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John Sinclair 2095 (eBook)

Der Geist aus der Maschine

(Autor)

eBook Download: EPUB
2018 | 1. Aufl. 2018
64 Seiten
Bastei Entertainment (Verlag)
978-3-7325-6848-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

John Sinclair 2095 - Timothy Stahl
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'Sie fragen sich, wo Sie sind?'
Der seltsame Mann im altmodischen Anzug hatte die niedrige Tür aufgehalten, jetzt ließ er sie zufallen. Ein Glöckchen bimmelte. Er trat näher, die Hände vor der Brust so aneinandergelegt, dass die Spitzen seiner dürren Finger sich berührten.
Ringsum herrschte Zwielicht. Hier und da bohrte sich ein Speer aus Helligkeit hinein. Staub schwebte darin, träge wie müde Mücken.
'Ja, wo bin ich?', fragte Roger Reid.
'Am Ziel Ihrer Träume sind Sie.'
Der seltsame Mann lachte meckernd ...

Er wies um sich, über die Tische und zu den Regalen, mit quirligen Gesten, als wollten seine mageren Hände wie Spinnen auf dürren Beinen davonkrabbeln über Fäden, die sich unsichtbar durch die muffige Luft spannten.

»Und das alles …« Er lachte abermals und winkte ab. Wieder bewegten sich seine Finger wie flatternde Anhängsel. »Das alles braucht Sie nicht zu interessieren. Nur das hier.«

Mit einer raschen Bewegung, wie ein Zauberkünstler, zog der seltsame Mann das Tuch von einem der vielen Dinge, die auf den Tischen standen. Staub wölkte in die Höhe. Das Tuch musste lange Zeit über dem Ding gelegen haben. So wie auch all die anderen Tücher offenbar schon lange über all den anderen Dingen lagen. Allen schien ein grauer Pelz gewachsen zu sein. Oder es hatte schon alles Schimmel angesetzt.

»Na, was sagen Sie?«, fragte der seltsame Mann. Stolz schwang in seiner Stimme mit. Als hätte er wer weiß was zum Vorschein gebracht und nicht nur … so ein altes Ding.

»Was soll ich dazu sagen?«, fragte Roger Reid. »Das ist eine …«

Der seltsame Mann schüttelte den Kopf. »Nein, das ist nicht irgendeine … das ist sie

»Das ist sie? Ich verstehe nicht …«

»Das«, sagte der seltsame Mann mit gewichtiger Miene, »ist genau das, was Sie sich gewünscht haben.«

»Ach?«

»Ja.«

Der Mann mit dem seltsam spitz zulaufenden Gesicht lächelte.

Diabolisch.

Einige Wochen später …

Jimmy Whitewater stieg aus seinem Mietwagen. Das Licht der Innenbeleuchtung fiel aus der offenen Tür und durch die Fenster in die Nacht heraus. Jimmy stand wie auf einer kleinen Insel aus Helligkeit inmitten eines schwarzen Ozeans und ließ den Blick wandern. Viel war nicht zu sehen. Nur schwarze Berge. Riesig, bucklig und so schief, als könnten sie gleich einstürzen, um ihn unter sich zu begraben …

Jimmy Whitewater war der Krähe gefolgt, wie schon so oft. Sie war sein Totemtier, und nur er konnte sie sehen. Weil das Tier, das in Wirklichkeit viel mehr war als ein solches, sich nur ihm zeigte. Es gehörte zu ihm, war buchstäblich ein Teil von ihm. Und wenn es nichts Böses witterte, auf das es ihn aufmerksam machen wollte, dann war es nichts weiter als ein daumenlanges Mal auf seinem Arm, das seiner Form nach an einen stilisierten Vogel mit ausgebreiteten Flügeln erinnerte. Genau dort, wo seine Großmutter, die weise Greta Red Crow, die noch eine reinblütige Oglala Lakota gewesen war, ihn in der Nacht vor ihrem Tod berührt hatte.

Jimmy war noch klein gewesen, gerade mal sechs Jahre alt, als Greta Red Crow, die Mutter seines Vaters, gestorben war. Er hatte kaum etwas verstanden von dem, was sie ihm in jener Nacht mit ihrer rauen Stimme ins Ohr geraunt hatte. Und trotzdem spürte er, dass alles, was sie gesagt hatte, in ihm war. So wie er heute noch ihre Hand an seinem Arm spüren konnte. Es fiel ihm nicht schwer, sich in Erinnerung zu rufen, wie er damals, vor über zwanzig Jahren, an ihrem Sterbebett gesessen hatte, allein mit der alten Frau, die alle anderen hinausgeschickt hatte, weil sie nur mit ihm zu reden hatte.

»Du bist mein wahrer Erbe, Skayéla Mni«, hatte sie gesagt. Greta Red Crow war die Einzige gewesen, die ihn – und alle anderen Lakota in der Familie – mit ihren nativen Namen ansprach. Dann hatte sich ihre zwar dürre, aber doch samtige und warme Hand um seinen noch kindlich dünnen Unterarm gelegt, als ließe sich ein Vogel sanft darauf nieder, und sie hatte einen monotonen Singsang begonnen. Und Jimmy hatte das Gefühl gehabt, sein Innerstes fülle sich mit jedem Wort, das Greta Red Crow auf diese eigentümliche Weise sprach. Wie ein Gefäß, in das man Wasser goss. Bis er voll gewesen war mit dem, was seine Großmutter ihm zu sagen hatte. Was sie an ihn weitergeben wollte. Oder vielleicht auch musste.

Am nächsten Morgen war sie tot gewesen. Und als Jimmy wach wurde, hatte er auf seinem Unterarm das vogelähnliche Mal gesehen, das am Abend zuvor noch nicht da gewesen war.

Es hatte sein Leben verändert. Oder bestimmt. Ohne dieses rötliche Mal und ohne all das, was Greta Red Crow ihm vererbt hatte, wäre er nicht der junge Mann geworden, der er heute war. Er hätte einen anderen Beruf ergriffen. Wobei, Beruf wollte er das, was er tat, gar nicht nennen. Obgleich er dafür bezahlt wurde, sogar im Staatsdienst stand. Trotzdem war es vielmehr eine Berufung als einfach nur ein Job …

Ach, er hätte lange darüber sinnieren können. Wie er es auch schon oft getan hatte. Aber nie war er mit seinen Überlegungen an einem Ziel angekommen. Wohl weil es ein solches Ziel nicht gab. Und weil wohl alles im Grunde viel simpler war, als er es manchmal glauben wollte: Seine Großmutter hatte ihm eine Aufgabe übertragen. Ihre eigene Aufgabe nämlich, die sie bis zu ihrem Tod selbst erfüllt hatte. Wahrscheinlich. Sicher wusste Jimmy das nicht. In der Familie sprach niemand darüber. Aber die Ahnung, dass es so sein musste, war in ihm, so wie alles, was seine Großmutter gewusst und gekonnt hatte, in ihm und mit ihm war. So wie das Mal immer mit ihm war.

Die ihm anvertraute Aufgabe bestand darin, Böses aufzuspüren und zum Guten zu wenden. Sein Totemtier führte ihn auf solche Fährten. Wann immer das Mal von seinem Arm verschwand und zu einer Krähe wurde, brauchte er ihr nur zu folgen, und sie wies ihm einen Ort, wo es etwas zu tun gab für ihn.

Diesmal hatten sie einen langen Weg zurücklegen müssen. Jimmy war in San Francisco gewesen, als das Mal plötzlich von seinem Arm verschwand und der schwarze Vogel vor ihm saß – auf einer Stuhllehne in seinem Lieblingsrestaurant in Chinatown. Zum Glück konnte wirklich nur er die Krähe sehen, und selbst für ihn war sie oft eher nur ein Schatten als wirklich materiell. Dafür hörte er ihr Krächzen umso deutlicher, und es wurde – wenn auch nur in seinen Ohren – immer lauter, wenn er sich nicht beeilte, ihr zu folgen, oder wenn er zu begriffsstutzig war, um zu verstehen, was sie von ihm wollte. Gerade so, wie früher seine Großmutter manchmal mit ihm geschimpft hatte …

In diesem Fall hatte die Krähe ihn quer über den nordamerikanischen Kontinent gelotst – von der West- an die Ostküste, nach Massachusetts, und dort in die Hauptstadt des Bundesstaats, Boston.

Hier war er nun. Oder fast. Denn tatsächlich befand er sich ein Stück außerhalb der Stadt, die zu den ältesten und kulturell reichsten der USA gehörte. Die nächtliche Skyline Bostons glitzerte in einiger Entfernung, davor spannten sich wie bizarre Spinnennetze verzweigte Brückenkonstruktionen über die Flüsse der Stadt.

Jimmy Whitewater ließ die Wagentür ins Schloss klappen. Die Innenbeleuchtung erlosch nach ein paar Sekunden, doch Jimmys Augen hatten sich inzwischen an die herrschenden Lichtverhältnisse gewöhnt. Der Mond spendete etwas Helligkeit, ein Abglanz der Lichter der Stadt reichte bis hier herüber, und vereinzelt brannten auf dem weitläufigen Gelände ein paar funzelige Laternen. Er sah sich um.

Die Krähe hatte ihn auf einen Schrottplatz außerhalb Bostons geführt. Und so, wie sie dort drüben saß, war das ihr Ziel. Hier also musste … irgendetwas sein. Es sei denn, das Totemtier hatte sich geirrt. Oder eine Gefahr anders eingestuft, als er, Jimmy, es als Mensch getan hätte. Das war schon vorgekommen. Diesmal allerdings … Nein, er hatte es im Gefühl: An diesem Fall war etwas dran. Worin auch immer dieser Fall bestehen mochte.

Jimmy entfernte sich ein paar Schritte von seinem Wagen und rief seinen Chef an. Der meldete sich nicht, und so hinterließ Jimmy ihm nur eine Nachricht. Er gab Bescheid, wo er letztlich gelandet war, und schilderte kurz seine ersten Eindrücke.

»Viel ist nicht zu sehen«, sagte er, das Smartphone am Ohr. »Schrottfahrzeuge, die übereinandergestapelt wurden. Ich würde sagen, teils höher, als es eigentlich zulässig ist. Es sind abenteuerlich schiefe Türme darunter. Da traut man sich kaum, dran vorbeizugehen. Das Zufahrtstor war nicht abgeschlossen, Aufpasser gibt’s offenbar keinen. Jedenfalls kann ich keine Menschenseele sehen. Auch keinen Wachhund oder so. Vielleicht hat es in Boston niemand nötig, alte Autoteile zu klauen. Gehört ja zu den wohlhabendsten Städten unseres Landes.«

Jimmy ging weiter, sah mal nach links, mal nach rechts und immer wieder hoch zu seiner Schattenkrähe, die auf einem der Türme aus Autowracks saß, reglos wie aus Holz geschnitzt. Als wäre sie oberster Teil eines Totempfahls.

Etwas Verdächtiges bemerkte er nicht. Auch keinerlei Bewegung. Er hatte noch nicht einmal das Gefühl, beobachtet zu werden, wie es sich an solchen Orten und unter Umständen wie diesen mitunter einstellte, auch dann, wenn es unbegründet war.

»Komisch«, sprach er in sein Handy, »ich habe einfach nur das Gefühl, ganz allein hier zu sein. Vielleicht steckt ja doch nichts dahinter. Dann möchte ich mich jetzt schon dafür entschuldigen, unnötig Spesen verursacht zu haben, Boss. Aber Sie sagen ja selbst immer: Vorbeugen ist besser als auf die Schuhe kotzen. Und in den allermeisten Fällen liegen wir ja richtig mit unseren Ahnungen, mein Totemtierchen und ich …«

Noch ein Blick in die Runde, dann sagte er: »Okay, ich guck mich noch ein wenig um, wo ich schon mal hier bin, und melde mich dann wieder. Over and out.«

Er beendete die Verbindung, steckte das Telefon ein und lockerte, nur sicherheitshalber, die Pistole im Halfter.

Außer dem Knirschen seiner Schritte war fast nichts zu hören in den...

Erscheint lt. Verlag 4.9.2018
Reihe/Serie John Sinclair
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Horror
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 2017 • 2018 • Abenteuer • alfred-bekker • Bastei • Bestseller • Dämon • Dämonenjäger • dan-shocker • Deutsch • eBook • E-Book • eBooks • Extrem • Fortsetzungsroman • Frauen • Geisterjäger • grusel-geschichten • Gruselkabinett • Grusel-Krimi • Grusel-Roman • Horror • Horror-Roman • horrorserie • Horror-Thriller • Julia-meyer • Kindle • Krimi • Kurzgeschichten • larry-brent • Lovecraft • Macabros • Männer • morland • neue-fälle • Paranomal • professor-zamorra • Professor Zamorra • Psycho • Roman-Heft • Serie • Slasher • spannend • Splatter • Stephen-King • Terror • Thriller • Tony Ballard • Tony-Ballard • Top • Walking Dead
ISBN-10 3-7325-6848-2 / 3732568482
ISBN-13 978-3-7325-6848-2 / 9783732568482
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