Die grausamen Sterne der Nacht (eBook)
400 Seiten
Aufbau digital (Verlag)
978-3-8412-1660-1 (ISBN)
Ein älterer Herr, Petrarca Forscher und recht eigenwilliger Charakter, ist verschwunden. Seine Tochter Laura meldet ihn als vermisst.
Zwei Bauern werden auf dem Land tot aufgefunden. Beide wurden erschlagen und ein Motiv ist nirgendwo erkennbar.
Kommissarin Ann Lindell und die Kriminalpolizei von Uppsala sind ratlos. Erst der eigentlich nicht in den Fall eingebundene Kommissar Gusten Ander scheint Licht ins Dunkel bringen zu können. Ihn erinnern die Morde an eine berühmte Schachpartie ...
Kjell Eriksson, geboren 1953, hat Erfahrungen in mehreren Berufen gesammelt. Er lebt in der Nähe von Uppsala. Für seinen ersten Kriminalroman um die Ermittlerin Ann Lindell erhielt er 1999 den schwedischen 'Krimipreis für Debütanten'. Sein Roman 'Der Tote im Schnee' wurde zum 'Kriminalroman des Jahres 2002' gekürt, eine Ehrung, die bereits Autoren wie Liza Marklund, Henning Mankell und Håkan Nesser bekommen hatten.
1
»Manfred Olsson.«
»Guten Morgen, hier spricht Ann Lindell von der Kriminalpolizei Uppsala. Entschuldigen Sie bitte die frühe Störung.«
Sie nahm das Telefon in die rechte Hand und schob die ausgekühlte linke in die Jackentasche.
»Aha, worum geht’s?«
Manfred Olssons Stimme klang etwas reserviert.
»Wir müssen Sie in einer bestimmten Angelegenheit sprechen«, begann Lindell ungewöhnlich vage.
»Geht es um den Wagen?«
»Nein, wieso, haben Sie …«
»Vor vierzehn Tagen ist mein Auto gestohlen worden. Haben Sie es gefunden?«
»Es geht nicht um Ihr Auto.«
Ann Lindell lehnte sich an die Wand. Die aufgehende Sonne wärmte ihren fröstelnden Körper. Schon beim Aufwachen hatte sie gefroren, und an einem kalten Morgen Ende Oktober auf einen zugigen Hof gerufen zu werden machte die Sache nicht besser.
Die Blätter eines Ahorns leuchteten in gelbroten Farbtönen. An manchen Stellen hatten kleine schwarze Pilzsporen sie verfärbt, so dass eine Verbindung entstanden war, die einem den unendlichen Reichtum der Vegetation, aber auch Wehmut und Vergänglichkeit vergegenwärtigte. Vereinzelte Schneeflecken zeigten, dass der Winter dieses Jahr früh gekommen war.
Ola Haver trat aus dem Haus, entdeckte Lindell und nickte ihr zu. Er sah müde aus. Vorhin hatte er kurz erwähnt, dass sowohl die Kinder als auch seine Frau schwer erkältet waren.
Vielleicht lag es aber auch einfach daran, dass ihr Kollege den Anblick toter Menschen nur schwer ertragen konnte, weil er als Jugendlicher miterleben musste, wie sein Vater – von einer Wespe in den Hals gestochen – beim Abendessen zusammengebrochen und innerhalb weniger Minuten gestorben war.
»Kennen Sie einen gewissen Petrus Blomgren?« fuhr Lindell fort.
»Nein, nicht dass ich wüsste«, sagte Manfred Olsson. »Sollte ich?«
Im Hintergrund waren Stimmen zu hören. Es klang, als liefe der Fernsehapparat.
»Was machen Sie beruflich?«
»Alarmanlagen«, erklärte Olsson knapp. »Wieso?«
»Wir haben einen Zettel mit Ihrer Telefonnummer bei einem gewissen Petrus Blomgren gefunden. Er muss sie irgendwoher bekommen haben.«
Manfred Olsson blieb stumm.
»Sie können sich das nicht erklären?«
»Nein, wie gesagt.«
»Kennen Sie sich in Jumkil aus?«
»Nein, das kann ich nicht behaupten. Ich weiß, wo es liegt. Worum geht es denn eigentlich? Ich muss gleich los.«
»Wo arbeiten Sie?«
»Ich bin selbständig. Ich will … das spielt doch im Grunde keine Rolle.«
Nein, dachte Lindell und lächelte mitten in all dem Elend, es spielt keine Rolle. Jetzt nicht und vielleicht auch später nicht.
»Sind Sie in letzter Zeit einmal in Jumkil gewesen?«
»Ich war dort mal auf einer Hochzeit, aber das ist jetzt bestimmt schon zehn Jahre her.«
»Sie installieren Alarmanlagen, nicht wahr. Haben Sie vor kurzem eine Anfrage aus Jumkil bekommen?«
»Nein, daran kann ich mich nicht erinnern.«
»Vielen Dank«, sagte Lindell. »Wir werden uns möglicherweise noch einmal bei Ihnen melden und Sie bitten, sich ein Foto anzusehen.«
»Er ist tot, was? Dieser Blomgren, meine ich.«
»Ja.«
Sie beendete das Gespräch. Ein plötzlicher Windstoß wirbelte die Blätter zu ihren Füßen auf.
»Nichts«, sagte Lindell zu Haver, der zu ihr gekommen war. »Er wusste überhaupt nichts, weder über Jumkil noch über Blomgren.«
»Wir haben einen Brief gefunden«, sagte Ola Haver. »Einen Abschiedsbrief.«
»Wie bitte? Den Blomgren geschrieben hat?«
»Sieht ganz so aus.«
Lindell seufzte.
»Willst du mir etwa sagen, er hat vorgehabt, sich das Leben zu nehmen, ist aber nicht mehr dazu gekommen?«
Ola Haver fing plötzlich an zu lachen. Lindell sah ihn an. Ein Kollege von der Schutzpolizei blickte auf. Haver verstummte ebenso plötzlich wieder.
»Entschuldige bitte«, sagte er, »aber manchmal ist das alles einfach nur zum Kotzen. Du hast rote Flecken am Rücken. Du darfst dich nicht so an die Wand lehnen.«
Er klopfte ihre helle Jacke ab.
»Die ist neu, nicht?«
Lindell nickte. Sie spürte die kraftvollen Handbewegungen auf Schultern und Rücken. Es war kein unangenehmes Gefühl. Sie wärmten. Lindell hätte ihren Kollegen am liebsten geboxt, hielt sich aber zurück.
»So«, sagte er, »sieht schon besser aus.«
Lindell schaute sich um. Wieder einmal waren sie vor Ort. Höfe, Treppenhäuser, Keller, Wohnungen. Absperrungen, Scheinwerfer, Schutzschirme, Messbänder, blitzende Kameras, Kreidestriche auf Holzböden, Parkett, Betonboden und Asphalt. Die Stimmen der Kollegen und knisternde Sprechfunkgeräte. Schritte im Dunkeln, im Sonnenlicht, in herbstlichem Schmuddelwetter und frühlingshafter Wärme. Gegenstände, die aufgestellt, aufgehängt worden waren, zur Verzierung und Freude, zur Erinnerung. Briefe, Tagebücher, Kalender, Notizen und Einkaufslisten. Stimmen aus der Vergangenheit, auf Videokassetten und Anrufbeantwortern.
Haver redete weiter über den Brief, verstummte jedoch, als er ihren Gesichtsausdruck bemerkte.
»Du hörst mir wohl gar nicht zu?«
»Entschuldige bitte«, erwiderte Lindell, »aber ich musste an etwas denken.«
»Die Aussicht?«
»Ja, die Aussicht, unter anderem jedenfalls.«
Die Aussicht war tatsächlich das erste gewesen, was ihr an diesem Ort aufgefallen war.
»Er wohnte schön hier«, sagte sie. »Aber jetzt erzähl mir von dem Brief.«
»Er ist kurz, nur ein paar Zeilen, und ein bisschen seltsam formuliert.«
»Und Blomgren hat ihn selber geschrieben?«
»Das wird sich noch zeigen«, sagte Haver, »aber ich glaube schon.«
»Sollte jemand beabsichtigt haben, den Mord wie einen Selbstmord aussehen zu lassen, hätte er es jedenfalls ungewöhnlich ungeschickt angestellt.«
»Und den Mann nicht mit mehreren Schlägen auf den Hinterkopf getötet«, ergänzte Haver und sah zu der Scheune hinüber, in der jemand Petrus Blomgren niedergeschlagen hatte.
»Da war Wut im Spiel«, sagte er. »Er hat ziemlich was abbekommen.«
»Vielleicht war es ja Ottosson? Hat er nicht hier in der Gegend ein Sommerhaus?«
»Willst du mal gucken?« sagte Haver und ging Richtung Eingangstreppe.
Sie schielten zur Scheune hinüber, in der die Kriminaltechniker arbeiteten. Petrus Blomgrens Fuß war in der Toröffnung zu sehen.
Lindell war bereits kurz im Haus gewesen, dann aber wieder hinausgegangen, um die Nummer anzurufen, die sie auf einem Zettel gefunden hatten. Petrus Blomgren war offenbar ein ordnungsliebender Mensch gewesen. Vielleicht kommt auch der Pflegedienst regelmäßig vorbei, dachte Lindell, als sie und Haver erneut die Küche betraten. Alles war an seinem Platz. Kein schmutziges Geschirr. Eine Kaffeetasse mit Untertasse, ein Messer, ein tiefer Teller und ein paar Schüsseln standen ordentlich im Abtropfgestell.
Auf dem Tisch gab es nur einen Salzstreuer und eine Zeitung. Die Wachstuchdecke war sauber. Auf der Fensterbank standen ein paar Topfpflanzen und eine Vase mit den letzten Herbstblumen, zwei, drei Zweigen Goldrute und einer Schmerwurzel.
»Wurde er von einem Pflegedienst betreut?« fragte Lindell.
»Schon möglich. Du meinst, weil alles so sauber und ordentlich ist?«
»Ja, bei einem alleinstehenden alten Mann sieht es im allgemeinen anders aus.«
»Hier liegt der Brief«, sagte Haver und zeigte auf die Arbeitsfläche neben dem Herd.
Lindell wunderte sich, dass sie das weiße Blatt vorhin nicht gesehen hatte. Es lag neben der Kaffeemaschine, allerdings halb vom Brotkorb verdeckt.
Sie beugte sich vor und las:
»Jetzt ist es wieder einmal Herbst. Der erste Schnee. Meine Entscheidung treffe ich ganz allein. So ist es immer schon gewesen. Ich habe all meine Entscheidungen allein treffen müssen. Man gelangt schließlich an einen Punkt. Es tut mir leid, dass ich mich nicht immer richtig verhalten habe, wie man es eigentlich tun sollte. Ein letzter Wille: Ich möchte Euch bitten, den alten Ahorn nicht zu fällen. Noch nicht. Lasst ihn stehen, bis er von alleine umstürzt. Mein Großvater hat ihn gepflanzt. Es ist nicht besonders schön, sich zu erhängen, aber ich weiß mir keinen anderen Rat. Ich habe mein Leben gelebt.«
Der Brief war mit Petrus Blomgren unterzeichnet.
»Warum hat er den Brief hierher gelegt und nicht auf den Tisch?« überlegte Haver.
»Hast du das Blatt gesehen, das am Fenster hängengeblieben ist?« fragte Lindell und zeigte darauf. »Es kommt einem vor wie ein letzter Gruß vom Ahorn.«
Ein gelbes Blatt klemmte zwischen den Fenstersprossen. Es flatterte ein wenig im Wind, schlug mehrmals lautlos gegen das Glas, um anschließend davonzufliegen und sich mit dem übrigen Herbstlaub zu vereinen, das über den Hof wirbelte.
Haver sah sie an.
»Er wollte sterben, aber der Baum sollte weiterleben dürfen«, sagte sie. »Schon seltsam.«
»Hat er vielleicht geahnt, dass der Mörder ihn erwartete?«
Lindell schüttelte den Kopf.
»Dann hätte er doch sicher keinen Abschiedsbrief geschrieben, oder?«
»Die Nachbarin, die uns...
| Erscheint lt. Verlag | 3.9.2018 |
|---|---|
| Reihe/Serie | Ein Fall für Ann Lindell | Ein Fall für Ann Lindell |
| Übersetzer | Paul Berf |
| Sprache | deutsch |
| Original-Titel | Nattens grymma stjärnor |
| Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
| Schlagworte | 2022 • Alleinerziehende Mutter • Ann Lindell • Ann Lindell ermittelt • Bauernmord • Ein Fall für Ann Lindell • Henning Mankell • Kommissarin • Krimi • Kriminalroman • Mord • Mutter • Schach • Schachpartie • Schweden • Schwedenkrimi • Schweden Krimi • Skandinavien Krimi • Uppsala • weibliche Ermittlerin |
| ISBN-10 | 3-8412-1660-9 / 3841216609 |
| ISBN-13 | 978-3-8412-1660-1 / 9783841216601 |
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