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Hotel Laguna (eBook)

Spiegel-Bestseller
Meine Familie am Strand
eBook Download: EPUB
2017 | 1. Auflage
368 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-31787-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Hotel Laguna -  Alexander Gorkow
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»Alexander Gorkows melancholische Familiengeschichte ist eine Liebeserklärung an Mallorca, an Ferien der Kindheit und an Träume, die man sich lange darüber hinaus bewahrt.« Petra Gibt es sie wirklich, die Traumorte unserer Kindheit? Nach mehr als 30 Jahren Abwesenheit kehrt Alexander Gorkow ins Paradies zurück; in das Dorf Canyamel, an die Nordostküste Mallorcas. Gemeinsam mit Mutter, Schwester und Vater - einem gütigen wie exzentrischen Patriarchen - verbrachte das Kind hier prägende Urlaube. Nun reist Alexander Gorkow wieder an, als preisgekrönter Reporter und vom Leben gezeichneter Familienvater. Eine moderne Tragikomödie nimmt ihren Lauf, über unsere Urlaube, damals und heute, die Menschen unseres Lebens - und unsere ewige Sehnsucht nach dem Meer. »Das Buch hat Herz und Witz und: eine große Seele.« Matthias Brandt »Das schönste Buch des Sommers« Christine Westermann

Alexander Gorkow, geboren 1966, arbeitet seit 1993 bei der Süddeutschen Zeitung. Buchveröffentlichungen: »Kalbs Schweigen« (2003), »Mona« (2007),  »Draußen scheint die Sonne. Interviews« (2008), »Hotel Laguna« (2017). Als Herausgeber: Till Lindemanns »In stillen Nächten« (2013) und »100 Gedichte« (2020).

Alexander Gorkow, geboren 1966, arbeitet seit 1993 bei der Süddeutschen Zeitung. Buchveröffentlichungen: »Kalbs Schweigen« (2003), »Mona« (2007),  »Draußen scheint die Sonne. Interviews« (2008), »Hotel Laguna« (2017). Als Herausgeber: Till Lindemanns »In stillen Nächten« (2013) und »100 Gedichte« (2020).

Inhaltsverzeichnis

Der Plan


Ich beschließe, nach Canyamel zurückzukehren. Alle erklären mich für verrückt, müssen dann aber einsehen, dass ich genial bin

Im Frühjahr 2015 sagte der italienische Premier Matteo Renzi im Angesicht der Flüchtlingskrise und so vieler Gestrandeter und Toter: »Das Mittelmeer ist eine Bestie.« Zur selben Zeit hörte ich, als ein Busfahrer der Linie 185 der Münchner Verkehrsgesellschaft den anderen ablöste, wie sich die beiden Männer über ihre Urlaube unterhielten. Der eine Fahrer sagte, er komme gerade aus Jamaika. »Supa, oder?«, fragte der andere. »Ja … scho«, sagte der eine, als habe er noch mal eben nachdenken müssen, während er den Bus die letzten Meter in die verregnete Haltebucht lenkte, aber auch so, als habe er im Grunde genommen keine rechte Erinnerung mehr an Jamaika. Der andere: »I fliag nach Vancouver mit der Soffi nexte Woch.« »Aa ned schlecht.« Ich kam gerade aus einem Redaktions-Hochhaus im Münchner Stadtteil Berg am Laim, den mein Freund Matthias so hässlich findet, dass er ihn Dreck am Stecken nennt. Ich dachte: Früher sind Busfahrer nicht in die Karibik oder nach Kanada geflogen. Gut, dass sie es jetzt tun, wenn sie wollen, die netten Leute der MVG, die mich immer überall in der Stadt aufsammeln und mitnehmen.

 

Ich hingegen werde nach Mallorca zurückkehren, ans Mittelmeer, das Menschen verschlingt und in dem andere, glücklichere Menschen baden. Ich werde nachschauen, ob es den Ort meiner Kindheit noch gibt, Canyamel, die Menschen von Canyamel, zum Beispiel Teo und María, die Freunde meiner Eltern, die damals so jung waren wie meine Eltern und die jetzt sehr alt sein müssen. Wenn sie noch leben. Ihre Kinder Patricia und Pedro, die jetzt so alt sein müssen wie ich, um die fünfzig. Wenn sie, was wahrscheinlicher ist als bei ihren Eltern, noch leben.

Ich möchte wissen, was aus der Vaca geworden ist, unserem kleinen Hotel, das ich in den Reiseportalen im Internet nicht mehr finde. Ich finde dort aber das alte Hotel Laguna, und es sieht auf diesen Bildern so schön aus wie immer. Stolz steht es am Strand mit seinen immer noch roten Fensterläden. Ein fabelhafter Sommerfrischler. Eine Ikone. Das Laguna behauptet offenbar die Stellung, und es gehört tatsächlich immer noch dem Unternehmen Universal Reisen, nicht irgendeiner Group. Es ist immer noch in Schweizer Hand. Aber Urlaub machen darf dort jetzt jeder. Jeder darf heute alles, reisen, schreiben, kaufen, Meinung sagen, alles fordern, alles zurückschicken, die Welt hat die Türen aufgerissen.

 

Zwei Vorhaben wurden mir in den letzten Jahren vergeblich ausgeredet, beide haben erst einmal nichts, dann doch vieles miteinander zu tun. Zum einen bewege ich mich seit nunmehr drei Jahren ohne eigenes Auto durch München und die Welt, zum anderen bin ich nach Mallorca zurückgekehrt.

Zunächst also legte ich den Schlüssel für den komfortablen Dienstwagen in die Hände des fassungslosen Herrn von der Leasingfirma. Ich mochte nicht mehr jeden Tag zwei Mal unter Hitlers Balkon am Münchner Prinzregentenplatz im Stau stehen und kaufte mir stattdessen ein neues schickes Fahrrad und ein Jahresticket bei den Münchner Verkehrsbetrieben. Wieso sollte man, nur, weil die anderen es auch tun, mit der vom BMW-Bordcomputer hämisch errechneten Durchschnittsgeschwindigkeit von zwölf Stundenkilometern zur Arbeit fahren und am Abend in Schwabing fünfundvierzig Minuten lang einen Parkplatz suchen? Als verzweifelte, tonnenschwer gepanzerte, dem Tode geweihte Kriechtiere kurvten meine Nachbarn und ich in unseren pfeilschnell gedachten, böse schauenden, total überkomplexen Todesmaschinen durch unsere Privilegiertenviertel mit ihren Altbaustraßen.

 

Ich muss mich nicht mehr um den Wagen kümmern und ihn erst heimbringen und derlei Sachen. Ich muss nicht mehr im BMW-Innovations-Laboratorium zwei Stunden lang die Windjacken und Leichtmetallfelgen in der Auslage betrachten, während die Bordelektronik für meine 12-km/h-Fahrten neu programmiert wird oder mein Wagen seine Sommerreifen bekommt, mit denen er endlich wieder 250 km/h fahren könnte, wenn es nicht so viele andere Autos gäbe. Ich war mit Auto ein neurotischer Mensch, der sich mit anderen Menschen durchs offene Fenster anpöbelte.

»Fick dich!« – »Fick du dich!«

Dialoge wie dieser waren deprimierend. Die Langeweile ist eine tödliche Macht. Trump und der Brexit und die AfD, all dies passierte in diesen Jahren weniger aus Not. Es passierte aus Langeweile, aus klammernder, stumpfer Sinnlosigkeit. Die Leute werden dann paranoid. So konnte es nicht weitergehen.

 

Tatsächlich lag meinem Vorhaben, nach Canyamel zurückzukehren, nicht nur der Plan zur Rückeroberung des Kindheits-Paradieses zugrunde. Da war noch der Gedanke der Abrüstung, und die hatte beim Verzicht auf den Dienstwagen schon funktioniert. Canyamel war nicht nur eine sentimentale Chance, die furchtbar enden konnte. Sondern auch eine praktische. Ich wollte kein teures Haus mieten mit insgesamt zehn Leuten in abgelegenen Gegenden am Atlantik oder in der Toskana und dort dann jeweils in Supermärkten gigantische Einkaufswagen herumschieben.

 

Im Laguna zu wohnen, hieß, Zeit für sich zu haben. Es hieß, sich um nichts kümmern zu müssen, nicht zum Strand fahren zu müssen, weil es am Strand steht, kein Essen kaufen und kochen zu müssen, weil das Hotel das Essen kauft und es für einen kocht. Es hieß, keine Wäsche waschen zu müssen, weil das Hotel die Wäsche wäscht, und wenn man sich also bald langweilte und schon fünfmal in Artà war und siebenmal in Cala Ratjada, hieß es allerdings auch: Okay, dann jetzt doch mal das abendliche Entertainmentprogramm auf der Hotel-Terrasse, einschließlich des wöchentlichen Bingo-Abends. Es hieß kennenzulernen: Alte, Junge, Kinder, Kleinkinder, Babys, Deutsche, Schweizer, Beamte, Angestellte, Trauernde, Hoffende, Hessen, Storchenbeinige mit in der Mitte plötzlich gigantisch abstehenden, schwangerschaftsgleichen Bäuchen, Grippekranke, Durchfallkranke, Gesunde, Alleinreisende, Alleinreisende mit Kind, Alleinreisende mit Kind in der Gruppe, um sich kennenzulernen, einen Antifaschisten mit »Niemand-muss-Bulle-sein«-Shirt, einen möglicherweise Deutschnationalen, der jeden Tag mit einem weißen T-Shirt, auf dem schlicht »Deutschland« steht, böse sein Müsli reinbaggert, während seine Frau verängstigt am Käse herumschneidet, ein (!) Hipsterpärchen, das jede Kuchengabel im Laguna bestaunt, als sei es auf einem ironischen Flohmarkt. Es hieß auch: Konservative, Männer mit SPD-Stofftaschen, Steinalte mit Billy-Idol-Frisuren, sowieso Totaltätowierte, Freundliche, Bescheuerte, junge, hübsche Paare mit unfassbar niedlichen, schnullerspuckenden Kindern, Freche, Lustige, die brillanten Kafka-Biografien von Reiner Stach stoisch, mitunter wissend lächelnd am Pool Weglesende, Humorlose, geistig Behinderte, die als einzige Hotelgäste am Showabend mit dem galizischen Tom-Jones-Tribute-Sänger John Romero den Spaß ihres Lebens haben und tanzen, tanzen, tanzen, körperlich Behinderte, komplett Nicht-Behinderte, aber im Gegensatz zu den Behinderten Gehemmte – es hieß: andere Menschen, es hieß: Bevölkerung.

Menschen sind das, von denen sich viele schon seit Jahr und Tag hier im Laguna, dem Hotel des Volkes, einmieten, weil das Leben ist hart genug.

 

Schnell und vorsichtshalber beschloss ich, alles, was ich sonderbar oder unangemessen finden würde, mit Humor zu nehmen. Danach würde ich sicher auch mal wieder Lust auf ein Haus mit Freunden an der Atlantikküste haben, wie damals im wunderschönen St. Girons zwischen Biarritz und Bordeaux. Aber noch war nicht Danach, noch war Jetzt beziehungsweise Vorher: Und die Süchtigen dieser Welt wissen, dass die Minuten vor dem Kokain immer die besseren sind als die mit dem Kokain.

 

Der Plan zu dieser Vollpensionsreise klang nicht cool, und das Gute an fünfzig Lebensjahren ist dann, dass einem das, wie anderes auch, egal ist. Wer sein Leben jetzt nicht lebt, für den ist es bald zu spät. Trotzdem beschloss ich, dem Unterfangen einen durchdachten, ironischen Anspruch zu geben, mich also wichtigzumachen und die Sache anders zu verkaufen, nämlich als aufregende Rückkehr in meine Kindheitsbucht.

 

Viele Menschen halten Journalisten für kleine niederträchtige Gesellen, die immer eine Begründung brauchen, um ihre weinerlichen Tänze wie großes Ballett aussehen zu lassen. (Wir Journalisten selbst nennen es übrigens nicht Begründung, sondern Überhöhung. Die Überhöhung ist das ganz große Ding.) Menschen, die Journalisten für kleine niederträchtige Gesellen halten, sind bösartig und interessengesteuert. Außerdem haben sie meistens recht. Über die Rückkehr in meine Kindheitsbucht würde ich, wie ich mir vornahm, einen weinerlichen, gleichzeitig zynischen, desillusionierten und vor allem kalten, frustrierten und frustrierenden, letztlich vor allem unangreifbaren, total zermürbenden Text für meine Zeitung schreiben und behaupten, dass man so etwas nie tun sollte mit fünfzig Jahren, weil: Das Leben geht weiter, wir alle werden sterben, alles ist deprimierend. Den Kollegen schnarrte ich zu: »Hamburger Schule.« Sie nickten wissend.

In Wahrheit, so der Plan (der nicht aufging), würde ich während meiner Recherche jeden Tag zufrieden auf Redaktionskosten mit dem Auto vom verlotterten Canyamel aus an den wilden Strand von Cala Torta fahren, um mich dort mit den brillanten...

Erscheint lt. Verlag 17.8.2017
Zusatzinfo 1 s/w Foto
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Schlagworte Balearen • Balearen-Mallorca • Canyamel • Draußen scheint die Sonne • Draußen scheint die Sonne • Erinnerung • Familie • Kindheit • Mallorca • Memoir • Reise • Sehnsucht • Sehnsuchtsorte • Strand-Urlaub • Urlaubslektüre • Urluabslektüre
ISBN-10 3-462-31787-3 / 3462317873
ISBN-13 978-3-462-31787-9 / 9783462317879
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