Die Entdeckung der Tau-Wellen stellt die Naturwissenschaft auf den Kopf: diese Wellen bewegen sich vorwärts und rückwärts durch die Zeit und können dabei Informationen übertragen. Noch während die Wissenschaftler diese 'Zeitmaschine' erforschen, treffen beunruhigende Nachrichten aus der Zukunft ein. Nach und nach wird klar: wenn die Forscher ein gewaltiges Unglück verhindern wollen, müssen sie Informationen in die Vergangenheit senden - obwohl sie wissen, dass das ihre eigene Zeit unwiderruflich verändern wird ...
James P. Hogan (1941-2010) wuchs im Londoner Westen auf. Sein erster Roman Das Erbe der Sterne erschien 1977. Sein wissenschaftlich-technisch orientierter Schreibstil fand großen Anklang, sodass Hogan mehrere Nachfolgeromane schrieb. Er wurde oft mit seinem Landsmann Arthur C. Clarke verglichen. Bis zu seinem Tod lebte er mit seiner Frau Jackie, mit der er in dritter Ehe verheiratet war, in Florida und Irland.
2
»Hast du je von Bannockburn gehört?«, fragte Murdoch über das gedämpfte Brummen des Automotors hinweg.
»Irgendein schottischer Baron?«, versuchte Lee zu raten.
»Es ist ein Ort, linker Hand und noch etwas weiter die Straße rauf. 1314 hat es dort eine Schlacht gegeben. Die Schotten hatten die Engländer aus ganz Schottland rausgeworfen, bis auf die Burg bei Stirling. Das ist die Stadt, in die wir gleich kommen. Einer der englischen Könige, Edward II., stellte eine Armee auf, um sie herauszuhauen, wurde aber von Bruce vernichtend geschlagen.«
»Schotte?«
»Ja, und vor dieser gab es noch eine andere Schlacht hier, 1297. Die hat Edward I. verloren. Die Edwards hatten nicht besonders viel Glück hier, würde ich sagen.«
»Ich wusste gar nicht, dass du dich für all das interessierst«, sagte Lee.
Murdoch zuckte die Achseln. »Vielleicht kommt mein Großvater in mir durch. Weißt du, es würde mir nichts ausmachen, hierherzuziehen und eines Tages hier zu leben. Sieh dir die Steinmetzarbeiten an einigen der Gebäude an. Ich wette, dass sie angefertigt wurden, bevor irgendjemand etwas von Kalifornien gehört hat.«
Sie hatten sich entschieden, den örtlichen Flugservice nach Inverness, der ungefähr hundertfünfzig Kilometer entfernt im Norden gelegenen Stadt, nicht zu nutzen, da es keinen großen Unterschied gemacht hätte, was ihre Gesamtreisezeit betraf. Stattdessen hatten sie am Flughafen einen Bodenwagen gemietet und waren einige Kilometer westlich von Edinburgh in Richtung des schottischen Tieflands gefahren. Dann – der Bodenwagen wurde von einer Fernsteuerung auf der kontrollierten Haupt-Autobahn geführt – hatten sie sich nach Norden gewandt, um Perth zu durchfahren, die ehemalige, häufig belagert gewesene Hauptstadt, wo sie den Tay genannten Fluss überqueren würden.
Lee drapierte seinen Arm auf dem Fensterrand und beobachtete eine Zeitlang die Gegend. »Ein nettes Land«, räumte er schließlich ein. Das kam einem Lob so nahe, wie schlechterdings zu erwarten war.
Murdoch schürzte die Lippen und nickte. »Jetzt weißt du, warum ich hierherkomme, so oft ich kann.«
»Wie kommt's, dass dein Vater so gut wie nie darüber spricht?«, fragte Lee. »Ich denke, mit einem Namen wie Malcolm und eine Generation näher sollte er voll davon sein. Schlägst du aus der Art oder so was?«
»Eher andersherum«, erwiderte Murdoch und schüttelte den Kopf. »Er schlägt aus der Art. Großvater war – und ist immer noch – theoretischer Physiker. Sein Vater war Mathematiker. Bei mir geht's auch ins Mathematische, glaube ich. Soweit ich weiß, ist Vater der einzige in einer langen Reihe, der nicht einmal ein Scheckbuch aufrechnen kann. Was ihn nicht davon abgehalten hat, Geld zu machen.«
»Vielleicht ist das der Grund«, sagte Lee. »Für sechzig kaufen, für hundert verkaufen und zehn Prozent machen. Jetzt weiß ich, warum ich keine Bilanzen lesen kann. Ach ja … ich glaube, ich werde nie reich werden.« Er schwieg einen Moment und fuhr dann fort: »Dein Vater ist eindeutig ein hundertprozentiger Amerikaner. Wenn dein Großvater anders ist, wie ist er dann? Trägt er Kilts und läuft mit Dolchen in den Socken herum und all das?«
»Dirks heißen die Dinger«, sagte Murdoch grinsend. »Nein … nicht oft jedenfalls. Nur bei formellen Anlässen. Aber du hast recht – er ist ziemlich traditionell. Ich glaube, das ist etwas, das auch in allen Ross' steckt. Vielleicht mag ich deshalb schottische Geschichte.«
»Und er ist immer noch so, nach …? Wie lange war dein Großvater in den Staaten, bevor er nach Schottland zurückging?«
»Ungefähr vierzig Jahre, denk' ich. Aber Menschen wie er ändern sich nicht so leicht. Du wirst verstehen, was ich meine, wenn du ihn triffst.«
Von Perth aus folgten sie dem Tay-Tal in die Hochländer von Gramp, ein achtzig Kilometer durchmessendes Meer sturmumtoster, durch den Winterschnee schockgefrorener Granitwellen. Bei Kingussie, einer Stadt im Tal von Strath, schaltete Murdoch auf Handsteuerung und fuhr von der Autobahn Perth-Inverness in die Monadhliath-Berge, die letzte Etappe der Reise nach Glenmoroch. Innerhalb weniger Minuten waren die letzten verbliebenen Zeichen des Weltraum-Zeitalters vollständig verschwunden. Die Straße wurde einspurig und wand sich sorglos zwischen den Füßen hoffnungslos aus dem Schritt gekommener, steiler, eiszeitverschobener Regimenter von Hängen und weiter, um eisige Bäche und Lochs mit gekräuselter Oberfläche, die in der Winterkälte zu zittern schienen. In Abständen tauchten Waldungen aus Lärchen und Pinien auf, deren Flecken die unteren Abschnitte der Hügel wie zerrissene Hemden bedeckten. Weiter oben dünnten sie aus oder drängten sich in niedrige, enge Schluchten, wo sie unter steilen Hängen aus Geröll oder überragenden Felsvorsprüngen kauerten. Nur hin und wieder auftauchende Bauernhäuser, Brücken oder Steinwälle erinnerten noch daran, dass die menschliche Rasse existierte.
Sie umrundeten die Windung bei einer der Farmen und fanden die Straße von einem Miniaturmeer von Schafen blockiert, die ein mürrischer Farmer, ein Helfer und drei schwanzlose Hunde durch ein Gatter auf eins der angrenzenden Felder trieben. Murdoch ließ den Wagen einige Meter vor der blökenden, hüpfenden Flut ausrollen.
Lee schüttelte ungläubig den Kopf. »Das kann nicht wahr sein«, sagte er. Murdoch grinste und setzte sich zurück, um zu warten. Er sah den Hunden zu. Während seiner früheren Reisen nach Schottland hatte er gelernt, die unglaubliche Fähigkeit der Schäferhunde zu bewundern, ihre Bewegungen untereinander zu koordinieren und jede befehlende Geste, jeden Pfiff vorauszuahnen. Trainierte Hunde fanden Freude an der Arbeit und wurden bald unruhig, wenn sie sie entbehren mussten; wie viele Menschen konnten auch Tiere von Gewohnheiten abhängig werden. Während eines seiner Besuche in Glenmoroch hatte sich ein Schäferhund Bob Fergusons, dem eine Farm am Dorfrand gehörte, ein Bein verletzt. Der Tierarzt hatte dem Tier eine Woche Ruhe verordnet, was bedeutete, dass es nicht mit in die Hügel konnte. Der Hund beschäftigte sich damit, stattdessen die Hühner zu hüten.
Murdoch hob den Blick und betrachtete den älteren der beiden Männer, der ein schweres Tweed-Jackett und Hosen aus dem gleichen Stoff trug, die in kniehohen Gummistiefeln steckten; eine flache Schirmmütze bedeckte das ergrauende Haar. Das Gesicht hatte die Farbe gekochten Hummers und zeigte tiefe, wettergegerbte Linien, unter den buschigen Augenbrauen brannten die Augen durch Schlitze, die ein ganzes Leben in Bergwinden und Regen hervorgebracht hatte. Es war ein Gesicht, dachte Murdoch, das wie die Granitklippen von den Elementen gemeißelt worden war, die das Hochland lange vor den Vorfahren der Pikten und Kelten beherrscht hatten, die von England nach Norden oder vom Rheindelta über das Meer gekommen waren. Es war ein Gesicht, das hierher gehörte.
Die letzten Streuner wurden zusammengetrieben und durch das Gatter geschickt. Der Farmer hob seinen Stock, um sich für die Geduld des Fahrers zu bedanken, und Murdoch antwortete mit einem Winken, als er den Wagen wieder in Bewegung setzte.
»Das würde ich gern mal auf der San Francisco-Los Angeles-Schnellbahn sehen«, sagte Lee.
»Hier wartet die Zeit auf die Leute«, erklärte Murdoch ihm.
Die Erwähnung der Zeit ließ Lees Gedanken zu dem zurückwandern, was sie kurz auf dem Kennedy-Flughafen diskutiert hatten. Sie hatten weitere zwei Kilometer zurückgelegt, als er schließlich sprach. »Angenommen, dein Großvater hat recht. Was geschieht dann mit dem freien Willen? Falls du Information durch die Zeit zurücksenden kannst, kannst du mir sagen, was ich getan habe, noch bevor ich überhaupt dazu gekommen bin. Angenommen, ich ziehe es vor, es nicht zu tun?« Er wandte sich halb in seinem Sitz um und sah Murdoch herausfordernd an. »Was zwingt mich dazu, es zu tun? Also tue ich es nicht, und keine Information wird je zurückgesandt, die sagt, dass ich es getan habe. Aber ich habe sie bereits erhalten.« Er zuckte mit den Achseln. »Die ganze Sache ist verrückt.«
»Serielle Universen«, schlug Murdoch vor, den Blick unablässig auf die gewundene Straße gerichtet. Offensichtlich hatte er ebenfalls nachgedacht.
»Was ist damit?«
»Angenommen, dass alle Vergangenheiten, die je existiert haben, und alle Zukünfte, die je existieren werden, genauso real sind wie die Gegenwart. Die Gegenwart vermittelt nur die Illusion, wirklicher zu sein, weil wir sie nun einmal wahrnehmen … in derselben Weise wie das Teilbild eines Films, das im gegebenen Augenblick gerade auf der Leinwand ist, wirklich erscheint, das macht aber die anderen Teilbilder auf der Spule nicht weniger real. Ergibt das einen Sinn?«
»Kommt drauf an, was du meinst«, erwiderte Lee. »Meinst du, dass alle diese Vergangenheiten genauso existieren, wie wir sie in Erinnerung haben?«
»Nein. Das ist genau der Punkt. Sie könnten anders sein. Zum Beispiel könnte das 1939, das ›jetzt‹ hinten auf der Zeitlinie existiert, überhaupt keinen Hitler enthalten. Wenn es sein eigenes 1945 erreicht, wird der Zweite Weltkrieg nicht geschehen sein, und es wird eine Geschichte entwickelt haben, die sich von unserer total unterscheidet.« Murdoch schloss bedeutungsvoll ein Auge und sah Lee mit dem anderen fragend an.
Lee lehnte sich zurück und starrte stirnrunzelnd durch die Windschutzscheibe auf die Landschaft. »Und so wird dieses Universum schließlich sein eigenes 2010 erreichen, mit einem Doc und einem Lee, die überhaupt nicht in Schottland sind … oder vielleicht ohne irgendeinen Doc oder einen Lee. Zu diesem Zeitpunkt wird dieses Universum, das, in dem wir uns befinden, sein … äh, ja 2065...
Erscheint lt. Verlag | 26.2.2018 |
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Übersetzer | Leo P. Kreysfeld |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | Thrice upon a time |
Themenwelt | Literatur ► Fantasy / Science Fiction ► Science Fiction |
Schlagworte | diezukunft.de • eBooks • Hard SF • Paradoxon • Quantenphysik • Zeitmaschine • Zeitreise |
ISBN-10 | 3-641-23134-5 / 3641231345 |
ISBN-13 | 978-3-641-23134-7 / 9783641231347 |
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