Das Leben ist eins der Härtesten (eBook)
224 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-40330-7 (ISBN)
Giulia Becker, geboren 1991, lebt in der Nähe von Köln. Zusammen mit Autor Chris Sommer ist sie Host des erfolgreichen Podcasts Drinnies, der seit 2021 drei Mal mit dem Deutschen Podcast Preis ausgezeichnet wurde. Sie arbeitete unter anderem im Autor:innenteam von Jan Böhmermann, als Drehbuchautorin für die ZDF-Sitcom Ruby und ist regelmäßig mit ihren eigenen Sketchen in der Carolin-Kebekus-Show zu sehen. 2019 erschien ihr Roman Das Leben ist eins der Härtesten, für den sie mit dem Debütpreis der lit.Cologne ausgezeichnet wurde.
Giulia Becker, geboren 1991, lebt in der Nähe von Köln. Zusammen mit Autor Chris Sommer ist sie Host des erfolgreichen Podcasts Drinnies, der seit 2021 drei Mal mit dem Deutschen Podcast Preis ausgezeichnet wurde. Sie arbeitete unter anderem im Autor:innenteam von Jan Böhmermann, als Drehbuchautorin für die ZDF-Sitcom Ruby und ist regelmäßig mit ihren eigenen Sketchen in der Carolin-Kebekus-Show zu sehen. 2019 erschien ihr Roman Das Leben ist eins der Härtesten, für den sie mit dem Debütpreis der lit.Cologne ausgezeichnet wurde.
Teil I Borken
Renate Gabor geht es schlecht. Vergangenen Freitag ist ihr Malteser-Mischling Mandarine Schatzi kopfüber in einer Punica-Flasche stecken geblieben und erstickt. Renate war für den Abend zum Sommerwendefest mit ihrer Zumba-Gruppe aus, und als sie zurückkam, war schon alles zu spät. Heute stand es in der Zeitung, für achtzig Euro hat sie eine Traueranzeige im Detmolder Kurier schalten lassen. Dort wurde Schatzi um 23.19 Uhr in der Tierarztpraxis Dr. Heidenoldendorf offiziell für tot erklärt, dort sollen die Leute von ihrem Tod erfahren. Seit Stunden sitzt Renate auf ihrer königsblauen Couchgarnitur und schaut auf das Foto in der Anzeige, Mandarine sieht darauf besonders bezaubernd aus. Sie trägt einen Bacardi-Hut.
«Mein abgöttisch geliebtes Herzstück Mandarine Schatzi ist über die Regenbogenbrücke gegangen. Für die Welt war sie nur irgendjemand, für mich war sie die Welt.»
Dicke Tränen vermischen sich mit der Druckerschwärze, Renate weint ohne Unterlass auf Seite zwölf: «Mandarine Schatzi, warum hast du mich verlassen? Mein Liebling, mein einziges Kind.» Renate hat eigentlich wirklich ein Kind, einen Sohn, Thorsten, der kein Hund ist. Aber er ist schwul und eigensinnig und passt nicht in eine Handtasche, Renate findet ihn eher unpraktisch. Mandarine Schatzi konnte sie einfach überallhin mitnehmen.
Sie war so ein engelsgleiches Geschöpf, immer freundlich, immer aufgeweckt und stets dankbar. Im Gegensatz zu Thorsten hat sich Mandarine Schatzi nie beschwert. Sie hat auch nie wütend Türen geknallt, wenn Renate mal einen Mann mit nach Hause brachte. Auch nicht wenn einer der Männer plötzlich nicht mehr gehen wollte, sich als Dieter vorstellte und den Hobbykeller zu einem Wehrmachtsmuseum umdekorierte. Mandarine Schatzi ist immer an ihrer Seite geblieben. Thorsten dagegen ist weggezogen, über zweihundert Kilometer weit, zum Studieren. Renate weiß gar nicht, was er da macht, beim Studieren. Hat er ihr ja nie erzählt.
Einmal hat Thorsten eine Karte geschickt aus Kreta, die klebt an der Kühlschranktür. Kreta also, aha, hatte Renate gedacht und wollte urplötzlich auf eine Insel fahren, um Thorsten auch eine Karte zu schicken, um einen Anlass zu haben, sich mal wieder zu melden. Am Tag darauf reiste sie nach Helgoland, aus dem einfachen Grund, dass sie das mit einem zoll- und steuerfreien Einkauf verbinden konnte.
Auf Helgoland verbrachte sie den halben Tag mit Mandarine Schatzi in einer Parfümerie, probierte Lippenstifte und kaufte so viel Dolce & Gabbana Light Blue, 100 ml, auf Vorrat, dass die Verkäuferin ihr beim Kassieren mit großem Bedauern mitteilte, dass Renate leider die Freigrenze überschritten habe und sie doch besser einige Fläschchen zurückstellen solle. Renate wusste nichts von einer Freigrenze und wurde laut, Wörter wie «Pissnelke» und «Inseläffchen» fielen. Kurzerhand wurde sie der Parfümerie verwiesen und musste zum Runterkommen erst mal schräg gegenüber in Pinkus Eiergrogstube einen Kurzen trinken, wo sie Achim kennenlernte. Der aß eine XL-Frikadelle mit Toast und Senf und erzählte, dass er schon seit über zehn Jahren einmal pro Monat rüber nach Helgoland fahre, für Zigaretten. Früher habe er weniger geraucht, aber damit es sich auch lohnt, sollte man schon so ein bis zwei Packungen pro Tag rauchen. Er gab Renate einen Eiergrog aus und schenkte Mandarine Schatzi ein Stück Frikadelle, sie konnten sich alle gut riechen. Später gab Renate Achim 430 Euro in bar, wovon er ihr noch mehr Dolce & Gabbana Light Blue, 100 ml, kaufte und für sich selbst eine Stange Marlboro, als kleines Dankeschön. Dann fuhren sie zusammen mit der Fähre zurück ans Festland, und auf dem Achterdeck der MS Helgoland kamen sich die beiden näher, aber das ist eine andere Geschichte. Die Postkarte für Thorsten hatte Renate im Eifer des Gefechts jedenfalls komplett vergessen.
Thorstens Karte hängt immer noch am Kühlschrank, seit drei Jahren schon oder länger, direkt neben den tollen Fotos von Mandarine Schatzi; auf dem einen isst sie Erdbeereis am Baggersee und auf dem anderen trägt sie den roten Weihnachtspullover und das blinkende Rentiergeweih. Hach, Mandarine.
Renate sitzt jetzt gekrümmt auf dem Flokati unter der Treppe, wo ihr Herzstück am liebsten lag. Früher hatte die Hündin sogar mit im Bett geschlafen, aber dann kam der Mustafa, und der hatte eine schlimme Tierhaarallergie. Wenn Mandarine Schatzi in der Nähe war, bekam er Keuchhusten mit grünem Auswurf. Deswegen musste die Hündin unter die Treppe verfrachtet werden, und das war so ein Theater. Mandarine Schatzi kam immer wieder zurück ins Bett, sie war ein Gewohnheitstier. Renate musste sie dann lange Zeit mit kleinen Knackwürstchen zu dem Flokati unter der Treppe locken. Es dauerte gut vier Wochen, bis Mandarine sich an ihr neues Plätzchen gewöhnt hatte, die Sache mit Mustafa war in der Zwischenzeit schon wieder vorbei, aber Renate wollte sich den ganzen Zirkus mit der Knackwurstfährte nicht noch mal antun. Auf dem Flokati unter der Treppe riecht es noch nach ihr, auch ihr Bacardi-Hut liegt noch dort. Es ist, als käme sie gleich um die Ecke gerannt.
Mandarine Schatzi war keine gewöhnliche Hündin. Renate hatte sie in Ungarn aus einer Tötungsstation gerettet. Eigentlich wollte sie sich nur das Doppelkinn absaugen lassen, das kostet in Ungarn so gut wie gar nichts, da bekommt man fast noch Geld zurück, so unverschämt günstig ist das. Auf dem Weg zum Best-Western-Hotel in Budapest sah Renate dann die völlig verängstigte Mandarine Schatzi hinter einem Zaun kauern und war sofort schockverliebt; die großen Augen, das zerzauste Fell, die kleinen, dreckigen Pfoten. Sie hat nicht lang überlegt, ließ die Hündin impfen, waschen und föhnen, und beim Rückflug musste sie nicht mal Aufpreis zahlen für das zusätzliche Gepäckstück; Renates eigener Theorie zufolge, weil sie ja kein Doppelkinn mehr hatte und das genau aufging. Aber jetzt ist die Transportbox leer, und Mandarine Schatzi wird nie wieder darin liegen mit ihrer quietschgelben Rassel und dem Angstdurchfall.
Renate hat sich für eine Kristallbestattung entschieden. Dabei wird die Asche zu einem einzigartigen Kristall verarbeitet, in diesem Fall ein Traumfänger mit einem Ensemble von vier kleinen Kristallen. Den Traumfänger will sie direkt über der Couch anbringen. Wenn die Sonne sich dann ihren Weg durch die Window-Color-Diddlmäuse am Fenster ihres kleinen Reihenhauses bahnt, werden die Kristalle das Licht reflektieren und kleine Regenbögen auf die Wände projizieren, und wenn Renate die sieht, wird sie wissen, dass ihre Mandarine Schatzi tatsächlich über die Regenbogenbrücke gegangen ist.
Renate überlegt, Silke anzurufen und von Mandarine Schatzis Ableben zu erzählen, lässt es dann aber doch bleiben. Nach Silkes Abgang kürzlich nach dem Essen im Vapiano ist eindeutig sie am Zug, Renate wird ihr nicht hinterherrennen. Thorsten will garantiert nichts von Mandarine Schatzi wissen, er konnte die Hündin nie leiden und hat auch keinen Hehl daraus gemacht. Mit Juri herrscht momentan Funkstille, sie haben sich gestritten, weil Renate auf Facebook ihrem Exfreund Detlev eine Kettennachricht auf die Pinnwand gepostet hat. Juri hatte die automatisierte Übersetzung benutzt und nur die Worte GLÜCK und LIEBE verstanden, in Kombination mit den zwölf Rosen-Smileys am Ende der Nachricht kam ihm das verdächtig vor. Zu Frank hat sie auch keinen Kontakt mehr, der hat mit seinen täglichen Anrufen und den vielen SMS den Bogen überspannt, Manfred wohnt jetzt auf Lanzarote. Renata von der Aqua-Aerobic ist sauer, weil Renate so lang nicht mehr beim Training erschienen ist, obwohl die beiden eigentlich eine Fahrgemeinschaft bilden. Die Nummer von Willy-Martin hat sie nicht, seinen Nachnamen kennt sie auch nicht, und streng genommen ist er sowieso nur Silkes Freund. Renate fragt sich, wen sie noch anrufen könnte, aber ihr fällt kein Name ein. Da ist niemand mehr.
In der Bahnhofsmission Borken ist im Sommer viel zu tun. Es sind Schulferien, viele Kinder fahren allein mit dem Zug und müssen während des Umsteigens betreut werden. Silke malt mit ihnen Bilder und bastelt 3D-Pappdinosaurier für die Weiterfahrt. Basteln mag sie, die Kinder nicht immer. Ständig stellen sie übergriffige Fragen: Warum hast du keinen Mann? Hast du schon mal Sex gemacht? Magst du Spinat? Und so weiter. Silke ist dann froh, wenn der Anschlusszug einfährt und sie Kind und Pappdino in die Bahn verfrachten kann.
Ansonsten ist bei der Bahnhofsmission kein Tag wie der andere. Immer wieder werden Reisende angespült. Manche haben den letzten Zug verpasst und brauchen für die Nacht eine Herberge, manche haben überhaupt kein Zuhause und freuen sich über die Isomatte im Schlafsaal, andere kommen zum Duschen, Handyaufladen oder für eine warme Mahlzeit. Silke schmiert Brote, kocht Suppe und Kaffee und hört den Menschen zu; den einsamen, den nervösen, den fröhlichen, den überforderten. Ihren Geschichten von wütenden Exmännern, toten Kanarienvögeln und der geplanten Reise nach Usedom.
Silke ist immer für alle da.
Nach Feierabend flieht Willy-Martin in die Welt des Online-Kniffels. Früher hat ihn die Arbeit als Schlagpfleger im Taubenschlag entspannt, aber seit der Herr Graf die Tauben zu den weltbesten ihrer Art emporzüchten möchte, ist rein gar nichts mehr entspannt. Nicht mal Tauben dürfen einfach nur Tauben sein, denkt Willy-Martin.
Beim Online-Kniffel vergisst er seine Probleme, die Tauben, die Sache mit...
Erscheint lt. Verlag | 26.3.2019 |
---|---|
Verlagsort | Hamburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | Bahn • Bahnhof • Chris Sommer • Drinnies • Drinnies Podcast • Feminismus • Humor • Jan Böhmermann • Lustige Bücher • lustige Romane • Roman • Scheide • Song • witzige Bücher |
ISBN-10 | 3-644-40330-9 / 3644403309 |
ISBN-13 | 978-3-644-40330-7 / 9783644403307 |
Informationen gemäß Produktsicherheitsverordnung (GPSR) | |
Haben Sie eine Frage zum Produkt? |
Größe: 1,1 MB
DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasserzeichen und ist damit für Sie personalisiert. Bei einer missbräuchlichen Weitergabe des eBooks an Dritte ist eine Rückverfolgung an die Quelle möglich.
Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belletristik und Sachbüchern. Der Fließtext wird dynamisch an die Display- und Schriftgröße angepasst. Auch für mobile Lesegeräte ist EPUB daher gut geeignet.
Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise
Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.
aus dem Bereich