Spencer Ellsworth schreibt, seit er als Kind schreiben gelernt hat. Seine Kurzgeschichten wurden in Science-Fiction- und Fantasy-Magazinen und Online-Portalen veröffentlicht. »Imperium« ist der Auftakt seiner »Starfire«-Trilogie. Er lebt mit seiner Frau und seinen drei Kindern in Bellingham, Washington.
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Jaqi
Da stehe ich nun, mitten in einer Kampfgrube. Mit einem riesigen, am ganzen Leib tätowierten und mit drei Hörnern bestückten Zarra, der sich genüsslich die blutigen Hände ableckt. Es ist zwar das Blut eines Aliens, aber trotzdem Lebenssaft. Der dem Stoff in meinen Hybrid-Adern recht ähnlich ist.
Und das alles nur wegen Tomaten.
Aber ganz von vorne: Mein Name ist Jaqi, und ich bin halb Mensch, halb Jorier. Das bedeutet für mich, dass ich in der Wildnis, zwischen den unzivilisierten Welten, auf kulinarische Genüsse verzichten muss.
Das letzte Jahr habe ich damit verbracht, auf einem Cricket-Schiff dunkle Knoten abzufliegen. Es wurde für Exoskelettträger gebaut, nicht für menschliche Gliedmaßen, und es stinkt und ist eng. Aber die Crickets zahlen mir ein sehr gutes Honorar für meine Talente. Nein, das Problem bei einem monatelangen Aufenthalt in der Wildnis ist das Essen. Die frischen Vorräte sind bald aufgebraucht, und dann muss man Protein rehydrieren. Protein mit Erdnussbuttergeschmack, Protein mit Schokoladengeschmack, Protein mit Thurkuk-Drüsen-Geschmack (das tastsächlich eher nach Erdnussbutter schmeckt als Protein mit Erdnussbuttergeschmack). Und nach einem Monat möchte man nur noch kotzen, wenn man so einen kleinen braunen Würfel sieht. Ich habe in meiner Verzweiflung sogar den Speise-Lehm des Kapitäns versucht. Es ist einfach nicht fair, dass sich Cricket-Lebensmittel besser halten als die für Menschen. Ich habe mich sofort wieder erbrochen, was im Weltraum normal ist, aber die Crickets haben mich trotzdem ausgelacht – mit diesem seltsamen Geräusch, wenn die Borsten auf ihrem Rücken knisternd aneinanderschaben. Und dann haben sie mir das für den Rest des Jahres vorgehalten.
Knister, knister, knaster. Proteinwürfel, Proteinwürfel. Deshalb begab ich mich, als wir aus der Wildnis, in der wir im letzten Jahr krumme Geschäfte gemacht hatten, in den Wirklich-Echte-Leute-Raum eintauchten, sofort auf die Suche nach Wirklich-Echte-Leute-Essen. Vor allem war ich auf Tomaten scharf.
Die besten Tomaten waren natürlich die, die meine Mutter mir damals in unserer Zeit als Pachtbauern mitgebracht hatte. Meine Eltern hatten die Früchte, die aufgeplatzt waren, mit nach Hause genommen, denn die Obstbauern konnten sie wegen dieses Makels nicht mehr verkaufen. Meine Mutter schnitt dann eine auf und bestreute sie mit Salz, während sie Feldlieder sang und sich dazu in den Hüften wiegte. Dann gab sie mir die Scheibe, und jedes Mal schmeckte sie nach purem Sonnenschein.
Heute würde ich mich schon mit halb reifen Tomaten aus einem Orbital-Treibhaus mit Hefeflocken begnügen. Und vielleicht mit einem hübschen Jungen, der für einen »One-Day-Stand« zu haben ist. Oder einem Mädchen. Oder irgendwas dazwischen, solange sie nicht klammern. Ich bin da nicht so wählerisch.
Die Orbitale Ökosphäre 912 ist ein netter Ort – für einen ungezieferverseuchten galaktischen Schweinestall. Nicht meine Wortwahl: Die Bewohner haben ihm tatsächlich den Spitznamen »Schweinestall« verpasst. Die Umweltkontrollsysteme sind seit Jahren kaputt und stehen auf »Sumpf«. Sie lassen sich nicht mehr umstellen, sodass der Ort einer Waschküche mit einer Luftfeuchtigkeit von hundertzehn Prozent gleicht. Es riecht nach verfaulendem Essen, das man in der zum Schneiden dicken Luft fast kauen kann. Eben ein versiffter, schmieriger Schweinestall.
Ich habe gerade meinen Vertrag mit den Crickets beendet und noch etwa vier Stunden Freizeit, bevor ich mir neue Arbeit suchen muss. Also will ich diese Zeit optimal nutzen.
Die Leuchtschilder blinken mich an, als wir von Bord gehen – ist wahrscheinlich wichtig. Aber ich kann nicht lesen. Was soll’s. Meine Mutter wollte es mir beibringen, aber sie war auch nicht gerade vom Fach. Sie verschwand, als ich acht war, und danach gab es für mich nur noch Arbeit, egal was, auf jedem Schiff, das mich nehmen wollte. Ich kann Navigationskarten lesen, die mit den Zahlen und Linien, aber bei Buchstabenreihen wird mir immer schwindlig. Es wäre schön, wenn ich mir die lange Zeit in der Wildnis mit Lesen vertreiben könnte, aber es gelingt mir auch so irgendwie, nicht den Verstand zu verlieren.
Eines Tages werde ich es lernen. Wenn ich mich wieder in die Mitte der Galaxis wagen kann.
Auf dem Hauptplatz des Schweinestalls wird immer Markt abgehalten, und es herrscht normalerweise viel Betrieb. Es gibt auch reichlich Lebensmittel. Doch jetzt … nur ein paar Stände, die Tuch verkaufen, das so aussieht, als ob es erst einmal gebügelt und mit Fleckenentferner behandelt werden müsste. Es gibt zwar auch einen Lebensmittelstand, aber das Sortiment besteht hauptsächlich aus hochwertigem Protein. Abgesehen davon ist nicht viel los, und die Auswahl an anderen Produkten ist bescheiden. Die meisten Stände sind einfach verschwunden.
Das ist mein ganz persönlicher Albtraum.
Leute eilen vorbei, aber sie haben die Köpfe gesenkt und starren auf ihre huschenden Füße. Da ist ein großer Fleck – Blut? – in der Mitte des Platzes. Jeder scheint diesen Ort so schnell wie möglich wieder verlassen zu wollen. Vor langer Zeit war diese Ökosphäre zu zehn Prozent Handelsposten und zu neunzig Prozent Park. Doch nun hat der Park sich in eine unwegsame Wildnis verwandelt, die unzählige Verstecke bietet. Und es hat den Anschein, als ob jeder sich verstecken wollte.
Die einzige Person, die sich nicht von der allgemeinen Hektik hat anstecken lassen, ist der tätowierte Necro-Priester mit dem totenkopfartigen Gesicht. Er fuchtelt mit seinem Stab in der Luft herum und ruft mit krächzender Stimme: »Tod!« Diese Typen kennen nur dieses eine Wort und rufen es ständig. Das macht sie wohl glücklich.
»Hey«, sage ich zu einer der Gestalten, die an mir vorbeirennen. »Hey, was ist hier los? Wo ist das Essen?«
Er legt noch einen Zahn zu.
»Skrit«, rufe ich einem mir unbekannten empfindungsfähigen Käfer zu. Ich hoffe, dass ich mit der Cricket-Sprache – zumindest mit der menschlichen Pidgin-Version und ohne die knisternden Rückenborsten – zu dem Wesen durchdringe. »Skrit secca nee?«
Das Geschöpf rennt weiter, ohne mich eines Blickes zu würdigen.
»Suchst du nach Antworten?«
Der Typ hat sich von hinten angeschlichen. Seltsamer Kerl. Ich trage ein Tanktop und Shorts und wünschte, ich könnte in der Hitze des Schweinestalls ganz nackt herumlaufen. Doch er trägt einen schwarzen Trenchcoat und einen Hut mit breiter Krempe über einem bärtigen Gesicht. Es gelingt ihm tatsächlich, mich unter diesem Hut heraus anzusehen, ohne mir seine Augen zu zeigen.
Ein Betrüger. Ein verdammter Betrüger.
»Salutes. Ja, suche ich. Aber Antworten ohne ein Preisschild.«
Er lacht. »Du gefällst mir. Wieso liest du denn nicht die Lauftexte auf den Bildschirmen?«
Eine peinliche Situation. »Schlechte Augen.«
Das ist eine triftige Begründung.
»Der Widerstand hat gesiegt. Irithessa ist gefallen.«
»Oh.«
Ich brauche eine Minute, um das sacken zu lassen.
»Oh!«
Es hatte schon seinen Grund, weshalb wir Pachtbauern waren. Meine Eltern waren beide künstliche Züchtungen der gängigsten Kreuzung – siebzig Prozent menschliche DNS, dreißig Prozent jorische –, und bei beiden wurde ein Gendefekt diagnostiziert. Sie sollten eigentlich wieder in den Zuchttank zurück und dort ausgeschlachtet werden, aber sie entkamen. Sie schlossen sich allerdings nicht dem Widerstand an wie andere Hybriden, sondern tauchten unter, und ich tat später das Gleiche. Aber wir setzten unsere Hoffnungen dennoch in die Rebellion. Jeder sympathisiert mit dem Widerstand: Menschen, Crickets, Hybriden, Gasbeutel – einfach alle. Ich habe ein Bild ihres Anführers John Starfire gesehen. Er ist der größte Seelenschwertkämpfer der Galaxis und ein stattlicher Mann obendrein. Versetzt mein weibliches Blut in Wallung. Alle außer den Blaublütern wollen, dass der Krieg endlich aufhört, dass es ein Ende mit den knappen Rationen und den Reisebeschränkungen hat; ganz zu schweigen von den imperialen Hybriden, die massenweise gezüchtet wurden, nur um dann in der Dunklen Zone verheizt zu werden.
Sie wollen das nicht. Sie müssen.
Die Galaxis ist frei.
Jetzt kann ich lesen lernen.
Ich kann zur Schule gehen. Ich kann heiraten und Kinder bekommen. Ich kann Alkohol kaufen!
Der Betrüger scheint meinen perplexen Gesichtsausdruck ziemlich gut zu deuten. »Du bist ein Hybrid?«
»Nein«, antworte ich, sofort vorsichtig geworden. »Ein reiner Mensch.«
»Das ist zu schade. Wirklich eine verdammte Schande. Ich könnte gerade jetzt einen Hybriden gebrauchen, der sich etwas Geld verdienen will. Seit dem Fall von Irithessa funktionieren die imperialen Knoten nicht mehr. Es kommen kaum noch Nachschublieferungen, die Vorräte sind so gut wie aufgebraucht. Aber ich könnte da ein Lager kennen, voll mit dem guten Stoff.«
Es muss die Euphorie sein. Oder der Hunger. Meine Instinkte sagen mir, dass dieser Typ genauso zuverlässig ist wie ein defekter Knoten. Aber ich ignoriere die innere Stimme. Ich Idiot.
»Vielleicht habe ich ja doch etwas jorisches Blut in mir. Für ein wenig von dem guten Stoff.«
»Eine warme Mahlzeit. Du musst sie dir nur noch verdienen.« Er wendet sich mit flatterndem Trenchcoat zum Gehen. Selbst das wirkt irgendwie unecht. Zumindest hätte ich das normalerweise in diesem Moment gedacht.
»Ich mache es.«
Und so verschlägt es mich...
Erscheint lt. Verlag | 14.5.2018 |
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Reihe/Serie | Starfire-Reihe | Starfire-Reihe |
Übersetzer | Martin Gilbert |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | A Red Peace - Starfire Book 1 |
Themenwelt | Literatur ► Fantasy / Science Fiction ► Science Fiction |
Schlagworte | Aliens • eBooks • Fremde Welten • Raumschiffe • Space Opera • Sternenimperium • toughe Heldin • Weltraumabenteuer |
ISBN-10 | 3-641-21381-9 / 3641213819 |
ISBN-13 | 978-3-641-21381-7 / 9783641213817 |
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