Orkan aus West
Bussert u. Stadeler (Verlag)
978-3-942115-89-6 (ISBN)
In 2000 Jahren gewachsen, in 20 Tagen untergegangen: Ein Orkan fegt von Westen kommend über deutsche Lande. Kein gewöhnlicher Orkan. Dieser Sturm war anders als alle Stürme je zuvor. Radikal veränderte er das Leben der Deutschen. Diese Veränderungen halten bis heute an. Krieg auf deutschem Boden? Krieg in meinem Ort? Ja, doch doch, da war mal was. Gehört hab ich das schon mal, aber Genaues kann ich Ihnen auch nicht sagen. Ist ja so lange her. Solcherart Auskünfte auf Nachfragen zu bekommen ist beinahe normal geworden. Kopfschüttelnd stellt der Geschichtsinteressierte fest, daß die Varusschlacht, Wallensteins Kriegszüge im Dreißigjährigen Krieg oder Napoleons Feldzüge, um nur einige kämpferische Auseinandersetzungen in der Heimat zu erwähnen, gut erforscht und rekonstruierbar sind. Dagegen sind Darstellungen eines Sujets aus einer nur siebzig Jahre zurückliegenden Zeit heute meist wenig überzeugend; sie sind milde gesagt, verwaschen und verwackelt. Die Spanne eines menschlichen Lebens reichte offensichtlich aus, um solch ein einschneidendes Ereignis wie das Hinweggehen einer wütigen Kriegsfurie über uralte Kulturlandschaften vergessen zu machen. Wer es genauer als gewisse History- Kanäle wissen möchte, den lade ich zur Auseinandersetzung mit Geschehnissen und Protagonisten in diesem so ereignisreichen Frühjahr des Jahres 1945 ein. Von Leid und Verlust, von Verletzten und Toten, Generälen und einfachen Landsern, zerbombten Städten, zerschossenen Eisenbahnen, schwer leidenden Menschen, die trotz allem das Zusammenleben organisieren konnten – davon erzählt dieses Buch. Genauigkeit und Präzision zum Thema lassen sich natürlich auch in Archiven finden. Dort, hinter meterdicken Aktenbergen und mit dem Staub der Jahrzehnte überzogen, lagern die Akten und Berichte der Kriegsmaschinerie von damals. Bis auf die allerletzten Kriegswochen ist mit deutscher und alliierter Gründlichkeit alles erfaßt worden, von der größten Panzerschlacht bis zum Verbrauch von Stempelfarbe. Mit militärischer Gründlichkeit wurde jeder Vorgang schriftlich niedergelegt. Es gibt die Kriegstagebücher, G-2-Journale und After Actions Reports und vieles andere mehr. Darin aber steckt kein Leben. Wer wissen möchte, welche Auswirkungen die militärischen Entscheidungen hatten, sei es auf die kämpfenden Einheiten selbst oder die Zivilbevölkerung oder aber auf die deutschen Lande, der muß sich im Volk umhören. Muß vor allem auf dem Lande nachforschen, in den Dörfern, wo die Bevölkerung seßhafter ist als in den großen Städten. Dort, wo mündliche Überlieferungen noch tradiert werden. Wer jedoch Berichte von Kämpfern hören möchte, der kommt inzwischen zu spät. Glücklicherweise existieren dennoch hier und da Berichte der einstmals kämpfenden Soldaten. Trotzdem läßt sich vieles nun heute nicht mehr aufklären. Selbst die Berichte noch lebender Zeitzeugen sind mit größter Vorsicht zu behandeln, waren die heute 80-jährigen doch damals kleine Kinder. Deren Zeitzeugenschaft beschränkt sich zumeist auf Kindheitserinnerungen, vielfach wird vorwiegend das weitergegeben, was von den damals Erwachsenen erfahrbar war. Für den historisch interessierten Bürger der Gegenwart kommt ein weiteres Problem bei der Betrachtung dieser Zeitepoche hinzu. Durch die politische Indoktrination in der DDR sowie eine heute insgesamt völlig gewandelte gesamtdeutsche Betrachtungsweise dieses Abschnittes der deutschen Geschichte werden gegenwärtig Neubewertungen der damaligen Ereignisse vorgenommen. Jede Zeitepoche hat eben ihre eigene Sicht auf die Geschichte! Auffallend ist jedoch der Zeitpunkt. Die veränderte Sichtweise fällt mit dem Abtreten der Weltkriegsgeneration zusammen. Es war eine schlimme Zeit im Frühjahr 1945, und die Nachgeborenen können sich das, was damals passierte, wahrscheinlich auch mit viel Fantasie gar nicht recht vorstellen. Zumal viele Geschehnisse überhaupt nicht überliefert wurden. Die Deutschen, die das alles unmittelbar miterlebten, hatten nach dem Krieg wenig Interesse an der Darstellung der Ereignisse des Zusammenbruchs. Dafür hatten sie ihre Gründe. Verschämtes Schweigen, weil man verloren hatte? Eventuell war man mitschuldig an Greueltaten? Oder wollte man alles schnell hinter sich lassen und mit optimistischem Blick nach vorn neu beginnen? Erst sehr viel später wurden diese bewegten Zeiten in Worte gegossen. Wenn in der Gegenwart aber über den nun schon 70 Jahre zurückliegenden Krieg gesprochen wird, dann ist der Zusammenbruch der Westverteidigung für viele Nachgeborene kein Thema mehr. Steht ja alles im Geschichtsbuch! Außerdem: Die Deutschen waren ja selbst schuld! Dieser Teil der Geschichte Deutschlands wird für gewöhnlich auch in den Medien lapidar abgehandelt. Kurz gefaßt hören oder lesen wir: „Im Mai 1945 war der Zweite Weltkrieg endlich zu Ende, das Großdeutsche Reich untergegangen und das Reichsgebiet in Zonen zerstückelt; einige Gebiete sind ganz herausgelöst worden. Wenig später bildeten sich zwei deutsche Staaten und der Wiederaufbau setzte ein.“ Das ist nicht falsch und doch wird es der historischen Wirklichkeit nicht gerecht. Die Wirklichkeit damals, das war der unmittelbare Krieg auf urdeutschem Land, mitten im Herzen Deutschlands. Die Kriegsfurie, die über das Land rollte, verschonte nichts und niemanden. Seit Menschengedenken hatte mitten in Deutschland kein Krieg mehr stattgefunden. Die letzten Kriegsereignisse waren der 30-jährige Krieg, der Siebenjährige Krieg sowie die Feldzüge von Kaiser Napoleon. Deswegen ist das Kriegsende in Deutschland und – im Rahmen dieses Buches – besonders der Zusammenbruch der Westverteidigung von besonderem historischen Interesse. Die alliierte Forderung nach der bedingungslosen deutschen Kapitulation stand unerbittlich als Kriegsziel fest. Ebenso unerbittlich hielt Hitler als oberster Befehlshaber der deutschen Wehrmacht am Verbot jedweder Verhandlung oder gar Kapitulation von Wehrmachts- oder Waffen-SS-Einheiten fest. Die Alliierten waren gezwungen, Meter für Meter deutschen Boden zu erkämpfen und besetzt zu halten. Im Gegensatz zu früheren Kriegen, bei denen man die Inbesitznahme der feindlichen Hauptstadt anstrebte, um dergestalt den Kampf schnell zu beenden, wurde diesmal geradezu verbissen um jedes noch so kleine Geländestück gerungen. Dadurch war es unausbleiblich, daß so gut wie jede Stadt, jedes Dorf zum Kampfgebiet wurde, wenn nicht gelegentlich beherzte Männer unter Einsatz ihres Lebens zur Stelle waren und Orte kampflos übergaben. So wie bislang nur wenige, zumeist regional orientierte Publikationen zu diesen Kämpfen ab Weser und Leine bis hinein und hinauf in den Harz existieren, so ist auch die Geschichte der kampflosen Übergaben kaum dargestellt worden. Auch fällt auf, das den meisten mutigen Männern die Würdigung für ihre außerordentliche Tat durch ihre Gemeinde verwehrt blieb, sieht man von einigen ehrenhaften Ausnahmen ab. Mittlerweile ist ein Menschenleben seit dem Ende des mörderischen Krieges vergangen. Zeitzeugen gibt es heute so gut wie gar nicht mehr. Und doch sind die Ereignisse noch lebendig, da faktisch jede Familie betroffen war. Sie wurden jedoch, wenn überhaupt, nur mündlich weitergegeben. Kaum jemand hat seinerzeit Aufzeichnungen gefertigt; der verbissene Kampf um die eigene physische Existenz forderte gebieterisch alle Kräfte. Die Bevölkerung begann umgehend, nachdem sich der Pulverdampf verzogen hatte, mit dem Wiederaufbau ihrer Häuser und der Infrastruktur. Heroisches wurde geleistet, es wurde geschuftet und geliebt, und wieder hat es kaum einer aufgeschrieben. Zeit zum Reflektieren, gar zum Jammern gab es nicht! Wer hätte dem auch zuhören wollen; trugen doch alle eine ähnliche Sorgenlast. Dann kamen bald die Vertriebenen aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten, so daß schließlich eine Durchmischung der Alteingesessenen mit den Neubürgern stattfand. Die freilich kannten die örtlichen Kampfhandlungen nur vom Hörensagen. Hinzu kommt, daß viele heimgekehrte Soldaten einfach nicht reden wollten über das, was sie erlebt hatten. Mit Sicherheit können wir Heutigen annehmen, daß so manches Geheimnis mit in das Grab genommen worden ist. Aber erstaunlicherweise wird auch heute noch in Erzählungen zumeist im Familienkreis die Erinnerung thematisiert. Besonders im Harz, wo die mörderischen Kämpfe kulminierten, weiß man heute doch noch von diesen Geschehnissen. Wer sich auf die Suche nach Spuren der Kriegsereignisse begeben möchte – und damit sind nicht die Sondengänger gemeint – der muß schon ein geschultes Auge haben, um Hinweise zu entdecken. Wer kennt die Einschlagslöcher amerikanischer Pak-Geschütze am Turm der Schaumburg? Wer weiß die Erdlöcher am Blankenburger Pfeifenkrug als Teil des Verteidigungsigels des Restkessels der Festung Harz zu deuten? Wo sind die schönen mittelalterlichen Steinbrücken über Weser, Werra und Leine geblieben? Viele von ihnen wurden in den letzten Kriegstagen gesprengt. Die Brückenneubauten aus Beton sind indirekte Zeitzeugnisse.Dabei schien es zum Weihnachtsfest 1944 Hoffnung zu geben, den Kriegsverlauf im Westen noch positiv für Deutschland wenden zu können. Die Ardennenoffensive, die so unvermittelt, so unerwartet in die verbündeten englischen und amerikanischen Armeen hineinfuhr, gab der Bevölkerung neue Zuversicht. Man hob den gesenkten Kopf. Sollte etwa der Umschwung noch kommen? Doch der Vorstoß in die winterlichen Ardennen entpuppte sich als militärisches Strohfeuer, nach den Weihnachtsfeiertagen riß die Bewölkung auf und die alliierte Luftwaffe bombte und schoß den deutschen Vormarsch zusammen. Die eigene Luftwaffe war da schon so geschwächt, daß von ihr kaum Hilfe zu erwarten war. Nun schien für den Gegner der Weg nach Deutschland frei. Da war freilich noch ein extra gebautes Verteidigungsbollwerk zu überwinden. Der Westwall wurde dann auch Schauplatz schwerer Kämpfe. Geschickt war das bergige Gelände des Hinterlandes in die Verteidigung einbezogen worden. Das führte in der langen Schlacht im Hürtgenwald immerhin zu einem taktischen Sieg der Wehrmacht, der ihr Zeit zur dringend erforderlichen Reorganisation gab. In der amerikanischen Militärgeschichtschreibung rangiert diese Schlacht von der Anzahl eigener gefallener Soldaten her gleichauf mit dem Bürgerkriegsdrama in Gettysburg; es handelte sich um das verlustreichste Gefecht in der Geschichte der USA. Nur schwer war der Westwall zu überwinden, Models Truppen verteidigten zäh. Überhaupt gelang es GFM Model im Herbst 1944 einige Erfolge zu erringen. So zerschlug er die Operation Market Garden und vereitelte die geplante Einnahme des Ruhrgebietes. Im Hürtgenwald nutzte er die Nachschubschwierigkeiten der Angreifer geschickt aus, wie er ebenfalls durch die Schlacht an der Scheldemündung wochenlang den Tiefwasserhafen Antwerpen für den alliierten Nachschub blockierte. So war es zunächst gelungen, nach dem Fall von Paris die Front zu stabilisieren. Zumindest waren die Deutschen nicht mehr ständig in Bewegung. Wahrscheinlich nahm Deutschland aus diesen Erfolgen einen gewissen Optimismus für die folgenden Monate; ein Optimismus, der sich recht bald als verfrüht und unbegründet erweisen würde. Denn dann stand die englisch-amerikanische Kriegsmaschinerie auf deutschem Reichsgebiet. Aber da war ja noch der Vater Rhein, uralter Grenzfluß zwischen Frankreich, Benelux und Deutschland. Der bot sich als weiteres natürliches Hindernis zur Verteidigung an. 40 Brücken überquerten den Strom. Die Deutschen würden sie zu schützen wissen. Aber auch dort nahm das Verhängnis alsbald seinen Lauf. Alles begann mit der Ludendorffbrücke von Remagen. Die 15. deutsche Armee bekam gerade noch das Gros ihrer Kräfte heil über den Fluß; immerhin 75.000 Mann. Am 7. März stürmten US-GI’s, nachdem die Sprengung mißlungen war, über diese Brücke. Jetzt hatten sie eine! Der erste rechtsrheinische Brückenkopf war Gold wert! Zusammen mit dem amphibischen Rheinübergang bei Wesel und der kriegsgeschichtlich einmalig großen Luftlandeoperation „Varsity“ begannen die Verbündeten ab 24. März mit der zangenartigen Einkesselung des Ruhrgebietes. Dadurch wurde die Rheinlinie obsolet. Wie fast jeder Ort und jedes strategische Bauwerk Deutschlands, so hatte auch die Ludendorffbrücke einen Kampfkommandanten. Als solcher wurde Major Scheller vom Stab des 67. Korps (General Hitzfeld) als Sündenbock mit anderen Offizieren standrechtlich erschossen, wegen Feigheit vor dem Feind. Über den Großdeutschen Rundfunk kam die Meldung gleich nach dem Wehrmachtsbericht. Hitler bekam anläßlich der Hiobsbotschaft von Remagen wieder einmal einen seiner berüchtigten Wutanfälle. Zur Abschreckung mußte ein Exempel statuiert werden. Solche Exempel sollten in der Wehrmacht bald nicht mehr eine Ausnahme, sondern bitterer Alltag werden. Den Angehörigen von verurteilten Verrätern drohte Sippenhaft im KZ und Verlust der Rente. Todesanzeigen waren in solchen Fällen nicht erlaubt. Durch die unerwartete Inbesitznahme der Brücke entfiel aber der amerikanische Manhattan-Plan, auf Berlin oder Ludwigshafen eine Atombombe abzuwerfen. Lange nach dem Krieg erfuhr die Welt, daß es noch einen anderen, gewichtigeren Grund für den Nichteinsatz der Atombombe auf Deutschland gegeben hatte. Edward Teller, einer der wissenschaftlichen Väter der Bombe, sprach sich entschieden gegen einen Abwurf auf eine deutsches Stadt aus, wohl wissend, daß bereits Namenslisten von infrage kommenden Städten im neuerbauten Pentagon existierten. Es lag für ihn auf der Hand, daß die Deutschen im Falle eines Nichtdetonierens oder anders gearteten Versagens der Bombe diese sehr genau zerlegen und erforschen würden. Jahrelange Forschungsarbeit der Amerikaner, ja ihr gesamter technologischer Vorsprung wäre womöglich dahin gewesen. Man wußte, daß der Feind ebenfalls an einer solchen Waffe forschte, der Geheimdienst war allerdings nicht in der Lage zu sagen, wie weit die Deutschen schon waren. Es war zu befürchten, daß man dem Gegner mit der Atombombe die stärkste Waffe quasi frei Haus liefern würde, eine Vorstellung, die für das Weiße Haus schlicht unannehmbar war. Da war dann Japan schließlich die bessere Option aus amerikanischer militärischer Sichtweise. So wurde es im Weißen Haus auf präsidialer Ebene entschieden. Für die 9. US-Panzerdivision unter Colonel Hoge bedeutete das freie Bahn zum Ruhrgebiet, dem industriellen Herz des Reiches. Daß das allerdings kein Spaziergang werden würde, war dem alliierten Oberkommando durchaus bewußt. Das Ruhrgebiet galt als die Rüstungsschmiede des deutschen Reiches. Die Deutschen würden es zu schützen wissen! Hier war mit stärkstem Widerstand zu rechnen. Der amerikanische Oberbefehlshaber Dwight D. Eisenhower – seit dem 20. Dezember 1944 General of the Army und von seinen Soldaten zumeist nur „Ike“ genannt – sprach in einem Tagesbefehl denn auch von den schwersten zu erwartenden Kämpfen nach denen der Landung in der Normandie und während der Ardennenschlacht und im Hürtgenwald. Er mußte seinen Truppen in diesen Tagen schwere Strapazen zumuten. Die deutsche Westverteidigung brach keineswegs zusammen, wie einige ganz Mutige verwegen orakelt hatten. Von den Niederlanden bis an die Schweizer Grenze zog sich die Abwehrfront der deutschen Verbände. Von der Nordseeküste bis an den Alpenrand standen mehrere Armeen, nach ihren kommandoführenden Generälen benannt: Blaskowitz, Student, Model, Obstfelder, Foertsch und Brandenberger.Die Verteidigung war organisatorisch nicht Angelegenheit der Wehrmacht allein. Vielmehr waren die Gauleiter in ihrer Doppelfunktion als Reichsverteidigungskommissare mit sehr weitgehenden Entscheidungsbefugnissen ausgestattet. Die wurden radikal genutzt. Da ihnen keine regulären Truppen unterstanden, mobilisierten sie Kraft ihrer außerordentlichen Vollmachten die gesamte noch vorhandene männliche Bevölkerung von 16 bis 60 Jahren. Von der Hitlerjugend bis zum Volkssturm setzten sie alles ein. Durch unklare Machtverhältnisse, gepaart mit einem enormen Geltungs-, besser noch Sendungsbewußtsein der Gauverteidigungskommissare kam es immer wieder zu Kompetenzgerangel mit Wehrmachtsstellen. Denn auch das OKW hatte den Ernst der Lage erkannt. Das Ruhrgebiet war das prioritäre Ziel der Angreifer, hier erwartete die deutsche Führung den alliierten Hauptstoß. Im Ruhrgebiet, in der Waffenschmiede des Reiches, waren immerhin 350.000 Mann zusammengezogen worden. Denen standen 250.000 alliierte Soldaten gegenüber. Die Heeresgruppe B unter GFM Model stellte eine gewaltige Kampfkraft und ein riesiges Widerstandspotential dar. Vorsicht war seitens der Angreifer angeraten. Die urban vernetzte Struktur des Gebietes mit vielen ineinander über gehenden Städten ließ Häuserkämpfe erwarten, wie sie die Welt seit den Kämpfen in Stalingrad nicht mehr gesehen hatte. Dies erforderte eine Art der Kriegführung, die den Amerikanern überhaupt nicht lag. Sie, die einen hochtechnisierten Krieg ohne Materialsorgen bevorzugten, hätten natürlich das Ruhrgebiet aus der Luft sturmreif bomben können, allein dieser Luftkampf wurde ja bereits seit 1940 ununterbrochen forciert, ohne daß er zum Erfolg geführt hätte. Die von Engländern und Amerikanern so genannte Battle of the Ruhr war eine Flächenbombardierung, bei der der Luftkampf unterschiedslos Wohngebiete, Produktionsstandorte und militärische wie zivile Verkehrsinfrastruktur zerstören sollte. Dem konnten die Deutschen nicht tatenlos zusehen. Deren Luftverteidigung beruhte, abgesehen von der Luftwaffe, auf leistungsstarken Fliegerabwehrkanonen, die bald durchgehend als Flak bezeichnet wurden. Die Piloten der anfliegenden Bomberverbände gerieten bei jedem Angriff in massivstes Feuer der Fliegerabwehrkanonen. Abgeschossene Piloten sprachen von einer Flakhölle über der Ruhr. Tatsächlich holten diese Spezialgeschütze eine große Anzahl feindlicher Flugzeuge vom Himmel, das vereinigte Bomberkommando verlor im Bomberkrieg 100.000 Mann. 1944 gab es 10.000 Kanonen dieses Typs. Von 1.000 einfliegenden Maschinen schoß die deutsche Flak im Durchschnitt neun ab; das war die höchste Abschußquote der Fliegerabwehr weltweit. Dennoch konnte auch die Acht-Acht die Städte nicht vor der Zerstörung bewahren. Viele Geschütze wurden zum Ende des Krieges zu Erdkampfgeschützen umfunktioniert und waren bald als Panzerknacker gefürchtet. Zum Flakgürtel der Objektverteidigung „Ruhrgebiet“ gehörten auch einige neue Fliegerabwehrkanonen vom Typ Acht-Acht 41. Darüber hinaus gab es bei der Luftwaffe mindestens 10 verschiedene Flak-Kanonen. Die feuerten bei jedem Einflug aus allen Rohren. Allgemein diente die Flak natürlich der Luftverteidigung, im Besonderen aber dem Schutz wichtiger Objekte. Im Ruhrgebiet, im mitteldeutschen Chemiedreieck Leuna, Buna, Schkopau und um Schweinfurt beispielsweise waren besonders viele derartige Flakstellungen konzentriert. Die Acht-Acht-Flak konnte 7,5 kg Granaten bis in eine Höhe von 14.000 m schießen. Das reichte aus, um feindliche Bomber in eine solche Höhe zu zwingen, aus der eine gezielte Bombardierung nicht mehr möglich war. Eine effektive Abwurfhöhe lag bei 3.000 m, was die Piloten natürlich voll in den Hagel der Flakgeschosse zwang. Bei enorm schnell und niedrig fliegenden Jagdfliegern, die Tiefflieger oder Jabos genannt wurden, lag der Fall anders, hier erübrigte sich der Vorhalt. Hier wurden die vier Geschütze pro Flakstellung, die normalerweise immer auf ein Flugzeug ausgerichtet waren, zu einer Barrikade zusammengefaßt und schossen Sperrfeuer in der Hoffnung, daß die Tiefflieger in diesen Feuervorhang hineingerieten. Doch gnade ihnen Gott, wenn die Tiefflieger diese Barrikade glücklich und unversehrt überwanden! Dann drehten diese für gewöhnlich um und zerlegten die Stellung von hinten. Dabei kam es zu sehr schweren Verlusten bei den Luftwaffenhelfern, die an den Geschützen Dienst taten. Der Generalluftzeugmeister ließ errechnen, daß zum Abschuß eines Bombers 16.000 Granaten notwendig waren. Bei der modernen Acht- Acht 41 waren es immer noch mehr als die Hälfte. Weil es nicht gelungen war, einen Annäherungszünder für diese Granaten zu entwickeln, kam es im Falle eines Treffers oft zu Durchschüssen der Aluminiumhaut feindlicher Bomber, ohne daß der verhaßte Bomber abstürzte. Gerade die amerikanische B-17 flog oft noch mit erheblichen Beschädigungen weiter; diese Fähigkeit war es wohl auch, die ihr den Beinamen „Fliegende Festung, Flying Fortress“, einbrachte. Um aus dieser Misere herauszukommen, wurden Zeitzünder, also Granaten mit Uhrlaufwerk eingesetzt. Ein analoger Rechner errechnete die einzustellende Zünderzeit, nach der die Granate detonieren sollte. Es wurden also in den Flakstellungen auch Flugbeobachter, Scheinwerferbediener und Leute am Kommandohilfsgerät, eine Art frühes Radar, benötigt. Durch die große Entfernung zum Ziel konnten die Kanoniere diese nicht mehr im direkten Richten bekämpfen, ein Höhen- und Seitenvorhalt wurde unerläßlich. Die Bedienung der Kanonen übernahmen ab 1943 Schülersoldaten. Die als Flakhelfer bezeichneten Schüler der Jahrgänge 1926 bis 1928 leisteten diesen Dienst an der Heimatfront, ohne reguläre Soldaten gewesen zu sein. Im Februar 45 sollte im Hinblick auf die zu erwartende Einnahme die Region Ruhr endgültig sturmreif gebombt werden. Sogar überschwere Bomben, „Tallboy“ genannt, mit 10 Tonnen Gewicht, wurden abgeworfen. Dabei wurden Eisenbahnviadukte in Arnsberg, Minden und Bielefeld vollständig zerstört. Aber immer noch blieb ein militärischer Erfolg der Luftschlacht, der im günstigsten Fall eine Kapitulation des Ruhrgebietes gewesen wäre, aus. Darum entschloß man sich im Stab des alliierten Oberkommandos zu einer anderen Taktik. Der Landkrieg sollte nun die Entscheidung bringen, mit Beginn des Ruhrabriegelungsprogramms begann die schwerste Phase der Kämpfe in diesem dicht besiedelten Gebiet.Denn dort standen starke deutsche Truppen. Die deutsche Heeresgruppe B sollte den Rheinabschnitt zwischen Wesel und Köln mit den dahinterliegenden alten Industriezentren schützen. Model, ein hochdekorierter und in vielen Schlachten erfolgreicher General als Chef der Heeresgruppe B befehligte in diesen Tagen eine Kampfeinheit von allerdings nur noch minderem Wert, denn die dramatische Verschlechterung der militärischen Lage an der Ostfront mit unmittelbarer Bedrohung der Reichshauptstadt Berlin führte zu einer Ausdünnung der Truppe an Mensch und Material. Alles was entbehrlich war, wurde in Richtung Osten in Marsch gesetzt, um letztendlich im Strudel des allgemeinen Untergangs der Ostfront verheizt zu werden. Die Heeresgruppe setzte sich aus Teilen der 7. und 15. Armee und der 5. Panzerarmee zusammen, die ihrerseits beim Rückzug aus Frankreich schon und dann in stärkerem Maße noch bei der Ardennenschlacht sowie der Schlacht im Hürtgenwald Panzer und schweres Gerät eingebüßt hatten. Ausgehend von den zwei geglückten Rheinübergängen bildete das SHAEFT je eine südlich und eine nördlich des Ruhrgebietes operierende Armee. Beide bekamen den Auftrag, das gesamte Ruhrgebiet zu umgehen und abzuriegeln. Zielstellung war die völlige Einkreisung der Heeresgruppe B, die damit als Gegner ausgeschaltet sein würde. Der alliierten Aufklärung war durchaus bekannt, daß im östlich gelegenen Hinterland des Ruhrgebietes, des Weser- und Leineberglandes und des Harzes bis zur Reichshauptstadt Berlin kaum noch kampffähige deutsche Truppen vorhanden waren. Wenn man also das industrielle Herz Deutschlands in der Hand haben würde, wäre erstens ein sehr großer Teil des dringend benötigten Nachschubs der Wehrmacht abgeschnitten und zweitens der Weg in Richtung Berlin nach Überwindung der Heeresgruppe B nur noch ein Kinderspiel. Ein schnelles Kriegsende schien zu winken. Tatsächlich wurde die Zangenbewegung so schnell und präzise durchgeführt, daß bereits am 1. April im Raum Lippstadt der Sack zugemacht wurde. Nun konnte der Kessel immer mehr verkleinert und gesäubert werden. „Mopping up the ruhr“, lautete ein geflügeltes Wort der GI‘s. Aber trotz der alliierten Schnelligkeit war es noch einer beachtlichen Zahl deutscher Einheiten gelungen, dem Zangenangriff zu entkommen. Freilich mußten sie auf der Flucht schweres Gerät zurücklassen, Kampftechnik, die dann später schmerzlich fehlte. Im Kessel wurde Widerstand in unterschiedlicher Intensität geleistet. Ein Entsatzversuch der 11. Armee von Trendelburg her, halbherzig geplant, wurde noch vor seinem Beginn abgebrochen. Erst am 21. April stellten die letzten deutschen Kampfverbände die Kampfhandlungen im Restkessel ein. GFM Model folgte der Erwartungshaltung des Führers und erschoß sich am selben Tag, denn ein deutscher Feldmarschall ging niemals in Gefangenschaft. Da standen die Amerikaner bereits an der Elbe. Am selben Tag erlosch auch der letzte Widerstand im Harzgebiet.
In 2000 Jahren gewachsen, in 20 Tagen untergegangen:Ein Orkan fegt von Westen kommend über deutsche Lande.Kein gewöhnlicher Orkan. Dieser Sturm war anders als alle Stürme je zuvor.Radikal veränderte er das Leben der Deutschen.Diese Veränderungen halten bis heute an.Krieg auf deutschem Boden? Krieg in meinem Ort? Ja, doch doch, da war mal was.Gehört hab ich das schon mal, aber Genaues kann ich Ihnen auch nicht sagen. Ist jaso lange her.Solcherart Auskünfte auf Nachfragen zu bekommen ist beinahe normal geworden.Kopfschüttelnd stellt der Geschichtsinteressierte fest, daß die Varusschlacht, WallensteinsKriegszüge im Dreißigjährigen Krieg oder Napoleons Feldzüge, um nur einigekämpferische Auseinandersetzungen in der Heimat zu erwähnen, gut erforscht undrekonstruierbar sind.Dagegen sind Darstellungen eines Sujets aus einer nur siebzig Jahre zurückliegendenZeit heute meist wenig überzeugend; sie sind milde gesagt, verwaschen und verwackelt.Die Spanne eines menschlichen Lebens reichte offensichtlich aus, um solchein einschneidendes Ereignis wie das Hinweggehen einer wütigen Kriegsfurie überuralte Kulturlandschaften vergessen zu machen. Wer es genauer als gewisse History-Kanäle wissen möchte, den lade ich zur Auseinandersetzung mit Geschehnissenund Protagonisten in diesem so ereignisreichen Frühjahr des Jahres 1945 ein. VonLeid und Verlust, von Verletzten und Toten, Generälen und einfachen Landsern,zerbombten Städten, zerschossenen Eisenbahnen, schwer leidenden Menschen, dietrotz allem das Zusammenleben organisieren konnten - davon erzählt dieses Buch.Genauigkeit und Präzision zum Thema lassen sich natürlich auch in Archiven finden.Dort, hinter meterdicken Aktenbergen und mit dem Staub der Jahrzehnte überzogen,lagern die Akten und Berichte der Kriegsmaschinerie von damals. Bis auf dieallerletzten Kriegswochen ist mit deutscher und alliierter Gründlichkeit alles erfaßtworden, von der größten Panzerschlacht bis zum Verbrauch von Stempelfarbe. Mitmilitärischer Gründlichkeit wurde jeder Vorgang schriftlich niedergelegt. Es gibt dieKriegstagebücher, G-2-Journale und After Actions Reports und vieles andere mehr.Darin aber steckt kein Leben.Wer wissen möchte, welche Auswirkungen die militärischen Entscheidungen hatten,sei es auf die kämpfenden Einheiten selbst oder die Zivilbevölkerung oder aber aufdie deutschen Lande, der muß sich im Volk umhören. Muß vor allem auf dem Landenachforschen, in den Dörfern, wo die Bevölkerung seßhafter ist als in den großenStädten. Dort, wo mündliche Überlieferungen noch tradiert werden. Wer jedochBerichte von Kämpfern hören möchte, der kommt inzwischen zu spät. Glücklicherweise existieren dennoch hier und da Berichte der einstmals kämpfenden Soldaten.Trotzdem läßt sich vieles nun heute nicht mehr aufklären. Selbst die Berichte nochlebender Zeitzeugen sind mit größter Vorsicht zu behandeln, waren die heute 80-jährigendoch damals kleine Kinder. Deren Zeitzeugenschaft beschränkt sich zumeistauf Kindheitserinnerungen, vielfach wird vorwiegend das weitergegeben, was vonden damals Erwachsenen erfahrbar war.Für den historisch interessierten Bürger der Gegenwart kommt ein weiteres Problembei der Betrachtung dieser Zeitepoche hinzu. Durch die politische Indoktrinationin der DDR sowie eine heute insgesamt völlig gewandelte gesamtdeutsche Betrachtungsweisedieses Abschnittes der deutschen Geschichte werden gegenwärtig Neubewertungender damaligen Ereignisse vorgenommen. Jede Zeitepoche hat eben ihreeigene Sicht auf die Geschichte! Auffallend ist jedoch der Zeitpunkt. Die veränderteSichtweise fällt mit dem Abtreten der Weltkriegsgeneration zusammen.Es war eine schlimme Zeit im Frühjahr 1945, und die Nachgeborenen können sichdas, was damals passierte, wahrscheinlich auch mit viel Fantasie gar nicht recht vorstellen.Zumal viele Geschehnisse überhaupt nicht überliefert wurden. Die Deutschen, diedas alles unmittelbar miterlebten, hatten nach dem Krieg wenig Interesse an der Dar
Erscheinungsdatum | 20.10.2018 |
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Verlagsort | Jena & Quedlinburg |
Sprache | deutsch |
Maße | 1700 x 2400 mm |
Themenwelt | Literatur ► Historische Romane |
Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Regional- / Landesgeschichte | |
Schlagworte | Harzschlacht • Hitler • Ruhrkessel • US-Armee • Wehrmacht • Zweiter Weltkrieg |
ISBN-10 | 3-942115-89-1 / 3942115891 |
ISBN-13 | 978-3-942115-89-6 / 9783942115896 |
Zustand | Neuware |
Informationen gemäß Produktsicherheitsverordnung (GPSR) | |
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