Tao. Die komplette Trilogie (eBook)
1392 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-490704-8 (ISBN)
Wesley Chu (*1976) wurde in Taiwan geboren und ist in Chicago aufgewachsen. Nach seinem Informatikstudium arbeitete er unter anderem als Bankangestellter, Schauspieler und Kung-Fu-Lehrer. Für seinen Debütroman ?Die Leben des Tao? erhielt er den Young Adult Library Services Association Alex Award und den John W. Campbell Award als »Best New Writer«.
Wesley Chu (*1976) wurde in Taiwan geboren und ist in Chicago aufgewachsen. Nach seinem Informatikstudium arbeitete er unter anderem als Bankangestellter, Schauspieler und Kung-Fu-Lehrer. Für seinen Debütroman ›Die Leben des Tao‹ erhielt er den Young Adult Library Services Association Alex Award und den John W. Campbell Award als »Best New Writer«.
Kapitel 2 Wiedergeburt
Tao genoss die letzten bewussten Momente mit seinem Wirt, während Edward an der Seite des John Hancock Centers hinabstürzte – ein bittersüßer Luxus, um einander Lebewohl zu sagen. Edward blieb auch im Angesicht seines bevorstehenden Todes gelassen; er hatte mit dieser Möglichkeit bereits vor Jahren seinen Frieden geschlossen.
Lebe wohl, mein Freund. Kehre in Frieden in die Ewige See zurück. Deine Seele wird durch mich weiterleben, und dein Tod wird nicht vergebens sein. Ich werde mich immer an dich erinnern.
»Pass auf dich auf, Tao. Gewinn den Krieg für mich, Kumpel.«
Dann Dunkelheit.
Und beißende, bittere Kälte.
Die Ausstoßung tat weh. Das tat sie immer. Ganz gleich, wie viele Wirte er schon verlassen hatte, Tao war nie auf den alles zermalmenden Schock der dichten Atmosphäre vorbereitet. Er verlor mehrmals hintereinander das Bewusstsein, bis er plötzlich auf den Körper seines gefallenen Freundes hinabblickte.
Tao, der ohne den wärmenden Kokon seines Wirts nicht lange überleben konnte, kämpfte darum, seine gasförmige Gestalt zusammenzuhalten, während stürmische Böen auf ihn einhämmerten. Seine durchsichtige türkisfarbene Membran streckte und dehnte sich wie ein unregelmäßig schlagendes Herz, schwere Sauerstoffströmungen schubsten und zerrten ihn hin und her. Ihm blieben nur wenige Minuten, bis er den nahezu frostigen Temperaturen der harschen Umwelt dieses Planeten zum Opfer fallen würde. Unerbittlich wurde er daran erinnert, weshalb er so verzweifelt wieder nach Hause zurückkehren wollte.
In wenigen Augenblicken würden die Genjix ihre Leute hier herunterschicken. Ihre Scanner konnten Quasing aufspüren, die sich außerhalb von Wirten befanden. Tao betrachtete seine Umgebung. Die Michigan Avenue vor ihm lag zu dieser Stunde, von ein paar vorbeifahrenden Autos abgesehen, ziemlich still da. Hinter ihm ragte die bedrohliche Masse des John Hancock Centers in den Himmel auf, unheimlich, schwarz und still.
Tao beschloss, sein Glück Richtung Süden zu versuchen, und schwebte den Bürgersteig entlang. Obwohl die Zeit gegen ihn arbeitete und die Auswahl zu wünschen übrigließ, war er fest entschlossen, seinen potentiellen Wirt mit Bedacht zu wählen. Sein erster Kandidat war ein alter Landstreicher, der auf der Bank einer Bushaltestelle schlief. Tao betrachtete ihn aus der Nähe: schwache Skelettstruktur, multiple Abschürfungen an der Membran, ungleichmäßige, flache Atmung. Tao beschloss weiterzuziehen. Es war sinnlos, sich mit einer so alten und gebrechlichen Person zusammenzutun. Selbst zu dieser Stunde musste es einen geeigneteren Wirt geben!
Er schwebte auf der Michigan Avenue weiter nach Süden, überquerte den Water Tower Plaza in Richtung Chicago Avenue, wandte sich am Museum of Contemporary Art nach Osten und musterte einen streunenden Hund, der einen Müllcontainer durchwühlte. Ein großer Mischling, vermutlich Mastiff und Pitbull, mit starkem Gebiss, kräftigen Beinen und einem intelligenten, wachsamen Blick. Tao schätzte, dass er nicht älter als drei oder vier Jahre sein konnte. Er zog das Tier einen Augenblick lang in Betracht, ehe er seinen Weg fortsetzte. Er war seit Jahrhunderten nicht mehr so verzweifelt gewesen, sich einen tierischen Wirt zu nehmen.
Als er sich umdrehte, sah er eine Gruppe von vier Menschen in der Ferne auf sich zulaufen. Die Genjix hatten ihn gefunden! Wenn sie nahe genug kamen, konnte ihn bereits ein einziger Schuss in Stücke reißen. In seinem natürlichen Zustand konnte ein Quasing einem Menschen nicht entkommen. Verstecken stand nicht zur Debatte. Die Scanner würden ihn finden, solange er sich innerhalb ihres Radius aufhielt. Tao musste einfach rechtzeitig einen passenden Kandidaten aufstöbern. Er eilte weiter.
Erneut folgte er der Michigan Avenue Richtung Süden. Kurze Zeit später sah er auf der anderen Straßenseite eine athletische Frau Ende zwanzig, gut einen Meter achtzig groß bei einem Gewicht von etwa sechzig Kilo. Eine exzellente Kandidatin. Als Wirt fand er sie zwar etwas zu alt, aber zu dieser Tageszeit waren nur wenige Jüngere unterwegs. Tao traf seine Entscheidung und schwebte auf sie zu, so schnell er konnte. Er überquerte die Straße dicht über dem Straßenbelag, um den stärkeren Luftströmungen zu entgehen, und achtete darauf, fahrenden Autos auszuweichen.
Die junge Frau stand am Straßenrand. Sie spähte aufmerksam nach links und rechts. Vor Tao zischte ein Auto vorbei und verursachte einen Luftzug, der ihn von seinem Kurs abbrachte. Er verlor wertvolle Sekunden damit, die Kontrolle zurückzuerlangen. Gerade als er sie erreichte und in sie einziehen wollte, winkte sie ein Taxi heran und stieg ein. Das Fahrzeug brauste davon.
Nein! Tao ließ sich von diesem Rückschlag nicht entmutigen. Er war fest entschlossen, diese Nacht zu überleben. Seine Membran riss in der Kälte langsam auf. Wie ein Mensch, der im Meer ertrank, wurden seine Bewegungen zunehmend kraftloser. Er erreichte die Ontario Street und begab sich nach Westen. Ein paarmal überlegte er, zu dem Hund zurückzukehren, aber er ahnte, dass er es nicht rechtzeitig schaffen würde. Auf der anderen Straßenseite stand eine Menschentraube, doch es herrschte zu viel Verkehr, als dass er den Übergang hätte riskieren können. Schon ein kleiner Unfall wäre für ihn in seinem geschwächten Zustand mit Sicherheit tödlich.
Ein lauter Knall hallte in der Ferne wider. Neben ihm zersplitterte die Fensterscheibe eines Autos. Er sah, wie zwei weitere Genjix-Agenten, keine zweihundert Meter von ihm entfernt, auf ihn anlegten. Ihm blieb nicht mehr viel Zeit. Tao bog um die Ecke und floh die Straße entlang. Er musste einen Wirt finden, solange er außerhalb der Sichtweite der Genjix-Agenten war, und ihn aus der Gefahrenzone befördern, ehe sie ihn in ihrem Überwachungsnetz einfingen.
Eine Gestalt kam aus einem Gebäude am entfernten Ende des Blocks und lief in seine Richtung. Tao wusste, dass dies vermutlich seine letzte Chance war, also schwebte er auf die Zielperson zu und stemmte sich entschlossen gegen die Luftströmungen, die ihn wie ein Segelboot in einem Sturm herumwarfen. Die Kälte war überwältigend – schmerzhafte Dolchstiche, die seine Membran punktierten. Wäre er ein Mensch gewesen, hätten Schreie die Qualen nicht ausdrücken können, die er empfand. Es war, als würde er gleichzeitig zermalmt und ausgeweidet. Die Vorstellung, einfach loszulassen, erschien ihm mit einem Mal ungeheuer verführerisch. Die letzte Ruhe … hatte er sie sich nicht verdient?
Für einen Moment verlor Tao das Bewusstsein und trieb in die Schwärze davon. Er wurde von einem unaussprechlich süßen Gefühl der Taubheit überwältigt. Wenn diese Gelassenheit tatsächlich das Ende ankündigte, war das Sterben möglicherweise gar keine so große Sache. Die Quasing dachten nur selten an den Tod, und Tao fürchtete ihn sogar noch weniger als die meisten anderen. Aber nun ergab er sich ganz dieser betörenden Taubheit, die die letzten Momente seiner Existenz einläutete. Hätte er nur schon vorher gewusst, dass es so schön sein würde!
Aber das bedeutete zugleich, dass die Prophus verloren.
Und die Genjix siegten.
Er dachte an Edward. Und an jeden seiner Brüder, der durch die Genjix gefallen war. Er dachte an die Folgen eines Triumphs der Genjix. Sie würden die Erde – einen Planeten, den er ebenso wie seine Bewohner nach und nach schätzen gelernt hatte – in eine Ruine verwandeln. Seine Mission war noch nicht vollendet. Mit einem stummen Heulen kam Tao ruckartig wieder zu Bewusstsein und blickte zu der Gestalt auf, die gerade neben ihm in ein Auto stieg. Er kämpfte sich energischer voran als je zuvor. Zu viel stand auf dem Spiel, als dass er einfach aufgeben könnte. Tao war jetzt beinahe am Ziel und bereitete sich auf den Einzug in den Körper des neuen Wirts vor – als dieser in das Auto stieg und die Tür zuknallte.
Nicht noch einmal. Vorbei. Niemand hielt sich mehr in der Nähe auf, und ihm fehlte die Kraft, um sich noch weiterzubewegen. Tao schwebte an der Außenseite der Karosserie entlang und beobachtete, wie der Fahrer den Motor startete. Seine Zeit war abgelaufen. Sein Tod stand unmittelbar bevor. Es erschien ihm irgendwie unpassend, dass sein Leben so jämmerlich enden sollte. Plötzlich öffnete sich die Tür, und der Mann beugte sich nach draußen und neigte den Kopf zur Seite.
Tao konnte sein Glück kaum fassen, glitt ins Fahrzeug und konzentrierte sich auf seinen neuen Wirt. Der Hautpigmentierung nach zu urteilen musste der Mann Anfang dreißig sein. Er wog knapp 120 Kilo und war nicht annähernd zwei Meter groß. Seine Skelettstruktur wirkte instabil, und ihn plagte ein Herzleiden, vermutlich verursacht durch ein äußerst ungünstiges Verhältnis zwischen Muskelmasse und Fett. In seinem Organismus befand sich außerdem eine beträchtliche Menge Alkohol, die seine Fähigkeit, ein Fahrzeug zu führen, erheblich beeinträchtigte. Offenbar ein Mann, der auf Abenteuer aus war, oder ein Narr – beides konnte sich Tao zunutze machen.
Inzwischen tat es ihm leid, sich gegen den Hund entschieden zu haben. Das Tier hätte ihn zumindest problemlos zurück zu den Prophus zurückgebracht. Menschen machten deutlich mehr Mühe, man musste sie körperlich fit machen und auf Trab bringen. Nun, die Entscheidung war gefallen. Er musste mit dem arbeiten, was er hatte.
Mit letzter Kraft drängte er sich in sein neues Zuhause. Der Übergang in einen neuen Wirt gestaltete sich immer schwierig. Durch die Haut absorbiert zu werden war knifflig, wenn auch längst nicht so schwer wie bei einigen anderen Kreaturen, die er schon in Besitz genommen hatte. Bei Dinosauriern...
Erscheint lt. Verlag | 25.1.2018 |
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Übersetzer | Susanne Gerold, Andreas Heckmann, Simone Heller |
Verlagsort | Frankfurt am Main |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Fantasy / Science Fiction ► Science Fiction |
Schlagworte | Actionthriller • Agentenroman • Agententhriller • Aliens • Außerirdische • Becky Chambers • Bundle • funny Science Fiction • humorvolle Science Fiction • John Scalzi • Kingsman • Kung Fu • science fiction bestseller • Science Fiction Roman • Science Fiction Trilogie • SF-Thriller • Spionage • Verschwörungstheorie • Wesley Chu • Zeitkurier |
ISBN-10 | 3-10-490704-8 / 3104907048 |
ISBN-13 | 978-3-10-490704-8 / 9783104907048 |
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