Folge 31/32 - Chronik der Sternenkrieger Doppelband (eBook)
380 Seiten
Uksak E-Books (Verlag)
978-3-7389-1819-9 (ISBN)
ALS FERNAND DIE BRÜCKE der PHOENIX betrat, lief gerade das Austrittsmanöver aus dem Sandströmraum.
„Achtung, Captain auf der Brücke!“, meldete Gus Ashrawan. Allan Fernand musste innerlich darüber schmunzeln, dass in der zivilen Raumfahrt vielfach dieselben militärisch verstaubten Umgangsformen herrschten wie im Space Army Corps oder anderen Teilen der Streitkräfte - und das, obwohl nicht der Hauch einer Notwendigkeit dazu bestand. Wahrscheinlich deswegen, weil Raumfahrt und Militär bereits von Beginn an auf der Erde miteinander verzahnt gewesen waren, und zwar auf eine so enge Weise, dass es mittlerweile kaum noch zu trennen war. Das galt schon für die Apollo-Missionen aus der Steinzeit irdischen Vortastens in den erdnahen Weltraum.
Fernand verbarg sein Amüsement über die etwas steife militärische Art. „Machen Sie weiter, I.O.“, sagte er und nahm in seinem Kommandantensessel Platz.
Gus Ashrawan, der indischstämmige Erste Offizier der PHOENIX II hatte die Space Army Corps Akademie niemals von innen gesehen. Stattdessen hatte er eine der privaten Raumfahrerschulen besucht, die vor allem auf dem Mars existierten. Der Mars war früher, vor der letzten Jahrhundertwende, das bedeutendste Zentrum der irdischen Raumindustrie gewesen - bis die Entdeckung der Ontiden 2204 zu einem weiteren Sprung in der Technik geführt hatte.
„Austritt aus dem Sandström-Raum in zehn Sekunden“, meldete Ruderoffizier Mark Ratlor, der zuvor als Frachtpilot und Handelsfahrer in der zivilen Raumfahrt Erfahrungen gesammelt hatte. Er hatte jedoch sein Handwerk ganz woanders gelernt – nämlich an der Brüderschule der Olvanorer auf Sirius III, wo man sich neben vielen anderen Studiengängen auch zum Piloten ausbilden lassen konnte. Die Brüderschule galt neben der Far Galaxy-Akademie auf Sedna als die beste Universität innerhalb der Humanen Welten – zumindest seitdem sich die Genetiker-Föderation der Drei Systeme ganz offiziell von diesem Weltenbund der von Menschen besiedelten Planeten getrennt hatte. Natürlich war man dort wissenschaftlich zumindest auf dem Gebiet der Genetik (und mittlerweile sicher auch der Raumfahrt) dem Standard von Sirius oder Sedna um Jahre voraus.
Mark Ratlors Werdegang wies insofern eine Besonderheit auf, weil er die Pilotenausbildung an der Brüderschule zunächst als Olvanorer-Mönch begonnen hatte, später aber aus dem Orden wieder ausgetreten war. Seine Ausbildung hatte er trotzdem abschließen können, denn die Brüderschule stand – im Gegensatz zu den spezifischen Lehrgängen im Kloster von Saint Arran – nicht nur Ordensmitgliedern offen, sondern allen, die die ausschließlich leistungsbezogenen Zugangsvoraussetzungen erfüllten.
Als Ratlor und Fernand anfangs zusammen für den Far Galaxy-Konzern auf Forschungsmission gegangen waren, war das Verhältnis zwischen ihnen angespannt gewesen. Fernand war inzwischen auch vollkommen bewusst, warum: Es hatte einfach damit zu tun, dass der Navigator vom Orden erwählt worden war. Aber er hatte diese Ehre schließlich zurückgewiesen – während Fernand sich genau das glühend gewünscht hätte. Und nicht nur das: Mark Ratlor schwieg trotz neugieriger Fragen eisern über das, was einen Menschen ausmachte, um ihn überhaupt erst für die Mitgliedschaft bei den Olvanorern zu befähigen. Fernand hatte es zeitweilig regelrecht rasend gemacht, nicht zu wissen, nach welchen Kriterien der Orden seine Mitglieder auswählte.
Zumindest, was die offenbar entscheidenden Kriterien anging, wusste er darüber ebenso wenig wie der Rest der Menschheit. Die mehr oder minder offensichtlichen Gesichtspunkte erfüllte er: Er war ein Mann und er teilte den theosophischen Glauben der Olvanorer. Aber darüber hinaus musste es bei der Berufung von Mitgliedern wichtige Dinge geben, die ihn ausgeschlossen hatten. Fernand hatte lange Zeit bei sich selbst nach den Fehlern gesucht.
Fakt war, dass die Olvanorer jeden Bruder so ausbildeten, dass er besondere empathische Fähigkeiten entwickeln konnte. Ein Kommilitone hatte ihm einst gesagt, dass ihm vielleicht die nötige Sensibilität im Umgang mit seinen Spiegelneuronen fehle - und dies sei eine Voraussetzung dafür, überhaupt diese besondere Empathie erlernen zu können. „Vielleicht ist diese Veranlagung genetisch bedingt“, hatte der Kommilitone vermutet. „Dann wäre es vielleicht auch mehr als nur die Tradition eines Mönchsordens, dass dort nur Männer aufgenommen werden, denn bei ihnen reicht wegen des Y-Chromosoms das einfache Vorhandensein der Disposition, damit die Veranlagung zum Tragen kommt – während eine Frau die genetische Disposition auf beiden X-Chromosomen benötigt, was statistisch einem Lotteriegewinn gleichkommt. Wie bei der Bluterkrankheit...“
Für Fernand war das jedoch kein Trost gewesen.
Er hatte das Gefühl, eine Prüfung nicht bestanden zu haben, ohne dass ihm je jemand gesagt hatte, was er falsch gemacht hatte. Und jemand wie Ratlor, der die Voraussetzungen offenbar spielend erfüllt hatte, war für Fernand per se schon eine pure Provokation.
Dazu kam noch, dass sich Ratlor im persönlichen Umgang ganz und gar nicht durch das fast sprichwörtliche Einfühlungsvermögen der Olvanorer auszeichnete. Während ein ordentlich ordinierter Olvanorer-Mönch häufig schon dank kleiner Gesten und Veränderungen in der Tonlage des Gegenübers zu interpretieren wusste, in welcher Gemütslage sich der Gesprächspartner gerade befand, zeichnete Ratlor sich durch eine ebenso bemerkenswerte Unbekümmertheit in Sachen Sensibilität aus. Er galt als schroff und direkt. Diplomatisches Talent hatte er bestimmt nicht, was das Rätsel seiner eigenen Zurückweisung für Fernand komplett machte. Denn er selbst hatte durchaus ein solches Talent, was ihm als Captain eines Raumschiffs schon mehr als einmal nützlich gewesen war. Schließlich gab es immer wieder Streitigkeiten sowohl auf dienstlicher als auch auf persönlicher Ebene zu schlichten und Menschen zu führen.
„Austritt aus dem Zwischenraum!“, meldete Ratlor mit monotoner Stimme. „Geschwindigkeit beträgt genau 41 Prozent der Lichtgeschwindigkeit.“
„Dann sind wir wieder etwas zu schnell“, stellte Gus Ashrawan stirnrunzelnd fest. Der Erste Offizier stellte eine Kom-Verbindung zum Maschinendeck her.
„Sir?“
Das Gesicht einer Blondine mit strenger Knotenfrisur und Nasen-Piercing erschien auf einem Nebenbildschirm. Letzteres hätte die Leitende Ingenieurin Maria Ibeira vom Dienst im Space Army Corps ganz sicher ausgeschlossen. Aber bei dem Nasen-Piercing handelte es sich nicht um ein Schmuckstück. In Wahrheit war ein Dosimeter für Von-Schlichten-Strahlen darin verborgen. Über einen Sender war das Von-Schlichten-Dosimeter mit dem Bordrechner und den Analysefunktionen des Astrolabors verbunden. Jeder, der im Maschinentrakt Dienst hatte, musste so ein Dosimeter tragen, um die Belastung an sogenannter Von-Schlichten-Strahlung zu messen, die vor kurzem in den Labors des Far Galaxy-Konzerns entdeckt worden war - und die offenbar die sogenannte 5-D-Strahlung neutralisierte, die irgendwie untrennbar mit den Artefakten der Alten Götter in Verbindung stand. Genaugenommen war Professor Yasuhiro von Schlichten an der Entdeckung dieser Strahlen gar nicht beteiligt gewesen. Auch am ersten wirksamen Triebwerk-Schutz vor dem Einfluss der 5-D-Strahlung hatte er nicht mitgewirkt. Allerdings fand nicht nur er, sondern auch der Far Galaxy-Konzern es nur angemessen, diesem genialen Wissenschaftler und zeitweiligen Entwicklungschef ein Denkmal zu setzen. Verdient hatte er es - und man musste solchen Überlegungen der Gerechtigkeit halber hinzufügen, dass wirklich nicht nur von Schlichten selbst dieser Ansicht war.
Es handelte sich allerdings um ein Denkmal, das bislang noch immer verhüllt war. Die Existenz dieses Schildes, mit dessen Hilfe man die besonders für die Technik der Sandström-Aggregate verhängnisvolle 5-D-Strahlung neutralisieren konnte, war bislang hoch geheim. Außer den Besatzungsmitgliedern der PHOENIX und ein paar wichtigen Personen im Konzern wusste niemand etwas davon. Selbst das Space Army Corps hatte bisher keine Ahnung von dieser Entwicklung und vermutlich sogar nicht einmal Yasuhiro von Schlichten, der Namensgeber des Aggregats und der Strahlen, selbst.
Noch war das Von-Schlichten-Aggregat, das man zur Erzeugung der neutralisierenden Strahlung an das Sandström-Aggregat der PHOENIX angesetzt und mit diesem zusammengeschaltet hatte, ein Prototyp, der erst ausprobiert werden musste. Die technische Reife schien in greifbarer Nähe, war aber eben noch nicht erreicht und von daher wollten die Konzern-Oberen natürlich vermeiden, dass irgendjemand anderes Far Galaxy gewissermaßen die Butter vom Brot nahm. Der Konzern hatte einen Ruf zu verlieren.
Von Schlichten, der so oft zwischen einer Beschäftigung bei Far Galaxy und offiziellen Stellen der Humanen Welten wie dem Space Army Corps hin und her gewechselt war, dass sein gegenwärtiger Status für so manchem im Space Army Corps und bei Far Galaxy mittlerweile ein Rätsel darstellte, befand sich auch nicht an Bord der PHOENIX.
Da er vor Beginn dieser Mission im Sol-System geweilt hatte, reiste er...
Erscheint lt. Verlag | 24.7.2020 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Fantasy / Science Fiction ► Science Fiction |
ISBN-10 | 3-7389-1819-1 / 3738918191 |
ISBN-13 | 978-3-7389-1819-9 / 9783738918199 |
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