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Mein Vater und andere Betrüger (eBook)

(Autor)

eBook Download: EPUB
2017 | 1. Auflage
252 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-688-10789-6 (ISBN)
Systemvoraussetzungen
4,99 inkl. MwSt
(CHF 4,85)
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Da hat nun Charlotte, die ordentliche, nach dem kampflosen Verschwinden der Mutter den Genießervater am Hals, Künstleragent mit nicht zu bremsendem Hang zu Vier-Sterne-Hotels, aktiven Damen und stilvollen Geschäften. Bis der sie ausgerechnet bei der chaotischen Künstlerin Delphine absetzt, deren punkige Tochter Jane ganz zufällig einen - gleichfalls abgängigen - Vater hat, der fast so heißt wie der von Charlotte. Was bleibt zwei scharfsinnigen Teenagern da schon übrig, als sich zu verbünden und auf den Kreuzzug der Schadensbegrenzung zu begeben, per Ahnenforschung und Computer? Einmal mehr erweist sich Milena Moser als die Erzählerin der tragikomischen Achterbahn von Neigungen und Bindungen in unserer Zeit - Abstürze, Kollisionen, Entgleisungen und Himmelfahrten inbegriffen.

Milena Moser wurde 1963 in Zürich geboren. Sie absolvierte eine Buchhändlerlehre und schrieb für Schweizer Rundfunkanstalten. 1990 erschienen ihre Kurzgeschichten «Gebrochene Herzen oder Mein erster bis elfter Mord». Ein Jahr später schrieb sie ihren ersten Roman, «Die Putzfraueninsel», der sich schnell zum Bestseller entwickelte und dessen Kino-Verfilmung preisgekrönt wurde. Es folgten weitere erfolgreiche Romane. Nachdem Milena Moser acht Jahre in San Francisco gewohnt hat, lebt sie nun mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern wieder in der Schweiz.

Milena Moser wurde 1963 in Zürich geboren. Sie absolvierte eine Buchhändlerlehre und schrieb für Schweizer Rundfunkanstalten. 1990 erschienen ihre Kurzgeschichten «Gebrochene Herzen oder Mein erster bis elfter Mord». Ein Jahr später schrieb sie ihren ersten Roman, «Die Putzfraueninsel», der sich schnell zum Bestseller entwickelte und dessen Kino-Verfilmung preisgekrönt wurde. Es folgten weitere erfolgreiche Romane. Nachdem Milena Moser acht Jahre in San Francisco gewohnt hat, lebt sie nun mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern wieder in der Schweiz.

2


«Ich kann das Haus nicht mehr sehen», sagt Papa beim Frühstück, «laß uns ein bißchen rumfahren.»

Während ich putze und packe und aufräume, steht er im Flur und klimpert mit den Autoschlüsseln. Ich will das Haus so zurücklassen wie immer am Ende der Ferien, die Betten abgezogen, die Wäsche gemacht, das Wasser abgedreht und das Klo zweimal durchgespült. Normalerweise macht das Mama.

«Komm jetzt endlich», sagt Papa. «Wir haben schon den halben Tag vertrödelt.»

Dabei ist er derjenige, der erst um elf aufgestanden ist.

Ich steige hinten ein.

«Bin ich dein Chauffeur, oder was», fragt Papa, «komm gefälligst nach vorn.»

Ich ziehe die Schuhe aus und stemme die Füße gegen das Handschuhfach. Normalerweise sitze ich nur vorn, wenn er mich zur Schule fährt, und das kommt nicht oft vor.

«Sieh mal nach, wo wir sind.»

Ich falte die große Frankreichkarte auseinander. Im Kartenlesen bin ich gut. Sechs Jahre bei den Pfadfinderinnen. Unterwegs bittet Papa oft mich, die Karte zu lesen, weil Mama ein hoffnungsloser Fall ist. Sie hat einfach keinen Orientierungssinn.

«Wenn du denkst, du weißt, wo du lang mußt, geh einfach in die entgegengesetzte Richtung», rät er ihr immer. Mama wird nervös, wenn sie die Karte lesen soll.

Einmal waren wir in Paris, da hielt sie die ganze Zeit den Stadtplan auf dem Kopf. Ich hab es schließlich gemerkt, dabei war ich erst elf, «du hältst den Plan verkehrt, Mama», hab ich gesagt, und ich habe auch die Straße gefunden und das Café, wo wir Papa treffen sollten. Sie versprach mir einen ärmellosen Pullover von agnes b., wenn ich es Papa nicht erzählte. Hab ich auch nicht. Er hat es selber erraten.

An diesem Tag fuhren wir nur bis St. Raphael, das war der nächstgrößere Ort, keine zwanzig Kilometer entfernt.

«Soll ich dir mal was sagen, ich hasse das Landleben!»

Papa lachte. In St. Raphael gab es einen Yachthafen und einen Strand, Warenhäuser, eine Menge Bars und Lokale und eine Maison de Presse, wo er Zeitungen und Zeitschriften in vier Sprachen kaufte. Zwei Mädchen aus meiner Klasse waren hier im Feriensprachkurs, ich hatte mir die Telefonnummer vom Kurslokal notiert, wenn wir länger blieben, würde ich sie vielleicht anrufen.

Wir saßen an einem Plastiktisch an der Promenade. Papa trank offenes Bier und baute den Zeitschriftenstapel ab.

«Hier ist etwas für dich», sagte er und schob eine Illustrierte über den Tisch. «Etwas für junge Mädchen.»

«Aber das ist auf französisch.»

«Natürlich ist es auf französisch. Was hast du denn gedacht?»

Das Heft hieß 20ans, und obwohl ich erst fast vierzehn war, fand ich es sterbenslangweilig. Unmögliche Modefotos und Geschichten über französische Schlagersänger und Fernsehansager, von denen kein Mensch je gehört hat, für die sich kein Mensch interessiert. Ich nahm mir Le Monde vom Stapel.

«Du hältst sie verkehrt rum», sagte Papa.

Ich seh auf den ersten Blick, daß mir nichts von all den Sachen passen würde. Oder nur gefallen. Niemand bei uns in der Schule würde so etwas tragen. Alles billig, knalleng und bunt. Die Mädchen hier tragen so was, und lange Haare mit glitzernden Plastikspangen festgesteckt. Dunkelbraune Beine und Schuhe mit hohen Absätzen. Rosa womöglich. Sogar dreißigjährige Frauen ziehen sich so an. Ich versteh das nicht.

«Such dir was aus», sagt Papa. Mit einer großartigen Geste, die die kleine Bude an der Strandpromenade, die vier Kleiderstangen auf Rädern, die dichtgehängten Fähnchen einschließt. Papa hat normalerweise einen besseren Geschmack. «Was du willst. Was immer du willst.»

Kann er so etwas nicht in einem anständigen Kleidergeschäft sagen? Seit über einem Jahr kaufe ich meine Kleider selber. Weil bei uns zu Hause keiner eine Ahnung hat. Frau Bauer nimmt mich manchmal mit, wenn sie für Selina einkaufen geht. Sie geht mit uns in das traditionsreiche Warenhaus Grieder, wo sie uns Bundfaltenhosen, flache Lederschuhe und Jacken mit Goldknöpfen kauft. Die Mädchen in meiner Klasse ziehen sich alle ähnlich an, jedenfalls die, mit denen ich viel zusammen bin. Zu Hause sammle ich Modetips in einem Ordner. Mein Schrank ist organisiert. Auf der Innentür klebt eine Liste von meinen Sachen, mit Datum trage ich ein, wann ich was womit kombiniert getragen habe. Mama findet das nicht normal. Mama ist ganz anders als ich. Sie weiß überhaupt nicht, was ihrem Typ und ihrem Alter entspricht. Sie geht in diese Billigläden, die eigentlich für Jugendliche eingerichtet sind, und kauft sich Berge von Sachen, die ihr nicht passen, weil sie sie nicht probiert hat. Und der Rest läßt sich nicht miteinander kombinieren. Dann wirft sie alles, was eigentlich gereinigt werden sollte, in die Waschmaschine, aber die Sachen lösen sich sowieso bald auf. Einmal hat sie versucht, eine Stretchhose zu bügeln, der Stoff schmolz sofort am Bügeleisen fest und zog schwarze Fäden. Das Bügeleisen mußten wir auch wegwerfen.

Mama trägt Sachen, die ich nie anziehen würde, einen veilchenfarbenen Satinrock in Knielänge, unter dem sich ihre Unterhosen abzeichnen, Techno-T-Shirts, Mohairpullover, die knapp den Rippenbogen bedecken. Genau das Zeug, das sie in 20ans abbilden, Sachen halt, die für junge Mädchen gedacht sind und nicht für Mütter mit faltigen Bäuchen und Unterhosen, die einschneiden. Ich zeigte meiner Mutter einen Zeitungsartikel über eine Schweizer Designerin, die seit zehn Jahren dieselbe Grundgarderobe trägt, und sagte, echter Stil sei zeitlos. Mama verstand natürlich nicht, was ich meinte.

«Charlotte», sagte sie, «das gilt doch nicht für Kinder. Niemand erwartet von dir, daß dir die Sachen, die du heute kaufst, in zehn Jahren noch gefallen.»

Darauf brauchte ich wohl nichts mehr zu sagen, und ich tat es auch nicht, ich ging in mein Zimmer, schnitt das Interview aus und klebte die Seite in meinen Ordner.

Ich bin kein Kind.

Meine Kindheit war unglücklich, aber jetzt ist sie Gott sei Dank vorbei.

 

Eine Umkleidekabine gab es auch nicht, und so mußte ich mich zwischen den Kleiderständern aus meinem Wickelrock schälen und ein neonfarbiges Stretchteil über den Kopf ziehen, während die Verkäuferin und Papa mir zuschauten und sich über meine Figur unterhielten.

«Mais, elle est mignonne, la petite», sagte die Verkäuferin, und das verstand ich gerade noch, eine Frechheit, wenn man bedenkt, daß ich einen Meter sechsundsiebzig groß bin und der Kinderarzt ausgerechnet hat, daß ich noch weiter wachse bis einszweiundachtzig.

«Du hast einen hübschen Körper, den darfst du ruhig zeigen», sagte Papa, und ich wäre wieder mal am liebsten gestorben. Dauernd sagt er solche Sachen! Zum Glück konnte ihn niemand verstehen.

«Also gut, ich nehme das Oberteil.»

«Nichts da!» Papa riß ein paar Bügel von der Stange und warf sie mir zu. «Los, bedien dich, schlag zu!»

Die Verkäuferin strahlte, als sie begriff, daß es ihm ernst war. Sie bückte sich unter den Kassentisch und kramte noch mehr leuchtendbunte und häßliche Stretchteile hervor. Zwei junge Mädchen mit großen Rucksäcken schauten neidisch zu, wie unser Kleiderberg auf dem Kassentisch wuchs und wuchs und Papa mit seiner goldenen Kreditkarte alles bezahlte. Zum Schluß schenkte mir die Verkäuferin noch ein dunkelrosa Stirnband, an dem eine leuchtende Tüllblume befestigt war. Dabei schaute sie die ganze Zeit meinen Vater an. «Merci, Madame», murmelte ich und steckte das Ding in meine Tasche. Sobald ich konnte, würde ich es wegwerfen. Ich trug einen strengen Kurzhaarschnitt mit Seitenscheitel, den man alle sechs Wochen nachschneiden mußte, und die Haare hinter die Ohren gestrichen, ich konnte kein Haarband tragen und auch keine Plastikklemmen in Dinosaurierform.

Für das Geld, das Papa in dem Laden ausgegeben hatte, hätte ich mir eine Hose bei Donna Karan kaufen können, und die hätte ich bis ans Ende meiner Tage getragen. Aber das konnte ich ihm jetzt nicht erklären.

«Geht es uns nicht gut?» fragte er. «Geht es uns nicht gut?»

Wir mieteten zwei Liegestühle und einen Sonnenschirm an einem privaten Strandabteil.

«Ist das nicht ein bißchen teuer?» fragte ich.

«Du redest schon wie deine Mutter.»

Er legte sich auf die dicke blauweiß gestreifte Matratze und schlief sofort ein. Ich wußte, daß er sich nicht eingerieben hatte, aber ich weckte ihn nicht auf. Sollte er sich doch einen Sonnenbrand holen.

Ich versteckte mein Buch und mein Portemonnaie unter meiner Matratze und ging zum Strand hinunter. Ich war die einzige Frau unter achtzig, die nicht oben ohne ging oder wenigstens im Bikini. Die allein war und nicht eingehakt mit einer Freundin ging, die nicht gnadenlos braungebrannt war, keine langen Haare mit Dauerwelle und keine Fußkettchen trug, die einzige, die ins Wasser ging, um zu schwimmen und nicht nur, um kreischend über die schaumigen Ausläufer zu hüpfen.

Während ich mich noch anfeuchtete, versuchten zwei Jungen mich naßzuspritzen. Als ich nicht reagierte, tauchte einer unter, faßte meine Knie und versuchte mich unterzutauchen. Da hatte er Pech, denn ich war immer noch eine sehr gute Schwimmerin, obwohl ich seit einem halben Jahr nicht mehr trainiert hatte. Früher schwamm ich zwei Kilometer in dreißig Minuten. Ich wand mich los, stieß mich an seinen Oberschenkeln ab und schoß unter Wasser davon wie eine Harpune. Weit, weit entfernt tauchte ich wieder auf. Sie standen immer noch im seichten Wasser und starrten mir nach. Wahrscheinlich hatten sie gedacht, ich sei ertrunken, Ich winkte kurz und kraulte davon.

Zum Ausruhen legte ich mich auf den Rücken und ließ mich treiben. Ich dachte daran, wie sich die Schenkel des Jungen...

Erscheint lt. Verlag 15.12.2017
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Freundschaft • Suche • Teenager • Tochter • Vater • Vater-Tochter
ISBN-10 3-688-10789-6 / 3688107896
ISBN-13 978-3-688-10789-6 / 9783688107896
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