mit ihrer Frau lebt Machado in Philadelphia.
Der Extrastich
(Wenn Sie diese Geschichte vorlesen, dann bitte mit folgenden Stimmen:
ICH als Kind: hoch, austauschbar; als Frau: genauso.
DER JUNGE, DER ZUM MANN HERANWACHSEN UND MEIN EHEMANN SEIN WIRD: durch glücklichen Zufall kräftig.
MEIN VATER: liebenswürdig, dröhnend; wie Ihr eigener Vater oder der Mann, den Sie sich immer als Vater gewünscht haben.
MEIN SOHN als Kleinkind: sanft, mit einem Anflug von Lispeln; als Erwachsener: wie mein Mann.
ALLE ANDEREN FRAUEN: ebenso austauschbar wie ich.)
Anfangs weiß ich schon vor ihm, dass ich ihn will. Eigentlich läuft das so nicht, aber bei mir schon. Ich bin mit meinen Eltern auf einer Feier bei den Nachbarn, und ich bin siebzehn. Ich trinke in der Küche ein halbes Glas Weißwein mit der Tochter, die in meinem Alter ist. Mein Vater merkt nichts. Alles ist weich, wie ein frisches Ölgemälde.
Der Junge steht mit dem Rücken zu mir. Ich sehe die Muskeln in seinem Nacken und seinen Schultern, und wie sich sein Hemd spannt, als wäre er ein Tagelöhner, der sich zum Tanzen in Schale geworfen hat, und ich werde feucht. Ich kann nicht behaupten, ich hätte keine Auswahl. Ich bin schön. Ich habe einen hübschen Mund. Ich habe Brüste, die gleichermaßen unschuldig und obszön aus meinen Kleidern hervorquellen. Ich bin ein artiges Mädchen aus gutem Hause. Er hingegen ist ein bisschen verwegen, wie Männer eben manchmal sind, und ich will. Ich glaube, er könnte das Gleiche wollen.
Ich habe einmal von einer jungen Frau gehört, die etwas dermaßen Schändliches von ihrem Geliebten verlangte, dass er sich ihrer Familie anvertraute, die sie deswegen in ein Sanatorium steckte. Keine Ahnung, welche abseitigen Gelüste sie geäußert hatte, aber ich wüsste es nur zu gern. Was kann derart wunderbar sein, dass man für das Verlangen danach von der Welt ausgeschlossen wird?
Der Junge bemerkt mich. Er wirkt nett, aufgeregt. Er begrüßt mich. Fragt nach meinem Namen.
Ich wollte mir den richtigen Augenblick immer selbst aussuchen, und jetzt ist er da.
Auf der Terrasse küsse ich ihn. Er erwidert den Kuss, am Anfang ganz sanft, dann heftiger, er stößt meinen Mund sogar etwas mit der Zunge auf, was mich überrascht, und ihn vielleicht auch. Ich habe mir vieles ausgemalt im Dunkeln, im Bett, unter meiner schweren alten Patchworkdecke, aber das hier ist besser, ich stöhne. Als er sich von mir löst, wirkt er verwundert. Sein Blick springt kurz hin und her, bevor er sich an meinen Hals heftet.
»Was ist das denn?«, fragt er.
»Ach, das hier?« Ich berühre das Band an meinem Hals. »Das ist nur mein Band.« Ich fahre mit den Fingern über den glänzend grünen Stoff und lasse sie dann vorn auf der Schleife ruhen. Er will es anfassen, aber ich packe seine Hand und wehre sie ab.
»Fass es nicht an«, sage ich. »Das darfst du nicht.«
Bevor wir wieder hineingehen, fragt er, ob wir uns wiedersehen. Ich sage, dass ich das schön fände. An diesem Abend denke ich vor dem Einschlafen noch einmal an ihn, an seine Zunge, die meinen Mund aufschiebt, meine Finger gleiten über meinen Körper, und ich stelle mir vor, er wäre bei mir, voller Muskeln und Drang, mir zu gefallen, und da weiß ich, dass wir heiraten werden.
⁓
Das tun wir auch. Später, meine ich. Aber erst nimmt er mich in seinem Auto, im Dunkeln, mit zu einem See mit sumpfigem Ufer, an den man nicht so leicht herankommt. Er küsst mich, umschließt meine Brust, und die Brustwarze zieht sich unter seinen Fingern zusammen.
Bis es passiert, bin ich mir nicht ganz sicher, was er vorhat. Er ist hart und heiß und trocken und riecht nach Brot, und als er in mich eindringt, schreie ich auf und klammere mich an ihn wie eine Schiffbrüchige. Sein Körper klinkt sich in meinen ein, und er stößt und stößt, und kurz vor dem Ende zieht er ihn heraus, klebrig von meinem Blut, und kommt. Der Rhythmus fasziniert und erregt mich, sein greifbares Verlangen, die Eindeutigkeit seines Höhepunktes. Hinterher lässt er sich in den Sitz fallen, und ich höre die Geräusche des Sees: Haubentaucher und Grillen, und etwas, das klingt wie ein Banjo. Der Wind frischt vom Wasser her auf und kühlt meine Haut.
Ich weiß nicht, was ich jetzt tun soll. Ich spüre meinen Herzschlag zwischen den Beinen. Es tut weh, aber ich glaube, irgendwann wird es sich gut anfühlen. Ich fahre mir mit der Hand über den Körper und spüre einen erregenden Schauer von irgendwo weit her. Sein Atem wird leiser, und ich merke, dass er mich beobachtet. Meine Haut leuchtet im Mondlicht, das durchs Fenster hereinfällt. Als ich sehe, wie er mich anschaut, weiß ich, dass ich an diese Erregung herankommen kann wie an die Schnur eines davonschwebenden Luftballons, die ich gerade eben noch mit den Fingerspitzen streife. Ich ziehe und stöhne und lasse mich langsam und gleichmäßig von dem Gefühl davontragen, und die ganze Zeit beiße ich mir dabei auf die Zunge.
»Ich will mehr«, sagt er, rührt sich aber nicht. Er schaut aus dem Fenster und ich auch. Da draußen in der Dunkelheit könnte alles Mögliche lauern, denke ich. Ein Mann mit Hakenhand. Der Geist eines Anhalters auf der ewig gleichen Reise. Eine alte Frau, die von Kindergesängen aus ihrem Spiegel heraufbeschworen worden ist. Jeder kennt diese Geschichten – das heißt, jeder erzählt sie, auch wenn er sie eigentlich gar nicht kennt –, aber nie glaubt jemand wirklich daran.
Sein Blick gleitet über das Wasser und kehrt dann zu mir zurück.
»Erklär mir, was das für ein Band ist«, sagt er.
»Da gibt es nichts zu erklären. Das ist einfach mein Band.«
»Darf ich mal anfassen?«
»Nein.«
»Ich will aber«, sagt er. Seine Finger zucken, da schließe ich die Beine und setze mich auf.
»Nein.«
Im See schnellt etwas aus dem Wasser und landet mit einem lauten Platsch. Er dreht sich nach dem Geräusch um.
»Ein Fisch«, sagt er.
»Irgendwann«, sage ich, »erzähle ich dir mal die Geschichten von diesem See und den Wesen, die darin leben.«
Er lächelt und reibt sich den Kiefer. Dabei schmiert er sich etwas von meinem Blut ins Gesicht, merkt aber nichts, und ich mache ihn nicht darauf aufmerksam.
»Das fände ich ziemlich gut.«
»Bring mich nach Hause«, sage ich bestimmt. Das tut er, ganz Gentleman.
Später wasche ich mich. Der seidige Schaum zwischen meinen Beinen hat die Farbe und den Geruch von Rost, dabei bin ich so neu wie nie zuvor.
Meine Eltern mögen ihn sehr. Er ist ein guter Junge, sagen sie. Er wird einmal ein guter Mann sein. Sie fragen nach seinem Beruf, seinen Hobbys, seiner Familie. Er schüttelt meinem Vater fest die Hand und macht meiner Mutter Komplimente, die sie kichern und erröten lassen wie ein junges Mädchen. Er kommt zwei-, manchmal auch dreimal die Woche zu mir. Meine Mutter lädt ihn zum Abendessen ein, und während des Essens grabe ich die Fingernägel in seinen Oberschenkel. Wenn vom Eis nur noch Pfützen in den Schälchen übrig sind, sage ich meinen Eltern, dass wir ein Stück die Straße hinunterspazieren wollen. Wir machen uns in der Dunkelheit auf den Weg, halten brav Händchen, bis wir außer Sichtweite sind. Ich ziehe ihn zwischen die Bäume, und sobald wir ein freies Fleckchen auf dem Waldboden finden, streife ich mir mit wackelnden Hüften die Strumpfhose ab und biete mich ihm auf allen vieren an.
Ich kenne die Geschichten über Mädchen wie mich, und ich scheue mich nicht, neue zu schreiben. Ich höre die metallene Gürtelschnalle, und wie seine Hose auf den Boden rutscht, und spüre ihn halb steif hinter mir. Ich bettle – »Mach schon« –, und er erhört mich. Ich stöhne und komme ihm entgegen, und dann treiben wir es auf dieser Lichtung, meine lustvollen Seufzer vermischen sich mit seinen beglückten und verflüchtigen sich in der Abendluft. Wir lernen, er und ich.
Es gibt zwei Regeln: Er darf nicht in mir kommen, und er darf mein grünes Band nicht anfassen. Er spritzt auf die Erde, es macht patsch-patsch-patsch, als würde es anfangen zu regnen. Ich will mir zwischen die Beine fahren, aber meine Finger, die sich die ganze Zeit in den Dreck gegraben haben, sind schmutzig. Ich ziehe mein Höschen und meine Strumpfhose hoch. Er gibt einen Laut von sich und zeigt auf meine Knie, die unter dem Nylon ebenfalls schmutzverkrustet sind. Ich ziehe die Strumpfhose noch einmal runter und wische den Dreck ab, dann ziehe ich sie wieder hoch. Ich streiche meinen Rock glatt und stecke mir das Haar wieder fest. Eine einzelne Locke ist seinem gegelten Haar bei der Anstrengung entkommen, und ich lege sie zu...
Erscheint lt. Verlag | 2.3.2019 |
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Verlagsort | Stuttgart |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | Erzählungen • Feminismus • Frauen • Gewalt • Körper • Lesbisch • Magischer Realismus • National Book Award • Sex • USA |
ISBN-10 | 3-608-11529-3 / 3608115293 |
ISBN-13 | 978-3-608-11529-1 / 9783608115291 |
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