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Menschen im Hotel (eBook)

(Autor)

eBook Download: EPUB
2018 | 1. Auflage
336 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-30893-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Menschen im Hotel -  Vicki Baum
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Vicki Baum wiederentdecken - mit ihren besten Romanen! Vicki Baum schrieb von den 20ern bis in die 50er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts zahllose Bestseller und führte das Leben eines Weltstars. Ihr Verlag würdigt sie nun mit einer wegweisenden Biographie und der Neuausgabe ihrer bekanntesten Romane. Menschen im Hotel, erschienen im Jahr 1929, machte Vicki Baum weltberühmt. Der mit leichter Hand, Poesie und subtilem Witz erzählte Roman führt eine Handvoll Menschen im Grand Hotel zusammen, zeigt sie in ihren Krisen, Träumen und Enttäuschungen und liefert ein atmosphärisch dichtes Bild vom Berlin der 20er-Jahre. Am Broadway dramatisiert, in Hollywood mit Greta Garbo, später noch einmal mit Heinz Rühmann verfilmt, begründete der Roman Vicki Baums Weltruf und ebnete ihr den Weg in die USA.

Vicki Baum, geboren 1888 als Tochter einer jüdisch-bürgerlichen Familie in Wien, gestorben 1960 in Hollywood. Sie war ausgebildete Musikerin und arbeitete ab 1926 als Redakteurin in Berlin. 1932 wanderte sie nach Hollywood aus, wo ihr Roman »Menschen im Hotel« verfilmt wurde. In Deutschland wurden ihre Bücher von den Nazis als »Asphaltliteratur« verfemt und verbrannt. Ihre Romane sind in zahlreiche Sprachen übersetzt und teilweise dramatisiert und verfilmt worden.

Vicki Baum, geboren 1888 als Tochter einer jüdisch-bürgerlichen Familie in Wien, gestorben 1960 in Hollywood. Sie war ausgebildete Musikerin und arbeitete ab 1926 als Redakteurin in Berlin. 1932 wanderte sie nach Hollywood aus, wo ihr Roman »Menschen im Hotel« verfilmt wurde. In Deutschland wurden ihre Bücher von den Nazis als »Asphaltliteratur« verfemt und verbrannt. Ihre Romane sind in zahlreiche Sprachen übersetzt und teilweise dramatisiert und verfilmt worden.

Inhaltsverzeichnis

Der Vorhang fiel, er berührte mit dem dumpfen Aufschlag schweren Eisens den Bühnenboden. Die Grusinskaja, die eben noch blumenleicht zwischen den Mädchen hingewirbelt war, kroch keuchend hinter die erste Kulisse. Sie hielt sich ganz sinnlos mit ihrer zitternden Hand an dem Muskelarm eines Bühnenarbeiters fest und zog den Atem aus sich heraus, wie eine Verwundete. Schweiß rann die gekerbten Furchen unter ihren Augen entlang. Der Applaus war schwach wie ferner Regen und kam dann mit einem Schlag sehr nah, als ein Zeichen, dass der Vorhang sich wieder hob. Ein angestrengter Mann in der Kulisse gegenüber drehte ihn in großen Kurbelschwüngen hoch. Die Grusinskaja setzte ihr Lächeln auf wie eine Papplarve und tanzte an die Rampe zur Verbeugung.

Gaigern, der sich maßlos gelangweilt hatte, schlug aus purer Liebenswürdigkeit dreimal schwach die Hände gegeneinander und schob sich aus seiner Parkett-Reihe zu einem der verstopften Ausgänge. In den vorderen Reihen und auf der Galerie schrien und klatschten ein paar Unentwegte; weiter rückwärts drängte und schob alles garderobenwärts. Für die Grusinskaja auf der Bühne sah es aus wie eine Flucht, eine kleine Panik, dieses Fortströmen der weißen Hemdbrüste, der schwarzen Herrenrücken, der Brokatmäntel – alle in einer Richtung. Sie lächelte, warf den Kopf auf dem stengelschmalen Hals zurück, hüpfte nach rechts, nach links, warf ihre Arme grüßend gegen das abmarschbereite Publikum. Der Vorhang kam herunter, schlug auf. Das Ballett stand noch in starren Posen da, es hatte Disziplin. »Vorhang! Vorhang!«, schrie hysterisch der Ballettmeister Pimenoff, der die Erfolgzeremonien zu regeln hatte. Es ging langsam, der Mann an der Kurbel arbeitete verzweifelt. Ein paar Leute im Parkett, die schon an den Türen waren, blieben nochmals stehen, lächelten leer und klatschten. Auch in einer Loge wurde applaudiert. Die Grusinskaja deutete auf die Mädchen, die als Nymphen in Tarlatan um sie herum gruppiert waren, sie schob mit allen Zeichen der Bescheidenheit das bisschen Applaus von sich ab und diesen unbedeutenden jungen Wesen zu. Es kamen noch ein paar Leute mehr unter die Türen, solche, die ihre Mäntel schon angezogen hatten und nun mit amüsierter Miene den Rummel betrachteten. Witte, der alte deutsche Kapellmeister unten im Orchester, heischte mit beschwörenden Gebärden Gehorsam von den Musikern, die ihre Instrumente einpackten. »Niemand darf weggehen!«, flüsterte er angstvoll, auch er zitterte und war schweißüberströmt. »Niemand weggehen, bitte, meine Herren. Vielleicht muss der Frühlingswalzer wiederholt werden.«

»Nur keene Bange nich«, sagte ein Fagott. »Heut jibts keene Drufjaben. Det is erledicht for heute. Na, wat ha’ch jesacht?«

Wirklich vertröpfelte der Applaus. Die Grusinskaja sah gerade noch den großen, schwarzen, aufgerissenen Mund des lachenden Musikers unten, bevor der Vorhang sie vom Haus trennte. Plötzlich war der Applaus vorbei, erschreckend klaffte das plötzliche Verstummen draußen, und in der Stille hörte man die Tarlatanmädchen mit ihren seidenen Fußspitzen scharren. »Dürfen wir abgehen?«, flüsterte Lucille Lafite, die erste Tänzerin, französisch zu dem zitternden, weiß geschminkten Rücken der Grusinskaja.

»Ja. Ab. Alles ab. Geht zum Teufel!«, antwortete die Grusinskaja russisch. Sie wollte es schreien, aber es klang halb gehustet und halb geschluchzt. Aufgescheucht drängte der Tarlatan hinaus. In den Rampen erlosch das Licht, und ein paar Sekunden lang stand die Grusinskaja allein auf der Bühne, frierend in der grauen Probenbeleuchtung.

Plötzlich war etwas zu hören, wie das Knacken eines Zweiges, wie das Trappen eines Pferdes, unverkennbar – draußen im geleerten Haus applaudierte ein Mensch ganz allein. Nicht etwa, dass ein Wunder geschehen wäre; es war nur der Impresario Meyerheim, der verzweifelt und tollkühn den Abend zu retten versuchte. Er schlug seine gut akustischen Hände mit aller Gewalt und dem Ausdruck eines frenetischen Entzückens ineinander und warf dabei wütende Blicke zu den Rängen hinauf, wo eine pflichtvergessene Claque zu früh ihre Posten verlassen hatte. Baron Gaigern war es zunächst, der das einsame Geräusch gehört hatte und noch einmal hereinkam, neugierig und zu Spaß aufgelegt. Er zog rasch seine Handschuhe aus und stimmte heftig in den Applaus mit ein, ja, als einige Claqueure und ein paar Neugierige aus der Garderobe zurückgelaufen kamen, trampelte er sogar mit den Füßen wie ein erfreuter Student. Ein paar Vergnügte schlossen sich an, es wurde ein kleines, lustiges Justament draus, und schließlich waren da etwa sechzig Personen, die in die Hände schlugen und nach der Grusinskaja riefen.

»Vorhang! Vorhang!«, schrie Pimenoff mit überschlagender Stimme; die Grusinskaja tanzte hysterisch auf und ab. »Michael! Wo ist Michael! Michael soll mitkommen –«, schrie sie lachend und die Wimpern voll blauer Schminke, voll Schweiß und Tränen. Witte stieß den Tänzer Michael vor die Kulissen; ohne hinzuschauen, empfing die Grusinskaja seine Hand, die so gleitend nass war, dass es Mühe gab, sie festzuhalten, und mitten vor dem Souffleurkasten stehend machten sie ihre Verbeugungen, mit der schönen Harmonie zusammengearbeiteter Körper. Kaum war der Vorhang unten, begann die Grusinskaja ihre Erregung in einer Szene zu lösen. »Du hast alles verpatzt! Du bist an allem schuld! Du hast die dritte Arabeske verwackelt! Nie wäre mir mit Pimenoff so etwas passiert –«

»Erbarmung, ich? Aber Gru!«, flüsterte Michael in seinem komischen Baltisch, es klang hilflos. Witte schleppte ihn schnell ab in die dritte Kulisse, er legte ihm die alte Hand auf den Mund. »Um Gottes willen – keinen Widerspruch – lass sie –!«, flüsterte er. Die Grusinskaja nahm allein den Applaus entgegen. Zwischendurch und solange der Vorhang unten war, tobte sie sich aus. Sie belegte alle mit furchtbaren Flüchen, sie nannte sie Schweine, Hunde, verbummelte Saubande, alle miteinander, sie warf Michael Trunksucht vor und Pimenoff noch Schlimmeres, sie drohte dem abwesenden Ballett mit Entlassung und dem anwesenden, schweigenden und betrübten Kapellmeister Witte mit Selbstmord wegen ruinierter Tempi. Dabei flog ihr das Herz in der Brust wie ein müder, verirrter Vogel, und die Tränen liefen ihr über das Lächeln aus Wachs und Schminke. Schließlich machte der Oberbeleuchter ein Ende, indem er einen großen Hebel niederdrückte, es wurde dunkel im Haus, ein ungeduldiger Mann breitete graue Tücher über die Stuhlreihen. Der Vorhang blieb unten, der Mann von der Kurbel ging heim.

»Wie viel Vorhänge, Suzette?«, fragte die Grusinskaja die ältliche Person, die ihr in der Kulisse einen verblichenen, unmodernen Wollmantel umhängte und die eiserne Bühnentür vor ihr aufstieß. »Sieben? Ich habe acht gezählt. Sieben meinen Sie? Das ist auch ganz schön, nicht? Aber war es ein Erfolg?«

Ungeduldig hörte sie die Beteuerungen Suzettes an, wonach es ein riesiger Erfolg gewesen sei, beinahe so wie in Brüssel vor drei Jahren. Madame erinnerte sich? Madame erinnerte sich. Als ob man einen großen Erfolg vergessen konnte! Madame saß in der kleinen Garderobe, starrte in die Glühlampe, die in einem Drahtgitter über dem Spiegel hing, und erinnerte sich. Nein, so wie in Brüssel ist es nicht gewesen, dachte sie verdüstert und zum Sterben müde. Sie streckte ihre schweißnassen Glieder von sich; wie ein Boxer, der nach einer schweren Runde in seiner Ecke liegt, saß sie da und ließ sich von Suzette abreiben, frottieren und mit Abschminke behandeln. Die Garderobe war ein trübsinniger Aufenthalt, überheizt, unsauber, klein; es roch nach alten Kostümen, nach bitterem Mastix, nach Schminke, nach hundert überanstrengten Körpern. Vielleicht schlief die Grusinskaja ein paar Sekunden, denn sie ging durch die steinbelegte Vorhalle ihres Landsitzes am Comer See – aber gleich darauf war sie wieder bei Suzette und der nagenden, brennenden Unzufriedenheit mit dem Abend. Es war kein großer Erfolg gewesen, nein, es war kein großer Erfolg gewesen. Und was war das für eine grausame und unbegreifliche Welt, die einer Grusinskaja den großen Erfolg vorzuenthalten begann?

Niemand wusste, wie alt die Grusinskaja war. Es gab alte russische Herren, emigrierte Aristokraten, die in den möblierten Zimmern Wilmersdorfs wohnten und vorgaben, die Grusinskaja schon vierzig Jahre zu kennen – was sicherlich eine Übertreibung war. Aber einen zwanzigjährigen internationalen Ruhm konnte man ihr ohne Weiteres nachrechnen, und zwanzig Jahre Erfolg und Berühmtheit sind eine endlose Zeit. Manchmal sagte die Grusinskaja zum alten Witte, der ihr Freund und Begleiter seit den Anfängen ihrer Karriere war: »Witte, ich bin ein Mensch, der ein viel zu schweres Gewicht stemmen muss, immerfort, immerfort, das ganze Leben lang.« Und Witte antwortete ernsthaft: »Lassen Sie das, bitte, niemanden merken, Elisaweta Alexandrowna,· sprechen Sie nicht von Schwere. Die ganze Welt ist schwer geworden. Ihre Mission ist es, erlauben Sie, Elisaweta, das Leichte zu sein. Verändern Sie sich gütigst nicht, es wäre ein Weltunglück –«

Die Grusinskaja veränderte sich nicht. Sie wog 96 Pfund seit ihrem achtzehnten Jahr, das war ein Teil ihres Erfolges und ihrer Möglichkeiten. Ihre Partner, auf diese Leichtigkeit eingestellt, konnten mit keiner andern mehr tanzen. Ihr Nacken, ihre Gestalt, die nur aus Gelenken zu bestehen schien, das Herzoval ihres Gesichtes blieben immer gleich. Ihre Arme bewegten sich wie zuchtvolle Flügel. Ihr Lächeln unter den länglichen Lidern hervor war ein Kunstwerk für sich. Die ganze Kraft der Grusinskaja war nur auf eines gerichtet: sich...

Erscheint lt. Verlag 11.1.2018
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Berlin • Film • Grand Hotel • Hotel Shanghai • Klassiker • Krisen • Liebe und Tod auf Bali • Menschen • Oscar • Zwanziger Jahre
ISBN-10 3-462-30893-9 / 3462308939
ISBN-13 978-3-462-30893-8 / 9783462308938
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