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Ein schönes Paar (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2018 | 3. Auflage
240 Seiten
Schöffling & Co. (Verlag)
978-3-7317-6133-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Ein schönes Paar -  Gert Loschütz
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Beim Ausräumen seines Elternhauses stößt der Fotograf Philipp auf einen Gegenstand, der in der Geschichte seiner Eltern eine entscheidende Rolle gespielt hat. Die beiden, Herta und Georg, waren ein schönes Paar. Philipp erinnert sich an ihr junges Liebesglück, ihre Hoffnungen und Gefährdungen, an die überstürzte Flucht seines Vaters aus der DDR in den Westen. Das hätte, da ihm die Mutter und der Junge ein paar Tage später folgten, der Beginn eines erfüllten Lebens sein können, tatsächlich aber trug die Flucht den Keim des Unglücks in sich. Nach und nach geht Philipp das Paradoxe der elterlichen Beziehung auf: Dass es die Liebe war, die ihre Liebe zerstörte. Damit aber ist die Geschichte, die auch sein Leben überschattet hat, nicht vorbei. Am Ende stellt er fest, dass Herta und Georg all die Jahre über miteinander verbunden waren, auf eine Weise, die sie niemandem, nicht einmal sich selbst, eingestehen konnten. Ein ergreifender Roman über Liebe und Vergänglichkeit vor dem Hintergrund der deutschen Teilung.

Gert Loschütz, 1946 in Genthin geboren, hat Erzählungen, Romane, Gedichte, Hörspiele, Theaterstücke und Filmdrehbücher geschrieben und wurde für sein Werk vielfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Ernst-Reuter-Preis und dem Rheingau Literatur Preis. Seine Romane Ein schönes Paar (2018) und Besichtigung eines Unglücks (2021) wurden nominiert für den Deutschen Buchpreis. Besichtigung eines Unglücks wurde mit dem Wilhelm Raabe-Literaturpreis 2021 ausgezeichnet. Der Autor lebt mit seiner Familie in Berlin.

"Gert Loschütz, 1946 in Genthin geboren, hat Erzählungen, Romane, Gedichte, Hörspiele, Theaterstücke und Filmdrehbücher geschrieben und wurde für sein Werk vielfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Ernst-Reuter-Preis und dem Rheingau Literatur-Preis. Seine Romane "Ein schönes Paar" (2018) und "Besichtigung eines Unglücks" (2021) wurden nominiert für den Deutschen Buchpreis. "Besichtigung eines Unglücks" wurde mit dem Wilhelm Raabe-Literaturpreis 2021 ausgezeichnet. Der Autor lebt mit seiner Familie in Berlin."

1

Ein Stereoskop ist ein Gerät zum Betrachten von Stereobildpaaren, die mit einer Stereokamera aufgenommen wurden. Durch die geringe seitliche Abweichung entsteht der Eindruck räumlicher Tiefe: Man glaubt, den Porträtierten leibhaftig vor sich zu haben. Man blickt durchs Stereoskop und ist mit ihm allein. Da man dabei die Augen auf die Okulare pressen muss, sind alle anderen optischen Eindrücke ausgeschaltet, sodass man sich ganz auf die Gesichtszüge des Abgebildeten konzentrieren kann.

Ich könnte mir vorstellen, dass Liebespaare, die voneinander getrennt leben mussten, über diese Erfindung sehr froh waren. Eine Zeit lang jedenfalls, bis sie die Nähe, die doch nicht greifbar war, rasend machte. Die anderen, die ebenfalls Hoffnung in diese Technik setzten, waren die Kriminologen. Sie erlaubte es ihnen, im Gesicht des Täters zu forschen. Konnte man dem Unerhörten, dem Rätsel, das einem das Verbrechen aufgab, nicht auf die Spur kommen, indem man im Gesicht des Täters las, wie es der Jäger in den Hufabdrücken des Wildes tat? War in dieser Landschaft aus Hebungen und Senkungen, der man, anders als auf herkömmlichen Fotografien, mit dem Finger nachspüren zu können meinte, nicht vielleicht die Erklärung enthalten, nach der man die ganze Zeit gesucht hatte?

Die Liebespaare und die Kriminologen also. Und beide wurden am Ende enttäuscht.

Am Vormittag rief Wüstenhagen an, der Händler, bei dem ich mich manchmal nach alten Kameras umsah, und sagte: »Ich habe da eine Stereokamera, die 1919 gebaut worden ist. Haben Sie Interesse?« Ja, hatte ich. Doch als ich nach dem Preis fragte, druckste er herum. Er müsse sich, sagte er, erst bei dem Mann erkundigen, der ihm das gute Stück in Kommission gegeben habe. »Tun Sie das«, sagte ich, und nachdem ich aufgelegt hatte, fiel mir ein, dass es sein Geburtsjahr war. 1919 war das Geburtsjahr meines Vaters.

Ich stieg zur Mansarde hoch, in der mein Büro lag, und am Abend, ich kam gerade wieder herunter, rief Wüstenhagen ein zweites Mal an. »Nun kenne ich ihn«, sagte er.

Doch der Preis, den er nannte, war so absurd hoch, dass ich ablehnte.

Zwei Anrufe von Wüstenhagen. Und in der Nacht der Anruf von Frau Roth, der Haushälterin meines Vaters.

Es war gegen halb zwei. Das Telefon schrillte, ich stand auf, ging in den Flur, nahm den Hörer ab und hörte ein Schluchzen, dann ein paar Worte, die ich nicht verstand, aber immerhin erkannte ich nun die Stimme.

»Frau Roth?«, fragte ich.

»Ja«, erwiderte sie und sagte dann, dass er gestorben sei. Sie war am Abend noch einmal in seine Wohnung gegangen und hatte ihn tot im Sessel gefunden. Der Fernseher lief. Er saß da, als lebte er, aber er war tot.

Sie sprach stockend, sich wiederholend, mit Pausen zwischen den Sätzen. Sie sagte, sie sei am Nachmittag bei ihm gewesen und am Abend noch einmal zurückgekommen, um ihm mitzuteilen, dass sie in der nächsten Woche nicht kommen könne. Am Nachmittag hatte sie das vergessen. Sie hatte ihn angerufen, aber er war nicht an den Apparat gegangen, deshalb hatte sie sich noch einmal auf den Weg gemacht, den Berg hinauf, das heißt, ihr Mann hatte sie gefahren. Sie hatte geklingelt, und da er nicht öffnete, hatte sie geglaubt, er sei nicht da, und den Schlüssel benutzt, sie hatte ja einen Schlüssel. Sie hatte die Tür aufgeschlossen und war hineingegangen, um ihm einen Zettel zu schreiben, den sie auf den Küchentisch legen wollte.

Und noch etwas sagte sie, etwas, dessen Bedeutung mir erst später klar wurde und das sie nur erwähnte, weil sie sich verletzt hatte.

Sie war hereingekommen, hatte, da sie den Lichtschalter nicht gleich fand, seinen Namen gerufen, und als sie ein paar Schritte in die Diele tat, war sie in der Dunkelheit gegen ein Hindernis gestoßen: Die Leiter. Die in die Decke eingepasste Tür, über die man auf den Dachboden gelangte, war heruntergeklappt und die Leiter herausgezogen. Frau Roth arbeitete seit sechzehn Jahren bei ihm, seit seiner Pensionierung, aber das hatte sie noch nicht erlebt. Sie ging nie auf den Dachboden. Deshalb hatte sie nicht damit gerechnet.

Um zehn hatte sie ihn gefunden, um halb elf war der Arzt gekommen und hatte seinen Tod festgestellt. Zu diesem Zeitpunkt wusste sie, dass er tot war, aber es dauerte noch drei Stunden, bis sie sich ein Herz fasste und meine Nummer wählte.

Frau Roth war eine kleine stämmige Frau mit breitem Gesicht und runden, etwas vorstehenden Augen, die das Haar, zum Knoten geflochten, im Nacken trug. Am Freitagabend sah man sie und ihren Mann in den gelben Klinkerbau im Hofgarten gehen, in dem der Gottesdienst der Freikirchlichen Gemeinde abgehalten wurde. Wenn sie wieder herauskamen, lag ein eigentümlicher Glanz auf ihren Gesichtern, der Widerschein einer harten, selbstgewissen Gerechtigkeit, ein Merkmal dieser Gegend, aber das änderte nichts an der Zuneigung, die sie für ihn empfanden. Mein Vater mochte ein Sünder sein, gottvergessen, aber die Einfachheit, mit der er sein Leben führte, versöhnte sie.

Auf einem Foto, das ich von ihnen machte, stehen sie nebeneinander, Schulter an Schulter, und schauen mit runden Augen in die Kamera, während sich mein Vater, den ich eigentlich fotografieren wollte, aus dem Bild gestohlen hat. Sie vorn, er als Schemen hinter der Glastür. Er mochte es nicht, das Fotografiertwerden oder, sagen wir, die Umstände, die man darum machte, das Brimborium.

Im September also. Im September der Anruf von Frau Roth.

Den jungen Mann, der einen Monat danach anrief, hatte ich nur drei-, viermal gesehen, und ich glaube nicht, dass wir mehr als ein paar Worte miteinander gewechselt haben, guten Tag, auf Wiedersehen, und doch wusste ich, als ich die Stimme hörte, sofort, um wen es sich handelt.

Er leistete in dem Heim, in dem meine Mutter ihre letzten Jahre verbrachte, seinen Zivildienst ab. Wenn sie mich durch das lärmende Treppenhaus zur Tür begleitete, kam er uns manchmal entgegen. Meistens trug er Sandalen und einen aus einem schweren, mit Borten besetzten Stoff gefertigten Kaftan, der ihm bis zu den Knöcheln reichte. Aber nicht deshalb fiel er mir auf, sondern weil er sie merkwürdig ansah. Wenn er sie erblickte, trat ein schwärmerischer Ausdruck in seine Augen. Ein Zeichen der Verehrung, die er für die ältere Frau empfand? Vielleicht. Er streichelte sie mit den Augen (so muss man wohl sagen), während er mich beinahe wütend anstarrte, von unten herauf, als wollte er mir gleich den Kopf in die Brust rammen. Keine Frage, er sah in mir einen Eindringling, einen Boten aus der Welt, der sie früher angehört hatte.

Er war es, dieser Junge, der mich einen Monat danach anrief und mir die Nachricht ins Ohr schrie: »Sie ist tot, hören Sie, tot.« Und gleich darauf die Stimme der Schwester, die ihm den Hörer aus der Hand riss: »Entschuldigen Sie, Herr Karst.«

Es war so: Die Schwestern hatten sich daran gewöhnt, dass sie nachts den Türgriff blockierte, indem sie einen Stuhl mit der Lehne darunter schob, sie hielten es für eine ihrer vielen Marotten, doch als sich die Klinke auch am Morgen noch nicht wieder herunterdrücken ließ, schickte die Schwester, die um sechs die Vormittagsschicht übernahm, den Jungen, der zufällig den Gang herunterkam, nach dem Hausmeister, doch anstatt den Auftrag auszuführen, warf er sich gegen die Tür und drückte sie ein. Und als sie ins Zimmer kamen, fanden sie sie auf dem Bett, angezogen, die Augen geschlossen, wie im Schlaf. Der Junge hatte sich neben das Bett gekniet und die Hand an ihre Wange gelegt.

Damals habe ich nicht darüber nachgedacht. Jetzt aber, da ich die Notizen zusammentrage, fällt mir auf, dass er meine Nummer kannte, auswendig, er hatte nicht nachzuschauen brauchen, sondern war, als die Schwester ihn aufforderte, das zu lassen, ans Telefon gestürzt und hatte mich angerufen.

Mein Vater war sechsmal umgezogen, immer in Tautenburg oder in der Umgebung von Tautenburg, in von Mal zu Mal bessere Wohnungen, die sich von ihrer letzten gemeinsamen Wohnung immer mehr unterschieden, und schließlich in das Haus über der Stadt, den Bungalow, der in einem weiten, zur Stadt hin abfallenden Garten lag.

Abends ging er von Zimmer zu Zimmer und ließ die Jalousien herab, dann trat er in die Diele und klappte die Luke herunter, eine weiße Holzklappe mit einem Metallring, in den man den auf das Ende eines Holzstabs geschraubten Haken klinkte; er zog die Treppe heraus und stieg auf den Dachboden, der so niedrig war, dass er sich bücken musste, wenn er herumging.

Es gab drei kleine, in die Dachschräge eingelassene Fenster: das eine zeigte zur Batterie, einem Felsvorsprung im Wald, von dem aus die mittelhessische Stadt im Französischen Erbfolgekrieg in Brand geschossen worden war (das lernten die Kinder im Heimatkundeunterricht), das andere zum Weißen Stein, einem von Bänken gesäumten Weg, der von jungen Liebespaaren, die nicht wussten, wohin sie abends gehen sollten, aufgesucht wurde; vom dritten aus schließlich sah man über die Tannen hinweg die Stadt.

Zur selben Stunde rückte meine Mutter den Stuhl an die Tür und klemmte die Lehne unter den Griff, eine Vorsichtsmaßnahme, um die Schwester, die zwischen elf und halb zwölf ihren Rundgang machte, am Hereinkommen zu hindern; es war nichts Schlimmes bei dem, was sie tat, und doch wollte sie nicht, dass sie von dieser (wie sie fand) grobschlächtigen Frau, die überdies den verhassten R-rollenden Dialekt dieser Gegend sprach, gestört wurde. Danach zog sie den Vorhang zurück, öffnete das Fenster und sah hinaus.

Jeden Abend, zu einer bestimmten Zeit.

Um halb acht, das wusste ich, wurde im Heim gefrühstückt. Da sie sich weigerte, in den Gemeinschaftsraum zu gehen, in dem...

Erscheint lt. Verlag 6.2.2018
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte DDR • Deutscher Buchpreis • Ehebruch • Familie • Flucht • Liebe • Liebesroman • Longlist • Nominiert • Rückblende • Sohn • Stasi • Teilung • Trennung
ISBN-10 3-7317-6133-5 / 3731761335
ISBN-13 978-3-7317-6133-4 / 9783731761334
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