Der Sklave (eBook)
128 Seiten
Goldmann Verlag
978-3-641-22142-3 (ISBN)
Unfall. Krankenhaus. Gefangen im Alptraum des Wachkomas. Dieser Situation zunächst hilflos ausgeliefert, wehrt sich der Erzähler gegen sein Schicksal, bis ihm eine Stimme erscheint, ein göttliches Wesen, das ihm Licht am Ende des Tunnels aufzeigt. Im Dialog mit dem Engelswesen reflektiert er die Wendepunkte seines Lebens und erfährt eine friedliche Form der Läuterung. Als er endlich wieder Kontakt mit seiner Familie und seiner Frau aufnehmen kann, ist er ein anderer Mensch geworden.
Ein Buch über die zentralen Fragen des Lebens und das, was am Ende wirklich wichtig ist. Eine parabelartige Erzählung, still und doch voll emotionaler Sprengkraft.
Anand Dílvar wurde 1966 in Mexiko City geboren. Bereits in jungen Jahren gründete er, inspiriert von der Lebensphilosophie der mexikanischen Ureinwohner, einen Verlag, der sich zu einem der erfolgreichsten in Mexiko entwickelte. Dílvar schrieb zahlreiche Bücher über sein Lebensthema, die Entwicklung der Persönlichkeit. Mit »Der Sklave« gelang ihm ein weltweiter Erfolg mit 1,8 Millionen verkauften Exemplaren.
ZWEI
Während der ersten Tage erforschte ich das Zimmer, in dem ich lag, oder vielmehr den Teil davon in meinem Blickfeld. Der Raum wurde von einer schäbigen Neonröhre erleuchtet, die so aussah, als würde sie es nicht mehr lange machen.
Rechts von meinem Bett befand sich der Haken mit der Infusionsflasche, die von der Krankenschwester täglich gewechselt wurde. Noch weiter rechts konnte ich einen Schlauch mit einer Art schwarzem Blasebalg ausmachen, der sich regelmäßig hob und senkte und dessen Rhythmus ich inzwischen als »meine Atmung« identifizierte.
Auf der linken Seite stand ein kompliziertes Gerät mit mehreren Schaltern, Lämpchen und Bildschirmen. Später erfuhr ich, dass darüber meine Atmung und mein Herzschlag kontrolliert wurden, genauso wie die Nahrung, die man über einen Schlauch direkt meinem Magen zuführte. Hinter dem Apparat konnte ich noch ein Stückchen von einem Fenster erkennen, das für mich aber der Ursprung großer Qual war. Denn das Licht, das jeden Morgen ins Zimmer fiel, tat meinen Augen weh. Außerdem weckte es mich jeden Tag erneut und holte mich zurück in die Hölle, in der ich hier steckte. Und die körperlichen Schmerzen waren dabei noch gar nichts im Vergleich zu der Folter meiner Gedanken.
Hilflosigkeit, Schuldgefühle, Groll, Angst und die Unfähigkeit, meine Emotionen zum Ausdruck zu bringen – in meinem Verstand kam das alles zusammen und ließ mich schier verrückt werden.
Deshalb bat ich jeden Tag darum, nicht wieder aufzuwachen. Ich wünschte mir das Versagen dieser lebenserhaltenden Maschine, damit meine Zeit hier auf Erden ein Ende fand. Wer gab den Ärzten bloß das Recht, über mein Schicksal zu bestimmen? Was brachte es, mich am Leben zu erhalten? Ich vegetierte doch wie eine verfluchte Pflanze vor mich hin, die weder kommunizieren noch sich rühren konnte!
Die Hilflosigkeit überwältigte mich und verwandelte sich in Hass. Hass auf die, die mich hier am Leben erhielten, Hass auf das Leben selbst. Meiner Meinung nach wäre es wirklich besser gewesen, wenn ich sofort gestorben wäre, wie es auch die Krankenpflegerin gesagt hatte.
Trotz dieser Ansicht kam die Frau jeden Tag mit beklommener Miene herein und wechselte die Infusionsflasche, wobei sie mir nie in die Augen schaute, obwohl sie mich doch für besinnungslos hielt.
Hastig überprüfte sie all die Schläuche, die von meinem Körper zur Maschine führten, und verließ dann so schnell wie möglich das Zimmer. Jeden Tag flehte ich sie bei ihrem Eintreffen in Gedanken an, mich doch endlich in Ruhe zu lassen. Begriff sie denn nicht, dass sie mir keinen Gefallen damit tat, wenn sie mich hier am Leben erhielt?
»Hey! Jetzt hör schon auf damit!«, bat ich sie innerlich. »Wenn dir mein Anblick solche Angst einjagt, dann komm eben nicht mehr, lass mich hier einfach sterben …«
Aber sie behielt ihre Routine bei und ließ mich danach wieder allein … und lebendig … zurück. Immer und immer und immer wieder …
»Verdammt, das soll endlich aufhören! Bitte, irgendjemand muss doch was tun, warum hilft mir denn keiner? Ich will nicht länger leben!«
»DARAN SOLLTEST DU DICH BESSER GEWÖHNEN, WEIL DU HIER WOHL NOCH LÄNGER RUMLIEGEN WIRST«, hörte ich da plötzlich eine Stimme. Aber … es befand sich ja niemand im Raum. »DA HAST DU DICH ABER IN EINE ECHT ÜBLE LAGE GEBRACHT«, fuhr die seltsame Stimme fort.
»Wer bist du? Bist du etwa ein Engel?«, fragte ich erschrocken, weil mir irgendwie klar zu sein schien, dass diese Stimme nicht von außen kam.
»HA! DU ALTER ATHEIST, JETZT GLAUBST DU AUF EINMAL AN GOTT UND SEINEN GANZEN HIMMLISCHEN HOFSTAAT? SEI DOCH NICHT ALBERN!«
»Aber …« Woher wusste diese Person was ich dachte? Verlor ich etwa gerade den Verstand?
»JA, DAS IST SCHON WAHRSCHEINLICHER.«
»Also bist du gar nicht echt?«
»HÖR MAL … ICH KANN DIR NICHTS SAGEN, WAS DU NICHT SOWIESO LÄNGST WEISST. VIELLEICHT BEGREIFST DU JA SOGAR SCHON, WER ICH BIN …«
»Hm … geht es Laura denn gut? Und warum kommen meine Eltern mich nicht besuchen? Wann werde ich sterben? Ist das hier etwa eine Strafe?«
»MANN, BIST DU BESCHEUERT! ICH HAB DIR DOCH GERADE ERKLÄRT, DASS ICH DIR NICHTS SAGEN KANN, WAS DU NICHT LÄNGST SELBST SCHON WEISST.«
»Na, dann bist du mir aber keine große Hilfe.«
»WENN DU WILLST, HAUE ICH EBEN WIEDER AB.«
»Nein! Bitte, geh nicht weg!«
In diesem Moment fiel mir wieder ein, dass Laura oft von spirituellen Wegweisern gesprochen hatte, mit denen man durch Meditation in Verbindung treten konnte.
Ich hatte das allerdings immer für ziemlichen Schwachsinn gehalten.
»ICH AUCH«, warf da die Stimme ein. »ABER WEGWEISER … JA, DIE BEZEICHNUNG GEFÄLLT MIR.«
Allerdings konnte ein spiritueller Wegweiser doch wohl kaum so sarkastisch und ausfallend sein, oder?
»HÖR MAL … WENN DU MICH NICHT LEIDEN KANNST, DANN VERSCHWINDE ICH WIEDER, UND DIE SACHE IST GEGESSEN.«
»Nein, jetzt werd nicht gleich sauer, ich will doch nur verstehen, was hier los ist.«
»VIELLEICHT HÄTTEST DU DIR SOLCHE FRAGEN BESSER FRÜHER GESTELLT, STATT SOLCHE DUMMHEITEN ZU MACHEN.«
»Ich habe ja nur ein wenig Ablenkung gesucht, wollte meinen Problemen entkommen.«
»HA! DU WOLLTEST DEINEN PROBLEMEN ENTKOMMEN. DAMIT HAST DU DICH IN EINEN SKLAVEN VERWANDELT!«
»In einen Sklaven?«
»GANZ GENAU, JETZT HAST DU NÄMLICH KEINERLEI FREIHEIT MEHR, KANNST DICH WEDER BEWEGEN NOCH VERSTÄNDLICH MACHEN. UND MEHR NOCH, DU KÖNNTEST DIR NICHT EINMAL DAS LEBEN NEHMEN, WENN DU WOLLTEST.«
»Und nun bist du gekommen, um mir das unter die Nase zu reiben, damit ich mich noch schlechter fühle!«
»GEKOMMEN? O NEIN, ICH WAR IMMER SCHON DA, ALLERDINGS WOLLTEST DU MIR BISHER NIE ZUHÖREN. AUSSERDEM KANN DICH JA NIEMAND DAZU BRINGEN, DICH AUF EINE BESTIMMTE ART UND WEISE ZU FÜHLEN.«
»Ach, nicht? Das ist doch Blödsinn. Meine Eltern haben mich ständig wütend gemacht. Meinen Geschwistern gegenüber habe ich mich immer unterlegen gefühlt, und selbst meine Partnerinnen haben mich immer nur enttäuscht und mich verletzt.«
»HÖR MAL, ICH WILL VERSUCHEN, ES DIR BESSER ZU ERKLÄREN … BEVOR DU HIERHERGEKOMMEN BIST, WARST DU VÖLLIG FREI. NIEMAND HATTE MACHT ÜBER DICH. DU HATTEST DIE MÖGLICHKEIT, ALL DEINE PLÄNE IN DIE TAT UMZUSETZEN, UND WARST DER HERRSCHER ÜBER DEIN LEBEN.«
»Und was hat das mit meinen Gefühlen zu tun?«
»JETZT BLEIB MAL LOCKER. WOZU DIE EILE? IMMERHIN HABEN WIR DOCH ALLE ZEIT DER WELT ZUM NACHDENKEN UND REDEN.«
»Siehst du, wie sarkastisch du bist!«
»TJA, WEITER IM TEXT: DU HATTEST EBENFALLS DIE KONTROLLE ÜBER DEINE GEDANKEN UND DAMIT DIE MÖGLICHKEIT, DEINE GEFÜHLE FREI ZU WÄHLEN.«
»Wie bitte? Wie soll man denn seine Gefühle wählen?«
»ALSO, DEINE GEFÜHLE ENTSPRINGEN DOCH DEINEN GEDANKEN. SO LÄUFT DAS EBEN: DU DENKST AN ETWAS TRAURIGES, UND DAS MACHT DICH TRAURIG. DER GEDANKE AN ETWAS UNANGENEHMES MACHT DICH WÜTEND. WAHRSCHEINLICH GLAUBST DU WIRKLICH, DASS DICH ANDERE VERLETZEN ODER ENTTÄUSCHEN KÖNNEN UND DU DICH IHRETWEGEN SCHLECHT FÜHLEN WIRST. TATSÄCHLICH KANN SICH JEDOCH NIEMAND IN DEINEN KOPF EINSCHLEICHEN UND ERREICHEN, DASS DU ETWAS BESTIMMTES DENKST ODER FÜHLST. SELBST IN DIESEM MOMENT KÖNNEN DIE ANDEREN ZWAR DEINEN KÖRPER BEWEGEN UND MIT IHM ANSTELLEN, WAS SIE WOLLEN. SIE KÖNNTEN SOGAR DIESEN APPARAT ABSTELLEN, DER DICH AM LEBEN ERHÄLT. ABER IN DEINEM KOPF HAST IMMER NOCH DU DIE KONTROLLE.«
»Du sagst mir das, was ich eh schon weiß.«
»STIMMT, UND DAS BEWEIST JA ZUMINDEST, DASS DU NICHT GANZ SO BLÖD BIST, WIE DU DACHTEST.«
»Jetzt geht es also wieder mit den Beleidigungen los!«
»DAS IST KEINE BELEIDIGUNG. DU HAST DICH DOCH EBEN SELBST ALS DUMM BEZEICHNET, UND DARÜBER HINAUS ALS OPFER. IMMER HAST DU ANDEREN ODER DEN ÄUSSEREN UMSTÄNDEN DIE SCHULD DAFÜR GEGEBEN, WENN BEI DIR ETWAS SCHIEFGELAUFEN IST.«
»Allerdings. Mein Leben war ja auch kein Zuckerschlecken, mit dieser Familie, die ich abgekriegt habe. Und jetzt ist mir auch noch dieses Unglück passiert.«
»ACH, DU ARMER! WENN DU SO REDEST, DANN KOMMST DU MIR WIRKLICH VOR WIE EIN SKLAVE. DU ERSCHEINST MIR WIE EIN SKLAVE DEINER VERGANGENHEIT, DER WÜNSCHE ANDERER MENSCHEN, DER UMSTÄNDE UND DES SCHICKSALS.«
»Was für einen Einfluss sollte ich denn angeblich auf die Ereignisse gehabt haben? Wie hätte ich die anderen kontrollieren sollen?«
»NATÜRLICH HATTEST DU KEINE KONTROLLE ÜBER DIE GESCHEHNISSE, ABER DARÜBER, WAS IN DEINEM KOPF VOR SICH GING, UND DIESE KONTROLLE HAST DU IMMER NOCH. DU ENTSCHEIDEST, WAS DU DENKST UND WIE DU AUF JEDE SITUATION REAGIERST.«
»Ja, klar … Aber wie sollte ich denn positiv auf all meine Probleme reagieren?«
»DU HATTEST DIE MÖGLICHKEIT, SIE ENTWEDER ALS PROBLEM ODER ALS ZU ÜBERWINDENDE HÜRDE ZU SEHEN, ALS SCHICKSALSSCHLAG ODER ALS HERAUSFORDERUNG. WENN NICHT DU ENTSCHEIDEST, WIE DEINE REAKTION AUSSEHEN SOLL, WER DENN DANN?«
»Siehst du, jetzt machst du mich auch schon wütend. Daran soll angeblich ich selbst schuld...
Erscheint lt. Verlag | 16.7.2018 |
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Übersetzer | Sonja Hagemann |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | El Esclavo (The Slave) |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | Bestseller aus Mexiko • Die Hütte • eBooks • Erweckung • Jean Dominique Bauby • Paulo Coelho • Schmetterling und Taucherglocke • Spiritueller Klassiker • the slave • Wachkoma • William P. Young |
ISBN-10 | 3-641-22142-0 / 3641221420 |
ISBN-13 | 978-3-641-22142-3 / 9783641221423 |
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