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Ich hau ab! -  Ulli Krause

Ich hau ab! (eBook)

Weite Welt statt Eberswalde

(Autor)

eBook Download: EPUB
2018 | 1. Auflage
230 Seiten
Kadera-Verlag
978-3-944459-84-4 (ISBN)
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Über dieses Buch - Nein, dies ist keine lustig zusammengesponnene Geschichte. So ist es gewesen. Was uns Jahrzehnte danach witzig vorkommt, war damals überhaupt nicht zum Lachen. Kaum aus der Schule, hat sich Ulli Krause die Seefahrt als Lebensperspektive erträumt - er will etwas von der Welt sehen. In der »Ostzone« ein ziemlich hoher Anspruch für einen Jungen, der sein karges Taschengeld mit alltäglichen Gelegenheiten verdient. Ulli merkt bald, dass ein Arbeiter- und Bauernstaat ihn nicht zum Ziel bringt. Er will sein Leben selbst in die Hand nehmen, sich aus der Fremdbestimmung befreien. Kurzum: »Ich hau ab! Raus aus Eberswalde!« Doch diese Initiative passt einfach nicht zum behördlichen Ordnungssinn. Es scheint, dass das Schicksal ihn eher für die Landwirtschaft als für die Seefahrt vorgesehen hat. Und als er nach langer Odyssee doch dort ankommt, hat das Leben noch manche Prüfung für ihn ... Ist es so: Wer ein Ziel hat und es nicht aufgibt, kommt irgendwann an! Zu einfach - das lässt sich mit etwas Logik leicht widerlegen. Und das widerum mit dieser Geschichte. Ulli gibt zu: »Manchmal habe ich mich wirklich riskant und unklug verhalten. Aber wer weiß denn, was passiert wäre, wenn ich es nicht getan hätte?«

»Was soll bloß aus dir werden?«, fragte seine Mutter oft. Ulli antwortete dann: »Ich will zur See fahren und die welt sehen.« Das passte nicht gut zu den Vorstellungen des Arbeiter- und Bauernstaats, in dem Ulli zur Schule gegangen war. So gut er konnte, half er mit, dass die Familie zurechtkam und er für sich ein kleines Taschengeld behielt. Wenn er aber abhaute, dann fing man ihn wieder ein. Einmal gab es dabei ein ziemlich blaues Auge. Aber wenn er sich vorstellte, Ausmister in einem LPG-Schweinestall zu sein, dann spürte er wieder Energie in den Beinen. Und irgendwann kam er in Hamburg an. Als man ihm dort des verprügelten Auges wegen die Seetauglichkeit absprach, fingen gleich beide Augen an zu tränen. »Unter Deck ist ja auch noch Seefahrt«, tröstete der Heuer-Berater. »Zum Beispiel als Kochjunge. Kannst du kochen?« Ulli nickte - im übrigen war er eigentlich ein ehrlicher Junge. Glücksache war, dass auf dem »Schlickrutscher«, die einen Kochjungen suchten, die Frau des Kapitäns mitfuhr. Die konnte ihm die Küchenbasis beibringen. Ulli Krause war Schiffskoch auf verschiedenen Schiffen. Nach dem Landgang bekochte er Hamburger Segler und schipperte selbst manchen Törn mit der Motor- und Segeljacht oder per Charter. Da gibt es eine Menge zu erzählen - und an Bord zu kochen ...

Kapitel 2

Die Seefahrt

Wer zur See fahren will, braucht ein Seefahrtsbuch und ein Gesundheitszeugnis. Ich wollte Schiffsjunge an Deck und später Matrose werden und benötigte die schriftliche Bestätigung meiner Seetauglichkeit. Deshalb saß ich im vollen Warteraum der Seeberuftsgenossenschaft oberhalb des Hamburger Hafens und döste mit der Wartenummer zwischen den Fingern vor mich hin.

Erschrocken zuckte ich zusammen, als meine Nummer aus dem Lautsprecher ertönte. »Kabine acht«, wies mir die forsche Frauenstimme den Weg. Irgendwie spürte ich Pudding in den Knien, als mich Frau Doktor mit der Aufforderung begrüßte, alles auszuziehen.

»Alles?«, fragte ich nochmal nach.

»Ja, alles«, bestätigte sie sachlich. »Sie werden von Kopf bis Fuß untersucht, auch ihr Geschlechtsorgan, wegen Tripper oder Syphilis.«

Als ich entblößt und mit beiden Händen Deckung suchend, aus Kabine trat, standen noch zwei junge Mädchen neben der Frau Doktor. Die erklärte, dass die beiden Medizinstudentinnen sind und ihr Praktikum machen. Ausgerechnet bei mir – und auch den Studentinnen schien es etwas peinlich zu sein.

»Es geht nur mit ihrem Einverständnis«, sagte Frau Doktor.

Weil der Anschauungsunterricht ja schon begonnen hatte, nickte ich, was Frau Doktor als Zustimmung quittierte. Bei der Untersuchung schaltete ich ab und versuchte, an etwas anderes zu denken. Leider hatte er immer eine rege Fantasie – und dann noch im Anblick der blonden Haare. Dass sich unterhalb meiner Gürtellinie etwas tat, wurde mir erst bewusst, als die beiden jungen Damen ein Kichern unterdrückten und einen roten Kopf bekamen.

Frau Doktor kannte dieses Phänomen wohl schon. Sie nahm einen Bleistift und haute nur leicht auf meine aufrichtige Männlichkeit, sodass sie sofort in sich zusammenfiel. Sie kommentierte nach Art der lokalen Redewendungen: »Diese jungen Kerle – keinen Hintern in der Hose, aber im Puff drängeln. – So, sie können sich anziehen, alle Organe sind gesund, wirklich alle.«

Ich war froh und verschwand schnellstens in der Umkleidekabine. Das sind ja raue Sitten bei der Seefahrt, dachte ich. Beim anschließenden Augenarzt gab es eine Enttäuschung: Mein linkes Auge hatte keine volle Sehkraft.

»Sind sie mal als Kind an diesem Auge verletzt worden?«, fragte der Arzt. Ich erzählte ihm, dass ich einmal einen Schlag aufs Auge bekam, als ich das erste Mal aus der DDR flüchten wollte. »Ich kann mir ja eine Brille kaufen.«

Der Doktor schüttelte mit dem Kopf. »Wenn sie an Deck fahren wollen, müssen beide Augen volle Sehstärke haben.« So ist das Leben, eben noch ganz potent und schon wieder ganz unten. Mir schossen Tränen in die nicht seetüchtigen Augen, doch der Arzt hatte Trost für mich: »Na, nun mal Kopf hoch, dann fahren Sie eben unter Deck. Gehen sie erst mal zur Beratung in den zweiten Stock.«

Dort ging alles ganz schnell. Der Berater empfahl mir, als Kochjunge anzuheuern. Wahrscheinlich kam er darauf, weil er mir ansah, dass Essen für mich nicht unwichtig war. Weitere Tauglichkeitsmerkmale für die Arbeit in der Kombüse hatte ich jedenfalls nicht. Immerhin als einziges ein polizeiliches Führungszeugnis, in dem nicht angegeben war, dass ich auch mal ein Huhn geklaut hatte.

Hauptsache, erstmal auf ein Schiff, alles andere würde sich schon finden. Dreimal durch Deutschland, mit Hunger und Durst, in Heimen gelebt, beim Bauern gearbeitet, mit Handschellen abgeführt, all diese Demütigungen sollten vorbei sein. Eigentlich wollte ich zwar Matrose und dann Kapitän werden – und nun soll ich als Kochjunge arbeiten. Kochen war doch was für Weiber und nichts für Männer. Aber jeder irrt sich mal im Leben.

Mit meinem Gesundheitszeugnis ging ich zum Seemannsamt und erhielt mein lang ersehntes Seefahrtbuch. Jetzt gehörte ich zu den Seeleuten und durfte auch in einem Seemannsheim schlafen. Ein tolles Gefühl! Um eine Heuer zu bekommen, ging man zum Heuerstall.

Sehnsuchtsziel erreicht: Mein erstes Seefahrtsbuch – und die Einschränkungen werden zur Berufung: Ab in die Kombüse!

Ein Matrose, mit dem ich das Zimmer teilte, nahm mich mit und erklärte mir den Ablauf. Der Mann mit der Kapitänsmütze, den ich vor langer Zeit in Hamburg traf, hatte recht. Es ist nicht so einfach, Seemann zu werden; da gibt es harte Bedingungen.

Der Heuerstall war ein großer Raum mit Holzbänken und drei Luken wie Kaffeeklappen, die Bezeichnung Stall schien passend.

»Melde dich bei Luke eins, da ist Max, der ist nett«, empfahl mir mein Zimmerkumpel.

Max musterte mich über seine Brille hinweg: »Na, mein Junge, als was willst du denn fahren?«

»Als Kochjunge«, sagte ich und schob mein Seefahrtbuch durch die Luke.

»Na, dann setz dich mal wieder hin, wenn ich was habe, rufe ich es aus.«

Am laufenden Band gingen die Luken auf. »Ein Matrose auf Südamerikafahrt! Zwei Maschinenhelfer für Westafrika!« Sofort sprangen einige auf und gingen zu den Luken. Leider wurde kein Kochjunge gesucht.

Mein Zimmergenosse hatte ein Schiff auf Afrikafahrt erwischt. »Bloß nicht Nordsee, da ist es noch zu kalt im März«, verabschiedete er sich von mir.

Kochjunge auf Kümo »F. Werner«


Am nächsten Morgen ging ich wieder zum Heuerstall, mit einer Bildzeitung unterm Arm wie die alten Seebären. Gegen Mittag machte Max wieder seine Luke auf und rief: »Ein Kochjunge für ein Kümo (Küstenmotorschiff) auf der Nord- Ostsee!« Dabei nickte er mir aufmunternd zu. »Ist ein feines Schiff, die ›Franz Werner‹, für‘n Anfang genau das Richtige für dich.«

Die erste Heuer auf die Hand – das fühlte sich verdammt gut an! Ich musste zum Nord-Ostsee-Kanal. Dort wurde die »F. Werner« erwartet. Irgendwann nachts in der Schleuse Brunsbüttel. Das Wetter bestimmte die Zeit. Im nahen Seemannsheim konnte ich mich aufs Ohr legen und rechtzeitig wecken lassen. Auch Ehefrauen warteten dort auf ihre Männer, um mit ihnen die »Fahrt zur Vergrößerung der Familie« anzutreten. Schöne acht Stunden.

Eine der Frauen kam zielsicher auf mich zu: »Du bist doch der Ulli«, sagte sie. »Ich bin Frau Werner. Hab dich schon angemeldet. Mein Mann hat sich über Seefunk gemeldet. Gegen zwei Uhr laufen sie in die Schleuse.«

Und während ich nickte und die hingestreckte Hand schüttelte, erklärte sie weiter: »Übrigens, die Kombüse machen wir erstmal gemeinsam, da kannst du das Notwendigste von mir lernen.«

Ich glaube, in diesem Moment habe ich sogar gelächelt. Sie auch. Dass ich noch nie in ein Kochbuch geschaut habe, musste ich ihr nicht erklären.

Ein älterer Herr, dem Ton nach ein ausgedienter Spieß, wies mir ein Zimmer zu und gab noch einige Hinweise zur Heimordnung.

Nachts um zwei klopfte es an der Tür: »Reise, Reise! Dein Schiff ist in einer Stunde da.«

Ich sprang aus der Koje, hatte sowieso nicht geschlafen, und war in zehn Minuten in der Eingangshalle, wo Frau Werner schon mit viel Gepäck wartete. Ich hatte nur einen Seesack und konnte ihr beim Tragen helfen.

Als wir an der Schleuse ankamen, sah ich schon die Positionslichter der »Fritz Werner«. Schnell nahm das schemenhafte Schiff Konturen an. Als es in der Schleuse festgemacht hatte, konnte ich meine Enttäuschung nur schwer verbergen. Schiffe dieser Größe wurden »Schlickrutscher« genannt.

Über eine steile Treppe ging es zu den Mannschaftskabinen im Vorschiff unter der Back. Der Leichtmatrose zeigte mir den Schlafraum mit zwei Etagenkojen. Eine der oberen war für den Kochjungen reserviert. Drei Blechdosen, die einmal Mischgemüse enthielten, hingen, mit einem Draht befestigt an der Decke.

»Die musst du hängen lassen. Wenn Sturm aufkommt, gehen die Brecher über die Back und dann leckt es da. Ohne die Dosen hast du eine nasse Koje.«

Zwei von den Dosen waren halb voll mit Salzwasser. Naja, wird schon alles gutgehen, dachte ich und richtete mein Bett.

Früh am Morgen wurde ich von Leichtmatrose Klaus geweckt: »Wir sind gleich in Rendsburg zum Bunkern und zur Proviantübernahme.«

So hatte ich gleich eine tragende Rolle und musste den Proviant an Bord schleppen. Frau Werner half beim Verstauen. Jedes Etikett richtete sie sorgfältig nach vorn aus. Gemeinsam machten wir das Frühstück, wobei Frau Werner unermüdlich auf mich einredete. Ich wusste ja noch nicht einmal, wie man Kaffee kocht.

Als die »F. Werner« die Kieler Schleuse passiert hatte, ging es auf die ruhige offene See. Jetzt hatte der Kapitän etwas Zeit, um ein paar Worte mit mir zu reden. Ich erfuhr, dass ich nicht nur in der Kombüse zu arbeiten hatte, sondern auch die Maschinen fetten, beim Festmachen helfen und auch mal am Ruder stehen sollte. Da die Besatzung nur aus sechs Mann bestand, galt das Motto: »Einer für alle, alle für einen.« Ich fand es toll, dass ich nicht nur in der Kombüse arbeiten musste.

Mit knappen Worten erzählte der Käptn noch die Geschichte seines Schiffs, das vorher mal ein Frachtsegler war, dann zum Kümo umgebaut wurde und nun 210 Bruttoregistertonnen laden konnte. Solche Lösungen hatte man sich ausgedacht, weil im Krieg zu viele Frachschiffe abgesoffen waren.

Der Kapitän und seine Frau gingen erst mal schlafen. Zum Mittagessen gab es Erbsensuppe, die schon fertig war. Ich musste nur den Tisch decken. Alle an Bord waren freundlich und machten Scherze mit mir. »Die Suppe haste aber gut hinbekommen «, lobten sie mit breitem Grinsen. Klar wussten sie, dass Frau Werner gekocht hatte.

Dass mir anschließend schlecht wurde, lag nicht an der Erbsensuppe. Es war das Schiff, das gemächlich durch die Ostsee stampfte und mit jeder sanften Welle meinen Magen in die Höhe nahm und von dort fallen ließ. Als ich nach dem Abendbrot alles...

Erscheint lt. Verlag 13.9.2018
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
ISBN-10 3-944459-84-9 / 3944459849
ISBN-13 978-3-944459-84-4 / 9783944459844
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