Der Dämon. Mord im Jahr des Herrn 1437 (eBook)
287 Seiten
Aufbau digital (Verlag)
978-3-8412-1565-9 (ISBN)
Die tyrannische Art ihrer neuen Priorin macht es Schwester Frevisse leicht die Mauern von St. Frideswide hinter sich zu lassen, um auf eine Pilgerfahrt zu gehen. Nichts wünscht sie sich mehr als eine stille und selige Reise. Doch die Ruhe währt nicht lange, denn bald trifft sie auf eine seltsame Gruppe Reisender rund um den Reichen Lionel. Der ist davon überzeugt, von einem Dämon besessen zu sein. Um endlich von seinem Leiden erlöst zu werden, befindet er sich mit seinem gesamten Haushalt auf einer nicht enden wollenden Pilgerreise quer durch England. Als dann auch noch ein Mord geschieht, scheint der Fall klar. Der Dämon hat zugeschlagen. Doch Schwester Frevisse ist sich da nicht so sicher ...
Eine unvergleichliche Detektivin - Schwester Frevisse, die Miss Marple des Mittelalters.
Margaret Frazer lebt mit ihren vier Katzen und viel zu vielen Büchern in der Nähe von Minneapolis, Minnesota. In den USA hat sie sich mit ihrer Serie um Schwester Frevisse über viele Jahre ein Millionenpublikum erschrieben.
Kapitel 1
Hinter den hohen Schlitzfenstern des Saals begann die Nacht dem kommenden Tag zu weichen. Bequem auf die Ellbogen gestützt, die Beine lang ausgestreckt, saß Giles am hinteren Ende der Stufen, die zu der erhöhten Plattform hinaufführten, und sah zu, wie die Dachbalken oben im grauen Licht des Morgens Gestalt annahmen. Er wusste, bald würden die Diener ihn sehen können, die am anderen Ende des großen Saals zwischen der erleuchteten Treppe und dem durch Fackeln erhellten Hof hin und her eilten, wo schon die Pferde gesattelt wurden. Aber noch verbarg ihn die Dunkelheit, und er konnte ihr Kommen und Gehen unbemerkt beobachten.
Der größte Teil des Gepäcks war gestern schon hinausgetragen worden und wahrscheinlich längst auf den Karren festgeschnallt, die ächzend aus dem Hof fahren würden, sobald es hell genug war, um die Straße erkennen zu können. Normalerweise wären die Karren sowie der größte Teil der Dienerschaft einen vollen Tag vorher aufgebrochen, um das Herrenhaus von Langling auf die Ankunft der Herrschaft vorzubereiten, aber diesmal war das nicht notwendig. Die Herrschaft würde Tage nach ihnen ankommen, verdammt seien Lionel und seine Wallfahrten. Als ob es nicht für jedermann lästig genug wäre, dass sie Jahr für Jahr im Frühling von Knyvet, wo sie sich seit Martini aufhielten, nach Langling umzogen und im Spätherbst wieder zurück. Aber nicht für Lionel. Der musste seine Gebete, sein Geld und jedermanns Zeit mit dieser idiotischen Pilgerreise durch ein halbes Dutzend Grafschaften verschwenden, um an Schreinen zu beten, von denen außer ihm noch nie jemand gehört hatte.
In den großen Pilgerorten hatte es zumindest Zerstreuungen gegeben. Aber da die Jungfrau Maria, Sankt Thomas Becket, das heilige Blut von Hailes und wie sie alle hießen ihn im Stich gelassen hatten, hatte Lionel sich den unbedeutenden Schreinen unbedeutender Heiliger zugewandt, wo es nichts gab außer Gebet und Langeweile. Und alles ohne Erfolg.
Aber Lionel gab nicht auf. Immer noch klammerte er sich an die wahnwitzige Hoffnung, eines Tages geheilt zu werden. Er begriff nicht, dass diese Heiligen, wenn sie zu etwas nutze wären, wohl mehr vorzuweisen hätten als topfgroße Kapellen an kleinen Nebenstraßen.
Giles setzte sich auf, streckte die Arme und lockerte die Schultern. Zumindest würden sie dieses Jahr einige Tage bei Lord Lovell haltmachen. Etwas verspätet interessierte sich Lionels Lehnsherr nach drei Jahren wieder für das Wohlergehen seines Gefolgsmannes oder vielmehr dafür, wie schlecht es ihm ging. Und Lord Lovell führte eine gute Küche und hatte seinen Herrensitz Minster Lovell in den letzten Jahren ausgebaut, so dass Giles zumindest mit gutem Essen und einigem Komfort rechnen konnte.
Unglücklicherweise war die Kirche von Minster Lovell einem gewissen Sankt Kenelm geweiht, und so war Lionel auf die fixe Idee verfallen, sich auf eine Pilgerfahrt zu Sankt Kenelms Grab in Winchcombe Abbey zu begeben und danach, Gott möge es verhindern, zu den sechs kleineren, dem Heiligen geweihten Kirchen, die in dieser Ecke Englands verstreut lagen. Dem einzigen Teil des Landes, das sich mit diesem Niemand von Heiligen überhaupt abgab.
Typisch Lionel, dachte Giles, die Reliquienschreine eines Knabenkönigs abzuklappern, der vor Hunderten von Jahren ermordet worden war. Und zwar weil seine Schwester ehrgeizig war und ihr Geliebter willfährig. Ein nicht gerade bedeutender Grund, ihn heilig zu sprechen. Giles hatte noch nie gehört, dass Kenelm jemanden von der Fallsucht geheilt hatte, und sollte das nicht Sinn und Zweck des Ganzen sein?
Aber Lionel war keinen Vernunftsgründen zugänglich. Komme was da wolle, er würde sie zu allen sieben Schreinen schleppen, egal, wie miserabel es ihnen erging.
Einer der Diener stolperte auf der untersten Treppenstufe, wahrscheinlich über seine tolpatschigen Füße, und ließ ein Ende der Truhe los, die er trug. Die schwere Truhe schlug dumpf auf dem Boden auf. Der Mann fluchte über sein Missgeschick und über das Gelächter eines seiner Kumpane, der ihm mit einer in ein Tuch gewickelten Rolle im Arm folgte. Gemeinsam beugten sie sich hinunter, um zu sehen, ob ein Schaden entstanden war. Dann packte der Diener die Truhe wieder, und lachend gingen die beiden weiter.
Giles nickte nachdenklich. Es war mittlerweile hell genug, und er hatte Dickon erkannt. Irgendwann würde Giles seinen Stock, der aus Stechpalmen gemacht war, parat haben, wenn Dickon gerade in der Nähe war, und dann würde Dickon bezahlen für seine Achtlosigkeit und das Lachen über seine Pflichtvergessenheit. Und zwar mit Zinsen. Besser spät als nie, obwohl Dickon das wahrscheinlich anders sehen würde. Das steigerte das Vergnügen.
Giles stand auf. Hinter den Fenstern war es hell geworden, und es war an der Zeit, nachzusehen, wie es oben voranging.
Er stellte fest, dass alles wie erwartet vor sich ging. Alles war so gut wie fertig. Diener trugen die letzten Gepäckstücke aus dem Salon, und Lionel und der verdammte Martyn standen bei dem Frühstückstisch, der in der Nähe der Fenster aufgebaut war. Die Läden waren geschlossen, schließlich wollten sie bald aufbrechen. Sicher gab es wieder nur die harten Krusten der Brotlaibe von gestern, die ungewürzten Reste des Fleisches vom Nachtmahl, und in der Kanne war sehr wahrscheinlich lauwarmes Bier statt heißen, gewürzten Weins. Ein kühler Aprilmorgen, und nichts, worauf man sich freuen konnte, nur ein langer Tagesritt. Gewürzter Wein hätte seine Laune wenigstens etwas gebessert und das Mahl, wenn schon nicht angenehm, so doch zumindest genießbar gemacht. Wenn er hier der Herr war – und Gott möge machen, dass Lord Lovell bald einsah, wie notwendig das war –, würde alles weitaus besser geregelt werden.
Aber bis dahin gehörte alles Lionel, und Giles bekam nur das, was Lionel ihm bewilligte. Das heißt alles, bis auf Edeyn. Sie war das einzige Besitztum seines lieben Cousins Lionel, das Giles sich genommen hatte. Der Gedanke ließ ihn lächeln, als er sich zu Lionel und Martyn gesellte, obwohl er beide verabscheute. Seinem Cousin schien es einfach nicht in den Kopf zu wollen, dass Martyn sein Diener war, nicht sein Freund. Die beiden klebten zusammen wie Pech und Schwefel, stets war Martyn irgendwo in der Nähe. Und Giles hatte keine Möglichkeit, die Dinge so zu ändern, wie er sie haben wollte.
So ging es, seit Lionel vor fünfzehn Jahren seinen ersten Anfall bekommen hatte. Damals war er vierzehn gewesen und Giles achtzehn, und er hatte seinem kleinen Cousin mit Vergnügen gezeigt, wie die Dinge laufen sollten. Sie standen gerade im Hof vor dem Stall und unterhielten sich mit Martyn, der erst zwanzig war, aber bereits so tat, als wüsste er mehr als alle anderen zusammen, nur weil sein Vater der Verwalter von Lionels Vater war. Ein paar Stallburschen waren auch anwesend. Es hatte keine Vorwarnung gegeben. Lionel stand da, redete und lachte, und im nächsten Augenblick stürzte er zu Boden, bewusstlos wie ein geschlachteter Ochse. Alle starrten ihn an, zu verblüfft, um sich zu rühren. Und dann, bevor jemand einen klaren Gedanken fassen konnte, begann Lionel zu zucken: erst krampfartig, dann wand er sich wie wild, grunzend und mit Schaum vor dem Mund.
Sie zogen sich schnell verängstigt von ihm zurück, wobei sie in ihrer Hast gegeneinanderprallten, denn sie glaubten, dass ein Dämon in ihn gefahren war. Sie bekreuzigten sich verzweifelt, um sich vor den Dämonen zu schützen, die darum kämpften, seinen Körper in Besitz zu nehmen.
Alle bis auf Martyn. Zwar war er, genau wie die anderen, schnell zurückgesprungen, als Lionel anfing, sich zu winden und unverständliches Zeug zu lallen, aber selbst damals war er schon ein Schurke gewesen. Er war bereits als Nachfolger seines Vaters ausersehen. Es war klar, dass er der nächste Verwalter der Ländereien der Knyvets werden würde, und er verstand es, sich seinen Vorteil daraus zu verschaffen. Entgegen jedem gesunden Menschenverstand hatte er sich zusammengerissen, und während alle anderen noch weiter zurückwichen, trat er vor, kniete neben Lionel nieder und versuchte, ihn festzuhalten, damit er nicht mit dem Kopf gegen das Pflaster schlug, und schrie, jemand solle den Priester holen.
Einer der Männer hatte sich soweit gefangen, dass er losrennen konnte, aber die anderen blieben stehen, wie von Entsetzen festgefroren. Giles ebenfalls. Er hatte Martyns Versuche beobachtet, Lionel festzuhalten, und zugehört, wie er laut betete, bis der Anfall vorüber war und Lionel schlaff und bewusstlos dalag, während Martyn seinen blutigen Kopf festhielt.
Endlich kam der Priester und zudem jede Menge anderer Leute. Es war unmöglich gewesen, die Sache geheimzuhalten. Ein Dämon war vor den Augen eines halben Dutzend Männer in den Erben des Herrn gefahren, und so viele Zeugen ließen sich nicht mundtot machen. Niemand hatte Lionel anrühren wollen, nicht einmal, als der Anfall vorüber war. Erst Martyns zorniger Befehl hatte einige Männer veranlasst, ihn hochzuheben und ins Haus zu tragen. Giles hatte sich natürlich nicht gerührt.
Das Schlimmste war vorbeigewesen, Horror und Schrecken hatten etwas nachgelassen. Martyn half, Lionel zu waschen, seine Verletzungen zu behandeln und ihn ins Bett zu packen. Lionel hatte ausgesehen, als schliefe er, aber es war ein Schlaf, der so tief war, dass nichts ihn aufwecken konnte. Der Priester hatte weiter für ihn gebetet. Endlich war Lionel wieder zu Bewusstsein gekommen, benommen und erschöpft. Er wusste nur, dass er vor den Ställen gestanden hatte und dann in seinem Bett aufgewacht war.
Lionel erinnerte sich nie an das, was...
Erscheint lt. Verlag | 1.10.2018 |
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Reihe/Serie | Schwester Frevisse ermittelt |
Übersetzer | Anke Grube |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | The Murderer’s Tale / 06 Sister Frevisse |
Themenwelt | Literatur ► Historische Romane |
Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Historische Kriminalromane | |
Schlagworte | Bruder Cadfael • Buße • England im Mittelalter • Ermittlerin • Ermittlung • historischer Krimi • Historischer Kriminalroman • Kloster • Krimi • Kriminalroman • Margaret Frazer • Mittelalter Krimi • Mittelalter Roman • Mord • Nonne • Nonne ermittelt • Peter Tremayne • Pilger • Pilgerfahrt • Schwester Fidelma • Schwester Frevisse • Schwester Frevisse ermittelt • Verbrechen • weibliche Ermittlerin • weibliche Heldin |
ISBN-10 | 3-8412-1565-3 / 3841215653 |
ISBN-13 | 978-3-8412-1565-9 / 9783841215659 |
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