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Flammenwand. (eBook)

Roman mit Anmerkungen.
eBook Download: EPUB
2019 | 1. Auflage
416 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-490887-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Flammenwand. -  Marlene Streeruwitz
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Stockholm im März. Nach einem schweren Winter hat es immer noch minus 15 Grad, und das Eis knirscht unter Adeles Schritten. Als sie von Einkäufen zurückkehrt, sieht sie ihren Geliebten von weitem das Haus verlassen und geht ihm nach. Je näher sie ihm kommt, desto unsichtbarer wird er. Warum laufen wir immer den gleichen Bildern hinterher? Worauf ist eigentlich Verlass? Und warum muss die Liebe zur Hölle werden? In einer Welt, in der sich die Warteschleife als Wahrheit erweist, bewegt sich Adele auf dem schmalen Grat zwischen Befreiung und Selbstverlust: »Sie durfte sich nicht aus sich selbst verjagen lassen. Sie musste langsam und vorsichtig denken.« Durch eine verräterische Liebesgeschichte entfaltet sich in Marlene Streeruwitz' furiosem Roman die Krise der Gegenwart. »Flammenwand.« steht auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis 2019.

Marlene Streeruwitz, in Baden bei Wien geboren, studierte Slawistik und Kunstgeschichte und begann als Regisseurin und Autorin von Theaterstücken und Hörspielen. Für ihre Romane erhielt sie zahlreiche Auszeichnungen, darunter zuletzt den Bremer Literaturpreis und den Preis der Literaturhäuser. Ihr Roman »Die Schmerzmacherin.« stand 2011 auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis. Zuletzt erschienen der Roman »Flammenwand.« (Longlist Deutscher Buchpreis 2019), die Breitbach-Poetikvorlesung »Geschlecht. Zahl. Fall.« (2021), der Roman »Tage im Mai.« (2023) sowie die Bände »Handbuch für die Liebe.« und »Handbuch gegen den Krieg.« (2024).  Literaturpreise (u.a.): Mara-Cassens-Preis 1996 Österreichischer Würdigungsstaatspreis für Literatur 1999 Hermann-Hesse-Literaturpreis 2001 (für 'Nachwelt') Walter-Hasenclever-Literaturpreis 2002 Bremer Literaturpreis 2012 Franz-Nabl-Preis 2015 Preis der Literaturhäuser 2020 Wiener Buchpreis 2023

Marlene Streeruwitz, in Baden bei Wien geboren, studierte Slawistik und Kunstgeschichte und begann als Regisseurin und Autorin von Theaterstücken und Hörspielen. Für ihre Romane erhielt sie zahlreiche Auszeichnungen, darunter zuletzt den Bremer Literaturpreis und den Preis der Literaturhäuser. Ihr Roman »Die Schmerzmacherin.« stand 2011 auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis. Zuletzt erschienen der Roman »Flammenwand.« (Longlist Deutscher Buchpreis 2019), die Breitbach-Poetikvorlesung »Geschlecht. Zahl. Fall.« (2021), der Roman »Tage im Mai.« (2023) sowie die Bände »Handbuch für die Liebe.« und »Handbuch gegen den Krieg.« (2024).  Literaturpreise (u.a.): Mara-Cassens-Preis 1996 Österreichischer Würdigungsstaatspreis für Literatur 1999 Hermann-Hesse-Literaturpreis 2001 (für "Nachwelt") Walter-Hasenclever-Literaturpreis 2002 Bremer Literaturpreis 2012 Franz-Nabl-Preis 2015 Preis der Literaturhäuser 2020 Wiener Buchpreis 2023

existenziell, sprachlich und dramaturgisch grossartig gemacht. Ihr neuer Roman ist zornig, poetisch und ja, sogar mit leiser Ironie geschrieben. Eine Wucht!

Das Buch ist auch ein Frontalangriff auf die aktuelle österreichische Politik.

Streeruwitz ist die Königin fein ziselierter Verallgemeinerungen. Diese Lage macht ihren Witz und ihre feministische Spannkraft aus.

eine der großen Stimmen der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Ihr Sound ist unverkennbar. Suggestiv. Beschwörend. Authentisch.

eine schonungslose Geschichte zur rechten Zeit [...] ›Flammenwand‹ ist ein loderndes literarisches Manifest und eine Abrechnung zugleich

Wie selten ist es geworden, dass man während der Lektüre [...] ›Grandios!‹ denkt, und diese Einschätzung über den letzten Satz hinaus Bestand hat

eine sehr intelligente, eine psychologische und auch politische Reflexion [...] Mir stockte der Atem, als ich das las [...] Marlene Streeruwitz trifft immer wieder ins Schwarze

›Flammenwand‹ sollte überall dort zur Pflichtlektüre erklärt werden, wo ›politische Bildung‹ draufsteht. Es ist ein Meisterinnenwerk!

es ist ein schreckliches Buch muss man sagen. Schrecklich, weil es so intelligent ist, so scharfsichtig. [...] Diese Sprache entwickelt einen unglaublichen Sog.

Donnerstag, 19. April 2018. Wien.[8]


Das Nicht-schlafen-Können. Alle klagten. Konnten nicht schlafen. Andere mussten essen. Dauernd. Magenschmerzen. Rückenschmerzen. Kopfschmerzen. Die eine Kollegin konnte den Arm nicht mehr heben. Sie ging mit dem rechten Arm an den Körper gepresst. So tue es am wenigsten weh, sagte sie. Und außerdem. So könne sie keinen Hitler-Gruß machen. Und alle nickten. Keiner lachte mehr. Es war ein grimmiges Nicken. Wenn sie sagte, dass es sich bei ihr aufs Schlafen auswirke, war dieses Nicken die Antwort. Es war eine richtige Sprache geworden. Eine Sprache in Symptomen. Sie waren versammelt worden, ihre Strafe zu bekommen. Sie waren die anderen. Nicht das Volk. »Jetzt bekommt ihr eure Strafe.«, hatte die Mutter gesagt, wenn der Vater in die Wohnung zurückgekehrt war. Am späten Nachmittag. Die Eltern waren auf der Veranda gesessen. Der Vater hatte ein Bier zu trinken bekommen. Für Kaffee wäre es zu spät gewesen. Die Mutter trank nichts. Sie saß dem Vater gegenüber. Der Vater hatte den Blick auf die Baumwipfel im Innenhof des Blocks hinter ihr. Die Stimme der Mutter. Das war eine Geständnisstimme gewesen. Die Mutter hatte die Verfehlungen ihrer Kinder gestanden. Ein Singsang war das gewesen. Eine Litanei. Jeden Tag. Der Vater hatte das Bier getrunken. Er hatte hinausgeschaut. Hinter die Mutter. Die Strafe war dann nicht jedes Mal gekommen. Ihr Bruder und sie waren an die Küchentür gedrängt gestanden und hatten gelauscht. Die Köpfe weit vorgestreckt. Ein Ohr den Tönen entgegenhaltend. Wenn der Vater nicht gleich zu reden begonnen hatte, dann waren sie ins Kinderzimmer davongestürzt. Der Vater hatte sie dann vor ihren Hausaufgabenheften sitzend gefunden, wenn es begonnen hatte. Oft hatte er aber auch gelacht. Nach einer langen Pause hatte er aufgelacht. Leise. »Der Lauser.«, hatte er gesagt, und was die Mutter doch für eine Mühe habe. Mit diesem Sohn. Sie. Die Tochter. Sie war nicht vorgekommen. Sie war auch bei den Strafen nicht ernst genommen worden. Ein Rutenstreich. Der Bruder oft zehn.

Die Ruten waren vom Krampus gebracht worden. Es war längst klar gewesen, dass der Pfarrer Leichtfried den Nikolaus spielte und der Messner den Krampus. Die Ruten waren mit den roten Zellophansäckchen mit den Schokoladenikoläusen verteilt worden. Die Ruten waren den Eltern übergeben worden. Jedes Jahr war eine Rute verbraucht gewesen. Der Bruder hatte das Hemd ausziehen müssen und war auf den Rücken geschlagen worden. Bis er das erste Mal gesagt hatte, dass der Schularzt seine Klasse zu untersuchen begonnen habe. Der Bruder war nicht in die Schule gegangen, in der der Vater Direktor war. Damals. Es hatte die Debatte begonnen, ob Kinder geschlagen werden sollten oder nicht. Der Vater hatte mit der Mutter darüber geredet. Laut. Wütend. Aber das begriff sie jetzt erst. Damals. Der Vater hatte zu zögern begonnen. Hatte nicht mehr mit diesem leeren Gesicht auf die nackte Haut des Bruders eingeschlagen. Sie hatte er dann ganz ausgelassen. Der Bruder hatte trotzdem geweint. Ihre ersten Erinnerungen waren dieser Bub. Trostlos schluchzend. Auf seinem Bett sitzend. Am Tag. Das war streng verboten gewesen. Sich ins Bett zu legen. Während des Tages. Auf dem Bett sitzen war eigentlich auch verboten. Erschöpft waren sie gewesen. Alle. Danach. Erschöpft und leer. Und die Regeln außer Kraft. Danach. Und jetzt. Wenn sie zurückdachte. Für sie. Es war das Elend des Bruders, das ihr diese Angst machte. Bis dahin war sie gut aufgehoben. In ihren Erinnerungen. Wenn ihr aber einfiel, wie sie gerufen hatten »Er kommt. Er kommt.«. Und sie waren hysterisch lachend im Kinderzimmer herumgelaufen. Ein Hochgefühl war das gewesen. Ein Kitzel. Das Anschleichen durch die Küche. Das Belauschen der Eltern. Sie hatten einander an der Hand gehalten. Der Bruder hatte sich an sie gedrückt. Oder sie an ihn. Aneinander. Er hatte ihr den Mund zugehalten. Bis sie es gelernt gehabt hatte. Da, an der Küchentür zum Esszimmer und um die Ecke in die Veranda horchend. Lauschen. Mäuschenstill zu sein. Aufgeregt. Erregt. Vor Kichernmüssen platzend. Da war sie aufgenommen gewesen. Dann. Nach den Schlägen. Der Bruder war dann bald wieder wütend geworden. Auch weil sie nicht ordentlich geweint hatte. Sie hatte nicht geweint. Weinend bettelnd. Wenn der Vater das bemerkte. Bemerkte, dass sie ungerührt war. Kein Mitgefühl mit ihrem Bruder. Kein Mitleiden. Dann nahm er sie auch heran. Er nannte das so. Herannehmen. Aber sie hatte auch dann nicht geweint, und der Bruder hatte sie wiederum dafür gehasst. Das Elend. Nach dem Lauschen ins Kinderzimmer zurückgestürzt. Am Tisch sitzend. Die Schritte des Vaters vernehmend. Hörend. Da waren sie beide schon in das kommende Elend versunken gewesen und allein. Für sich. Kein Händehalten. Kein gemeinsames Kichern unterdrückt. Und so war das jetzt. In Wien. Sie war glücklich, dieser Stimmung entkommen zu können.

Sie hatte dieses Karenzjahr schon lange geplant gehabt. So konnte sie jetzt vor der rechtsradikalen Regierung flüchten. Er lebte in Berlin. Sein Arbeitsaufenthalt in Stockholm war ein Glück. Hier. Hier konnte sie schlafen. Hier wollte niemand die alten Strafen einführen. In Wien. Zuerst einmal hatte diese Regierung die Noten für Schulkinder wieder eingeführt. Die Noten waren für die ersten Klassen abgeschafft gewesen. Die Kinder waren von den Lehrerinnen und den Lehrern in ein paar Sätzen beschrieben worden. Die Kinder waren in den Mittelpunkt gestellt gewesen. Jedes Kind. Sie waren der Mittelpunkt gewesen, und die Schule hatte ein Raum der Entfaltung werden sollen.

Diese Regierung. Die Eltern wurden für die benoteten Kinder zur Rechenschaft gezogen. Es wurden hohe Geldstrafen für Verfehlungen der Kinder diktiert. So. Es war sichergestellt, dass das mit dem Strafen der Kinder wieder begonnen wurde. Es waren alle Mechanismen zurückgebaut worden, das zu gewährleisten. Sie bekam Brechreiz, wenn sie daran dachte. Etwas Zischendes. Etwas sausend Zischendes machte sich in ihrer Kehle spürbar. Und sie beugte sich. Wenn sie an die Vorgänge denken musste, die da ausgelöst. Wie so ein kleines Kind in die Noten gepresst dem Vater gegenüberstand, der eine Strafe bezahlen musste. Schuldige Kinder wurden so gemacht. Von außen. Wieder das Selbst genötigt. Kein Platz. Keine Bewegung. Wie schon unter Maria Theresia. Gerade so viel Selbst, dass die Person brav funktionierte. Keine Unze mehr. So wurden Lasten gemacht, die das ganze Leben beschweren konnten. »Miese Voraussetzungen.« hatte der Chefarzt der Krankenkassa gesagt, als er ihr die Zulassung für eine Psychotherapie bestätigen musste. Nun war ein ganzes Volk in diese miesen Voraussetzungen zurückgekehrt. Und manche konnten schon den Arm nicht mehr heben. Um sich zu retten.

Sie ging. Vor dem Eingang zu einem Kleiderdiscounter standen drei Romafrauen. Die eine kannte sie. Die saß immer vor diesem Geschäft. Ein McDonald’s-Trinkbecher stand vor ihr auf dem Gehsteig. Die Frau hieß Maria. Sie hatte sie gefragt. Diese Maria saß jeden Tag da. Sie hatte ihr bisher jeden Tag 10 Kronen gegeben. Die Frau hatte sie jedes Mal begrüßt, als kennten sie einander schon lange. Die drei Frauen redeten miteinander. Lachten. Dann wandten sie sich ab und gingen auch Götgatan hinauf. Sie gingen langsam. Schlenderten. Lachten laut. Sie ging noch langsamer. Diese Frau. Diese Maria. Die wollte heute nichts von ihr. Die war in ihrer Welt. Sie fühlte sich zurückgelassen. Ein bisschen.

Sie ging langsam. Brodelte vor sich hin. Schaute in die Auslagen. Dann ging sie wieder schneller. Sie musste einen Kaffee trinken. Musste. Sie sollte umkehren. Zurückgehen. Sich zu ihm setzen. Ihn anlächeln. Und sie konnte nicht. Es wollte nicht. In ihr. Etwas. Sie ging weiter. Ein kleines Glücksgefühl breitete sich aus. Sie ging davon, und es machte sie leicht. Sie ging dahin. Entkommen. Sie fühlte sich aus einem Turm entkommen. Sie musste lachen. Wie hatte sie sich von den Umständen in Wien so niedermachen lassen können. Sie würde ihm eine Liebeserklärung texten. Er hatte ja auch nicht auf sie gewartet.

 

Wunderwerke des Schweigens. Kein Wort. Erzählungen. Er erzählte. Aber er sagte nie, was das bedeutete. Für ihn. War das der Schlüssel. Er sagte auch nie etwas währenddessen. Er keuchte nicht einmal. Er blieb ruhig, während sie sich aufbäumte. Keuchte. Schrie. Redete. Flüsterte. Aber sie war nicht seine Therapeutin. Oder wollte er das. Nein. Er wollte das nicht. Er wehrte sie ab. Wenn sie sich ihm so näherte. Er legte sie gleich so neben sich, und sie wurde scheu und konnte ihn nicht mehr berühren. Er wies sie ab. Jeden Morgen wies er sie ab. Genau genommen wies er sie ab, indem er sie befriedigte.

In den Internetforen. Da priesen Männer diese Technik. Nur so würde ihnen ihre Liebe erhalten bleiben. Ihre Frauen. In den angeratenen Gesprächen. Da sollte darüber gesprochen werden, ob es ihr unbedingt wichtig wäre. Unverzichtbar. Die Penetration. Aus Liebe wäre dieser Verzicht schon leistbar. Und er. Derjenige. Er müsse sich ihr widmen. Sich ihr so hingeben. Und dann. So wurde versprochen. Manchmal löse das Problem sich derart. Und. Alles würde wieder gut. Gelänge wieder. Käme in Ordnung.

Sie war zu stolz. Ein solches Gespräch. Ein solches Eingeständnis. Sie liebe ihn. Das sagte sie. Es war sein Anteil, es zu verneinen. Seine Aufgabe sogar. Er war der Mächtigere. Er bestimmte. Sie konnte sich ihm nicht mehr nähern. Die Sorge, ihn zu erinnern. An dieses Nichts. Nicht-Funktionieren. Sie hatte ihm diese Sphäre übergeben. Das musste er wissen. Er wusste das auch. Wenn sie ihm textete, wie das gehen sollte. Das alles. Dann schrieb er ihr, dass Begehren nicht...

Erscheint lt. Verlag 22.5.2019
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Angstzustand • Anmerkungen • Anspruchsvolle Literatur • Betrug • Beziehung • Deutscher Buchpreis • Doppelleben • Eis • erkunden • Feminismus • FPÖ • Gesellschaftskritik • Ibiza-Video • Kälte • Liebeskummer • Longlist • Longlist Deutscher Buchpreis • Macht • Nachrichten • Österreich • Politik • Psychose • Rechtsregierung • Regierungs-Krise • Sabbatical • Schreib-Protokoll • Schweden • Selbstfindung • Selbstliebe • Selbstvertrauen • Stockholm • Tagebuch • Valentinstag • Verachtung • Weltfrauentag • Winter
ISBN-10 3-10-490887-7 / 3104908877
ISBN-13 978-3-10-490887-8 / 9783104908878
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