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QUIZ -  Günter Hack

QUIZ (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2018 | 1. Auflage
248 Seiten
Frohmann Verlag
978-3-944195-29-2 (ISBN)
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Kevin braucht Geld, aber es gibt keine Jobs. Er arbeitet als Testperson für Schmerzmaschinen. Sein einziger Ausweg: QUIZ. Susanne ist TV-Journalistin, aber das Fernsehen stirbt. Der Boss dreht ihre Sendung ab. Ihre letzte Chance: QUIZ. Doktor Müller ist neudaoistischer Nationalsozialist und Modelleisenbahn-Fanatiker. Er braucht Geld für sein Gehirnwäsche-Therapiezentrum. Seine große Hoffnung: QUIZ. Ludwig-Maximilian ist reich. Er will aber noch reicher werden. Seine neueste Strategie: QUIZ. Shigeru Moriyama ist der beste Spieledesigner der Welt. Er hat QUIZ erfunden. Jetzt will er es wieder zerstören. QUIZ Digitalisierungsverlierer unterhalten das Infoproletariat. QUIZ Jede Frage hat vier Antworten. Alle sind falsch. QUIZ Es channelt die Angst des Hans Rosenthal. QUIZ Ein Fehler, und du bist raus. QUIZ Nur beim Ausbrennen gibt's Kohle. QUIZ Wenn die Gesellschaft zerbricht, hilft nur noch Zocken. Günter Hack beizt den Lack von der Gegenwart, bis ihr Horror uns deutlich vor Augen steht. Wir kichern irre und halten, was wir sehen,für Science Fiction. --- Bov Bjerg

KRIEGSENDE
KYOTO


Der Mönch betrat die Göttin durch eine Tür in deren Gesäß. Zwanzig Meter maß die Figur, schätzte Susanne und wandte sich ab, um sich den Schweiß von der Stirn zu wischen. 32 Grad, mindestens, kein gutes Klima, um auf den Kameramann zu warten, der noch auf dem Parkplatz mit seinen Geräten spielte. Doktor Müller betrachtete die 100-Yen-Münzen, blank und wie Wassertropfen glitzernd, die in den Rillen einer weiteren Skulptur steckten, eines fünf Meter langen Fußabdrucks des Buddhas. Dann schlurfte er durch den Kies auf einen leeren Zierteich zu. Das Licht schien ihn zu meiden, es war, als ob die Sonne um ihn herumscheinen würde. Wenn Doktor Müller sprach, dann nur vom Krieg oder von Eisenbahnen. Sein Vater hatte als Attaché in Japan gearbeitet, Susannes Chefredakteur war mit ihm bekannt. Deshalb stand sie jetzt hier in Kyoto, im viel zu kurzen Schatten einer Göttin und wartete auf die Geschichte. Manchmal räusperte Doktor Müller sich, als ob er anheben wollte, zu erzählen, endlich alles herauszulassen, was sich an Gedanken in ihm angestaut hatte. Aber er blieb stumm.

»So«, sagte der Kameramann. Susanne hatte ihn nicht kommen hören, ihr Kopf war dicht – die Klimaanlagen und die Hitze und wieder die Klimaanlagen. Schon im Shinkansen auf dem Weg von Tokio hierher hatte es beim Druckausgleich in ihren Ohren so verdächtig geschmatzt.

»Ich hab den Buddha von unten her gefilmt. Schaut ja ganz gut aus.«

»Das ist kein Buddha. Es ist die Göttin Kannon.«

Susanne blickte die Figur entlang. An den Flanken verliefen Risse, an manchen Stellen war die Farbe abgeplatzt, eine billige Konstruktion, beeindruckend nur aus der Ferne. Wohin war der Mönch verschwunden?

»Wurscht. Ich hab das Ding schon drauf, von unten her. Ich mach noch eine Einstellung von der Seite.« [7]*

»Okay.«

Irgendwo auf dem Gelände des Schreins musste eine Gedenkstätte für die Gefallenen des Zweiten Weltkriegs liegen, aber Susanne sah nur Kies und leere Hallen. Doktor Müller half bei der Suche auch nicht weiter, er stand einfach nur herum und betrachtete die Tempelmöblierung, die Papierschleifen und die kleinen verwitterten Holztafeln, die an Kordeln hingen und sich im kaum spürbaren Wind um sich selbst drehten. Ein junger Mönch überquerte den Platz vor der Göttin, er beeilte sich, aus der Sonne zu kommen, seine Glatze glänzte. Der Kameramann filmte ihm hinterher.

»Hier tut sich nicht viel«, sagte er. Hinter dem Platz und den Vorgebäuden der Anlage musste die Stadt liegen, aber Susanne konnte sie jenseits des Hitzeschleiers nur erahnen. Die Wasserflasche, die sie sich aus dem Automaten vor dem Schrein gezogen hatte, war bereits leer, und im Tempel selbst gab es keine dieser Verkaufsmaschinen, nur ein Feuerbecken voller Sand und Asche, in dem die beiden Räucherstäbchen steckten, die Susanne und Doktor Müller am Eingang erhalten hatten.

 

 

»Auf geht’s. Stellen Sie sich bitte so hin, Herr Doktor Müller. Tun Sie so, als würden Sie zur Stadt hinunterschauen, wie der Buddha, der Dings, die, egal, schauen Sie. Genau so. Danke! So bleiben.«

Nick, der Kameramann, hatte sich Doktor Müller geschnappt und versuchte nun, ihn zu inszenieren, aber das Gesicht des Zeitzeugen blieb unbewegt und glatt. Der einzig korrekte Referenzpunkt für ihn war das stilisierte Antlitz der Göttin. Nick brachte sich in Position, spielte mit Schärfe und Unschärfe. Der Fokus zitterte um die Konturen der Müllerschen Hängebacken, Bartstoppeln und Nasenhaare, der Doktor blieb einfach stehen und sagte nichts, ein ideales Modell. Susanne blickte derweil um sich und dachte, dass die Leute früher wirklich alles mit sich hatten machen lassen, Krise, Krieg, Wahnsinn, Krise, Inflation, noch mehr Krieg, Aufbau im Schutt und dann die Kinder zur Karriere prügeln, Kinder wie diesen Doktor Müller, der sich bei alldem ein glattes Gesicht hatte bewahren können. Er war wohlgelungen, der Doktor Müller, immer diskret bei vollem Pensionsbezug, ein Bild von einem Mann, jetzt auch auf Video, digital kodiert und abgespeichert für die Nachwelt. So wollte es das Konzept der Reihe Die Letzten, einer Serie mit Portraits von Menschen, die [8] Funktionsträger aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs noch persönlich gekannt hatten. Den Arbeitstitel »Hitlers Kinder« hatte das Produktionsgremium verworfen, aber erst in allerletzter Minute. Der Auftrag, ein Portrait für diese Serie anzufertigen, galt im SENDER als schwere Strafe, als letzte Disziplinarmaßnahme vor der Kündigung, nicht zu unrecht, da sich Hitler-Kinder als notorisch schwerhörig und renitent erwiesen, als Menschen, die es nicht verstanden, in Frieden zu altern. Auch Doktor Müllers Existenz lag quer zum klassischen Konzept eines Großvaters, obwohl er zahlreiche Enkelkinder hatte, wie Susanne im einzigen längeren Gespräch mit ihm hatte herausfinden können. Er sah seine Abkömmlinge aber nie, ebensowenig wie seine erste und seine zweite Frau, die beide noch lebten, nicht weit entfernt von ihm, in Wien. Doktor Müller spielte am liebsten mit seiner Modelleisenbahn, in die er beträchtliche Teile seiner Pension investierte, und so hatte der SENDER ihn auch nach Japan gelockt, wo die ehemaligen Wirkungsstätten von Vater Müller lagen. Einmal im Leben wenigstens wollte Doktor Müller das japanische Eisenbahnsystem am eigenen Leib erfahren, weshalb also nicht im Rahmen eines bezahlten Trips. Beim ersten Betreten des Shinkansen hatte er prüfend an den Doppelsitzen geruckelt und sich vom Schaffner zeigen lassen, wie man sie gegen die Fahrtrichtung und wieder zurück drehen konnte. Sein neues Wissen gab er jetzt an Susanne weiter.

»Man kann sie vollautomatisch an der Endstation wenden, damit immer alle Sitze in Fahrtrichtung zeigen.«

Doktor Müller hatte bereits vor der Reise sehr viel in Bezug auf den japanischen Eisenbahnverkehr recherchiert. Über die Wirkungsstätten seines Vaters hingegen nicht, also klapperten Susanne, Nick und Doktor Müller erst einmal einige Gedenkstätten ab, darunter eben auch den Schrein der Ryozen Kannon, der an einem Südhang über der alten japanischen Hauptstadt Kyoto lag.

Ein Rabenvogel landete zwei, drei Meter vor Susanne und hopste hinkend um den Sockel der Götterstatue herum. Sie beschloss, dem Tier zu folgen und kam so an eine Reihe grau lackierter Vitrinen, die Reihen um Reihen kleiner Statuetten immer desselben glatzköpfigen Gottes enthielten, stumme Armeen hinter Glas, exakt gestaffelt. Vor jeder Reihe steckten Windrädchen, bunte Propeller, die sich im müden Luftzug drehten. Der Rabe flatterte jetzt auf einen weißen Monoblockstuhl, der zwischen [9] zwei der Vitrinen stand und gab dabei einen weich gurgelnden Laut von sich. Ein sanfter japanischer Rabe, dachte Susanne, die sich nicht sicher war, ob der Vogel etwa ihr oder doch eher einem verborgenen Gefährten etwas hatte mitteilen wollen. Zwischen anderen Vitrinen standen Vasen und Tröge, gefüllt mit frischen Blumen. Der Rabe sprach erneut, aber Susanne ignorierte ihn und ging den Weg an den Schaukästen vorbei, hin zu einer Reihe von Gedenksteinen. An einem von ihnen prangte eine Metallplatte mit der präzisen Gravur eines japanischen Kampfflugzeugs. In der verbrannten Wiese daneben steckte eine grob behauene Tafel mit japanischen Schriftzeichen und der lateinischen Aufschrift »CLUB 100 HAWAII«. Der Un-Ort hinter den peinlich sauberen Vitrinen ähnelte eher einer Müllhalde für Denkmäler als einem Friedhof. Auch die größeren, mit Bronzereliefs japanischer Piloten dekorierten Steine waren lange nicht gereinigt worden, die Wege zu ihnen überwachsen.

Susanne vernahm hinter sich ein kehliges Geräusch, es war Doktor Müller, der den Gedenkstein einer Kamikaze-Staffel anhustete. Nick filmte gerade nicht und vermied so durch Trägheit einen diplomatischen Zwischenfall. Doktor Müller wandte sich wieder von den Gesichtern auf dem Relief ab, schlurfte den Weg daneben entlang und erreichte so ein kleines Gebäude, das hinter niedrigen Bäumen versteckt war. Er drehte sich aufgeregt um und winkte Susanne herbei.

»Das hier kenne ich. Mein Vater hatte ein Foto davon in seiner Sammlung. Das ist die Gedenkstätte.«

Susanne freute sich darüber, dass Doktor Müller endlich etwas sagte, aber sie blieb skeptisch, weil das Gebäude außer der Aufschrift »MEMORIAL HALL« keine besonderen Merkmale aufwies, und Doktor Müller ja vorhin beim durchaus beeindruckenden ersten Anblick der riesigen Kannon-Statue keinerlei Regung gezeigt hatte. Nun hatte Müller Senior zu einer Zeit gelebt, in der Fotos noch rare Kostbarkeiten gewesen waren, wie sich Susanne beruhigend vergegenwärtigte. Vielleicht war die Halle auch älter als die Statue.

Links neben dem Eingang sah Susanne ein Fenster mit einer Glasmalerei, die unter den Strahlen einer jenseitigen Sonne vor einem Gebirge trauernde Soldaten zeigte. Sie durchschritt die Tür und fand sich in einem Raum mit dem Grundriss einer Kapelle wieder, der aber nicht mit Kirchenbänken, sondern mit alten Schreibtischen und Bürosesseln vollge[10]stellt war. An seiner Stirnseite ragte vor einem weiteren Buntglasfenster ein Gedenkstein an den unbekannten Soldaten auf. Zur Linken tanzte der Staub in farbigen Lichtstrahlen über zwei Lesepulten, in deren Rücken metallene Karteikästen standen, die Schubfächer mit kleinen Zetteln versehen: »ENGLAND TUB – TYS« las sie auf dem erstbesten. Susanne rüttelte an einer der Schubladen. Verschlossen. Rechtwinklig zu den Karteikästen standen Vitrinen mit »Erde von Soldatenfriedhöfen aus aller Welt«, wie eine darüber hängende Tafel erklärte....

Erscheint lt. Verlag 20.4.2018
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Science Fiction
ISBN-10 3-944195-29-9 / 3944195299
ISBN-13 978-3-944195-29-2 / 9783944195292
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