Die Bücherkatze (eBook)
272 Seiten
dtv Deutscher Taschenbuch Verlag
978-3-423-43251-1 (ISBN)
Eva Berberich, geboren in Karlsruhe, lebt mit Katze und Ehemann, dem Schriftsteller Armin Ayren, im Schwarzwald. Mit ihren Büchern schrieb sie sich in die Herzen unzähliger Katzenfreunde.
Eva Berberich, geboren in Karlsruhe, lebt mit Katze und Ehemann, dem Schriftsteller Armin Ayren, im Schwarzwald. Mit ihren Büchern schrieb sie sich in die Herzen unzähliger Katzenfreunde.
Von der Würde des Buches und der Würde der Katze
Sie hinkte, sich immer wieder umschauend, an mir vorüber: dürr, verklebtes Fell, Schlenzer im Ohr.
Ich warf den gelben Sack in einen der Container im Recyclinghof. »Wer bist du denn, Hinkebein?«
Sie fauchte mich an: »Ein Krokodil.«
Ich entschuldigte mich. »Darf ich fragen, wo du herkommst?«
»Aus dem großen Ding dort hinten.«
Das große Ding war eine Tonne. »Papier hier!«, befahl das Schild, »Kartonagen zum Platzsparen gefälligst zusammenfalten!«
»›Zur Platzersparnis zusammengefaltete Katzen hier reinschmeißen‹ steht aber nicht da«, sagte ich.
»Jemand hat mein Buch reingeschmissen.«
»Katzen haben keine Bücher.«
»Aber Bücher haben Katzen. Hab’s gerade noch geschafft, rauszukommen.«
»Was war’s denn für ein Buch?«
»Ein besonderes. Man hockt ja nicht in jedem dahergeschriebenen Buch. Ich bin nämlich die Buchkatze.« Ihr Ton drückte aus, wie sehr sie sich ihrer Bedeutung bewusst war. »Staunst du?«
Ich staunte gebührlich. Ich kenne Bücher, die sich um Katzen drehen, aber dass Katzen aus Büchern herausspringen, war mir neu. Wieder sah sie sich nach allen Seiten um.
»Ist jemand hinter dir her?«
Ihr Schwanz wurde zur Bürste. »Der große böse Wolf. Der schreckliche Totmacher, Totreißer, Totbeißer.«
Mit großen bösen Wölfen leg auch ich mich nicht gern an. Ich stieg ins Auto und öffnete die Tür: »Rein mit dir!«
Die Katze musterte mich mit schräg gelegtem Kopf – soll ich oder soll ich nicht? –, schaute sich noch mal um, sprang dann auf den Nebensitz, verlangte, ich solle das Fenster aufmachen, und drückte sich eng an die Tür. Wir fuhren ein Stück weiter zu der Wiese mit der Bank, auf der ich gern etwas verschnaufe, wenn mir beim Laufen die Luft ausgeht. Die Bank lehnt sich an einen Baum, ein paar Latten auf der Sitzfläche sind kaputt, und wenn man sitzt, hängt der Hintern durch. Ich fegte Blätter und einen Vogelschiss weg, ließ mich nieder, und die Katze setzte sich unter Wahrung eines gehörigen Sicherheitsabstands ans andere Ende. Auf der abgemähten Wiese blühten melancholische Herbstzeitlose in sanftem Rosa und Violett.
»Erzähl mal!«, sagte ich.
Die Katze erzählte: »Ich hatte einen Dichter. Der war nicht mehr der Jüngste. Manchmal hat er gedichtet, manchmal nicht. Dann hing er nur so rum, hatte schlechte Laune und fing an zu saufen, rumzudöbern und zu motzen: ›Mir fällt nichts ein.‹
›Warum nicht?‹, frag ich.
›Es liegt an der Muse. Ich hab keine. Eine Muse ist jemand, der einem lahmen Dichter auf die Sprünge hilft. Dieser Jemand ist meistens eine Jemandin.‹
›Du hast eine‹, sag ich zu meinem lahmen Dichter. ›Mich. Eine bessre findst du nicht.‹
›Musen müssen Dichter küssen‹, sagt er.
Ich hab meinen Schwanz um seine Schultern rumgelegt, meinen Kopf an seinem Kopf gerieben und geschnurrt. ›Das ist besser als ein Kuss‹, sagt er, ›und nicht so feucht.‹«
Die Katze hüllte sich in ihren Schwanz. »Mir ist kalt.«
»Mir auch.« Ich wickelte meinen Schal zweimal um den Hals. »Du bist also zu seiner Katzenmuse geworden. Zu seiner Musekatze.«
Die Katze fixierte die Fransen des Schals. Ihre Pfoten zuckten. »Dann setzt er sich auf den Hintern und legt los. Es flutscht. Er lahmt nicht mehr, macht wieder Sprünge. Hohe weite Dichtersprünge. Er schreibt und schreibt und schreibt, bis seine Pfoten wund sind. Unter die letzte Geschichte setzt er einen Punkt. Einen Schlusspunkt. Er macht aus den Geschichten ein Buch, und aufs erste Blatt schreibt er: Ich widme dieses Buch in tiefer Dankbarkeit meiner geliebten Katzenmuse, ohne die mir rein gar nichts eingefallen wär. Dann sieht er mich an. Ganz inniglich, ganz minniglich.«
»Minniglich und inniglich sagt heut kein Mensch mehr.«
»Klingt aber schön. ›Meine allerliebste Katzenmuse‹, sagt er, ›ich hab genug. Hiermit lege ich den Löffel – den Griffel – aus der Hand. Aber was wird mit dir, wenn ich nicht mehr bin?‹
›Wo bist du dann, wenn du nicht mehr bist?‹, frag ich.
›Auf dem Olymp. Dem Berg, auf dem nur bedeutende Persönlichkeiten wohnen dürfen.‹
›Bist du eine bedeutende …?‹
›Das vermute ich. Ich hoffe auf einen Lorbeerkranz, Unsterblichkeit und ewigen Nachruhm.‹
›Ich komm mit. Ich will auch einen Unsterblichkeitsruhm. Aber ohne Lorbeerkranz.‹
›Geht leider nicht. Auf dem Olymp ist nur Platz für Dichter allererster Güte.‹
›Ich bin eine Katze allererster Güte, dazu eine Musekatze. Ohne Katzenmuse käm kein Dichter da rauf.‹
›An der Tür zum Olymp hängt ein Schild: ›Musekatzen und Katzenmusen müssen leider draußen bleiben!‹ Die Unsterblichen wollen verehrt werden, und Katzen verehren grundsätzlich nur sich selber. Aber ich weiß was Besseres. Du ziehst in unser Buch mit den Geschichten. Da wirst du dich wohler fühlen als auf dem Olymp.‹
›Wie komm ich da rein?‹, frag ich.
›Mit einem Zauberwort.‹ Dichter kennen sich ja aus mit Zauberwörtern. Einer hat mal gesagt: Und die Welt fängt an zu schnurren, wenn einem so eins übern Weg läuft.«
»Und die Welt fängt an zu singen, triffst du nur das Zauberwort«, sagte ich. »Das war der Herr von Eichendorff. Was ist das für ein Zauberwort? Sesam öffne dich? Oder Buch öffne dich? Oder Simsalabim? Oder mantje, mantje, timpe te? Oder dreimal schwarzer Kater, viermal bunter Hund? Könnt ja sein, ich brauch mal eins.«
»Zauberwörter sind hoch geheim, die darf nicht jeder Trottel von Mensch wissen.«
Nachdem ich ihr großehrenwörtlich versichert hatte, ich sei weder ein Trottelmensch noch ein Menschentrottel, schnurrte sie mir das hochgeheime Zauberwort ins Ohr. Sie habe es von einem alten Kater, der von einem goldschillernden Käfer, der von einem blauen Schmetterling, der von einem Feuersalamander, der aber nicht mehr wisse, wo er es her habe.
Ich versprach, es nur im allerdringendsten Notfall zu gebrauchen, etwa wenn ein Mammut es auf mich abgesehen hätte oder der große böse Wolf oder der kleine, aber gar nicht feine Wadenbeißer meines Nachbarn. »Und dann?«
»Er packt sein Bündel, setzt sich drauf und wartet. Und als seine Zeit kommt, um ihn für die Reise zum Olymp abzuholen, nimmt er mich in die Arme, drückt seinen Kopf an meinen Kopf und sagt, ohne mich wär er nie ein Dichter allererster Güte geworden. Höchstens ein Dichter siebter oder zehnter Güte. Und dann sagt er das Zauberwort. Und dann war ich drin.«
Ein Blatt fiel vom Baum und tänzelte kokett vor uns hin und her. Die Katze pfotete danach, das Blatt wich aus und landete auf dem Boden.
»Wie ist es so in einem Buch?«
»Kann ich nur empfehlen. Das Papier riecht fein. Die Wörter auch. Wenigstens die meisten. Es gibt natürlich auch Wörter, die stinken. Nette runde Fragezeichen tanzen um dich rum, lange dünne Ausrufezeichen und jede Menge Striche und Pünktchen. Vorne und hinten ein Deckel, damit du nicht rausfällst. Kein Hund verbellt dich, kein Jäger erschießt dich, kein Floh beißt dich, kein Auto macht dich platt. Im Buch bist du sicher. Und es ist immer schön warm. Wenn du mal die Nase voll hast von der Welt und nicht weißt, wohin – ab in ein Buch!«
»Und dann?«
»Schenkt jemand mein Buch einem Kind. Das Kind lacht und zeigt mit dem Finger auf mich und miaut: Katze, Kaaaatze, Katzzzzze. Es macht Flecken – Kakao, Marmelade, Dreck, Spucke, Tomatensoße –, kneift Eselsohren in die Seiten und verbiegt den Deckel. Muss das Kind ins Bett, liegt rechts der Bär, links das Buch. Zuerst liest ihm jemand draus vor, dann erzählt das Kind dem Bär meine Geschichten. Fast wie Honig, brummt er, aber Bärengeschichten seien nicht fast, sondern ganz honiglich und noch empfehlenswürdiger. Das Kind wird größer, wie das so ist mit Kindern, kriegt neue Bücher mit neuen Geschichten, und eines Tages lieg ich mit den anderen Büchern in einer Kiste, die kommt auf den Speicher. Bücherkiste steht drauf. Wir erzählen uns im Dunkeln unsere Geschichten. Hab bedeutende Leute kennengelernt. Den Robinson mit dem langen Bart. Ronja, die wilde Räuberstochter. Den kleinen Hadschi Halef Omar ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawud all Gossarah. Der hat links sieben Schnurrbarthaare, rechts vier …«
»Links acht, rechts drei«, sagte ich. »Ein lieber alter Freund von Kara ben Nemsi und von mir, aus dem Stamm der tapferen Haddedihn.«
»Eines Tages wird’s wieder hell und die Kiste geöffnet. Mein Kind ist auf einmal ein Mann und hat selbst ein Kind. ›Das sind meine lieben alten Bücher‹, sagt er, nimmt mein Buch in die Hand und streichelt es – ›schau, hier ist mein allergeliebtestes Buch mit den wundervollen tollen Geschichten.‹ Er blättert herum, begrüßt jeden Fleck, jedes Eselsohr. An einer Stelle hatte er ›das ist lustigg‹ an den Rand gekritzelt, woanders einen kleinen Teufel gekrakelt, aber warum weiß er nicht mehr. ›Jetzt ist es deins‹, sagt er zum Kind.«
Die Katze sah mich von der Seite an. »Katzen sind streichelbar.«
»Mein Arm ist zu kurz«, sagte ich, »du bist zu weit weg.« Immer mehr Blätter umschwebten uns – ein anmutiges Blätterballett. Rote, gelbe, orangefarbene, braune und gefleckte spielten Fangerles …
Die Katze rückte näher. »Mein Buch wird auch das Lieblingsbuch des Kindes. Es macht noch ein paar Flecken und ein paar Eselsohren mehr dazu, und als es ein bisschen aus dem Leim gegangen ist, klebt der Vater es wieder zusammen. Eine Seite spuckt das Kind voll,...
Erscheint lt. Verlag | 8.12.2017 |
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Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | Albert Einstein • Anthologie • Erzählungen • Fellnase • Für Katzenfreunde • Geschenkbuch • Jan Hus • Juri Gagarin • Katharina von Bora • Katzenbuch • Katzengeschichten • Martin Luther • Michel de Montaigne • Quint Buchholz |
ISBN-10 | 3-423-43251-9 / 3423432519 |
ISBN-13 | 978-3-423-43251-1 / 9783423432511 |
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