Wild Cards - Die Cops von Jokertown (eBook)
672 Seiten
Penhaligon Verlag
978-3-641-23340-2 (ISBN)
Joker ... Das sind von einem außerirdischen Virus Veränderte; Mutanten; Freaks! Sie leben seit 70 Jahren unter den Menschen, und man hat sich an sie gewöhnt. Fast. Denn die meisten der New Yorker Joker leben in Jokertown, einem Ghetto im Süden Manhattans. Dies ist die Geschichte des fünften Polizeireviers, dessen Cops in Jokertown für Recht und Gesetz einstehen. Für manche ist es eine Zuflucht, für andere ein Ärgernis - aber für die meisten ist es die letzte Festung gegen die Freaks!
George Raymond Richard Martin wurde 1948 in New Jersey geboren. Sein Bestseller-Epos »Das Lied von Eis und Feuer« wurde als die vielfach ausgezeichnete Fernsehserie »Game of Thrones« verfilmt. 2022 folgt der HBO-Blockbuster »House of the Dragon«, welcher auf dem Werk »Feuer und Blut« basiert. George R.R. Martin wurde u.a. sechsmal der Hugo Award, zweimal der Nebula Award, dreimal der World Fantasy Award (u.a. für sein Lebenswerk und besondere Verdienste um die Fantasy) und fünfzehnmal der Locus Award verliehen. 2013 errang er den ersten Platz beim Deutschen Phantastik Preis für den Besten Internationalen Roman. Er lebt heute mit seiner Frau in New Mexico.
Die Tretmühle
von Cherie Priest
Teil 1
Leo klemmte sich das Telefon zwischen Schulter und Ohr, rieb sich die Augen und stöhnte. Dabei brummte er: »Mein Gott, nicht noch eine.«
»Noch eine was?«, fragte die Frau am anderen Ende der Leitung. Da er nicht schnell genug antwortete, musste sie erneut fragen: »Noch eine was, Dad?«
»Noch eine Flitzerin. Tinkerbill bringt sie gerade rein.«
Die fragliche Person war unbekleidet, hübsch, blond und in den Zwanzigern. Dazu hatte sie einen funkelnden pinkfarbenen Glorienschein, den man allerdings nicht als Kleidung durchgehen lassen konnte, zumal das Glitzern Bill Chens Beitrag war und bis zum nächsten Morgen wieder erloschen wäre. Wahrscheinlich.
Leo hielt den Hörer vom Mund weg und rief: »Kann jemand der Kleinen mal ein T-Shirt oder so was bringen?«
Blind griff Bill nach einer Polizeijacke, die an der Garderobe hing, während er die sich wehrende Gefangene zur erkennungsdienstlichen Behandlung bugsierte. Er warf sie ihr über die Schulter, doch sie wandte sich so heftig zu ihm um, dass sie sie fast wieder abschüttelte. »Sie machen einen Fehler!«, erklärte sie ihm. »Ich … ich hab nicht einfach meine Schlüssel geschnappt und bin so aus dem Haus gerannt, das müsst ihr mir glauben!«
»Ich glaube Ihnen«, sagte Bill unbeeindruckt und mit seiner seltsamen kindlichen Stimme. Aus einem Mann seiner Größe und Gestalt – knapp zwei Meter von der Mütze zu den Zehen und so breit wie das Tor einer Feuerwache – sollte eigentlich keine solche Stimme herauskommen. Er schüttelte erst seine kräftigen Schultern, dann den Kopf und schob die noch immer so gut wie nackte Frau barfuß durch die dreckigen Flure des fünften Reviers.
Man nannte es nicht umsonst »Fort Freak«.
»Dad?«
Leo richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf das Telefonat. »Melanie, tut mir leid, Liebes. Du hast mich hier bei der Arbeit erwischt. Du weißt ja, wie es ist.«
»Oh, verstehe. Wie könnte mein Überredungsversuch auch je wichtiger sein als ein Zimmer voller nackter Leute?«
»Nur eine. Eine nackte Person.«
»Pass mal auf, Dad. Hör auf, das aufzuschieben.«
»Aber was, wenn ich nicht umziehen will nach …« Er kramte auf dem Schreibtisch herum nach der Broschüre, die sie ihm vor einer Woche hatte zukommen lassen. Er fand sie unter drei oder vier Stapeln eingegangener Berichte, Gerichtsakten, Aktennotizen und Erinnerungen. Die umgestürzten Stapel begruben alles andere unter sich, sogar das Namensschild: DETECTIVE-INVESTIGATOR, 1ST GRADE: LEONARD STORGMAN.
Seine Tochter half seinem Gedächtnis ungeduldig auf die Sprünge. »Nach West Palm Beach.«
»Ja, Florida.« Nachdem er die knallbunte Broschüre endlich in den Fingern hatte, überflog er die Zusammenfassung in Werbesloganform: Erste Wohn- und Baugemeinschaft exklusiv für Joker! Er seufzte. »Ich weiß, dass du viel gearbeitet hast, um das auf die Beine zu stellen, aber ich glaube, ich bin noch nicht bereit für eine Seniorenparzelle.«
Leo schob einen Finger unter seinen Hemdkragen, zog an dem schweißgetränkten Stoff und ließ ihn wieder an seinen Hals zurückschnellen. Die Augustschwüle drückte in das alte Gebäude hinein, und die antike Klimaanlage der Wache pfiff und klapperte tapfer vor sich hin, richtete aber wenig aus. Fast erschauderte er bei dem Gedanken, das ganze Jahr über eine solche Hitze ertragen zu müssen.
»Du glaubst ja auch nicht, dass du bereit für den Ruhestand bist.« Melanies Tonfall wechselte von einem Augenblick zum nächsten von dem einer abgebrühten Wohngemeinschaftsplanerin zu dem einer bettelnden Tochter. »Dad, ich wünschte, du würdest darüber nachdenken. Komm in den Süden! Hier ist es schön, und ich wohne hier – und ich würde mich besser fühlen, wenn ich dich in der Nähe wüsste, falls etwas passiert.«
»Ich werde zweiundsechzig, nicht zweiundneunzig. Ich rutsche nicht in der Badewanne aus und breche mir die Hüfte.«
»Ich will damit ja auch nicht sagen …«
Er schnitt ihr das Wort ab. »Schätzchen, ich weiß, dass du helfen willst. Aber ich brauche jetzt noch keine Hilfe. Ich brauche etwas Zeit, um nachzudenken, und …« Er hielt unvermittelt inne, denn eine wiegende Hüfte im Bleistiftrock, die er in einiger Entfernung erspähte, lenkte ihn zu sehr ab. Er nuschelte: »Bleib mal einen Moment dran.«
Die Hüfte verschwand hinter einer Säule. Nicht allein die Form der Hüfte hatte seine Aufmerksamkeit erregt, sondern etwas an ihrem Gang, an den Rundungen des Körpers. Er kannte diesen Gang. Er kannte diesen Körper.
Auf der anderen Seite der Säule kam die Frau wieder hervor, und während sie kurz stehen blieb und mit jemandem sprach, kehrte sie ihm den Rücken zu. Dann sagte sie: »Bis dann, David«, drehte sich um und stockte. Sie suchte das Zimmer ab.
Leo beobachtete sie und nahm ihre Details auf, als wären es Beweisstücke.
Ihr Haar war jetzt kürzer, glatter und ein wenig dunkler – sie war fast eine richtige Brünette. Die Wölbung unter ihrem Ausschnitt und die Kontur ihrer Taille waren etwas ausgeprägter. Eine Hand lag auf der Hüfte. Die andere Hand hing herunter. Sie stand so zur Seite geneigt, dass es lässig wirkte.
Die große schwarze Sonnenbrille war noch dieselbe wie beim letzten Mal, als er sie gesehen hatte. Doch das war fünfundzwanzig Jahre her. Komisch, wie manche Stile immer wiederkehren. Komisch auch, dass er sie überall sofort erkannt hätte, auch nach all den Jahren noch.
Die Augen unter den Gläsern richteten sich auf ihn. Da hoben sich, von den Fäden der Nostalgie nach oben gezogen, ihre Mundwinkel, bis ihre Lippen zu einem leisen Lächeln verzogen waren.
Aus dem Telefon hörte er: »Dad?«
Er sagte: »Liebes, ich muss auflegen.« Er legte auf. Langsam stand er auf, passte sich dabei dem Tempo ihres Näherkommens an, sodass er ganz aufgerichtet war, als sie vor seinem Tisch anlangte. Er sagte: »Wanda?«
Und sie sagte: »Leo.« Wanda Moretti schob sich die Sonnenbrille auf den Kopf, überlegte es sich dann aber anders, klappte sie zusammen und steckte sie in ihre Handtasche. »Ist ’ne Weile her, was?«
»Ja. Du, äh … du siehst gut aus.«
»Danke. Du siehst auch nicht gerade schlecht aus.«
Leo Storgman war nicht oft verlegen. Er hatte genug Zeit gehabt, sich an sein Äußeres zu gewöhnen – zwei Jahrzehnte waren vergangen, seit seine Karte aufgedeckt worden war. Doch jetzt machte er fahrige Bewegungen, kratzte sich im klebrig nassen Nacken, schob die Zeitungsjungenmütze mit Hahnentrittmuster zurecht, die er oft trug. Sie passte so bequem zwischen die beiden Hörner, die sich aus seinen Schläfen emporwanden.
»Ah, papperlapapp. Das musst … das musst du nicht sagen. Du hast dich kein bisschen verändert, als wäre kein einziger Tag vergangen. Wir wissen, dass man das von mir nicht behaupten kann.«
»Ich habe auch nicht gesagt, dass du dich nicht verändert hast. Ich habe nur gesagt, dass du nicht schlecht aussiehst.« Sie gab sich keine Mühe, ihren abschätzenden Blick zu verbergen. »Man hat mir davon erzählt, und ich habe mir so meine Gedanken gemacht. Aber du siehst immer noch wie du aus.«
»Ha. So bin ich ja nun nicht auf die Welt gekommen.« Er hob kurz die Hände, um zu zeigen, wie knochenweiß sie geworden waren, fast durchscheinend bis auf die schlammgrünen Leberflecken, mit denen seine Knöchel gesprenkelt waren. Ähnliche Flecken zierten seinen weitgehend kahlen Schädel bis hinab zu dem Kranz aus ergrautem Haar, auf dem seine Mütze wie in einem Nest hockte. »Aber es könnte schlimmer sein.«
Er achtete darauf, den Blick nicht von ihr abzuwenden, um nicht über ihre Schulter zu blicken und auch nicht über seine eigene, in das vollgestopfte Durcheinander des Büros. Denn viele seiner Kollegen im öffentlichen Dienst hatten krassere und schlimmere Veränderungen gezogen.
Beim Getränkeautomat stand Streifenpolizistin Rikki Michaelson, eine kleine Frau mit der Figur eines Windhunds, die mit ihrer schlanken, pfotenartigen Hand per Knopfdruck ein Dr. Pepper wählte. Neben ihr lehnte Lu Long an der Wand, der den klobigen, kunstvollen Kopf und Oberkörper eines chinesischen Drachen hatte. Er kämpfte mit der Lasche einer Pepsi-Dose, denn für derlei filigrane Aufgaben waren seine schweren Klauenfinger nicht geschaffen. Und neben der Tür zum Büro der Captain erspähte Leo Pflichtverteidiger Charles Herriman, der wegen seiner Handprothesen Mühe hatte, die jüngsten Fallakten zu balancieren. Beinahe schien es, als hätte er die Situation im Griff, doch dann klingelte sein Handy, und das Jonglierkunststück misslang.
Wanda griff nach der Lehne des Stuhls gegenüber von Leos Schreibtisch und fragte: »Stört es dich, wenn ich mich setze?« Ohne auf seine Antwort zu warten, nahm sie den Stuhl und ließ sich nieder. Ihre Handtasche und eine edel aussehende Büchertasche aus Leder stellte sie neben sich auf den Boden.
»Um der alten Zeiten willen?«, fragte er.
»Um der alten Zeiten willen, klar. Aber ich habe auch ein offizielles Anliegen – etwas verdammt Seltsames, kann ich dir sagen. Aber um ehrlich zu sein, war ich mir nicht sicher, ob ich dich hier antreffen würde. Wusste nicht mehr genau, wie alt du bist.«
»Hab noch fünf Monate vor mir.«
»Ich hoffe, das werden fünf entspannte Monate. Ich möchte nicht, dass du hier mit einem großen Knall rausgehst.«
»Entspannt. Sicher.« Traurig betrachtete er...
Erscheint lt. Verlag | 24.9.2018 |
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Reihe/Serie | Wild Cards - Jokertown | Wild Cards - Jokertown |
Übersetzer | Simon Weinert |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | Wild Cards - Fort Freak |
Themenwelt | Literatur ► Fantasy / Science Fiction ► Fantasy |
Schlagworte | das lied von eis und feuer • eBooks • Fantasy • Game of Thrones • Mutant • New York • Polizei • SPIEGEL-Bestseller • Superhelden • Urban Fantasy • Virus • X-Men |
ISBN-10 | 3-641-23340-2 / 3641233402 |
ISBN-13 | 978-3-641-23340-2 / 9783641233402 |
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