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Der Älteste (eBook)

(Autor)

eBook Download: EPUB
2018 | 1. Auflage
480 Seiten
GOLKONDA VERLAG
978-3-946503-23-1 (ISBN)
Systemvoraussetzungen
9,99 inkl. MwSt
(CHF 9,75)
Der eBook-Verkauf erfolgt durch die Lehmanns Media GmbH (Berlin) zum Preis in Euro inkl. MwSt.
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Eine einfache Zeitungsmeldung führt den Fotografen Ole Meerzen an die Grenze, nicht nur an seine eigene, sondern auch an die der menschlichen Existenz - und darüber hinaus: In Sevilla soll der älteste lebende Mensch entdeckt worden sein. Auf der Suche nach ihm verirrt sich Meerzen in einem bedrohlichen Labyrinth aus seltsamen Erscheinungen und Zweifeln an der Realität, bis er endlich den alterslos wirkenden Mann und seine ewig junggebliebene Tochter ausfindig machen kann ... Ein Science Thriller über die Abgründe menschlicher Geschichte, die dunklen Seiten des Gedächtnisses und die Gefahren der menschlichen Optimierungen. Können wir eine Gesellschaft ohne Tod ertragen?

Otmar Jenner spielte in einer Rockband, arbeitete u.a. als Kriegsfotograf und schrieb den vielbesprochenen Roman 'Sarajevo Safari'. Er lebt in Berlin und unterrichtet Sterbebegleitung. Neben eigenen Musikproduktionen beschäftigt er sich mit fotografischer Kunst.

Otmar Jenner spielte in einer Rockband, arbeitete u.a. als Kriegsfotograf und schrieb den vielbesprochenen Roman "Sarajevo Safari". Er lebt in Berlin und unterrichtet Sterbebegleitung. Neben eigenen Musikproduktionen beschäftigt er sich mit fotografischer Kunst.

ZWEI

Ich hielt die Luft an, atmete anschließend durch meinen Schal, nachdem ich ihn mehrfach um Mund und Nase geschlungen hatte. Wurde langsam richtig unappetitlich hier. Saurer Gestank erfüllte die Kabine. Ich reckte den Kopf, um das Elend in vollem Ausmaß zu betrachten. Sogar die stoischen Minen der Flugbegleiter gerieten in Bewegung. Die Stewardess, ja, ein wirklich hübsches Mädchen mit asiatischen Augen und Grübchen über den Mundwinkeln, wie ich bereits beim Boarding bemerkt hatte, sackte bleich in ihrem rotbraunen Iberia-Kostüm an die Schulter des männlichen Flugbegleiters in den gleichen Farben auf dem Nachbarsitz und bohrte die rosa lackierten Fingernägel ihrer rechten Hand in dessen linken Unterarm.

Mit dieser Geste, das musste er sich eingestehen, war er nicht einverstanden. Was besagten die Statistiken noch mal zur Häufigkeit von Flugzeugabstürzen? Und warum ist 8999 eine Edle, und sind 9949 und 10009 auch welche, 9959 und 10019 aber nicht? Vergleichsweise selten sind die auf 9 Endenden sowieso. Ein Skandal auch, dass es nur eine einzige Gerade gibt. Und überhaupt. 8999 Mal null ergibt null, also nichts. Aber 8999 mal eins ergibt 8999. Wenn das keine himmelschreiende Ungerechtigkeit ist. Müsste nicht 8999 Mal nichts zumindest irgendwas ergeben?, konnte er sich ohne größere Mühe richtig darüber ereifern.

Plötzlich hörte das Zittern und Ächzen auf, das Flugzeug stabilisierte sich und der Ausnahmezustand schien vorbei. Die Flugbegleiter sprangen auf, verstauten herausgefallenes Gepäck, sammelten die Tüten mit Erbrochenem ein, redeten beruhigend auf die Kinder und derangierten Erwachsenen ein. Die Asiatin eilte herbei und reichte seinem Nachbarn Papiertücher, um die Soße im Schritt aufzusaugen, wobei er bemerkte, dass sie wahrscheinlich nur zur Hälfte asiatisch war. Denn als sie sich herüber beugte, fielen ihm ihre brünetten Haare kurz ins Gesicht und machten dabei einen eher mittel- bis südeuropäischen Eindruck auf ihn. Aber das lag vielleicht auch an dem olfaktorischen Nachklang von Chanel No 5, der immerhin sekundenlange Ablenkung von dem nicht so flott zu vertreibenden Kotzgestank brachte. Anschließend blätterte er lustlos in einem Männermagazin, wechselte dann zum Bordmagazin, schlug kurz den Veroux auf, las den Anfang von Seite 23: »Der Tod des ausgehenden Mittelalters, das ist auch der zufällige Tod, der Entbehrungstod des armen Mannes, der Unfalltod des Reisenden, erschlagen am Feldrain, ertrunken in einem Fluss, zufällig getroffen vom Blitz. Das ist der Tod als Fluch, ein hässlicher, gemeiner, hinterhältiger Tod, der Angst einflößt und von niemandem willkommen geheißen wird.«

Er schlug das Buch wieder zu und lehnte sich zurück, begleitet von der Hoffnung, sich doch noch zu entspannen.

Gersons Geschichte, das kann ich rückblickend sagen, endete ziemlich verkrampft. Alter Gerson war ein Freund von mir. Er meinte einmal, es existierten eigentlich nur zwei Arten von Typen. Die einen würden mit vierzig schon tot sein, die anderen über hundert Jahre alt werden wollen. Und dazwischen gäbe es: nichts – nur die echten Leichen, gestorben an der demografischen Wahrscheinlichkeit des Ablebens, also die überwiegende Masse, auch Allgemeinheit genannt. In dem Begriff Allgemeinheit verberge sich ja ein maßgeblicher Bestandteil ihres eigentlichen Wesens, nämlich Gemeinheit. Und es sei schon eine echte Gemeinheit – die meisten Menschen wollten entweder schon tot sein oder noch lange nicht, wenn sie tatsächlich stürben.

Ich habe einen Bekannten, der seinen Sohn Sturm genannt hat, angeblich ein in Vergessenheit geratener urdeutscher Name, was ihn in meinen Ohren nicht schöner macht. Allerdings denke ich an Shakespeare, wenn ich ihn höre, und das hat auch sein Gutes. Gerson hieß wirklich Alter mit Vornamen, denn so haben ihn nicht nur die Lehrer in der Schule genannt, sondern, wenn ich mich richtig erinnere, auch seine Eltern, die ihm den Namen ja verpasst hatten, wohl wissend, dass seine Schulkameraden später »Hey, Alter« und andere, weniger freundliche Sachen zu ihm sagen würden, was meinen Freund Alter aber nie ernsthaft zu stören schien. Wahrscheinlich, weil er längst wusste, dass höchstens die anderen alt werden würden, er aber nicht. Denn er hatte beschlossen, ewig jung zu bleiben. Keine Ahnung, ob sein Vorname, der ja seit seiner Kindheit als weitgreifendes Versprechen selbst ungenannt allgegenwärtig war, ihn in seinen Überlegungen bestärkt hatte, denn so eng waren wir auch wieder nicht, jedenfalls ließ er seinem Beschluss eine Tat folgen: Er sprang an einem Montagmorgen um halb zehn mit dem Kopf voran aus dem siebten Stock, gerade 37 Jahre alt, und wurde daher ewig jung zu Grabe getragen, aber seine Eltern waren mit der etwas irreführenden Namensgebung nicht dafür verantwortlich zu machen.

Einige Monate vor seinem … Weggang war ich mit Gerson verabredet gewesen – ohne zu ahnen, dass es das letzte Mal sein würde. »Alle Menschen sterben gewiss«, meinte er lächelnd, »nur die Selbstmörder vielleicht.«

Ich machte daraufhin wahrscheinlich ein so dämliches Gesicht, dass er Mitleid mit mir empfand und sofort weiterredete: »Ich habe Glück gehabt, meine Zahnarztpraxis ist vor einigen Monaten abgesoffen, Wasserrohrbruch, Totalschaden.«

»Abgesoffen, Totalschaden«, wiederholte ich, »aber das ist ja furchtbar, warum hast du mir nicht schon viel früher davon erzählt? Vielleicht hätte ich dir irgendwie helfen können.«

»Ach, war gar nicht so schlimm,« antwortete er. »Habe eine halbe Million von der Versicherung kassiert.«

»Klingt gut«, erwiderte ich, nun froh für meinen Freund.

»Na ja«, sagte er daraufhin und zog die Stirn kraus. »So gut nun auch wieder nicht. Du kennst mich. Bin mit hunderttausend ins Casino und mit fünfzigtausend wieder raus. Eigentlich keine große Sache, aber daraufhin hat sich meine Liebste von mir getrennt.«

»O Mann«, sagte ich. »Ich wusste gar nicht, dass du eine Freundin hast. Erst die Praxis weg, dann das Geld, dann die Dame deines Herzens, das klingt ja echt nicht so toll.«

»Nee«, er grinste, »hab schon ’ne neue.«

»Wie schön für dich«, sagte ich und spürte, wie mein Herz zu klopfen anfing.

»So schön nun auch wieder nicht«, entgegnete er.

»Wieso?«, fragte ich, zunehmend neugierig, was noch kommen würde.

»Sie sagt, sie liebt mich, aber sie hat gleichzeitig ein Verhältnis mit einem anderen Mann, einem Piloten bei der Lufthansa.«

»Oh, das tut mir leid«, sagte ich. »Kann mir vorstellen, dass das sehr verletzend ist für Dich.«

»Das nun auch wieder nicht«, sagte er mit siegesgewissem Blitzen in den Augen. »Er ist sehr viel unterwegs. Und wann immer er weg ist, bin ich bei der Frau.«

»Okay«, sagte ich gedehnt. »Das wiederum klingt ja eigentlich ganz gut.«

»Meine ich doch«, erwiderte er mit einem neuerlichen Grinsen. »Man kann sich auf nichts wirklich verlassen. Nur der Tod ist gewiss.«

»Mensch, Alter«, sagte ich nach einer Weile, leicht verwirrt durch die Wendungen des Gesprächs.

»Was?«, sagte er und blickte mich direkt an.

»Du klingst, als wärst du auf deine alten Tage fast weise geworden.«

»Ich«, sagte er, »habe jedenfalls einen Entschluss gefasst.«

Danach verlief sich das Gespräch ohne erkennbaren Grund. Er verriet mir nicht, was für einen Entschluss er gefasst hatte, vermutlich, so nahm ich an, weil ich es nach seiner Vorstellung ja ohnehin rechtzeitig erfahren würde. Er verabschiedete sich mit einer flüchtigen Umarmung, was er noch nie zuvor getan hatte. Wahrscheinlich hätte ich genauer nachfragen, seine Widerstände überwinden sollen. Eigentlich hätte ich im Verlauf dieses Gesprächs erkennen müssen, wohin Gersons Leben lief oder vielmehr fiel.

Ein früher Tod, das ist mir erst durch Alter Gerson wirklich bewusst geworden, erscheint nicht wenigen Menschen so reizvoll wie das ewige Leben. Mir persönlich war die suizidale Überambitioniertheit mancher Zeitgenossen schon immer ein Rätsel. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht … Träumen Sie nicht auch davon, alt zu werden, womöglich sehr alt, Minimum hundert, also über die Schallgrenze hinweg. Je länger man schon dabei ist, umso lieber möchte man dabei bleiben und die Grenze überwinden. Allein schon aus Sportsgeist. Und weil dann der Bürgermeister zum Geburtstag kommt. Na ja, vielleicht macht er das inzwischen auch nicht mehr. Die Menschen werden ja immer älter, und einhundert ist nicht mehr das, was es noch in den fünfziger, sechziger und siebziger Jahren war, nämlich ein Ereignis von fast aufrührerischer, politischer Dimension, eine gerontologische Individualrevolte.

Schon damals gab es diese Berichte von sehr alten Menschen, vermehrt anzutreffen in sogenannten Blauen Zonen. Etwa in der Stadt Limo Lina in Kalifornien, auf der griechischen Insel Ikaria, dem japanischen Okinawa, der Nicoya-Halbinsel in Costa Rica sowie vierzehn Bergdörfern in der Nähe von Villagrande Strisaili auf Sardinien. Pro hunderttausend Einwohner leben dort einunddreißig über Hundertjährige.

Warum ziehen wir da nicht einfach hin?, werden Sie jetzt wahrscheinlich fragen. Ja, ich habe auch schon darüber nachgedacht. Ist wahrscheinlich gesünder als Berlin, Hamburg oder München, London, New York, Istanbul oder Manchester. Allerdings … Genau – dieselbe Überlegung habe ich dann auch angestellt und die Übersiedelungspläne nach Sardinien wieder aufgegeben.

Heute denke ich noch mal anders – mir immer klarer als ich selbst bewusst werdend und bloß hin und wieder als eine zweite Person...

Erscheint lt. Verlag 15.3.2018
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror
Schlagworte Aliens • Alter • Andreas Eschbach • Außerirdische • Frank Schätzing • Geschichte • Menschheit • Menschliches Gedächtnis • Thriller
ISBN-10 3-946503-23-3 / 3946503233
ISBN-13 978-3-946503-23-1 / 9783946503231
Informationen gemäß Produktsicherheitsverordnung (GPSR)
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