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Hier sangen früher Vögel (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2018
Heyne Verlag
978-3-641-23141-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Hier sangen früher Vögel - Kate Wilhelm
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Schöne neue Menschheit
Die Welt, wie wir sie kennen, ist dem Untergang geweiht: Umweltzerstörung, Katastrophen und Atomkriege drohen, die Menschheit auszulöschen. Schon jetzt sind Männer wie Frauen oft unfruchtbar, eine Folge der nuklearen Strahlung. David Summer ist ein genialer Wissenschaftler und fest entschlossen, seine Familie zu retten. Seine Experimente an Mäusen zeigen, dass nach mehreren Generationen von Klonen einige seiner Versuchstiere wieder fruchtbar werden. David fasst einen waghalsigen Plan: er will sich und seine Verwandten ebenfalls klonen. Dazu zieht sich die Familie Summer auf eine entlegene Farm in Virginia zurück, wo sie eine kleine Gemeinschaft aufbauen. Doch das Experiment gerät außer Kontrolle, als die ersten Klone erwachsen werden ...

Kate Gertrude Meredith wurde am 8. Juni 1928 in Toledo, Ohio geboren. Nach ihrem Highschool-Abschluss arbeitete sie zunächst als Model, Telefonistin und Schreibkraft, ehe sie 1947 Joseph Wilhelm heiratete. Sie begann 1956 mit dem Schreiben von Science-Fiction-Kurzgeschichten; noch im selben Jahr erschien 'The Pint-Size-Genie' im Magazin Fantastic. 1963 erschien ihr Debütroman 'More Bitter Than Death'. Zwei Jahre später - Wilhelm hatte sich inzwischen von ihrem Mann scheiden lassen und den Schriftsteller Damon Knight geheiratet - veröffentlichte sie ihren ersten Science-Fiction-Roman, 'Der Klon, Wesen aus Zufall', der für den Nebula Award nominiert wurde. Sie etablierte sich als Vertreterin einer weniger technisch, sondern mehr psychologisch orientierten Science-Fiction: für ihren Roman 'Hier sangen früher Vögel' wurde sie 1977 mit dem Hugo und dem Locus Award ausgezeichnet; ein Erfolg, den sie 2006 mit ihrem Sachbuch 'Storyteller' wiederholte. Zudem gewann sie mehrfach den Nebula Award. Zusammen mit Damon Knight und Robin Scott Wilson gründete sie den Clarion Workshop für angehende Phantastik-Autoren, der im Laufe der Jahrzehnte Schriftsteller wie Octavia Butler, Monica Byrne, Cory Doctorow, Kim Stanley Robinson oder Jeff VanderMeer prägte. Sie starb am 8. März 2018 in Eugene, Oregon.

1. TEIL

 

Hier sangen früher Vögel

 

1. Kapitel


 

Was David an den Festmahlzeiten der Sumners immer am meisten hasste, war die Art und Weise, wie alle über ihn redeten, als ob er nicht da wäre.

»Hat er in letzter Zeit genug Fleisch gegessen? Er sieht so spitz aus.«

»Du verziehst ihn, Carrie. Wenn er nicht isst, solltest du ihn nicht zum Spielen hinauslassen. Du warst genauso, weißt du.«

»Als ich in seinem Alter war, konnte ich mit der Axt Bäume fällen, so robust war ich. Aber ich glaube, er könnte sich nicht einmal durch Nebel seinen Weg schneiden.«

David stellte sich dann meist vor, er wäre unsichtbar und schwebte ungesehen über ihren Köpfen, während sie über ihn redeten. Jedes Mal fragte jemand, ob er schon eine Freundin habe, und egal, ob die Antwort Ja oder Nein war, sie tuschelten gleichermaßen. Von seinem Aussichtspunkt aus würde er ein Strahlengewehr auf Onkel Clarence richten, der ihm besonders zuwider war: Onkel Clarence war fett, kahlköpfig und sehr reich. Er pflegte sein Brot in die Bratensoße zu tunken oder in Sirup, oder öfter noch in ein Gemisch aus Sorghum und Butter, das er auf seinem Teller anrührte, bis es aussah wie Babyscheiße.

»Hat er immer noch vor, Biologe zu werden? Er sollte Medizin studieren und dann in Walts Praxis eintreten.«

Er würde seine Strahlenpistole auf Onkel Clarence richten, feinsäuberlich einen Lappen aus seinem Bauch schneiden und vorsichtig herauslösen, und Onkel Clarence würde aus dem Loch heraussickern und über Tisch und Stühle fließen.

»David.« Er fuhr erschrocken auf, entspannte sich dann wieder. »David, warum gehst du nicht mal raus und schaust, was die anderen anstellen?« Es war die ruhige Stimme seines Vaters, der eigentlich sagte: Nun reicht's fürs erste. Und sie würden ihre kollektive Betrachtung einem der anderen Sprösslinge zuwenden.

Als David älter wurde, lernte er die komplexen Verwandtschaftsbeziehungen begreifen, die er als Kind einfach als gegeben hingenommen hatte. Onkel, Tanten, Vettern, Vettern zweiten, dritten Grades. Und die Mitglieder ehrenhalber – die Brüder, Schwestern und Eltern derjenigen, die in die Familie eingeheiratet hatten. Die Sumners und Wistons und O'Gradys und Heinemans und die Meyers und Capeks und Rizzos, alle Teil desselben Flusses, der das fruchtbare Tal durchzog.

Vor allem an die Festtage erinnerte er sich. Das alte Sumner-Haus hatte ein weitläufiges Obergeschoss mit vielen Schlafzimmern und einen Dachboden, der von Wand zu Wand mit Matratzen ausgelegt war, Lager für die Kinder; im Westfenster war ein ungeheurer Ventilator. Ständig kam jemand herauf, um nachzusehen, ob sie nicht auf dem Dachboden allesamt am Ersticken waren. Die älteren Kinder sollten auf die jüngeren aufpassen; tatsächlich aber schüchterten sie sie Nacht für Nacht mit Geistergeschichten ein. Nachts war es immer dasselbe. Allmählich schwoll der Lärm, bis Erwachsene einschreiten mussten. Onkel Ron stapfte schwer die Treppe herauf, und auf dem Dachboden kam es zu eiligem Getrippel, mit unterdrücktem Kichern und gedämpften Schreien, bis jeder wieder in seinem Bett war; so dass, wenn Onkel Ron schließlich das Licht andrehte, das den Speicher trübe erhellte, die Kinder alle in Schlaf versunken schienen. Er blieb kurz im Türrahmen stehen, schloss dann die Tür, löschte das Licht und polterte die Treppe wieder hinunter, anscheinend taub für den fröhlichen Lärm, der sich hinter ihm aufs neue erhob.

Wenn Tante Claudia heraufkam, war es jedes Mal wie die Erscheinung eines Geistes. Eben noch flogen Kissen durch die Luft, irgendjemand weinte, jemand anders las beim Licht einer Taschenlampe, beim Licht einer anderen spielten einige Jungen Karten, einige Mädchen schmiegten sich aneinander und flüsterten über köstliche Geheimnisse – dass es sich um solche handelte, musste man aus der Art schließen, wie sie erröteten und verzweifelt guckten, wenn ein Erwachsener plötzlich bei ihnen auftauchte – und schon sprang die Tür auf, das Licht fiel auf die Unordnung, und da stand sie. Tante Claudia war sehr groß und dünn, ihre Nase war überlang, und ihre Haut besaß die dauerhafte Bräunung alten Leders. Da stand sie dann, starr und furchtbar, und geräuschlos krochen die Kinder in ihre Betten. Sie regte sich nicht, bis alle da waren, wo sie hingehörten, dann schloss sie unhörbar die Tür. Das Schweigen zog und zog sich hin. Diejenigen, die der Tür am nächsten waren, hielten den Atem an und versuchten, sie auf der anderen Seite atmen zu hören. Irgendwann dann hatte schließlich jemand genug Mut zusammengerafft, die Tür einen Spalt weit zu öffnen, und wenn sie wirklich verschwunden war, konnte die Party weitergehen.

Die Gerüche der Festtage hatten sich nachhaltig in Davids Gedächtnis eingeprägt. All die üblichen Gerüche: Fruchtstollen und Truthähne, der Essig in der Eierfarbe, die grünen Tannenzweige und der dicke, cremige Rauch der Lorbeerkerzen. Woran er sich jedoch am lebhaftesten erinnerte, das war der Geruch des Zündpulvers, den sie alle bei den Familienversammlungen am Vierten Juli an sich herumtrugen. Der Geruch, der ihre Haare und Kleider durchdrang, haftete tagelang an ihren Händen. Ihre Hände hatten gewöhnlich beim Beerenpflücken purpurschwarze Flecken bekommen, und Farbe und Geruch der Beeren gehörten zu den unzerstörbaren Erinnerungen seiner Kindheit. Mit hinein mischte sich der Geruch des Schwefelpulvers, das üppig über sie gestäubt worden war, um die Milben zu vernichten.

Hätte es Celia nicht gegeben, so wäre seine Kindheit vollkommen gewesen. Celia war seine Cousine, die Tochter der Schwester seiner Mutter. Sie war ein Jahr jünger als David und bei weitem die hübscheste seiner Cousinen. Als sie noch sehr jung waren, versprachen sie sich, eines Tages zu heiraten, und als sie heranwuchsen und ihnen unmissverständlich klargemacht wurde, dass in dieser Familie Cousin und Cousine niemals heiraten könnten, wurden sie zu unversöhnlichen Feinden. Er wusste nicht, wie man es ihnen beigebracht hatte. Er war sich sicher, dass niemand es je in Worte gefasst hatte, aber sie hatten verstanden. Wenn sie danach einander nicht aus dem Weg gehen konnten, kämpften sie. Sie stieß ihn vom Heuboden, als er fünfzehn war, und dabei brach er sich den Arm; und als er sechzehn war, rauften sie sich den ganzen Weg von der Hintertür des Wistonschen Farmhauses bis zum Zaun, der fünfzig oder sechzig Meter entfernt war. Sie rissen sich die Kleider vom Leib, und ihre Fingernägel kratzten seinen Rücken blutig; sie selbst blutete an der Schulter, mit der sie hart auf einen Stein gestoßen war. Dann berührte, inmitten dieses Rollens und Tobens, seine Wange ihre unbedeckte Brust, und er hörte auf zu kämpfen. Er wurde plötzlich zu einem dahinschmelzenden, schluchzenden, zusammenhanglos stammelnden Idioten; mit einem Stein schlug sie ihm auf den Kopf und beendete den Kampf.

Bis zu diesem Augenblick hatte sich der Kampf in fast vollkommenem Schweigen abgespielt, das nur von keuchendem Atem und geflüsterten Worten unterbrochen worden war, die ihre Eltern schockiert hätten. Aber als der Stein ihn traf und er zusammensackte, nicht ohnmächtig, aber benommen, gleichgültig und schlaff, schrie sie los und überließ sich dem Schrecken. Die Familie stürzte aus dem Haus, als sei sie herausgeschüttelt worden, und ihr erster Eindruck musste sein, er habe sie vergewaltigt. Sein Vater stieß ihn in die Scheune, um ihn, wie alle annehmen durften, zu verprügeln. In der Scheune aber betrachtete ihn sein Vater, den Gürtel in der Hand, mit einem Ausdruck, in dem sich Zorn und eine merkwürdige Sympathie mischten. Er rührte David nicht an, und erst, als der Vater sich umgedreht hatte und gegangen war, merkte David, dass noch immer Tränen über sein Gesicht liefen.

In der Familie gab es Farmer, einige Rechtsanwälte, zwei Ärzte, Versicherungsmakler, Bankiers und Mühlenbesitzer, Eisenwarenhändler und andere Geschäftsleute. Davids Vater besaß ein großes Kaufhaus, dessen Kundschaft aus der oberen Mittelschicht des Tales kam.

Das Tal war reich, die Farmen darin waren groß und üppig. David lebte immer in dem Gefühl, dass die Familie, mit Ausnahme einiger Tunichtgute, ziemlich wohlhabend war. Von all seinen Verwandten war ihm seines Vaters Bruder Walt der liebste. Dr. Walt, so nannten sie ihn alle, niemals Onkel. Er spielte mit den Kindern und lehrte sie Dinge aus der Welt der Erwachsenen. Zum Beispiel, wo man hinzielen musste, wenn es wirklich ernst war, und wo man in einer freundschaftlichen Rauferei lieber nicht hinschlagen sollte. Er schien zu wissen, ab wann sie nicht mehr als Kinder zu behandeln waren, lange bevor irgendjemand anders in der Familie darauf achtete. Dr. Walt war der Grund dafür, dass David sehr früh schon beschlossen hatte, Wissenschaftler zu werden.

David war siebzehn, als er nach Harvard ging. Zu seinem Geburtstag im September kam er nicht nach Hause. Als er dann zum Thanksgiving-Fest kam und der Klan sich versammelt hatte, füllte Großvater Sumner nach altem Ritual die Gläser mit den Aperitif-Martinis und reichte ihm eins. Und Onkel Warner fragte ihn: »Was meinst du, was sollen wir mit Bobbie machen?«

Er hatte jenen geheimnisvollen Grenzübergang erreicht, der nie so deutlich umrissen ist, dass man ihn im Vorhinein erkennen kann. Er nippte an seinem Martini, mochte ihn nicht besonders und wusste, dass seine Kindheit an ihr Ende gekommen war; er empfand eine tiefe Traurigkeit und Einsamkeit.

Das Weihnachten, an dem er dreiundzwanzig war, schien aus dem Lot. Das Szenarium war das gleiche, der Dachboden voller Kinder, die Gerüche der Leckereien, das Aufstäuben des Schnees, nichts von alledem hatte sich geändert; aber er...

Erscheint lt. Verlag 25.6.2018
Übersetzer René Mahlow
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel Where Late the Sweet Birds Sang
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Science Fiction
Schlagworte Atomkrieg • diezukunft.de • Dystopie • eBooks • Hugo Award • Klon • Locus Award • Postapokalypse
ISBN-10 3-641-23141-8 / 3641231418
ISBN-13 978-3-641-23141-5 / 9783641231415
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