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Schwarz und ohne alles (eBook)

Erzählungen
eBook Download: EPUB
2018 | 1. Auflage
221 Seiten
Aufbau digital (Verlag)
978-3-8412-1536-9 (ISBN)
Systemvoraussetzungen
4,99 inkl. MwSt
(CHF 4,85)
Der eBook-Verkauf erfolgt durch die Lehmanns Media GmbH (Berlin) zum Preis in Euro inkl. MwSt.
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Wenn Holy die Decke auf den Kopf fällt, geht sie in 'Vanessas Salon'. Hier findet sie außer Klatsch auch ein offenes Ohr für ihre Sorgen, immer Trost und manchmal Rat. Der Mensch braucht Kontakt, sonst wird er sonderbar, meinen dort alle, und wenn Holy wieder zu Hause ist, hat sie nicht nur eine neue Frisur, sondern weiß, wie andere mit dem Leben umgehen, und fühlt sich gleich besser. In so einem Salon ließen sich Geschichten hören wie die von Holy oder Paul oder Ottilia. Und wenn man so genau beobachten würde wie Gabriele Wohmann, könnte man den Moment ausmachen, in dem sie erkennen, wie die Liebe ist oder das Unglück. Man kann sich aber auch gleich in das Wohmann'sche Parallel-Universum aus skurrilen oder tröstlichen Beziehungen begeben und eines lernen: sie zu durchschauen.

Gabriele Wohmann, 1932 in Darmstadt geboren, gehörte zu den wichtigsten Schriftstellerinnen Deutschlands. Ihr umfangreiches Werk umfasst Romane, Gedichte, Essays, Hör- und Fernsehspiele, vor allem aber galt sie als eine Meisterin der Kurzgeschichte. Mit scharfem, ironischem Blick und einem Gespür für die verborgenen Dramen des Alltags schrieb sie unverwechselbare und stets pointierte Shortstorys über die Abgründe und Tröstungen des normalen Lebens. Gabriele Wohmann erhielt zahlreiche Preise, darunter den Bremer Literaturpreis und den Hessischen Kulturpreis, und das Große Bundesverdienstkreuz. Sie starb am 22. Juni 2015 in Darmstadt.Im Aufbau Verlag erschienen die Sammlungen 'Scherben hätten Glück gebracht', 'Schwarz und ohne alles', 'Wann kommt die Liebe', 'Eine souveräne Frau. Die schönsten Erzählungen' (Hrsg. von Georg Magirius) sowie 'Weihnachten ohne Parfüm'.

Little Land


Ich musste sehr früh aufstehen, ich hoffte, nicht wieder vergeblich wie so oft in den letzten Wochen. An diesem Montag sollte es trocken bleiben. Endlich könnten die Anstreicher für mein Landhäuschen kommen, mein Little Land. Alle finden mein Leben zu hart, irgendwie streng, und einsam auch. Und niemand hat sich mit mir begeistert, als ich draußen in der Prärie Little Land erworben habe. Noch mehr Sparta, erst recht Einsamkeit: Mein nächster Nachbar wohnt sieben Meilen von Little Land entfernt. Ich entbehre nichts, Shakespeare genügt mir.

Neun Uhr, hatte David gesagt, neun Uhr am Landhäuschen, aber nach früheren Erfahrungen mit ihm konnte ich das nur halb ernst nehmen. Es ist auch schon vorgekommen, dass er vor der verabredeten Zeit an Ort und Stelle war. Weil ich nichts riskieren wollte, habe ich mich aus einem schlingpflanzenartigen Traumschlafdickicht gerissen und dabei, wie immer bei sehr frühem Aufstehen, das ist kriminell gedacht. In Little Land müsste ich die Sicherung für die elektrische Pumpe anstellen, Shakespeare in den Zwinger sperren und werweißwas noch vorbereiten. Nach dem Sonntagsausflug mit Shakespeare fühlte ich mich eigentlich für jede Bewegung zu abgenutzt. Wir hatten Spitzmorcheln und Maipilze gesucht, ich sage wir, Shakespeare hat natürlich keine Pilze gesucht, war jedoch als Gesellschaft eine große Hilfe. Fast, weil ich so bleiern war, hätte ich mir Regen gewünscht und damit einen Aufschub der dringenden Arbeit in Little Land. Da klingelte um halb acht das Telephon. Es war David. Er sagte, ihr Arbeitsplan habe sich verschoben, und sie könnten nicht kommen. Also bis dann, Dienstag.

Wirklich, verrückt, aber ich war richtig erleichtert. Ich bin sonst nicht so. Ich holte die Lokalzeitung herein, ich abonniere sie fast nur wegen der lokalen Wettervorhersage. Für Montag lautete sie: cooler, late t-storms 67 °/36°. Für Dienstag: cooler yet, with showers 53°/ 33°. Das machte auch den Dienstagstermin ziemlich unwahrscheinlich. Aber David hatte entschlossen geklungen, und ich fragte Shakespeare, der zweimal aufmunternd bellte, alles okay?, und er grinste auch. Ich sage lieber keinem mehr, dass Shakespeare grinsen kann, sogar lachen, ich habe keine guten Erfahrungen damit gemacht.

Ich hatte an diesem Montag aus Nervosität mein Zigaretten-Gesetz überschritten, eine pro Stunde, wie Breshnew mit seiner eigens dafür konstruierten Maschine oder was immer es bei ihm war, das ihn vor der Stundenfrist an keine Zigarette heranließ. Und den zweiten Pulverkaffee hatte ich mir auch schon aufgegossen, war jetzt richtig wach und konnte mir einen Tagesplan machen. Ich bereitete mein Osteoporose-Frühstück zu: mit einem aus Algen hergestellten Calcium-Pulver. Ich leerte zwei der Kapseln in einen Glasnapf, verrührte es mit drei Löffeln Yoghurt, garnierte alles mit etwas Gefriergelee. Danach esse ich meistens einen Toast mit Tomate und zusammen mit Shakespeare ein bisschen Thunfisch. Keine Ahnung, ob das Osteoporose-Frühstück meinen Knochen nützt, ich habe mich entschlossen, daran zu glauben.

Und der Tagesplan nahm Gestalt an. Ich würde noch heute nach Little Land hinausfahren und übernachten, um morgen David und seine Gehilfen früh gleich dort zu empfangen. Vorher würde ich einige Besorgungen in der Stadt machen, zu Haus gab es auch eine Menge zu erledigen, mehrere Telephonate, eine dringende E-Mail beantworten (mein Doktorand hatte Fragen, die nicht bis Semesteranfang warten konnten, er hatte sich in eine Sackgasse geschrieben, wie es aussah). Es hat übrigens etwas geregnet, zuerst als Nieseln, dann mit einem Schauer. Ich stopfte noch eine Ladung Wäsche in die Waschmaschine, holte die Post rein und sortierte sie. Danach kümmerte ich mich um Shakespeares und meinen Proviant. Shakespeare, der mittlerweile alle Zeichen deuten kann, wimmelte dauernd um mich herum, blickte immer wieder auf, erwartungsfroh grinsend. Ab und zu ein kleines kurzes Einverständnisgebell. In seinem lachsfarbenem Fell erkennt man Zecken gut, und ich sah eine, seine gute Laune aber war mir wichtiger, und ich würde ihn ein anderes Mal damit plagen. Shakespeare, und das macht ihn so britisch, hat die großen ernsten Bassey-Augen, als Tierheim-Hund kennt keiner seine Eltern, es müssen Labrador und Retriever gewesen sein. Für beide ist er ein wenig zu kurzbeinig. An mich gewöhnt, das ist dreieinhalb Jahre her, hat er sich sozusagen über Nacht. Nicht viel später wurde es Liebe.

Um die Mittagszeit kamen wir in Little Land an. Zuerst schloss ich alle Bewässerungsschläuche an, postierte einen Sprenger unter die Weiden, den zweiten im kleinen Gemüsegarten, außerdem stellte ich die ausgedehnte Tropfanlage für die weiter entfernten Bäume auf der Südseite an. Danach wärmte ich mir eins der knapp bemessenen banquets in der Mikrowelle auf, diesmal sour chicken with rice. Mit Mahlzeiten gebe ich mich nie lang ab, was auch wieder als spartanisch kritisiert wird. Shakespeare servierte ich einen Imbiss aus gekochtem Ei und ebenfalls Reis, und ich schaute zu, wie er es genoss, das macht mir gute Laune. Er fraß schnell, aber blickte zwischendurch zu mir auf, wir waren in seinem großen Zwingerhaus bei offener Tür. Er war so rührend und lieb und glücklich, ich liebte ihn. Gestern beim Pilzsuchen auch, obwohl ich schimpfen musste, weil er störte. Aber was zählt, ist seine gute Laune, und insofern ist er immer ein Beistand.

Als wir hineingefahren waren, hatte Shakespeare schutzengelhaft mit warnendem Knurren gegen die schwarzen Kühe protestiert, die auf der Ostseite des Zufahrtswegs weideten. Ich gab ihm einen kleinen Klaps, ich sagte: Nein nein, die sind nett, schau nur, wie schön sie sind, und ich fand, er sah überrascht und enttäuscht aus. Eine Kuh war uns entgegengetrottet und blieb unmittelbar vor uns am Drahtzaun stehen, und ich hielt bei laufendem Motor an. Die Kuh fixierte mich. Den Ausdruck ihrer großen nassen Augen fand ich schwermütig. Shakespeare blieb still. Diese Herdentiere da draußen bekommen ja fast nie Menschen zu sehen, überhaupt keine Abwechslung. Mir kam die Kuh nachdenklich vor, so als würde sie versuchen, sich an etwas zu erinnern. In diesem Moment, wahrhaft einen Augenblick, wünschte ich, die Welt und mich eingeschlossen wäre nicht so scharf auf Rindfleisch. Ich fuhr wegen Shakespeare weiter, längeres Verweilen hätte er nicht verstanden.

Nach unserem Imbiss wurde ich plötzlich sehr müde, ich musste mich ein bisschen hinlegen. In Ermangelung von besseren Programmen sah ich mir die Reklame für einen »Wellness Letter for Women« an. Trotz der schwachsinnigen und allzu aufdringlichen Empfehlungen beschloss ich, diese Schrift zu abonnieren. Dann wieder: Aufraffen, dazu Kaffee, und wie jedes Mal beneidete ich Shakespeare, der nach Hundeart, eben aus dem Schlaf gerissen, sofort hellwach war. Das Aufraffen: um weiterzumachen mit dem Sprengen. Nebenher: Ausraufen von Unkraut, von dem Löwenzahn bekam ich nicht immer die Wurzeln mit raus. Ein noch öfter als in früheren Jahren auftauchendes Gewächs kann ich mittlerweile identifizieren: Es ist tarkspur, Lerchensporn, mit seinen jungen Trieben, aus denen später tief dunkelblaue große Blüten wachsen, schön anzusehen, aber tödlich giftig für Vieh. Alle Exemplare, die ich entdecken konnte, riss ich aus und wusch mir danach die Hände.

Zum Abendessen war ich gut in der Zeit. Das heißt, Abendessen um achtzehn Uhr zu den Radionachrichten. Suppe aus Resten war noch genug da, und für Shakespeare entsalzte ich mit Wasser eine Dose Tuna. Er hat es lieber mit Salz, aber er kriegt schon zu viel davon ab, wenn er und ich das Gleiche essen. Draußen zerrten südwestliche Winde die Äste meiner Bäume, und in immer geringeren Abständen rumpelte ein Gewitterdonnern über uns. Nicht zum ersten Mal wunderte mich Shakespeares Gleichmut. Jenseits des Grundstücks, aber nah genug, grasten auch die schwarzen Kühe ungerührt. Warum hatten Tiere oft keine Angst? Wieder musste ich mich an das erste Kapitel von Stifters »Nachsommer« erinnern, meiner Nachtlektüre in Little Land, der Einband ist schon ziemlich ramponiert. Tiere sind die besten Wetterpropheten, sagt mir dieses erste Kapitel, ihr Verhalten ist die Vorhersage. Also hielt ich mich an Shakespeares Schlaf und an die weidenden Kühe und befürchtete kein Unwetter. Und wieder hatten Adalbert Stifter und die Tiere recht. Schon zwei Stunden später hatte der Wind gedreht, war abgeflaut, und das Gewitter musste mit den Böen abgewandert sein, alles war ruhig und friedlich. Im letzten Sonnenlicht glänzten die grasenden Kühe am Fuß von Sheep Mountain, ich war eigenartig gerührt und dachte, den Augenblick musst du festhalten, aber ich hatte den Photoapparat nicht mitgenommen und wusste nicht, was ich sonst tun sollte zum Einprägen für immer. Shakespeare genoss es, dass er noch mal hinausdurfte; bevor er sich aufmachte, man kann bei ihm nicht sagen: lossprang, er geht es langsam an, blickte er zu mir auf, ich fand: dankbar und so, wie ich es war: gerührt. Wir hielten bis zum Sonnenuntergang durch.

Das Wetter hier draußen ist verrückt: Mitten in der Nacht weckte mich ein Regenschauer in einen wohligen Halbschlaf, dann fiel der Regen gleichmäßig. Am Morgen war der Himmel dunkel wolkig, es war ziemlich kalt. Obwohl es nicht mehr regnete, war ich skeptisch wegen der Anstreicherei. Nach neun Uhr rief ich per Handy bei David an, um zu wissen, ob er auch wirklich herauskäme. Er wohnt auf der anderen Seite des Sheep Mountain im Centennial. Davids Frau klang sehr entschieden, als sie sagte: Oh nein, David wird nicht rausfahren. Es geht ja gleich wieder los mit dem Regen, da kommt noch eine Menge runter. Ich fand, sie machte mich zum Störenfried, zu einem Ärgernis....

Erscheint lt. Verlag 19.1.2018
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Beziehung • Erzählungen • Frauen • Geschichten • Liebe • Unterhaltung
ISBN-10 3-8412-1536-X / 384121536X
ISBN-13 978-3-8412-1536-9 / 9783841215369
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